„Es waren, frei nach Shakespeare, die Tauben und nicht der Pleitegeier“

Die in Belgrad geborene und seit zehn Jahren in Wien lebende Autorin Barbi Marković, die 2012 auch Stadtschreiberin in Graz war, hat 2016 mit „Superheldinnen“ einen hoffnungslosen und zugleich optimistischen Roman abgeliefert. Er besticht mit Witz und dezidierten Pop-Qualitäten. Was es mit der Gegenüberstellung von Tauben und dem Pleitegeier auf sich hat, offenbart sich zum Ende des Romans und ließe sich mit dem Kalauer „ist das Glas halb leer oder halb voll?“ umschreiben. Oder anders gesagt: Als Rezensent sollte ich nicht spoilern und tue es doch!


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Die drei Protagonistinnen aus Superheldinnen treffen sich jeden Samstag in einem trostlosen, heruntergekommenen Wiener Vorstadtcafé. Dass es sich nach der Adresse „Siebenbrunnengasse“ – holprig übersetzt und italienische Eleganz vorgebend – „Sette Fontane“ nennt, macht die finanzielle und soziale Situation der drei Frauen kaum erträglicher.

Sie, vom Krieg noch beeinträchtigte Frauen Mitte dreißig aus dem ehemaligen Jugoslawien, träumen in Österreich vom Aufstieg in die bürgerliche Mittelschicht. Doch der permanente Geldmangel und die prekäre Einkommenssituation als freie Autorinnen in Diensten einer dubiosen Zeitschrift mit dem Namen „Astroblick“ lässt sie gerade noch nicht unter die Armutsgrenze fallen. Unter der Armutsgrenze aber warten schon die Wiener Tauben, die, wenn es sein muss, auch Erbrochenes fressen. Als Leitmotiv durchziehen sie den Romantext. Sie tauchen als Symbol der großstädtischen Boheme – der verarmten, aber produktiven Künstlerschaft – an Schlüsselstellen auf oder fliegen, treffender gesagt, ein. Bei Auftreten von Problemen werden sie in Superheldinnen gar als „verstärkte Taubendichte“ wahrgenommen.

 

„…unsere Kräfte waren auf eine gewisse Weise dark“

Die Superheldinnen Mascha, „sattelfest in Magie wie auch im Sozialbereich“, Direktorka, „mit dem Potential für etwas Großes in sich“, und die Ich-Erzählerin, „enttäuscht vom Leben und mit einem dehnbaren Gewissen“, verfügen über zwei übersinnliche Fähigkeiten: den „Blitz des Schicksals“ und die „Auslöschung“. Sie haben sie von ihren parapsychologisch begabten Nachbarinnen und Großmüttern aus Belgrad und Sarajevo geerbt, die damit sogar Wirtschaftskrisen auszulösen vermochten.

Beide Superkräfte lassen die Superheldinnen allwöchentlich ausgewählten Personen angedeihen. Mit einem gebündelten Energiestrom können sie Personen entweder mit dem Blitz in eine bessere Welt befördern oder sie aus der Erinnerung aller löschen. Die Fähigkeit, jemanden „zum Teufel zu schicken“ oder ihm eine „Freifahrt zur Hölle“ zu spendieren, sowie diejenige, vom Leben gebeutelte Kreaturen, als welche die Protagonistinnen auch sich selbst sehen, wieder aufzurichten, unterstreicht die eigentliche Ohnmacht der ‚Superheldinnen’.

 

„…unsere Herkunft war nicht unser Lieblingsthema“

Mascha, Direktorka und „Ich“, „aus Hauptstädten ärmerer benachbarter Länder“ nach Wien gezogen, steht schon ihr Akzent im Wege, denn fast jede zufällige Bekanntschaft führt unweigerlich zu einem unliebsamen Gespräch über die Herkunft. Der bürgerlichen Mittelschicht fühlen sie sich „dem Herzen jedenfalls, nicht jedoch dem Budget nach zugehörig“. Selbst das autochthone Proletariat hat für sie nur Verachtung übrig. Es ist klar, dass „diejenigen, die wenig hatten, Angst vor jenen hatten, die wenig zu verlieren hatten.“ Diese sozialpolitische Feststellung lässt sich auch drastischer mit einem Sager ausdrücken: „Wenn du bis Oberkante-Unterlippe im Dreck steckst, bewege dich nicht, um keine Wellen zu verursachen. Das könnte böse Folgen haben.“ Und sie bewegen sich nicht, erdulden stattdessen, ausgenutzt zu werden. Man prellt sie um ihre mickrigen Löhne, doch „trotz regelmäßiger Demütigungen“ wahren sie „die Contenance.“

