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„Die Offensive Russlands und der Beginn einer neuen Welt“ – Wie eine versehentlich auf ria.novosti veröffentlichte „Siegeserklärung“ zu verstehen ist

Posted on 6. März 2022 by novinki
In der aktuellen Situation, in der wir feststellen, dass wir lange versäumt haben, Putin genau zuzuhören, auf seine Sprache, seine Terminologie und seine Rhetorik genau zu achten und so zu verstehen, welche Strategien und Absichten hier eigentlich verfolgt werden, ist es äußerst wichtig, damit endlich anzufangen.

Übersetzung und Lektürehinweise

In der aktuellen Situation, in der wir feststellen, dass wir lange versäumt haben, Putin genau zuzuhören, auf seine Sprache, seine Terminologie und seine Rhetorik genau zu achten und so frühzeitig zu verstehen, welche Strategien und Absichten er eigentlich verfolgt, ist es äußerst wichtig, jetzt endlich damit anzufangen.

 

Vor wenigen Wochen hat Riccardo Nicolosi auf einer Münchner Tagung Putins Rhetorik in Hinblick auf ihre Entwicklung in seinen Reden über zwei Jahrzehnte exemplarisch analysiert.

Riccardo Nicolosi zur Rhetorik Putins in Hinblick auf ihre Entwicklung in seinen Reden

In Putins Auftritten der letzten Wochen fiel die Verdichtung einiger Aspekte – z.B. der Relevanz der historischen ‚Argumente‘ – und zugleich eine drastische Vergrobung der Sprache, mit der die ukrainische Regierung diffamiert wird, auf: „Junta“, „drogensüchtige Neonazis“ etc.

 

Die Lügenhaftigkeit des Geschichtsbilds in Putins Rede vom 4. 3. 2022 hat Karl Schlögel am 5.3. in der ARD-Tagesschau in vielen Details, angefangen von der Aussage, die Ukraine sei eine Schöpfung Lenins, analysiert.

Was treibt Putin an? Anja Martini, tagesschau, im Gespräch mit Karl Schlögel, Osteuropahistoriker

Anknüpfend an die Analysen von Nicolosi und Schlögel machen wir hier Auszüge aus einem Text zugänglich, der – offensichtlich versehentlich – am 26.02.2022 – als eine Art ‚Siegeserklärung‘ von Ria.novosti publiziert und dann schnell wieder zurückgezogen wurde.

 

Er trägt den Titel „Наступление России и нового мира“, was nicht einfach zu übersetzen ist, weil „Наступление“ sowohl „Offensive“ im Sinne von „Angriff“ als auch „Anfang“, „Antreten“ z.B. einer neuen Ära bedeutet. Gemeint ist die zweite Bedeutung, also "Der Antritt Russlands und der neuen Welt“.

 

Mit der Übersetzung wollen wir das Augenmerk auf einige wichtige stilistische, terminologische und konzeptuelle Aspekte der Darstellung richten:

 

  • die resultative Ausdrucksweise, als ob der Anschluss der Ukraine an Russland bereits ein Fakt wäre;

 

  • die klare Zuweisung der Rolle Russland als alleiniger Akteur des Handelns;

 

  • die Deutung der dargestellten Mission mithilfe von Topoi, die für das historische imperiale Selbstverständnis Russlands grundlegend waren und der Legitimierung der Herrschaft über andere auf dem von Russland als „eigenes“ beanspruchten Territorium dienten, wie z.B. „Sammeln der Russischen Länder“, die Formel, die unter Ivan Groznyj als Bezeichnung für die endgültige Befreiung der „Rus‘“ vom „Tatarenjoch“ geprägt wurde, aber eigentlich dazu diente, die imperiale Expansion des Moskauer Reiches zu legitimieren. Durch die Reaktivierung dieser Formel soll der Angriffskrieg auf die Ukraine in die 'Tradition' der Mission Russlands zur 'Einigung seiner Länder' gestellt werden. Russland in seinen heutigen (bisherigen) Grenzen wird dagegen als Ergebnis eines „Zerfalls Russlands“ dargestellt.

 

  • In der Formulierung des Ziels als „Wiedererrichtung der „russische Welt“ wird der Name der Organisation aufgegriffen, die Putin 2007 mit dem Ziel der Addressierung und ‚Einigung im Geiste‘ aller Russen auf der Welt mit Russland als ihrer Heimat als ideologische Softpower-Organisation gegründet hatte, „Russkij mir“ (Russische Welt).

 

  • Diese "russische Welt" wird hier  n einer konkret territorialen Bedeutung expliziert: Russland ist als „Großrussland“ zu verstehen, dessen integrative Bestandteile Belarus und die Ukraine darstellen., durch die „das russische Volk in seiner Gesamtheit aus Welikorussen, Weißrussen und Kleinrussen zusammenführt“ wird. (восстанавливает свою историческую полноту, собирая русский мир, русский народ вместе)

 

  • Mit dem Begriff „raskol“ – Spaltung – wird ein weiteres Schlüsselwort der russischen Geschichtsschreibung appropriiert. „Raskol“ kommt aus der Kirchengeschichte, wo es die Bewegung der Altgläubigen aus der Perspektive der herrschenden Position des Patriarchen als “Spaltung“ bezeichnete, die sich nicht dem Diktat der Reformen des Patriarchen Nikon (der als erster Patriarch eine enge Allianz mit dem Zaren eingegangen war) unterordnen wollte und als erste russische ‚Dissidentenbewegung‘ in den ‚Untergrund‘ (bzw. nach Sibirien) ging. Mit der historischen Metapher "Raskol"/"Abspaltung" soll der Ukraine als unabhängiger Staat (vor ihrer ‚Wiedervereinigung‘ mit Russland) die Legitimität entzogen werden.

