Mit Gradinarjat i smărtta (Der Gärtner und der Tod) gelingt dem bulgarischen Ausnahmeautor Georgi Gospodinov ein persönliches Buch über den Tod seines Vaters und gleichzeitig eine Elegie auf die Vergänglichkeit des Lebens. Die in Erinnerung und Reflexion schwelgende Autofiktion hinterlässt – kurzweilig und episodisch erzählt – einen überraschend tröstlichen Eindruck. So gehen Bücher über das Sterben!
„Mein Vater war dieser Atlas, der Tonnen von Vergangenheit auf seinen Schultern trug. Und jetzt, wo er nicht mehr da ist, spüre ich, wie all diese Vergangenheit zusammenbricht, leise auf mich einstürzt und mich mit all ihren Nachmittagen überwältigt.“
Erbauliche Texte über das Sterben gibt es wenige, Georgi Gospodinovs Gradinarjat i smărtta (Der Gärtner und der Tod) gehört zweifellos zu diesem Ausnahmegenre. Nachdem der bulgarische Starautor 2020 mit Vremeubežište (Zeitzuflucht) einen globalpolitisch hochaktuellen Roman über eine Vergangenheit, die in die Zukunft hineinstrahlt, vorgelegt hat – und dafür sowohl hymnische Kritiken erntete als auch mit dem International Booker Prize 2023 ausgezeichnet wurde –, folgt nun ein Text, der persönlicher nicht sein könnte.
„Das ist kein Buch über den Tod, sondern eines über das Leben, das vergeht“, liest man im ersten Fragment des Textes. Auf etwas mehr als 200 Seiten erzählt Gospodinov die Lebens- und Sterbensgeschichte seines Vaters, bei dem zu Beginn des Buches eine Lungenkrebserkrankung diagnostiziert wird. Der metastasierende Krebs und damit einhergehende Schmerzen, die nur mit Fentanyl betäubt werden können, verlangen den Leser*innen einiges ab, und in der hässlichen Sprache der Onkologie wird gleich zu Beginn klar: Dieser einst starke Mann, der zeit seines provinziellen Lebens an seinem titelgebenden paprika- und tomatengesegneten Gemüsegarten hing, wird seiner „zweiseitigen oberen Fibrose mit pleural basierten Läsionen bei hoher metabolischer Aktivität“ erliegen. „Ich wusste schon, dass Latein eine tote Sprache ist. Jetzt weiß ich, dass es die Sprache des Todes ist. Der Tod spricht Latein.“ Gospodinov macht aus den letzten Wochen seines Vaters, der in der Zwischenzeit aus seinem südostbulgarischen Dorf in die Sofioter Wohnung seines Sohnes gezogen ist, eine Elegie auf die Vergänglichkeit des Lebens, die vor Menschlichkeit nur so strotzt. Und so sind es nicht die Schrecken des Todes oder die Sterilität weißgefliester Krankenhausgänge, die hängen bleiben, sondern der tröstende Einblick in ein inniges familiäres Nahverhältnis – hier wird Gospodinov dem ihm inzwischen vorauseilenden Ruf als Meister der schreibenden Empathie gerecht.
Mit dem Vater geht neben der persönlichen Vorbildfigur auch ein Stück bulgarischer Vergangenheit verloren: Es verabschiedet sich die Generation der im Nachkriegssozialismus Aufgewachsenen, also die Generation jener, für die das Wendejahr 1989 eine Zäsur in ihrer Erwachsenenbiographie darstellte. Der Gärtner und der Tod ist eine Hommage an diese stolzen und einfachen Menschen, deren Lebensläufe so nichtlinear sind wie Gospodinovs Erzählweise. Und hierin liegt der Kunstgriff dieses Buchs, das sich allen üblichen Genreeinordnungen entzieht: Mittels polyphoner Episoden rekonstruiert der Autor auf mehreren Zeitachsen gleichzeitig das Leben seines Vaters, die jüngere Alltagsgeschichte Bulgariens und die Veränderungen in seiner eigenen Biographie. Diese anekdotische Gleichzeitigkeit ist für die Leser*in herausfordernd und bisweilen anstrengend. Eine Anstrengung, die aber durch die erfrischende Absurdität mancher Episoden aus dem „Koffer von Geschichten für alle Fälle“, wie Gospodinov diesen Abschnitt übertitelt, wieder wettgemacht wird. Das sind Geschichten über den bulgarischen Sozialismus und die Errungenschaften der Volksrepublik – wie etwa das Paprika-Bratgerät čuškopek –, während vor der Tür das Sofioter Sowjetarmeedenkmal demontiert wird; Geschichten über Männer, die, wäre da nicht diese eine Knieverletzung gewesen, selbstverständlich zu Fußball-Legenden geworden wären; Geschichten über das plötzliche Berühmtwerden des Sohnes, das interessierte Journalisten vor das Haus des Vaters lockt, der diese prompt über Blüten- und Fruchtstände aufklärt.

„Paprikabacker“ (čuškopek). Foto: Joel Froese, Bildquelle: Wikipedia.
Der titelgebende Garten ist auch der physische Knoten, an dem viele der Erzählstränge zusammenlaufen: ein Ort, an dem Rosen ranken, bulgarische Paprikaschoten wachsen, ein Ort, der für Dinjo – an einer Stelle lesen wir diesen Spitznamen für den sonst namenlosen Vater – zu einem emotionalen Zufluchtsort wird: „In einer Kultur, in der es sich nicht gehört, dass man auf starke Worte wie ‚Ich liebe dich‘, ‚Es tut mir leid für dich‘ oder ‚Du fehlst mir‘ zurückgreift, findet der Mensch andere Möglichkeiten, seine Liebe auszudrücken . Mein Vater gärtnerte“; „Ich denke, dass das Konzept der Wiederauferstehung eine botanische Idee ist …“
So fühlt man sich sofort an einen der Helden, seines Zeichens „Naturwissenschaftler und verrückter Gärtner“, aus Gospodinovs Debütroman Estestven roman (Natürlicher Roman) aus dem Jahr 1999 zurückerinnert (Anm. der Redaktion: novinki berichtete). Die Querverbindung zu seinem Debüt – einem Roman, der nur aus Anfängen besteht – wird allerdings vor allem dann deutlich, wenn zwischen den Zeilen eine Metareflexion über die Direktionalität des Erzählens, die einem Buch über den Tod zugrunde liegen muss, durchscheint: „Dieses Buch kann auch an dieser Stelle beginnen . Es kann viele Anfänge haben, aber nur ein Ende.“ An dieser und vielen anderen Stellen, z.B. dort, wo der Autor über den Zusammenhang zwischen Form, Klang und Bedeutung von Wörtern sinniert, erhascht man einen seltenen Einblick in den Maschinenraum der literarischen Produktion.
Wie es sich für einen Literaten von Gospodinovs Format gehört, ist diese Autofiktion gespickt mit Aphorismen, schlau erzählt und erstaunlich tröstlich in der Wirkung. Und wer Gospodinovs Romane gelesen hat, wird die alles leitende Frage wiedererkennen: Was bleibt von der Vergangenheit? Die Antwort ist: Geschichten. Und solange wir diese erzählen, bleiben wir am Leben.
Auswahl an Büchern von Georgi Gospodinov:
Gradinarjat i smărtta. Plovdid 2024.
Vremeubežište. Plovdiv 2020.
Estestven roman. Sofija 1999.
Zeitzuflucht. Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann. Berlin 2022.
Natürlicher Roman. Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann. Graz 2007.