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Auf der Wortsuche

Posted on 5. Juni 2009 by Zuzanna Krzysztofik
2. Preis im novinki-Wettbewerb für Reportagen über den Literaturbetrieb Ost-, Mittel- und Südosteuropas! Sie fluchen beruflich, nerven Autoren auf deren eigenen Lesungen und warten endlos auf Honorare. Von der Qual des Schaffens sind sie doppelt betroffen - einmal wenn sie in die Köpfe der Schriftsteller schlüpfen und einmal wenn sie das dort Gesehene in einer anderen Sprache wiedergeben. Die Übersetzer der deutschen und polnischen Literatur laufen in Berlin auf der Jagd nach treffenden Wörtern umher.

Deutsch-polnische Übersetzerszene schafft Literatur

 

„Haben Sie das Buch Ebenholz”? Der Mitarbeiter der Buchhandlung Hugendubel in Charlottenburg sucht nach dem Titel in der Datenbank und schüttelt den Kopf: „Haben wir nicht. Meinen Sie vielleicht den Autor Sheldon Ebenholtz?” „Nein”, antwortet die junge Frau entschlossen, „der Autor heißt Kapuściński und das Buch eben Ebenholz, wie dieses schwarze Holz. Zumindest im polnischen Original heißt es so. Das ist eine Reportagensammlung über Afrika. Ich buchstabiere den Namen: K wie Kaufmann, A wie Anton, P wie Paula, ...” Beide schauen auf den Bildschirm, wo mehrere Werke von Kapuściński aufgelistet sind und dann unsicher auf sich. „Das wird wohl Afrikanisches Fieber sein, oder? ...”

 

wortsuche

Podiumsdiskussion mit Eliza Borg, Sven Sellmer und Dorota Stroińska (in der Mitte) auf der Leipziger Buchmesse

Flüche in der Bibliothek
„Mit dem Titel ist es am schwersten”, sagt Eliza Borg, die gerade am neuesten Roman von Jenny Erpenbeck Heimsuchung arbeitet. Die Übersetzerin treffe ich auf der Leipziger Buchmesse, wo sie an der Podiumsdiskussion zum deutsch-polnischen Literaturtransfer teilnimmt. „Heimsuchung hat ja im Deutschen mehrere Bedeutungen; einmal ist das diese religiöse Komponente, die Heimsuchung Mariä, die jedoch bei
Erpenbecks Buch am wenigsten eine Rolle spielt; dann gibt es diese Heimsuchung, wo vielleicht das Verb häufiger benutzt wird – wenn die Menschen von einer Katastrophe, einer Plage wie Heuschrecken, Pest, Seuche heimgesucht werden; die letzte Variante ist dagegen ganz positiv und beglückend – man sucht und findet auch vielleicht ein Haus, eine Heimat, ein Heim. Bei meiner Übersetzung ist der Titel weiterhin offen. Man wird sich wahrscheinlich sowieso einen ganz anderen Titel einfallen müssen, überhaupt weg von ‘Heim’ und ‘suchen’ ...”

Dreizehn kluge Köpfe aus aller Welt rauchten vorgestern auf der Suche nach einem passenden Ausdruck. Sie kamen nur zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich in keiner Sprache außer Deutsch ein Wort gibt, das den ganzen Sinn des Begriffs „Heim” mit all seinen Hintergründen und Nuancen wiedergibt. Erpenbecks Roman ist der Schwerpunkt der einwöchigen Internationalen Übersetzerwerkstatt in Berlin, auf deren Programm auch ein Abstecher nach Leipzig steht. Die Teilnehmer sitzen schichtweise auf dem Diskussionspodium abseits des Messegetümmels und schätzen den aktuellen Stand der Literaturübersetzung ein, allerdings nur flüchtig, weil nur eine knappe Stunde jeder Gruppe zur Verfügung steht und daran streng gehalten wird. Das Gespräch von Eliza Borg und Sven Sellmer (Indologe, der Marian Pankowski ins Deutsche übersetzt) moderiert Dorota Stroińska, deren vornehme Art und Weise kaum glauben lässt, dass sie eine der Autorinnen der deutschen Version von Wojciech Kuczoks Dreckskerl ist.

