In der Festivalsektion U18 Wettbewerb Jugendfilm des FilmFestival Cottbus 2018 konnte man einige Jugendfilme aus Polen, Tschechien und Deutschland sehen. Die Auswahl war tatsächlich vielfältig, was sich schon anhand der drei hier besprochenen Filme sehen lässt.
Familienspiel – Córka trenera (Die Tochter des Trainers, 2018)
David Foster Wallace hielt das Tennisspiel mithilfe filmischer Mittel bekanntlich für nicht darstellbar. Łukasz Grzegorzek nimmt in Córka trenera diese Herausforderung an, aber die wichtigste Sache in seinem Film ist eine andere: die Rivalität zwischen der jungen Wiktoria und Kornet, ihrem Vater – und Trainer.
Stets sind die beiden unterwegs, als hätten sie kein Zuhause: Sie reisen von einem Tennisturnier zum anderen, damit Wiktoria ihr Ziel erreichen kann, nämlich an den renommiertesten Turnieren teilzunehmen. Dass das ihr Ziel ist, denkt man zunächst, doch bald wird klar, dass der Motor des permanenten Reisens allein der Ehrgeiz des Vaters ist.
Obwohl der Film Die Tochter des Trainers heißt, ist der Trainer selbst die Hauptfigur: Seine Motivationen, seine Zwiegespaltenheit bilden die Handlung des Films. Denn der Weg von kleinen Turnieren im Osten Polens bis zum Wettbewerb in der Hauptstadt, den die beiden zurücklegen, ist nicht die Chronik von Wiktorias Befreiung aus der völligen Internalisierung der väterlichen Träume. Vielmehr wird dem Vater immer klarer, dass er langsam aber sicher die Kontrolle über seine Tochter (die er manchmal „Sohn“ nennt) verliert. Wiktorias Entwicklung vollzieht sich eher am Rande der Erzählung, deshalb kann ihre finale Entscheidung die Zuschauer_innen überraschen. Kornets Verhalten hingegen wird auf der Leinwand skrupulös dargestellt: überraschende Wenden sind hier nicht vorgesehen.
Filmisch ist Die Tochter des Trainers ein würdiger Preisträger: mit natürlichen Dialogen, wohl durchdachter Dramaturgie und Schauspieler_innen, die durchaus glaubhaft sind in der Darstellung komplexer Held_innen und ihrer komplizierten (oft ungesund scheinenden) Beziehungen. Grzegorzek kann – womit er das Match gegen David Foster Wallace gewonnen hätte – übrigens auch Tennisspiele auf die Leinwand zaubern, wobei er sich für eine starke Ästhetisierung anhand von slow-motion Technik und klassischer Musik entscheidet. Tatsächlich war Tennis im Kino noch nie so geschmackvoll.
Auf der Flucht – Všechno bude (Winterfliegen, 2018)
Auf einer Reise ganz anderer Natur befinden sich die beiden Minderjährigen in Winterfliegenvon Olmo Omerzu, die mit einem (vermutlich gestohlenen) Auto Tschechien durchqueren. Heduš (12) träumt vom Eintritt in die französische Fremdenlegion, Mára (14) möchte endlich seinen Großvater treffen: die einzige Person auf Gottes Erden, die ihm etwas bedeutet. Schon in dieser Kurzfassung zeigen sich Ähnlichkeiten zu Tschick von Wolfgang Herrndorf (2016 von Fatih Akin verfilmt). Die Vermutung liegt nahe, dass der Regisseur Olmo Omerzu sich vom deutschen Bestseller stark inspirieren ließ. Die tschechische Variante lässt sich dennoch als reizvoll beschreiben, was vor allem mit der Leichtigkeit und Sorglosigkeit der Darstellung verbunden ist.
Der Reiz von Winterfliegen basiert nämlich beträchtlich auf sympathischen, wenngleich etwas ungeschliffenen Figuren. Heduš gibt den jungen Komiker, der nur davon träumt, mit allen Frauen dieser Welt schlafen zu können. Aber auch Mára ist dem Geschlechtergeplänkel nicht abgeneigt… Beim Verhör auf der Polizeistation, das Omerzu in nicht-chronologischer Weise parallel zur Reise erzählt, treibt Mára ein intelligentes Spiel mit der Polizistin, die sein Vertrauen erfolglos zu gewinnen versucht. Und dieses Spiel ist gar nicht so unschuldig: Immerhin führt ein junger Mann eine Frau mittleren Alters in die Irre, betrachtet sie als rein erotisches Objekt und demonstriert dabei nicht zuletzt seine Respektlosigkeit gegenüber den Autoritäten.
Mit Winterfliegen kehrt Omerzu zurück zu Themen, die schon in seinem Debütfilm Príliš mladá noc (A Night Too Young, 2012) eine wichtige Rolle spielten. Auch da erlebten junge Helden die Konfrontation mit Erwachsenen, auch hier hatte die Begegnung eine sexuelle Dimension. Wo einst jedoch die jugendlichen Figuren durch eine eher passive Haltung gekennzeichnet waren, macht der neue Film dynamische und aktive Helden zum Zentrum der Handlung. Winterfliegen ist insofern auch heiterer als sein Vorgänger, weil die soziale Problematik hier als Komödie getarnt ist. Doch was auf den ersten Blick als typische coming-of-age Komödie erscheint, ist bei näherer Betrachtung viel mehr.