 

  •  Zugleich wird unterstellt, dass es die Absicht dieser unabhängigen Ukraine sei, als „Anti-Russland“ zu fungieren. Diese Wortschöpfung bildet den ideologischen eigentlichen Kern der Darstellung: Instrumentalisiert vom Westen als „Anti-Russland“ hätte die Ukraine Russland mit der „Derussifizierung“ bedroht und musste daher „zurückgeholt“, mussten „die russischen Länder gesammelt“ werden.

 

  • Und noch ein weiterer Rückgriff auf einen Topos der Geschichtsschreibung dient in diesem Artikel der Modellierung von Putins Mission, in diesem Fall einen des 20. Jh.s: Das Bild des „Eisernen Vorhangs“ wird hier nicht aufgegriffen, um den Angriff Putins als Rückkehr in den Kalten Krieg zu deuten, wie das derzeit in den westlichen Medien der Fall ist, sondern gerade umgekehrt, um das aktuelle Geschehen von der Geschichte des 20. Jh.s abzugrenzen. Denn, so der Text, es geht nicht darum, den „Eisernen Vorhang“ wieder zu errichten, sondern vielmehr darum, die Grenze zwischen Russland und einem „unabhängigen Europa“ aufzuheben: Europa bedürfe dringend der „Autonomie“, müsste sich gegen die Dominanz und Instrumentalisierung durch die „Anglosachsen“ wehren, durch die es zur immer weiteren „Expansion nach Osten“ getrieben worden sei.

 

  • Noch ein anderer Diskurskontext, nämlich der der Europäischen Kolonialgeschichte, wird hier anscheinend aus postkolonialer Perspektive angesprochen: Die „halbtausendjährige“ Ära Europas als „globaler Leader“ sei nun vorbei. Aber Europa, das seine globale Macht eingebüßt hat, könnte nun von den „Anglosachsen“ unabhängig werden, sich aus dem „Pferch“, den ein neuer Eiserner Vorhang für Europa bedeuten würde, befreien und Russland beim „Aufbau einer neuen Weltordnung“, einer „multipolaren Welt“ – so wird das Ziel hier beschrieben – unterstützen.

Um es kurz zu sagen: Die rhetorische ‚Leistung‘ dieser ‚Siegeserklärung‘ besteht darin, „Unabhängigkeit“ als „Vereinigung“ mit Russland zu definieren und „multipolare Weltordnung“ als die „neue“, von Russland bestimmte Weltordnung.

 

Man sollte diesen Artikel von Petr Akopov, Berichterstatter von Ria.novosti, genau lesen!

 

SF

(Наступление России и нового мира)

Die Offensive Russlands und der Beginn einer neuen Welt

© REUTERS / Valentyn Ogirenko

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Петр Акопов

 

https://web.archive.org/web/20220226224717/https://ria.ru/20220226/rossiya-1775162336.html

 

Eine neue Welt wird vor unseren Augen geboren. Russlands Militäroperation in der Ukraine hat eine neue Ära eingeläutet - und zwar gleich in drei Dimensionen. Und natürlich in einer vierten, innerrussischen Dimension. Heute beginnt eine neue Periode, sowohl in der Ideologie als auch im Modell unseres sozioökonomischen Systems selbst - aber darüber wird später noch gesondert zu reden sein.

 

Russland ist dabei, seine Einheit wiederherzustellen - die Tragödie von 1991, diese schreckliche Katastrophe unserer Geschichte, ihre widernatürliche Verrenkung (противоестественный вывих), ist überwunden. Ja, um einen hohen Preis, ja, durch die tragischen Ereignisse eines faktischen Bürgerkriegs, denn noch immer schießen Brüder aufeinander, die durch die Zugehörigkeit zur russischen und ukrainischen Armee auseinandergerissen sind - aber eine Ukraine als Anti-Russland wird es nicht mehr geben. Russland stellt seine historische Ganzheit wieder her, indem es die russische Welt, das russische Volk in seiner Gesamtheit aus Welikorussen, Weißrussen und Kleinrussen zusammenführt (восстанавливает свою историческую полноту, собирая русский мир, русский народ вместе). Würden wir darauf verzichten, würden wir zulassen, dass sich die vorübergehende Teilung über Jahrhunderte verfestigt, würden wir nicht nur das Andenken unserer Vorfahren verraten, sondern auch von unseren Nachkommen dafür verdammt werden, dass wir den Zerfall des Russischen Landes zugelassen haben (распад Русской земли).

 

Die Nationalisten in der Ukraine kämpfen auf Anraten von Ausländern, sagt Putin

Wladimir Putin hat - ohne einen Hauch von Übertreibung - eine historische Verantwortung übernommen, indem er sich entschieden hat, die Lösung der ukrainischen Frage (решение украинского вопроса) nicht künftigen Generationen zu überlassen. Schließlich würde die Notwendigkeit, dieses Problem zu lösen, für Russland immer ein großes Problem bleiben, und zwar aus zwei wesentlichen Gründen. Die Frage der nationalen Sicherheit, d.h. die Tatsache, dass die Ukraine zu einem Antirussland und einem Vorposten für den Druck des Westens auf uns gemacht wird, ist nur der zweitwichtigste unter ihnen.