Über die ernüchternde Vorgeschichte der Superheldinnen erfährt man im typisch unaufgeregten und dadurch immens tragisch-witzigen Barbi-Ton, dass Direktorka zunächst als Kellnerin arbeitete. Alseine Aktivistengruppe aus Serbien sie für Kurzfilme zu den „Themenschwerpunkten Menschenrechte und Minderheiten“ einspannt,  erkennt sie bald, „dass Qualität vielleicht noch nie ein Kriterium der engagierten Kunst gewesen ist“ und kehrt hinter den Tresen zurück.

 

Graz, Alexanderplatz

Direktorkas geplanten Fortzug nach Berlin verhindert die Ich-Erzählerin mit der Schilderung der eigenen „Flucht“ nach Berlin, bei der sich alle Hoffnungen auf ein besseres Leben bereits auf dem Alexanderplatz zerschlagen. Die Einsamkeit in der Berliner Eiseskälte und die gesichtslose Masse der eilenden Menschen stehen für sie im Widerspruch zu den grellen Reklamen, die ein sorgenfreies Leben vorgaukeln. An dieser Stelle kommt die Grazer Stadtschreiberin in Barbi Marković besonders durch, die auch in Superheldinnen immer wieder Werbetexte einfügt. Bereits in ihrem 2012 erschienen Roman Graz, Alexanderplatz hatte Marković ‚abgeschrieben’, was sie in mehreren Städten auf zentralen Plätzen gesehen hat. Den Entschluss, mit dem nächsten Bus zurück nach Wien zu fahren, fasst die Protagonistin, als ein Unbekannter sie als Prostituierte anspricht und mit ihr ins Geschäft kommen will.

Als Leser könnte man hier versucht sein, Parallelen zwischen schriftstellerischen Auftragsarbeiten und einem anrüchigen Gewerbe zu ziehen. Graz, Alexanderplatz (Leykam-Verlag 2012), das den Grazern versprochene Stadtschreiber-Projekt, kam lange nicht an die fesselnde Qualität von Markovićs erstem, auf Serbisch verfassten und an Thomas Bernhards Erzählung Gehen angelehnten Roman Izlaženje (2006, Ausgehen, dt. 2009) heran. Ihre langjährige Übersetzerin, Mascha Dabić, die damals Ausgehen für Suhrkamp ins Deutsche übertrug und auch die serbischen Teile des in zwei Sprachen geschriebenen Romans Superheldinnen übersetzte, stellt übrigens die deutlich wiedererkennbare Vorlage für die gleichnamige Figur.

 

Showdown im Casino – oder wie man sich Wohlstand ehrlich erarbeitet

Es ist dann auch Mascha, die an ihrem letzten Abend im schäbigen „Sette Fontane“ die ersehnte Wende mit drei Casino-Gutscheinen in ihr Leben bringt. Die nach finanzieller Freiheit lechzenden Frauen beschließen, ihre paranormalen Fähigkeiten zu bündeln und im Casino zum Einsatz zu bringen. Die Tauben, Repräsentantinnen des von den kärglichen Resten der Gesellschaft lebenden Prekariats, unternehmen ihren letzten Angriff, um sie den Verhältnissen nicht entkommen zu lassen. Nacheinander fliegen sie – Hitchcock lässt grüßen – an die Scheibe des „Sette Fontane“ und stürzen verletzt oder tot auf den Gehsteig. Von jetzt an ist es aus mit dem Konsum von Erbrochenem, das endlich durch Kaffee, Eisbecher und Nahrungsergänzungsmittel aus der Apotheke ersetzt werden kann.

