Wenn der Wahn an die Tür einer heteronormativen Kernfamilie klopft und sich das Empusa-Wesen Namens „Manananggal“ erhebt, wenn die Selbstverwirklichung einer Mutter und Hausfrau zu bersten beginnt, gar eine sexuelle Revolution einzuleiten droht, dann befindet sich das kollektiv-erschrockene Publikum mitten in Ana Uruschadses international preisgekröntem Drama-Debüt – Saschischi Deda (Scary Mother, 2017).
107 Minuten rätselhafter Bildatmosphäre
Monumentale Surrealität leckt an labilen, graubetonierten Hochhausfronten. Stummträume laufen, Nebelschwaden gleich, waghalsig Brückenkorridore entlang. Beladenes Architekturmaterial, das Eindrücke beherbergt, und poetisierte Bildsprache in elektrisierten Publikumsaugen. Leben und Form in der Festung Familie. Manana (Nato Murwanidse) treibt es auf die Straßen, vorbei an Industrieparks, den Alltagsekel bewältigend. Die Hausfrauentätigkeiten sind zu normal, zu bieder, zu widerwärtig, um sie anders abzuschütteln. Der Morgen zählt gerade einmal fünf Uhr. Seit Manana an ihrem neuen Buch schreibt, gibt es für sie keinen geregelten Tagesablauf mehr. Unsere Protagonistin, immerzu treu vom blauen Mantel umschlossen, ringt nach kurzlebigen Atempausen – dem eigenen hungernden Gemüt ausgeliefert. Woge um Woge brechen kompliziert-facettierte Impulse hervor. Affekte verschlingen sie. Ihr Kreislauf gleicht der einer Schriftstellerinnenexistenz. Manana ist eine Frau, die von ihren Ideen verzehrt, dem eigenen Schreibdiktat unterworfen ist und alle geschriebenen Handlungen, Motive, gar deren Konsequenzen am eigenen Leib durchlebt. Selbst der sie umgebende filmische Bildraum wird von frostiger Melancholie durchzogen. Die kühlen Farbarrangements, die nackten Wände, die Manana selbst im Freien zu folgen scheinen, auch die familiären Szenen spiegeln keine Heiterkeit. Sie ermahnen zur Flucht durch ihre tödliche Langeweile.
Ruhe? Rast? Sucht sie vergebens und mit ihr das gebannte Publikum. Das eigene Doppelleben nicht mehr verheimlichen wollen, müssen und können. Die grausame Enthüllung leisten – Schreiben nach Plaisir und Gusto. Das Schreiben als lebensverlängernde Maßnahme, um der vermeintlichen Realität zu trotzen. Nach logischen Gesetzen einer verheerenden Fantasiewelt. Manana lebt nach Visionen. Ihr neues literarisches Werk trägt sie am Körper. Krude Notizen auf beiden Armen zieren sie und verewigen den Tatort Fantasie. Durch die so selbstgeschaffene Inszenierung wird sie Opfer ihrer Vorstellungen.
Harte Symmetrie auf ernstem Frauengesicht
Das enge Konventionskorsett, das bereits beim Aufwachen allerlei von Manana abverlangt, drückt schmerzhaft. Der schneidende Riemen von Geboten und Verboten zeigt klare Grenzen zwischen der unfreien Hausfrau, zwischen ihrer heimlichen Lust, ihren Träumen und ihrem literarischen Genie einerseits, und den Vorstellungen ihres Mannes Anri (Dimitri Tatischvili), ihren Kindern (Luka Natschkebia, Lili Churiti, Lascha Gabunia) und dem gesellschaftlichen Narrativ andererseits. Der zeitgenössische soziale Frauenstatus, dem Manana unterworfen ist, lässt die Versorgung der Familie unvereinbar erscheinen mit dem Autorinnendasein. Ultimaten zerren an der manischen Schriftstellerin. Ihre Kleiderwahl missfällt, ihr nachgewachsener Haaransatz und die mit Tinte beschmierten Arme lösen Todesängste aus. Verkörpert, materialisiert – als Speichermedium verschriftlicht und filmisch inszeniert. Die Fusion von sehnsüchtiger Frauenseele, Menschenkörper, destruktivem Schreibvorgang und filmischer Darstellung führen schließlich die Geburt des Wesens „Manananggal“ herbei.
