In sich hineinspüren und sich selbst beobachten. So könnte ein Schreibimpuls der slowakischen Lyrikerin Katariná Kucbelová lauten. Ihre Gedichte sind ein feines Erspüren des eigenen Körpers. Der Atem ist dabei das zentrale Motiv einer Reihe lyrischer Texte, die sie in einem Band mit dem sinnfälligen Titel „Šport“ 2006 bei „ars poetica“ veröffentlichte. Jener Atem (dych) taucht darin in unterschiedlicher semantischer Gestalt auf: Als nominale Ableitung „vzdych“, als flektierte Verbform „vyduchujú“ oder als künstlicher Infinitiv „nenadychnut’“. Sie umkreist den Begriff mit Vor- und Nachsilben, schiebt ihn ihrer Sprache unter und spinnt ihn hinein. Man kann den Atem anhalten, etwas oder jemandem Leben einhauchen oder seinen letzten Atemzug tun. All das geläufige Formulierungen, welche die Autorin aufgreift und zum sprachlichen Ausgangspunkt ihrer Verse macht. Der Atem, Anfang und Ende allen Lebens, wird bei Kucbelová Existenzchiffre und Geschwindigkeitsanzeiger: „Meriam dychom“ – ich messe mittels Atem heißt ein Gedicht. Zur Wahrnehmung des Atems gehört die Stille, die ein weiteres Motiv bei ihr darstellt. „stille als nicht zu bemessender wert / wenn wir damit / die abwesenheit / von geräuschen und bildern bezeichnen“. „an den grenzen körperlicher belastung / stille / ich warte im vakuum / warte atemlos / hinter jeder grenze / unendlicher raum“ heißt es in „stačí sa nenadýchnuť“ – nicht atmen genügt. Das lyrische Ich strauchelt durch die Zeilen, skizziert die Zerbrechlichkeit des Körpers und beschreibt die eigene Rastlosigkeit: „ich kann nicht anhalten / nur bleiben“. Der Atem spaltet sich ab, nimmt Gestalt an, als käme er von außen „die atemzüge sind seichter / es atmet in mich hinein“, was einleuchtet, wenn man dieetymologische Nähe zum Wort „duch“ (Geist) mitdenkt. Mit „zeit“, „raum“ und „tod“ belädt Kucbelová ihr Versschiff mit schwerer Fracht und gibt sich ihrer kantigen Sprache hin. Der Blick der Dichterin nach Innen erscheint als andere Welterfahrung, der Umweg der Introspektion zeigt einen mögliche Pfad aus dem alltäglichen Gewimmel der virtuellen und urbanen Netze.
Katariná Kucbelová, geboren 1979 in Banská Bystricá SK, debütierte 2003 mit dem Gedichtband Duály, erschienen beim Verlag Drewo a Srd. Sie studierte Dramaturgie und ist als Veranstalterin von Literaturfestivals tätig.
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