Wie schwer es ihr fällt, sich der Vulgarismen zu bedienen, erzählt sie eine Woche später auf dem Polnisch-Stammtisch in Berlin. Seit drei Jahren treffen sich einmal im Monat polnische Germanisten, deutsche Slawisten, Polendeutsche und deutsche Polen – alles Literaturübersetzer – um die Arbeitsergebnisse ihrer Kollegen Schritt für Schritt durchzugehen und zu kommentieren. Und die Letzteren eventuell zu inspirieren.

Freitagabends in einer Kreuzberger Kneipe – Treppe hoch, Schiebetür zu und man sitzt schon in der lauschigen Bibliothek; die Kellnerin bringt Bier und nimmt weitere Bestellungen entgegen. Heute steht die Übersetzung des Theaterstücks Trash Story der polnischen Dramatikerin Magdalena Fertacz auf dem Prüfstand. Das ist der einfache „Arsch”, der eine Diskussion über Schimpfwörter auslöst: „Um ihnen auszuweichen, habe ich sie mal im Gespräch ‘K-Wörter’ genannt. Die Deutschen hatten jedoch keine Ahnung, welche Wörter ich meinte – Kirche? Küche? Kita?”, lacht Stroińska. Andreas Volk, der extra aus Warschau nach Berlin gekommen ist, um sein Übersetzungswerk aus der Nähe zu betrachten (am nächsten Abend wird Trash Story im Maxim Gorki Theater erstmals auf Deutsch aufgeführt), wurde seine Hemmungen vor der Bierkutschersprache schon lange her los – beim Übersetzen von Paweł Sala und Krzysztof Varga.

 

Star kontra Star
„Doro ...”, rutscht es dem Übersetzer Olaf Kühl heraus und die Lawine geht nieder. Im Potsdamer Literaturladen Wist sitzt neben ihm diesmal nämlich nicht seine Lieblingsautorin Dorota Masłowska, mit der er sich glänzend versteht. Diesmal moderiert er das Treffen mit Olga Tokarczuk, einer anderen prominenten Persönlichkeit der polnischen Literatur. Und Tokarczuk kennt keine Gnade. Nach einer noch harmlosen Lesung aus ihrem am Vortag in Deutschland erschienenen Buch Unrast (ins Deutsche übertragen von Esther Kinsky) fängt ein Gespräch an, das alles andere als friedlich ist: „Wo siehst du deinen Platz in der Frauenliteratur?” – „Ich schaffe keine Frauenliteratur, ich schaffe allgemeinmenschliche Literatur! Ich gehe jede Wette ein, dass du Andrzej Stasiuk nicht fragst, ob er Männerliteratur betreibt.” Der Moderator lässt sich nicht entmutigen: „Suchen die Figuren aus Unrast nach einer immateriellen Heimat?” – „Ich
habe nicht drei Jahre an diesem Buch geschrieben, um es jetzt in einem Satz zu erklären!” Die Atmosphäre ist angespannt, das Publikum – verblüfft, die Autorin antwortet auf Kühls Fragen ärgerlich, wortkarg oder gar nicht. Da Letzterer ständig von der Moderation zur Übersetzung der Diskussion springt, entsteht ein schizophrener Eindruck, als ob er mit sich selbst einen Streit führen und dabei zwei unterschiedliche Streitkulturen vertreten würde. Dorota Masłowska und Andrzej Stasiuk schauen mitfühlend aus den Fotos an der Wand der Buchhandlung: Das Duo Tokarczuk-Kühl
tritt in knapp einer Woche auf dem Literaturfest lit.COLOGNE wieder auf (was sich übrigens gegen alle Befürchtungen reibungslos abspielte).