Grauenhaftes Jugendlager – Czuwaj (Sei wachsam, 2017)
Zu Robert Glińskis Film Sei wachsam hingegen passt das Wort „heiter“so gar nicht. Von den drei hier besprochenen Filmen muss dieser als letztlich gescheitert betrachtet werden, was vor allem am wenig durchdachten Drehbuch liegt, in dem zu viele Themen angeschnitten wurden: die Pfadfinderbewegung, eine schwierige Jugend im Kinderheim, diverse Morde, einige ukrainische Prostituierte, weitere Sexualinitiationen, der Warschauer Aufstand, gefährliche Wilderer und ihr Gefängnisslang… Das alles führt aber leider nicht zu einer kohärenten Erzählung.
Das Jugendlager wird für viele Teilnehmer_innen zum Albtraum, als sich ihnen eine Gruppe von sogenannten Problemjugendlichen anschließt. Jacek, der Lagerleiter, ist selbst noch jung und unerfahren, aber muss sich schon um die anderen kümmern. Bald verliert er die Kontrolle und als einer der Pfadfinder stirbt, versucht Jacek den Täter zu finden, oder vielmehr versucht er, aufgrund eigener Vorurteile die Tat einem Fremden anzuhängen.
Im Programm des Festivals wurde der Film als „Metapher auf die polnische Regierung“ präsentiert. Dies scheint aber eine gewagte Feststellung zu sein (auch wenn es ganz interessant zu sehen ist, wie man polnische Filme in Deutschland rezipiert): Denn wenn der Film überhaupt Kritik übt, dann wohl nur an der Institution der polnischen Pfadfinder_innenbewegung, die im öffentlichen Diskurs in Polen seit längerem kritisch diskutiert wird. Es ist ein offenes Geheimnis, dass diese Bewegung die Jugend nicht nur katholisch und patriotisch (oder sogar nationalistisch) prägt, sondern auch Fehlverhalten der Jugendlichen verheimlicht. Die Pfadfinder_innen werden außerdem nach einer einfachen Weltvorstellung erzogen, in der es nur schwarz und weiß gibt.
Genau das zeigt Gliński deutlich, wenn er anfangs tatsächlich Kritik an der ideologischen Einstellung der Organisation übt. Bedauerlicherweise gibt er die Trope des Sozialdramas aber später auf und wendet sich einem wenig überzeugenden und unglaubhaften Thriller zu, dem eine Vielzahl von Figuren und Motiven angeschlossen wird, um am Ende einen schablonenhaften plot-twist zu präsentieren. Auf diese Weise bringt sich der Film, der sich anfangs so gut angelassen hat, wegen seines chaotischen Drehbuchs am Ende selbst um. Der Versuch, den polnischen Lord of the Flies zu drehen, wirkt unbeabsichtigt komisch.
Resümee – Über die Jugend für die Jugend?
Bleibt noch die Frage, für wen die Sektion U18 eigentlich gedacht ist. Klar, alle diese Filme beschäftigen sich mit jungen Held_innen, aber ist das junge Publikum dabei tatsächlich als primäre Zielgruppe gedacht? Das ist zu bezweifeln. Nur Winterfliegen scheint, trotz seiner ordinären Obszönitäten, dafür zu taugen. Die beiden polnischen Filme jedoch stellen Fragen, die Jugendliche vermutlich nicht so relevant finden. In Grzegorzeks Tochter des Trainers steht die Vaterfigur mit ihren Problemen im Mittelpunkt der Handlung und Sei wachsam fragt nach dem Stellenwert von Nationalismus in der staatlich anerkannten Erziehung. Das alles scheint allerdings nicht an der Auswahl zu liegen: Auch wenn man sich die Programme der jugendorientierten Festivals in Mittel- und Osteuropa anschaut (beispielsweise „Ale Kino!“ oder Zlín Film Festival, aber auch die Jugendsektion auf der Berlinale „Generation“), fällt schnell auf, dass da die Filme aus Osteuropa häufig fehlen. Deutet es daraufhin, dass das osteuropäische Kino arm an klugen und wirklich relevanten Jugendproduktionen ist? Das ist kaum anzunehmen.
Gliński, Robert: Czuwaj (Sei wachsam). Polen, 2017, 90 Min.
Grzegorzek, Łukasz: Córka trenera (Tochter des Trainers). Polen, 2018, 93 Min.
Omerzu, Olmo: Všechno bude (Winterfliegen). Tschechien, Slowenien, Polen, Slowakei, Frankreich, 2018, 85 Min.
Weiterführende Literatur
Czuwaj auf dem FilmFestival Cottbus
Córka trenera auf dem FilmFestival Cottbus
Všechno bude auf dem FilmFestival Cottbus