Der erste Grund wäre immer das Problem einer geteilten Nation, das Problem der nationalen Demütigung - dadurch, dass das russische Haus zuerst einen Teil seines Fundaments (Kiew) verlor und sich dann mit der Existenz zweier Staaten abfinden musste, die nicht mehr eine, sondern zwei Nationen waren. Das heißt, entweder müsste man seine Geschichte aufgeben und der wahnsinnigen Auffassung zustimmen, dass "nur die Ukraine das wahre Russland ist", oder hilflos mit den Zähnen knirschen und sich an jene Zeiten zurückerinnern, als "wir die Ukraine verloren haben". Die Rückführung der Ukraine, d.h. die Rückgabe an Russland, würde mit jedem Jahrzehnt komplizierter werden - die Umkodierung, die Derussifizierung der Russen und das Ausspielen der Kleinrussen-Ukrainer gegen die Russen würden an Dynamik gewinnen. Und wenn sich die vollständige geopolitische und militärische Kontrolle der Ukraine durch den Westen verfestigt, wäre ihre Rückkehr zu Russland überhaupt nicht mehr möglich - man müsste mit dem atlantischen Block um sie kämpfen.

 

Putin: Die Zusammenstöße mit der Ukraine finden hauptsächlich mit nationalistischen Gruppierungen statt

Jetzt ist dieses Problem gelöst - die Ukraine ist zu Russland zurückgekehrt. Das bedeutet nicht, dass ihre Staatlichkeit aufgelöst wird, sondern dass sie umstrukturiert, wiederhergestellt und in ihren natürlichen Zustand als Teil der russischen Welt zurückversetzt wird. (она будет переустроена, переучреждена и возвращена в свое естественное состояние части русского мира.) Innerhalb welcher Grenzen und in welcher Form wird die Union mit Russland gesichert (mithilfe der OVKS und der Eurasischen Union oder mithilfe eines Unionsstaates aus Russland und Belarus)? Dies wird sich entscheiden, nachdem der Geschichte der Ukraine als Anti-Russland-Land ein Schlusspunkt gesetzt wurde. (поставлена точка в истории Украины как анти-России) Auf jeden Fall geht die Zeit der Spaltung des russischen Volkes ihrem Ende entgegen. (завершается период раскола русского народа.)

Und hier beginnt die zweite Dimension der kommenden neuen Ära - sie betrifft die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen oder vielmehr zwischen der russischen Welt (русского мира), bestehend aus den drei Staaten Russland, Weißrussland und der Ukraine, die geopolitisch als ein Ganzes handeln, Diese Beziehung ist in eine neue Phase eingetreten - der Westen sieht Russland in seine historischen Grenzen in Europa zurückkehren. Und er ärgert sich lautstark darüber, obwohl er sich tief im Inneren eingestehen muss, dass es gar nicht anders geht.

 

Russland hat eine Delegation gebildet, die mit der Ukraine verhandeln soll

Hat irgendjemand in den alten europäischen Hauptstädten, in Paris und Berlin, ernsthaft geglaubt, dass Moskau Kiew aufgeben würde? Dass die Russen für immer ein geteiltes Volk sein würden? Und das zur gleichen Zeit, in der Europa sich vereint, in der die deutschen und französischen Eliten versuchen, den Angelsachsen die Kontrolle über die europäische Integration zu entreißen und ein vereintes Europa wiederherzustellen? Sie vergessen, dass die Einigung Europas nur durch die Einigung Deutschlands möglich wurde, die auf den guten (wenn auch nicht sehr klugen) Willen Russlands zurückzuführen ist. Danach zum Schlag gegen die russischen Länder (русские земли) auszuholen, ist nicht nur der Gipfel der Undankbarkeit, sondern auch eine geopolitische Dummheit sondergleichen. Der Westen als Ganzes, und noch mehr Europa für sich genommen, hatte keine Kraft, die Ukraine in seinem Einflussbereich zu halten, geschweige denn, sie zu übernehmen. (забрать себе Украину) Wer das nicht verstanden hat, musste schon ein geopolitischer Narr sein.

Genauer gesagt, gab es nur eine Möglichkeit: auf den weiteren Zerfall Russlands, d. h. der Russischen Föderation, zu setzen. Aber dass das nicht funktionieren wird, hätte schon vor zwanzig Jahren klar sein müssen. Und vor fünfzehn Jahren, nach Putins Münchner Rede, konnten sogar die Tauben hören: Russland kommt zurück.

 

Peskow: Russland hat der Ukraine einen Vorschlag zur Aufnahme von Gesprächen gesendet

Jetzt versucht der Westen, Russland dafür zu bestrafen, dass es zurückgekommen ist, dass sich seine Pläne, sich auf seine Kosten zu stärken, nicht bewahrheitet haben, dass es ihm nicht möglich war, seinen westlichen Raum nach Osten auszudehnen. (расширить западное пространство на восток) Wenn der Westen versucht, uns zu bestrafen, denkt er, dass die Beziehungen zu ihm für uns lebenswichtig sind. (жизненно важное значение) Aber das ist schon lange nicht mehr der Fall - die Welt hat sich verändert, und nicht nur die Europäer, sondern auch die Angelsachsen, die den Westen regieren, verstehen das sehr gut. Der westliche Druck auf Russland führt zu nichts . Beide Seiten werden durch eine harte Konfrontation Verluste erleiden, aber Russland ist moralisch und geopolitisch darauf vorbereit. Auf der anderen Seite ist die Verschärfung der Konfrontation für den Westen selbst mit enormen Kosten verbunden, und die Hauptkosten sind keineswegs wirtschaftlicher Natur.