„Am Anfang habe ich nur die Autoren moderiert, die ich selbst übersetzt habe. Inzwischen fragen mich immer mehr Veranstalter, ob ich auch die Publikumsgespräche anderer osteuropäischer Schriftsteller leiten würde, ich weiß nicht, warum” – Dr. Olaf Kühl Translation Supersystems, wie die Sensation der polnischen Gegenwartsliteratur Dorota Masłowska ihren Stammübersetzer genannt hat, scheint effektives Zeitmanagement im kleinen Finger zu haben. Außer literarischen Übersetzungen aus vier Sprachen und Moderationen stehen Verlagsgutachten, Workshops für angehende Literaturübersetzer, Mitarbeit am Magazin polenplus, Beiträge zur Literaturgeschichte und zu aktuellen politischen Themen, Lesungen und Recherchereisen auf seinem Programm. Als angesehener Spezialist für schmutzige Sprache macht er sogar von diesen zwei Stunden Gebrauch, die er täglich in der S- und U-Bahn verbringen muss (auf dem Weg zum Roten Rathaus, wo er als Referent für Russland, Belarus, Ukraine und Transkaukasus arbeitet). Die Berliner plaudern gemütlich und ahnen gar nicht, dass sprachhungrige Übersetzer im Gedrängel lauern ...

 

Getriebe in der Literaturmaschinerie
Kennen Sie Martin Pollack, Kapuścińskis Übersetzer? Den schätze ich besonders als Literaturvermittler und Autor.” Olaf Kühl ist der Meinung, dass jeder Literaturübersetzer auch selbst schreiben sollte – sei es sein Tagebuch oder seine goldenen Lehren. Auch wenn er nicht veröffentlicht, sollte er ständig an seinem eigenen Ausdruck feilen. „So wie Jenny Erpenbeck für ihr Buch sehr viel recherchiert hat, so muss natürlich auch ihr Übersetzer ihr nachmachen, auch sehr viel Wissen ergattern, in verschiedenen Bereichen”, sagt Eliza Borg, die die Autorin auf ihrer Recherchereise in Warschau begleitet hat. Der Rat von Dorota Stroińska ist wiederum, auch Bücher zu übersetzen, die man nicht besonders mag, weil sie das Reservoir an eigenen stilistischen Mitteln erweitern.

Neben der Qual des Schaffens teilen Übersetzer und Schriftsteller auch andere Leiden. Der Weg zu wohlwollenden Verlegern ist meist steinig – er fängt mit der Begeisterung für einen Autor (oder für sich selbst als Autor) an, danach werden diverse Verlage abgeklappert und Überzeugungsversuche unternommen. „Das ist eine sehr mühselige Arbeit”, erzählt Stroińska. „Die polnischen Verlage sind sehr zurückhaltend der deutschsprachigen Literatur gegenüber. Polen ist zwar das Land, in dem die meisten deutschen Titel erscheinen, das sind aber eher die Sachbücher, die sich sehr gut verkaufen und sehr viel verlegt werden. Und die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur.” Die Polnisch-Übersetzerin von Jutta Richter und Paul Maar zuckt die Achseln: „Die Aufträge bekomme ich schon. Es ist nur schade, dass ich mein Honorar seit Monaten nicht mehr gesehen habe.” Vielleicht lohnt es sich dann, zu Sachbüchern zu wechseln? „Das werde ich nicht mehr tun”, schüttelt sich Eliza Borg vor Ekel. „Das habe ich zuletzt vor zwei Jahren gemacht; etwas historiogra-fisches zur polnischen Geschichte habe ich übersetzt – es war schwer, es war undankbar, schlecht geschrieben, irgendwie schlampig ... Nie mehr.”

Olaf Kühl wird die Wanderung durch die Verlage gespart; die rufen ihn selber an. Trotzdem sieht er in der polnischen Literatur kein Geschäft. Wenn das Buch nicht zum Bestseller wird, wie Masłowskas Schneeweiß und Russenrot, krebst der Verkauf bei drei Tausend Exemplaren herum. Wenn sich diese drei Tausend verkaufen, ist das schon gut. Das berührt Kühl jedoch nicht. „Ich lebe nicht von meinen Übersetzungen. Übersetzen ist meine Leidenschaft.”

