Eine Familie im Prager Frühling

SLOVO (The Word) ist ein Familiendrama aus dem Jahr 2022, in dem die preisgekrönte Regisseurin Beata Parkanová das Persönliche zum Politischen macht und ihre Familie aus einer kleineren Stadt in der Tschechoslowakei in der Periode des Prager Frühlings porträtiert.Mit schonungsloser Eindringlichkeit zeigt Parkanová, wie ihre Großeltern versuchten, in dieser historischen Phase ihres Landes als Familie zusammenzuhalten. Zwei Erwachsene, die sich gegenseitig nicht gut tun und trotzdem mit standhafter Zärtlichkeit und Solidarität zueinander halten. Der Kampf gegen das innere Zusammenbrechen der Familie unter dem politischen Druck lässt die Hauptfiguren letztendlich näher zusammenrücken.

 

Dabei gerät der Protagonist Václav an seine Grenzen. Gespielt von Martin Finger, verkörpert er einen liebevollen und friedliebenden Vater. Als Notar erfreut er sich wegen seines scharfen Blickes für zwischenmenschliche Konflikte eines ausgezeichneten Rufs. Damit gerät er ins Visier der Kommunistischen Partei, die ihn als Repräsentanten für sich rekrutieren will. Doch Václav hält als Regimegegner sein „Nein“ zum Parteibeitritt. „Wenn du dein Wort gegeben hast, dann musst du es auch halten“, so seine zu Beginn des Films geäußerte Überzeugung. Seine Unbeugsamkeit und das damit einhergehende Gefühl, sich im Krieg zu befinden, kostet ihn seine psychische Gesundheit. Der Film begleitet ihn durch seine Psychose, in der er hilfsbedürftig und realitätsfremd wird.

 

Im absoluten Kontrast dazu zeigt seine Ehefrau Věra keine Schwäche. Sie hält mit verstörendem, auf ihre Familie gerichteten Kontrollzwang das ganze Konstrukt der Kleinfamilie zusammen. Sie tritt auf in einengender Kleidung, streng nach hinten gebundenem Haar, gegen Wind und hohe Treppen ankämpfend, mit verkrampftem Lächeln, steifer Körperhaltung und neurotischen Dialogen. Der Theaterschauspielerin Gabriela Mikulková ist es beeindruckend gelungen, eine Frau zu spielen, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hat und davon gezeichnet wurde: Hart, autoritär, höchst zwanghaft, immunisiert sie sich gegen Angriffe der Außenwelt. Obwohl sie sich nicht als explizite Regimegegnerin zu erkennen gibt und von der Krankheit ihres Mannes überfordert ist, hält sie ebenfalls zu Václavs „Nein“ zur Partei. Auch wenn sie viele vom Gegenteil überzeugen wollen, lässt sie ihren Lebenspartner nicht im Stich.

 

Die langen, zähen Szenen ohne Musik und mit einer unbeweglichen Kamera fesseln die Zuschauenden umso stärker an das Geschehen. Die Kulissen wurden auf das Häusliche und Alltägliche beschränkt, immer wieder laufen die verunsicherten Kinder ins Bild und werden von der Mutter, die so tut, als sei alles wie immer, verscheucht. Oft folgt man nur hinter einer verschlossenen Glastür den Gesprächen der Erwachsenen. So entsteht für die Zuschauenden der Eindruck, in der Perspektive eines lauschenden Kindes gefangen zu bleiben, es entwickelt sich eine Sympathie für die Tochter Eda. Diese platzt wiederholt in die angespannten Situationen und die Ängste der Erwachsenen bleiben vor ihr nicht verborgen. Das Gefühl einer steigenden Bedrohung lässt den Film unheimlich werden.

 

„Slovo“ überwältigt und rührt. Die Zuschauenden entwickeln großes Mitgefühl für die porträtierte Familie. Der Film endet mit einer langen Szene, in der nur noch die Tochter Eda zu sehen ist, die sich aus dem Fenster eines fahrenden Autos lehnt. Mit dem Fokus auf das Kind wird die Fortsetzung der Familiengeschichte bis in die Gegenwart versinnbildlicht: Traumata und Ängste, vorgelebte Reaktionsmuster werden der nächsten Generation mitgegeben. Der Film ist ein mutiger, psychoanalytisch argumentierter Versuch, familiäre Dynamiken unter prekären politischen Bedingungen zu verstehen. Dazu lädt er mit Nachdruck ein.


Beata Parkanová: SLOVO (The word). CZ/SK, 2022, 94 min.


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