Europa, als Teil des Westens, will Autonomie - aber dieses deutsche Projekt der europäischen Integration macht strategisch keinen Sinn, solange die angelsächsische ideologische, militärische und geopolitische Kontrolle über die Alte Welt bestehen bleibt. Es kann nicht erfolgreich sein, solange die Angelsachsen die Kontrolle über Europa beanspruchen. (англосаксам нужна подконтрольная Европа.) Europa aber braucht auch aus einem anderen Grund Autonomie (получение автономии необходимо Европе) - für den Fall, dass die Vereinigten Staaten sich selbst isolieren (Штаты перейдут к самоизоляции) (aufgrund wachsender interner Konflikte und Widersprüche) oder sich auf den pazifischen Raum konzentrieren, wohin sich das geopolitische Gravitationszentrum verlagert.

 

Russlands Rechte im Europarat ausgesetzt

Doch die Konfrontation mit Russland, in die die Angelsachsen Europa hineinziehen, beraubt die Europäer selbst der Chance auf Autonomie (лишает европейцев даже шансов на самостоятельность) - ganz zu schweigen davon, dass man Europa auf dieselbe Weise versucht, den Bruch mit China aufzuzwingen. Während die Atlantiker nun frohlocken, dass die "russische Bedrohung" den westlichen Block zusammenschweißt, muss man sich in Berlin und Paris darüber im Klaren sein, dass das europäische Projekt mittelfristig scheitern wird, da es die Hoffnung auf Autonomie verloren hat. (потеряв надежду на автономию, европейский проект просто рухнет) Aus diesem Grund sind unabhängig denkende Europäer heute überhaupt nicht daran interessiert, einen neuen eisernen Vorhang an ihren östlichen Grenzen zu errichten, da sie wissen, dass dieser sich in einen Pferch für Europa verwandeln wird. (нового железного занавеса на своих восточных границах — понимая, что он превратится в загон именно для Европы) Seine Ära (genauer gesagt ein halbes Jahrtausend) der globalen Führungsrolle (век (точнее полтысячелетия) глобального лидерства) ist jetzt jedenfalls vorbei - aber verschiedene Optionen für seine Zukunft sind noch möglich.

Denn der Aufbau der neuen Weltordnung (строительство нового миропорядка) - und das ist die dritte Dimension des aktuellen Geschehens - beschleunigt sich, und ihre Konturen zeichnen sich durch die/unter der ausgebreiteten Decke der angelsächsischen Globalisierung immer deutlicher ab. Eine multipolare Welt ist endlich Realität geworden (Многополярный мир окончательно стал реальностью) - die Operation in der Ukraine ist nicht in der Lage, irgendjemanden außer dem Westen gegen Russland zu mobilisieren. Denn der Rest der Welt kann sehen und verstehen, dass es sich um einen Konflikt zwischen Russland und dem Westen handelt, um eine Antwort auf die geopolitische Expansion der Atlantiker, um die Rückeroberung des historischen Raums und des Platzes Russlands in der Welt. (возвращение Россией своего исторического пространства и своего места в мире)

 

Keiner in Europa will einen Krieg mit Russland, sagt der französische Verteidigungsminister

China und Indien, Lateinamerika und Afrika, die islamische Welt und Südostasien - niemand glaubt, dass der Westen die Weltordnung beherrscht, geschweige denn die Spielregeln bestimmt. Russland hat den Westen nicht nur herausgefordert, sondern auch gezeigt, dass die Ära der westlichen globalen Dominanz endgültig vorbei ist. Die neue Welt wird von allen Zivilisationen und Machtzentren aufgebaut werden, natürlich zusammen mit dem Westen (vereint oder nicht) - aber nicht zu seinen Bedingungen und nicht nach seinen Regeln. (что эпоху западного глобального господства можно считать полностью и окончательно законченной. Новый мир будет строиться всеми цивилизациями и центрами силами, естественно, вместе с Западом (единым или нет) — но не на его условиях и не по его правилам.)

Übers. Susanne Frank

„Die Offensive Russlands und der Beginn einer neuen Welt“ – Wie eine versehentlich auf ria.novosti veröffentlichte „Siegeserklärung“ zu verstehen ist - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

„Die Offen­sive Russ­lands und der Beginn einer neuen Welt“ – Wie eine ver­se­hent­lich auf ria.novosti ver­öf­fent­lichte „Sie­ges­er­klä­rung“ zu ver­stehen ist

Über­set­zung und Lektürehinweise

In der aktu­ellen Situa­tion, in der wir fest­stellen, dass wir lange ver­säumt haben, Putin genau zuzu­hören, auf seine Sprache, seine Ter­mi­no­logie und seine Rhe­torik genau zu achten und so früh­zeitig zu ver­stehen, welche Stra­te­gien und Absichten er eigent­lich ver­folgt, ist es äußerst wichtig, jetzt end­lich damit anzufangen.

 

Vor wenigen Wochen hat Ric­cardo Nico­losi auf einer Münchner Tagung Putins Rhe­torik in Hin­blick auf ihre Ent­wick­lung in seinen Reden über zwei Jahr­zehnte exem­pla­risch ana­ly­siert.

Ric­cardo Nico­losi zur Rhe­torik Putins in Hin­blick auf ihre Ent­wick­lung in seinen Reden 

In Putins Auf­tritten der letzten Wochen fiel die Ver­dich­tung einiger Aspekte – z.B. der Rele­vanz der his­to­ri­schen ‚Argu­mente‘ – und zugleich eine dras­ti­sche Ver­gro­bung der Sprache, mit der die ukrai­ni­sche Regie­rung dif­fa­miert wird, auf: „Junta“, „dro­gen­süch­tige Neo­nazis“ etc.

 

Die Lügen­haf­tig­keit des Geschichts­bilds in Putins Rede vom 4. 3. 2022 hat Karl Schlögel am 5.3. in der ARD-Tages­schau in vielen Details, ange­fangen von der Aus­sage, die Ukraine sei eine Schöp­fung Lenins, analysiert.