Als Milieustudie ist Barbi Markovićs Roman an Zynismus kaum zu überbieten: Das Casino am Romanende bietet weder mondänes Flair noch elegant gekleidete Gäste, dafür aber kaputte Typen in Jogginghosen, die vergeblich hoffen, ihr Leben verändern zu können. Haben Glücksspiele da Hochsaison, wo man die Hoffnung verloren hat, mit ehrlicher Arbeit zur Mittelklasse aufzusteigen und seine finanziellen Probleme lösen zu können? Oder ist es ohnehin obsolet, von der ehrlichen Arbeit zu räsonieren?

 

Literaturpreise als Klopapierhalter

Barbi Marković erhielt für Superheldinnen den Literaturpreis Alpha 2016 sowie den Förderpreis des Adelbert-von-Chamisso-Preises 2017, weil sie laut Laudatio „anders“ von den Arbeitsbedingungen der heutigen Zeit schreibt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, dass der Literaturpreis Alpha von den Casinos Austria gestiftet wurde. Als Klopapierablage und witziger Kommentar zum product-placement taucht der Alpha-Literaturpreis im Hintergrund des Preisträger-Videos wieder auf, das die Bosch-Stiftung von Barbi Marković ins Internet gestellt hat.

 

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Mascha, Direktorka und die Ich-Erzählerin gewinnen beim Roulette und als sie das Casino verlassen, hat sich die Taubendichte normalisiert. Ihre unnötig gewordenen Superkräfte sind verloren, doch der beträchtliche Gewinn ermöglicht ihnen das erträumte „Leben im Mittelstand“. „Begeistert vom Geschmack ihres Eisbechers“ haben sie vor, nun mit dem echten Leben anzufangen. „Was sollen wir anfangen? fragt Direktorka. Uns zu interessieren, sage ich. Für das Weltall, für Politik oder für Gartenkunst.“

 

„ein neoliberales Roboterselftrackerastronautenhappyend“

Barbi Marković serviert uns hier ein halb leeres, halb volles Superheldinnen-Glas. Sie kommt nicht mit der berüchtigten Keule der Gesellschaftskritik daher. Was bedeutet es, wenn das Recht auf Mittelschicht hier ohne jegliche Revolutionsromantik eingeklagt wird? Die Superheldinnen, klassische Antiheldinnen, wollen nicht für eine bessere Welt kämpfen, sondern einfach nur sorgenfrei leben, shoppen und keine Angst mehr vor Handyrechnungen haben. Hat nicht auch die österreichische Mittelschicht ihren Wohlstand, ohne ihn erstreiten zu müssen, in den Schoß gelegt bekommen?

„Später, als Mascha aus der Kabine herauskommt, hält sie zehn unterschiedliche Sommerkleider in der Hand. Es wäre dumm von mir, alle zehn zu kaufen, sagt sie, was denkt ihr? Wir unterstützen einander bei leichten Entscheidungen. Du kannst niemals zu viele Sommerkleider haben, sage ich. Wir bezahlen wieder mit unseren Karten und haben keine Angst, es könnte zu wenig Geld auf dem Konto sein.“

Die Bühnenfassung von Superheldinnen wird seit Februar 2017 am Wiener Volkstheater gespielt. Scheint, dass Barbi Marković etwas zu sagen hat.

 

Marković, Barbi: Superheldinnen. Teilweise übersetzt von Mascha Dabić. Salzburg/Wien: Residenzverlag, 2016.

 

Weiterführende Links:
Video mit Barbi Marković anlässlich der Verleihung des Adelbert-von-Chamisso-Förderpreises 2017, veröffentlicht von der Robert Bosch Stiftung.
novinki-Interview mit Barbi Marković vom 19.04.2012: „Textwiederverwertung ist für mich einfach ganz normal…“

 

Weitere Literatur von Barbi Marković:
Izlaženje. Beograd: Rende, 2006.
Ausgehen. Aus dem Serbischen von Mascha Dabić. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009.
Graz, Alexanderplatz. Graz: Leykam-Verlag, 2012.

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