Ein kleiner Verlag leistet Widerstand
Es ist ein bisschen wie bei Asterix und Obelix. Während deutsche und internationale Verlagsketten kleine Verlage aufkaufen und diese ihrerseits immer häufiger die relative Sicherheit unter dem Dach von finanzstarken Branchenriesen der Unabhängigkeit vorziehen, leistet ein Kleinstverlag Widerstand. Der Kinderbuchverlag Gimpel, im Jahr 2006 von Adam Jaromir und Luca Emanueli im niedersächsischen Langenhagen gegründet, kämpft um seinen Platz auf dem deutschen Buchmarkt. Es ist kein leichter Kampf, denn in den letzten Jahren ist die Buchlandschaft auf immer weniger Akteure zusammengeschrumpft. Der Jugendbuchmarkt bildet darin keine Ausnahme, die 15 größten Verlage generieren hier drei Viertel der Umsätze, berichtet das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels. Imperien, so scheinbar die herrschende Meinung in der Branche, überleben Krisenzeiten leichter als widerspenstige Einzelgänger.
Der Gimpel Verlag ist ein klassischer Wohnzimmerverlag. Er lebt vom Enthusiasmus, von der Leidenschaft seiner Gründer für das Büchermachen und von ihrem persönlichen finanziellen Risiko. Anders als die dominanten Großverlage bringt er nicht Buch um Buch heraus, sondern selten und gezielt liebevoll betreute Einzelwerke, seit 2006 lediglich eine Handvoll. Sich auf diese Weise dem hart umkämpften Jugendbuchmarkt stellen zu wollen, ist mutig und wirkt fast schon naiv. Besonders, wenn man wie die Gimpel-Verleger nicht durch ausgetüftelte Non-Book-Artikel oder durch zielgruppenorientierte Reihen, in denen Mädchen „girls“ heißen und gewöhnliche Hauskatzen zu „warrior cats“ werden, überzeugen will. Der Gimpel Verlag geht ein Wagnis ein, denn er macht nur Bücher, ohne medialen Schnickschnack, und anspruchsvolle noch dazu.
Dass manchmal gewinnt, wer wagt, zeigt das herausragende Kinderbuch Blumkas Tagebuch. Unter dem Titel Pamiętnik Blumki 2011 in Polen erschienen, ist es das erste ins Deutsche übertragene Buch der polnischen Autorin und Illustratorin Iwona Chmielewska. Chmielewska, die seit langer Zeit erfolgreich für südkoreanische Verlage arbeitet, legt mit diesem Buch ein einmaliges Werk über ein jüdisches Waisenhaus im Warschau der späten 1930er Jahre vor.
Geleitet wird das Waisenhaus, in dem Blumka lebt und ihr Tagebuch schreibt, vom berühmten polnischen Pädagogen, Arzt und Kinderbuchautor Janusz Korczak. In Korczaks Waisenhaus haben alle die gleichen Rechte und Pflichten – Kinder, Erzieher und sogar der Herr Doktor. Es ist eine Welt, die auf Liebe und Respekt fußt und in der „’klein‘ keineswegs ‚dümmer‘ oder ’schlechter‘ bedeutet“. Die Kinder wachsen beschützt und frei auf, ohne Gewalt, Strafen oder Leistungsdruck, und mit erfreulichen Regelmäßigkeiten: Ein Milchzahn bringt 50 Groschen und der Sommer wird im Ferienlager verbracht.
Die visionäre Pädagogik Janusz Korczaks und seine in den Genfer Konventionen ratifizierten Kinderrechte übersetzt Iwona Chmielewska in eine einfache, sehr pointierte Sprache. Grundlegende Fragen zum Umgang mit Kindern werden ebenso charmant lakonisch wie einleuchtend beantwortet: „Der Herr Doktor“, erklärt Blumka, „lässt uns genügend Zeit, damit wir uns erholen. Das Wachsen sei, so sagt er, schließlich keine leichte Arbeit. Das Herz müsse mit den Knochen mithalten .“ Sätze wie diese bilden wohltuende Kontrapunkte zur Aufgeregtheit von Kindererziehung in der modernen Leistungsgesellschaft.