Was treibt Putin an? Anja Mar­tini, tages­schau, im Gespräch mit Karl Schlögel, Osteuropahistoriker

Anknüp­fend an die Ana­lysen von Nico­losi und Schlögel machen wir hier Aus­züge aus einem Text zugäng­lich, der – offen­sicht­lich ver­se­hent­lich – am 26.02.2022 – als eine Art ‚Sie­ges­er­klä­rung‘ von Ria.novosti publi­ziert und dann schnell wieder zurück­ge­zogen wurde.

 

Er trägt den Titel „Наступление России и нового мира“, was nicht ein­fach zu über­setzen ist, weil „Наступление“ sowohl „Offen­sive“ im Sinne von „Angriff“ als auch „Anfang“, „Antreten“ z.B. einer neuen Ära bedeutet. Gemeint ist die zweite Bedeu­tung, also “Der Antritt Russ­lands und der neuen Welt“.

 

Mit der Über­set­zung wollen wir das Augen­merk auf einige wich­tige sti­lis­ti­sche, ter­mi­no­lo­gi­sche und kon­zep­tu­elle Aspekte der Dar­stel­lung richten:

 

  • die resul­ta­tive Aus­drucks­weise, als ob der Anschluss der Ukraine an Russ­land bereits ein Fakt wäre;

 

  • die klare Zuwei­sung der Rolle Russ­land als allei­niger Akteur des Handelns;

 

  • die Deu­tung der dar­ge­stellten Mis­sion mit­hilfe von Topoi, die für das his­to­ri­sche impe­riale Selbst­ver­ständnis Russ­lands grund­le­gend waren und der Legi­ti­mie­rung der Herr­schaft über andere auf dem von Russ­land als „eigenes“ bean­spruchten Ter­ri­to­rium dienten, wie z.B. „Sam­meln der Rus­si­schen Länder“, die Formel, die unter Ivan Groznyj als Bezeich­nung für die end­gül­tige Befreiung der „Rus‘“ vom „Tata­ren­joch“ geprägt wurde, aber eigent­lich dazu diente, die impe­riale Expan­sion des Mos­kauer Rei­ches zu legi­ti­mieren. Durch die Reak­ti­vie­rung dieser Formel soll der Angriffs­krieg auf die Ukraine in die ‘Tra­di­tion’ der Mis­sion Russ­lands zur ‘Eini­gung seiner Länder’ gestellt werden. Russ­land in seinen heu­tigen (bis­he­rigen) Grenzen wird dagegen als Ergebnis eines „Zer­falls Russ­lands“ dargestellt.

 

  • In der For­mu­lie­rung des Ziels als „Wie­der­errich­tung der „russische[n] Welt“ wird der Name der Orga­ni­sa­tion auf­ge­griffen, die Putin 2007 mit dem Ziel der Addres­sie­rung und ‚Eini­gung im Geiste‘ aller Russen auf der Welt mit Russ­land als ihrer Heimat als ideo­lo­gi­sche Soft­power-Orga­ni­sa­tion gegründet hatte, „Russkij mir“ (Rus­si­sche Welt).

 

  • Diese “rus­si­sche Welt” wird hier  n einer kon­kret ter­ri­to­rialen Bedeu­tung expli­ziert: Russ­land ist als „Groß­russ­land“ zu ver­stehen, dessen inte­gra­tive Bestand­teile Belarus und die Ukraine dar­stellen., durch die „das rus­si­sche Volk in seiner Gesamt­heit aus Weli­ko­russen, Weiß­russen und Klein­russen zusammen[ge]führt“ wird. (восстанавливает свою историческую полноту, собирая русский мир, русский народ вместе)

 

  • Mit dem Begriff „raskol“ – Spal­tung – wird ein wei­teres Schlüs­sel­wort der rus­si­schen Geschichts­schrei­bung appro­pri­iert. „Raskol“ kommt aus der Kir­chen­ge­schichte, wo es die Bewe­gung der Alt­gläu­bigen aus der Per­spek­tive der herr­schenden Posi­tion des Patri­ar­chen als “Spal­tung“ bezeich­nete, die sich nicht dem Diktat der Reformen des Patri­ar­chen Nikon (der als erster Patri­arch eine enge Allianz mit dem Zaren ein­ge­gangen war) unter­ordnen wollte und als erste rus­si­sche ‚Dis­si­den­ten­be­we­gung‘ in den ‚Unter­grund‘ (bzw. nach Sibi­rien) ging. Mit der his­to­ri­schen Meta­pher “Raskol”/“Abspaltung” soll der Ukraine als unab­hän­giger Staat (vor ihrer ‚Wie­der­ver­ei­ni­gung‘ mit Russ­land) die Legi­ti­mität ent­zogen werden.

 

  •  Zugleich wird unter­stellt, dass es die Absicht dieser unab­hän­gigen Ukraine sei, als „Anti-Russ­land“ zu fun­gieren. Diese Wort­schöp­fung bildet den ideo­lo­gi­schen eigent­li­chen Kern der Dar­stel­lung: Instru­men­ta­li­siert vom Westen als „Anti-Russ­land“ hätte die Ukraine Russ­land mit der „Derus­si­fi­zie­rung“ bedroht und musste daher „zurück­ge­holt“, mussten „die rus­si­schen Länder [wieder] gesam­melt“ werden.