Auch eine ausgesucht geschmackvolle Wohnung, ein gutaussehender und finanziell erfolgreicher Mann und drei sich sorgende Kinder mit Hund, können das Bersten der intakten Mutter-Form nicht aufhalten. Als fleischlicher Sensor für übernatürlich wirkende, gewaltentladende Zerstörungsenergien muss Manana ihrer lodernden Lust nach Zersetzung und Entmenschlichung nachgehen. Muss es bis an ihre äußeren Grenzen, mit einer Konsequenz, die vielen Illiterati fremd sein dürfte.
Das eigene Heim fliehend verlassen
Wie könnte ein möglicher Ausbruch aus der Festung Familie, aus dem Gefängnis der Norm, aus dem Netz literarischer Ignoranz aussehen? Die verkannte Schriftstellerin Manana findet ihn im virtuellen Sprachraum ihrer sadistisch-fetischisierenden Gedanken. Unheimlich wird beinahe jeder Person, der Manana sich offenbart. Pornografisch finden beispielsweise mögliche Verleger_innen ihr Schriftstück, die eigene Familie möchte sie gar von den diffusen Fantasien befreit wissen und Manana selbst leidet Schmerzen bei ihrer Verwandlung zum monströsen Ableger ihrer Selbst: dem Empusa-Wesen „Manananggal“. Ein realer Schutzraum öffnet sich ihr hingegen hinter den Verkaufsflächen des Schreibwarenladens nebenan. Eingerichtet wurde die gutgemeinte Schreiboase von Nukri (Ramas Ioseliani), dem einzigen Freund Mananas, der uneingeschränkt an ihren Erfolg als Autorin glaubt. Der Ausbruch in die selbstbestimmte Existenz der Autorin gelingt jedoch erst, nachdem Mananas Familie den plumpen Versuch unternimmt, ihr beinahe fertiggestelltes Œuvre auf dem Balkon zu verbrennen. Der kleine, aber wirkungsvolle Scheiterhaufen evoziert statt einer geplanten Familienzusammenführung die unumkehrbare Entfesselung der literarischen Märtyrerin.
Das Drama Uruschadses wirft unangenehme Fragen auf. Zum Beispiel nach dem Zusammenhang von Hausfrauenstatus und minderwertigen Schreibgenres. Wäre Manana keine Familienmutter in den besseren Jahren, würde ihr Umfeld anders auf das neue Schriftstück reagieren? Würden die Menschen um sie herum den Vorwurf der „billigen“ pornografischen Erzählung gar nicht erst erheben? Oder die Frage nach den Gründen des kunstvoll arrangierten und mitreißenden Leides, welches Manana innerhalb der Filmdauer von 107 Minuten erfährt. Würde unsere Autorin die einfachen Instruktionen erfüllend – sich etwa exemplarisch neue, enge Kleidung kaufend und über lustige Smartphone-Fotofilter lachend – glücklich sein? Muss Manana erst in filmischen Farbarrangements ertrinken, sich an unverputzte Wände drücken, ewige Treppen hochschreiten und überlange Korridore überwinden, durch pochende Wahnmotive aufgewühlt zu öffentlichen Copyshops und fremden Garagen jagen, bevor sie ihrer Leidenschaft nachgehen darf? Durch das tinitusähnliche Surren in ihren Ohren einer Geistesumnachtung gefährlich nahe kommen? Mit familiärer Achtung rechnen – ohne zum selbst- und fremdverletzenden Gespenst zu werden? Müsste eine schreibende Heldin das auch im Jahr 2017?
Uruschadse, Ana: Saschischi Deda (Scary Mother). Georgien, 2017, 107 Min.
Weiterführende Links
Der Film Scary Mother auf dem FilmFestival Cottbus