Auch die Schicksale der Waisenkinder vermag Chmielowska mit wenigen Worten in beredten Bildern festzuhalten. Szymek beispielweise ist heute der beste Zwiebelschäler im Waisenhaus. Als er ankam, war er aber ein „Raufbold , der ab und zu Sachen einsteckte und Scheiben zerschlug“ und hatte nichts, worauf er stolz sein konnte. Zygmuś dagegen hat einen ganzen Frühling lang in der Küche geholfen und vom verdienten Geld einen Fisch gekauft. Den Fisch hat er in die Weichsel freigelassen, wofür es natürlich ordentlich Lob gab, besonders, weil Zygmuś immer einen solchen Hunger hat, dass ihm sogar Lebertran schmeckt. Begleitet wird die Geschichte von Blumka und dem Leben im Waisenhaus von Chmielowskas außergewöhnlichen Illustrationen. Sie geben detailgetreu Bekleidung, Einrichtungsgegenstände und Produkte der dreißiger Jahre wieder, erinnern dabei aber in ihrer Präsentation an Street-Art-Verfahren wie Paste-Ups oder Schablonen-Graffitos à la Banksy. Sie sind vielschichtig, eröffnen mit jedem Betrachten eine weitere Nuance, mal eine metallene Dose Schuhcreme, dann einen stilisierten Davidleuchter. Wie in vielen ihrer Arbeiten nutzt Chmielowska auch hier ein grafisches Motiv, das sich in nahezu allen Zeichnungen, überraschend verfremdet, wiederfindet. Eine linierte Schreibheftseite, zweifellos aus Blumkas originalem Tagebuch herausgerissen, verwandelt sich von Seite zu Seite zu immer neuen Objekten, sie taucht als Tischtuch, als Papierflieger, als Harmonika auf.
Die wohlüberlegten, klugen Details in Erzählung und Bebilderung machen Blumkas Tagebuch zu einem ganz besonderen Kinderbuch. 2011 hat es dem Verlag eine Nominierung für den Deutschen Jugendbuchpreis eingebracht und es lässt das ambitionierte verlegerische Vorhaben des Hause Gimpels im allerbesten Licht erscheinen.
Gleiches gilt auch für andere Bücher des Verlags, so zum Beispiel für das großformatige Bilderbuch Fantje (2010), das in der polnischen Co-Edition unter Słoniątko erschienen ist. Das Elefantchen Fantje ist anders als die anderen Elefanten, es ist klein und weiß und so zart, dass es weder „im Schlamm baden noch auf seinem Rüssel musizieren wollte“. Mit Fantje will niemand spielen. Was bleibt da, als sich auf den Weg zu machen und Ausschau nach einem Ort zu halten, an dem kleine weiße Elefanten Freunde finden können?
Wie die Giraffe aus Zarafa (2009) und die Fledermaus aus Tallula – Königin der Nacht (2012) sucht auch Fantje nach Zugehörigkeit, nach seinem Platz in der Welt. Damit steht in den Kinderbüchern des Gimpel-Gründers ein bekanntes Kinderbuchsujet im Mittelpunkt, das der Autor auf behutsame Weise und mit positivem Ausgang umsetzt. Auch wenn Jaromirs Bücher nicht an die Besonderheit von Blumkas Tagebuch heranreichen, sind sie gut erzählte und innovativ illustrierte Beispiele für gelungene Kinderliteratur, die dem Bedürfnis von Kindern nach ermutigenden Erzählwelten entgegenkommen. Und wer würde sich nicht freuen, Fantje schließlich in einer ganzen Herde kleiner, weißer, feiner Elefanten stehen zu sehen – im Meißener Porzellanladen.
Dass die Qualität der Gimpel-Bücher in den Buchläden überzeugt, ist dem Verlag zu wünschen. Besonders, da mit ihm endlich ein Akteur den deutschen Buchmarkt betritt, der eine Brücke zur Kinderliteratur in Polen schlägt. Anderes als in Deutschland erlebt diese Literatur in Polen seit dem Ende des Kommunismus eine erfreuliche Belebung und Vervielfältigung. Kleine unabhängige Verlage wie Dwie Siostry, Muchomor, Bajka, Mila, Hokus-Pokus, Wytwórnia oder Czerwony Konik gelten als Vorreiter, besonders in Sachen Illustration, und ihre Publikationen können den deutschen Kinder- und Jugendliteraturmarkt nur bereichern.
Weiterführende Literatur:
Chmielewska, Iwona: Blumkas Tagebuch. Vom Leben in Janusz Korczaks Waisenhaus. Langenhagen 2011.
Jaromir, Adam: Fantje. Illustriert von Gabriela Cichowska. Langenhagen 2010.
Jaromir, Adam: Tallula – Königin der Nacht. Illustriert von Jozef Wilkon. Langenhagen 2012.
Jaromir, Adam: Zarafa. Illustriert von Pawel Pawlak. Langenhagen 2009.
Hauck, Stefan: Vorsichtig weiter. Börsenblatt 2012.
Wiebe, Katja: Überblickstudie über die aktuelle Kinder- und Jugendliteratur in Polen, Russland, Slowenien, Tschechien, der Ukraine, Ungarn im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung. München 2011.