 

  • Und noch ein wei­terer Rück­griff auf einen Topos der Geschichts­schrei­bung dient in diesem Artikel der Model­lie­rung von Putins Mis­sion, in diesem Fall einen des 20. Jh.s: Das Bild des „Eisernen Vor­hangs“ wird hier nicht auf­ge­griffen, um den Angriff Putins als Rück­kehr in den Kalten Krieg zu deuten, wie das der­zeit in den west­li­chen Medien der Fall ist, son­dern gerade umge­kehrt, um das aktu­elle Geschehen von der Geschichte des 20. Jh.s abzu­grenzen. Denn, so der Text, es geht nicht darum, den „Eisernen Vor­hang“ wieder zu errichten, son­dern viel­mehr darum, die Grenze zwi­schen Russ­land und einem „unab­hän­gigen Europa“ auf­zu­heben: Europa bedürfe drin­gend der „Auto­nomie“, müsste sich gegen die Domi­nanz und Instru­men­ta­li­sie­rung durch die „Ang­losachsen“ wehren, durch die es zur immer wei­teren „Expan­sion nach Osten“ getrieben worden sei.

 

  • Noch ein anderer Dis­kurs­kon­text, näm­lich der der Euro­päi­schen Kolo­ni­al­ge­schichte, wird hier anschei­nend aus post­ko­lo­nialer Per­spek­tive ange­spro­chen: Die „halb­tau­send­jäh­rige“ Ära Europas als „glo­baler Leader“ sei nun vorbei. Aber Europa, das seine glo­bale Macht ein­ge­büßt hat, könnte nun von den „Ang­losachsen“ unab­hängig werden, sich aus dem „Pferch“, den ein neuer Eiserner Vor­hang für Europa bedeuten würde, befreien und Russ­land beim „Aufbau einer neuen Welt­ord­nung“, einer „mul­ti­po­laren Welt“ – so wird das Ziel hier beschrieben – unterstützen.

Um es kurz zu sagen: Die rhe­to­ri­sche ‚Leis­tung‘ dieser ‚Sie­ges­er­klä­rung‘ besteht darin, „Unab­hän­gig­keit“ als „Ver­ei­ni­gung“ mit Russ­land zu defi­nieren und „mul­ti­po­lare Welt­ord­nung“ als die „neue“, von Russ­land bestimmte Weltordnung.

 

Man sollte diesen Artikel von Petr Akopov, Bericht­erstatter von Ria.novosti, genau lesen!

 

SF

(Наступление России и нового мира)

Die Offen­sive Russ­lands und der Beginn einer neuen Welt

© REUTERS / Valentyn Ogirenko

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https://web.archive.org/web/20220226224717/https://ria.ru/20220226/rossiya-1775162336.html

 

Eine neue Welt wird vor unseren Augen geboren. Russ­lands Mili­tär­ope­ra­tion in der Ukraine hat eine neue Ära ein­ge­läutet – und zwar gleich in drei Dimen­sionen. Und natür­lich in einer vierten, inner­rus­si­schen Dimen­sion. Heute beginnt eine neue Periode, sowohl in der Ideo­logie als auch im Modell unseres sozio­öko­no­mi­schen Sys­tems selbst – aber dar­über wird später noch geson­dert zu reden sein.

 

Russ­land ist dabei, seine Ein­heit wie­der­her­zu­stellen – die Tra­gödie von 1991, diese schreck­liche Kata­strophe unserer Geschichte, ihre wider­na­tür­liche Ver­ren­kung (противоестественный вывих), ist über­wunden. Ja, um einen hohen Preis, ja, durch die tra­gi­schen Ereig­nisse eines fak­ti­schen Bür­ger­kriegs, denn noch immer schießen Brüder auf­ein­ander, die durch die Zuge­hö­rig­keit zur rus­si­schen und ukrai­ni­schen Armee aus­ein­an­der­ge­rissen sind – aber eine Ukraine als Anti-Russ­land wird es nicht mehr geben. Russ­land stellt seine his­to­ri­sche Ganz­heit wieder her, indem es die rus­si­sche Welt, das rus­si­sche Volk in seiner Gesamt­heit aus Weli­ko­russen, Weiß­russen und Klein­russen zusam­men­führt (восстанавливает свою историческую полноту, собирая русский мир, русский народ вместе). Würden wir darauf ver­zichten, würden wir zulassen, dass sich die vor­über­ge­hende Tei­lung über Jahr­hun­derte ver­fes­tigt, würden wir nicht nur das Andenken unserer Vor­fahren ver­raten, son­dern auch von unseren Nach­kommen dafür ver­dammt werden, dass wir den Zer­fall des Rus­si­schen Landes zuge­lassen haben (распад Русской земли).

 

Die Natio­na­listen in der Ukraine kämpfen auf Anraten von Aus­län­dern, sagt Putin

Wla­dimir Putin hat – ohne einen Hauch von Über­trei­bung – eine his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung über­nommen, indem er sich ent­schieden hat, die Lösung der ukrai­ni­schen Frage (решение украинского вопроса) nicht künf­tigen Gene­ra­tionen zu über­lassen. Schließ­lich würde die Not­wen­dig­keit, dieses Pro­blem zu lösen, für Russ­land immer ein großes Pro­blem bleiben, und zwar aus zwei wesent­li­chen Gründen. Die Frage der natio­nalen Sicher­heit, d.h. die Tat­sache, dass die Ukraine zu einem Anti­russ­land und einem Vor­posten für den Druck des Wes­tens auf uns gemacht wird, ist nur der zweit­wich­tigste unter ihnen.

Der erste Grund wäre immer das Pro­blem einer geteilten Nation, das Pro­blem der natio­nalen Demü­ti­gung – dadurch, dass das rus­si­sche Haus zuerst einen Teil seines Fun­da­ments (Kiew) verlor und sich dann mit der Exis­tenz zweier Staaten abfinden musste, die nicht mehr eine, son­dern zwei Nationen waren. Das heißt, ent­weder müsste man seine Geschichte auf­geben und der wahn­sin­nigen Auf­fas­sung zustimmen, dass “nur die Ukraine das wahre Russ­land ist”, oder hilflos mit den Zähnen knir­schen und sich an jene Zeiten zurück­er­in­nern, als “wir die Ukraine ver­loren haben”. Die Rück­füh­rung der Ukraine, d.h. die Rück­gabe an Russ­land, würde mit jedem Jahr­zehnt kom­pli­zierter werden – die Umko­die­rung, die Derus­si­fi­zie­rung der Russen und das Aus­spielen der Klein­russen-Ukrainer gegen die Russen würden an Dynamik gewinnen. Und wenn sich die voll­stän­dige geo­po­li­ti­sche und mili­tä­ri­sche Kon­trolle der Ukraine durch den Westen ver­fes­tigt, wäre ihre Rück­kehr zu Russ­land über­haupt nicht mehr mög­lich – man müsste mit dem atlan­ti­schen Block um sie kämpfen.

 

Putin: Die Zusam­men­stöße mit der Ukraine finden haupt­säch­lich mit natio­na­lis­ti­schen Grup­pie­rungen statt

Jetzt ist dieses Pro­blem gelöst – die Ukraine ist zu Russ­land zurück­ge­kehrt. Das bedeutet nicht, dass ihre Staat­lich­keit auf­ge­löst wird, son­dern dass sie umstruk­tu­riert, wie­der­her­ge­stellt und in ihren natür­li­chen Zustand als Teil der rus­si­schen Welt zurück­ver­setzt wird. (она будет переустроена, переучреждена и возвращена в свое естественное состояние части русского мира.) Inner­halb wel­cher Grenzen und in wel­cher Form wird die Union mit Russ­land gesi­chert (mit­hilfe der OVKS und der Eura­si­schen Union oder mit­hilfe eines Uni­ons­staates aus Russ­land und Belarus)? Dies wird sich ent­scheiden, nachdem der Geschichte der Ukraine als Anti-Russ­land-Land ein Schluss­punkt gesetzt wurde. (поставлена точка в истории Украины как анти-России) Auf jeden Fall geht die Zeit der Spal­tung des rus­si­schen Volkes ihrem Ende ent­gegen. (завершается период раскола русского народа.)

Und hier beginnt die zweite Dimen­sion der kom­menden neuen Ära – sie betrifft die Bezie­hungen zwi­schen Russ­land und dem Westen oder viel­mehr zwi­schen der rus­si­schen Welt (русского мира), bestehend aus den drei Staaten Russ­land, Weiß­russ­land und der Ukraine, die geo­po­li­tisch als ein Ganzes han­deln, [und dem Westen] Diese Bezie­hung ist in eine neue Phase ein­ge­treten – der Westen sieht Russ­land in seine his­to­ri­schen Grenzen in Europa zurück­kehren. Und er ärgert sich laut­stark dar­über, obwohl er sich tief im Inneren ein­ge­stehen muss, dass es gar nicht anders geht.

 

Russ­land hat eine Dele­ga­tion gebildet, die mit der Ukraine ver­han­deln soll

Hat irgend­je­mand in den alten euro­päi­schen Haupt­städten, in Paris und Berlin, ernst­haft geglaubt, dass Moskau Kiew auf­geben würde? Dass die Russen für immer ein geteiltes Volk sein würden? Und das zur glei­chen Zeit, in der Europa sich ver­eint, in der die deut­schen und fran­zö­si­schen Eliten ver­su­chen, den Angel­sachsen die Kon­trolle über die euro­päi­sche Inte­gra­tion zu ent­reißen und ein ver­eintes Europa wie­der­her­zu­stellen? Sie ver­gessen, dass die Eini­gung Europas nur durch die Eini­gung Deutsch­lands mög­lich wurde, die auf den guten (wenn auch nicht sehr klugen) Willen Russ­lands zurück­zu­führen ist. Danach zum Schlag gegen die rus­si­schen Länder (русские земли) aus­zu­holen, ist nicht nur der Gipfel der Undank­bar­keit, son­dern auch eine geo­po­li­ti­sche Dumm­heit son­der­glei­chen. Der Westen als Ganzes, und noch mehr Europa für sich genommen, hatte keine Kraft, die Ukraine in seinem Ein­fluss­be­reich zu halten, geschweige denn, sie zu über­nehmen. (забрать себе Украину) Wer das nicht ver­standen hat, musste schon ein geo­po­li­ti­scher Narr sein.

Genauer gesagt, gab es nur eine Mög­lich­keit: auf den wei­teren Zer­fall Russ­lands, d. h. der Rus­si­schen Föde­ra­tion, zu setzen. Aber dass das nicht funk­tio­nieren wird, hätte schon vor zwanzig Jahren klar sein müssen. Und vor fünf­zehn Jahren, nach Putins Münchner Rede, konnten sogar die Tauben hören: Russ­land kommt zurück.

 

Peskow: Russ­land hat der Ukraine einen Vor­schlag zur Auf­nahme von Gesprä­chen gesendet

Jetzt ver­sucht der Westen, Russ­land dafür zu bestrafen, dass es zurück­ge­kommen ist, dass sich seine Pläne, sich auf seine Kosten zu stärken, nicht bewahr­heitet haben, dass es ihm nicht mög­lich war, seinen west­li­chen Raum nach Osten aus­zu­dehnen. (расширить западное пространство на восток) Wenn der Westen ver­sucht, uns zu bestrafen, denkt er, dass die Bezie­hungen zu ihm für uns lebens­wichtig sind. (жизненно важное значение) Aber das ist schon lange nicht mehr der Fall – die Welt hat sich ver­än­dert, und nicht nur die Euro­päer, son­dern auch die Angel­sachsen, die den Westen regieren, ver­stehen das sehr gut. Der west­liche Druck auf Russ­land führt zu nichts [ist sinnlos]. Beide Seiten werden durch eine harte Kon­fron­ta­tion Ver­luste erleiden, aber Russ­land ist mora­lisch und geo­po­li­tisch darauf vor­be­reit. Auf der anderen Seite ist die Ver­schär­fung der Kon­fron­ta­tion für den Westen selbst mit enormen Kosten ver­bunden, und die Haupt­kosten sind kei­nes­wegs wirt­schaft­li­cher Natur.

Europa, als Teil des Wes­tens, will Auto­nomie – aber dieses deut­sche Pro­jekt der euro­päi­schen Inte­gra­tion macht stra­te­gisch keinen Sinn, solange die angel­säch­si­sche ideo­lo­gi­sche, mili­tä­ri­sche und geo­po­li­ti­sche Kon­trolle über die Alte Welt bestehen bleibt. Es kann nicht erfolg­reich sein, solange die Angel­sachsen die Kon­trolle über Europa bean­spru­chen. (англосаксам нужна подконтрольная Европа.) Europa aber braucht auch aus einem anderen Grund Auto­nomie (получение автономии необходимо Европе) – für den Fall, dass die Ver­ei­nigten Staaten sich selbst iso­lieren (Штаты перейдут к самоизоляции) (auf­grund wach­sender interner Kon­flikte und Wider­sprüche) oder sich auf den pazi­fi­schen Raum kon­zen­trieren, wohin sich das geo­po­li­ti­sche Gra­vi­ta­ti­ons­zen­trum verlagert.

 

Russ­lands Rechte im Euro­parat ausgesetzt

Doch die Kon­fron­ta­tion mit Russ­land, in die die Angel­sachsen Europa hin­ein­ziehen, beraubt die Euro­päer selbst der Chance auf Auto­nomie (лишает европейцев даже шансов на самостоятельность) – ganz zu schweigen davon, dass man Europa auf die­selbe Weise ver­sucht, den Bruch mit China auf­zu­zwingen. Wäh­rend die Atlan­tiker nun froh­lo­cken, dass die “rus­si­sche Bedro­hung” den west­li­chen Block zusam­men­schweißt, muss man sich in Berlin und Paris dar­über im Klaren sein, dass das euro­päi­sche Pro­jekt mit­tel­fristig schei­tern wird, da es die Hoff­nung auf Auto­nomie ver­loren hat. (потеряв надежду на автономию, европейский проект просто рухнет) Aus diesem Grund sind unab­hängig den­kende Euro­päer heute über­haupt nicht daran inter­es­siert, einen neuen eisernen Vor­hang an ihren öst­li­chen Grenzen zu errichten, da sie wissen, dass dieser sich in einen Pferch für Europa ver­wan­deln wird. (нового железного занавеса на своих восточных границах — понимая, что он превратится в загон именно для Европы) Seine Ära (genauer gesagt ein halbes Jahr­tau­send) der glo­balen Füh­rungs­rolle (век (точнее полтысячелетия) глобального лидерства) ist jetzt jeden­falls vorbei – aber ver­schie­dene Optionen für seine Zukunft sind noch möglich.

Denn der Aufbau der neuen Welt­ord­nung (строительство нового миропорядка) – und das ist die dritte Dimen­sion des aktu­ellen Gesche­hens – beschleu­nigt sich, und ihre Kon­turen zeichnen sich durch die/unter der aus­ge­brei­teten Decke der angel­säch­si­schen Glo­ba­li­sie­rung immer deut­li­cher ab. Eine mul­ti­po­lare Welt ist end­lich Rea­lität geworden (Многополярный мир окончательно стал реальностью) – die Ope­ra­tion in der Ukraine ist nicht in der Lage, irgend­je­manden außer dem Westen gegen Russ­land zu mobi­li­sieren. Denn der Rest der Welt kann sehen und ver­stehen, dass es sich um einen Kon­flikt zwi­schen Russ­land und dem Westen han­delt, um eine Ant­wort auf die geo­po­li­ti­sche Expan­sion der Atlan­tiker, um die Rück­erobe­rung des his­to­ri­schen Raums und des Platzes Russ­lands in der Welt. (возвращение Россией своего исторического пространства и своего места в мире)

 

Keiner in Europa will einen Krieg mit Russ­land, sagt der fran­zö­si­sche Verteidigungsminister

China und Indien, Latein­ame­rika und Afrika, die isla­mi­sche Welt und Süd­ost­asien – nie­mand glaubt, dass der Westen die Welt­ord­nung beherrscht, geschweige denn die Spiel­re­geln bestimmt. Russ­land hat den Westen nicht nur her­aus­ge­for­dert, son­dern auch gezeigt, dass die Ära der west­li­chen glo­balen Domi­nanz end­gültig vorbei ist. Die neue Welt wird von allen Zivi­li­sa­tionen und Macht­zen­tren auf­ge­baut werden, natür­lich zusammen mit dem Westen (ver­eint oder nicht) – aber nicht zu seinen Bedin­gungen und nicht nach seinen Regeln. (что эпоху западного глобального господства можно считать полностью и окончательно законченной. Новый мир будет строиться всеми цивилизациями и центрами силами, естественно, вместе с Западом (единым или нет) — но не на его условиях и не по его правилам.)

Übers. Susanne Frank