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Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Auf der Wortsuche

Deutsch-pol­ni­sche Über­set­zer­szene schafft Literatur

 

„Haben Sie das Buch Eben­holz”? Der Mit­ar­beiter der Buch­hand­lung Hugen­dubel in Char­lot­ten­burg sucht nach dem Titel in der Daten­bank und schüt­telt den Kopf: „Haben wir nicht. Meinen Sie viel­leicht den Autor Sheldon Eben­holtz?” „Nein”, ant­wortet die junge Frau ent­schlossen, „der Autor heißt Kapuściński und das Buch eben Eben­holz, wie dieses schwarze Holz. Zumin­dest im pol­ni­schen Ori­ginal heißt es so. Das ist eine Repor­ta­gen­samm­lung über Afrika. Ich buch­sta­biere den Namen: K wie Kauf­mann, A wie Anton, P wie Paula, …” Beide schauen auf den Bild­schirm, wo meh­rere Werke von Kapuściński auf­ge­listet sind und dann unsi­cher auf sich. „Das wird wohl Afri­ka­ni­sches Fieber sein, oder? …”

 

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Podi­ums­dis­kus­sion mit Eliza Borg, Sven Sellmer und Dorota Stroińska (in der Mitte) auf der Leip­ziger Buchmesse

Flüche in der Bibliothek
„Mit dem Titel ist es am schwersten”, sagt Eliza Borg, die gerade am neu­esten Roman von Jenny Erpen­beck Heim­su­chung arbeitet. Die Über­set­zerin treffe ich auf der Leip­ziger Buch­messe, wo sie an der Podi­ums­dis­kus­sion zum deutsch-pol­ni­schen Lite­ra­tur­transfer teil­nimmt. „Heim­su­chung hat ja im Deut­schen meh­rere Bedeu­tungen; einmal ist das diese reli­giöse Kom­po­nente, die Heim­su­chung Mariä, die jedoch bei
Erpen­becks Buch am wenigsten eine Rolle spielt; dann gibt es diese Heim­su­chung, wo viel­leicht das Verb häu­figer benutzt wird – wenn die Men­schen von einer Kata­strophe, einer Plage wie Heu­schre­cken, Pest, Seuche heim­ge­sucht werden; die letzte Vari­ante ist dagegen ganz positiv und beglü­ckend – man sucht und findet auch viel­leicht ein Haus, eine Heimat, ein Heim. Bei meiner Über­set­zung ist der Titel wei­terhin offen. Man wird sich wahr­schein­lich sowieso einen ganz anderen Titel ein­fallen müssen, über­haupt weg von ‘Heim’ und ‘suchen’ …”

Drei­zehn kluge Köpfe aus aller Welt rauchten vor­ges­tern auf der Suche nach einem pas­senden Aus­druck. Sie kamen nur zu dem Schluss, dass es wahr­schein­lich in keiner Sprache außer Deutsch ein Wort gibt, das den ganzen Sinn des Begriffs „Heim” mit all seinen Hin­ter­gründen und Nuancen wie­der­gibt. Erpen­becks Roman ist der Schwer­punkt der ein­wö­chigen Inter­na­tio­nalen Über­setz­er­werk­statt in Berlin, auf deren Pro­gramm auch ein Abste­cher nach Leipzig steht. Die Teil­nehmer sitzen schicht­weise auf dem Dis­kus­si­ons­po­dium abseits des Mes­se­ge­tüm­mels und schätzen den aktu­ellen Stand der Lite­ra­tur­über­set­zung ein, aller­dings nur flüchtig, weil nur eine knappe Stunde jeder Gruppe zur Ver­fü­gung steht und daran streng gehalten wird. Das Gespräch von Eliza Borg und Sven Sellmer (Indo­loge, der Marian Pan­kowski ins Deut­sche über­setzt) mode­riert Dorota Stroińska, deren vor­nehme Art und Weise kaum glauben lässt, dass sie eine der Autorinnen der deut­schen Ver­sion von Wojciech Kuc­zoks Drecks­kerl ist.

Wie schwer es ihr fällt, sich der Vul­ga­rismen zu bedienen, erzählt sie eine Woche später auf dem Pol­nisch-Stamm­tisch in Berlin. Seit drei Jahren treffen sich einmal im Monat pol­ni­sche Ger­ma­nisten, deut­sche Sla­wisten, Polen­deut­sche und deut­sche Polen – alles Lite­ra­tur­über­setzer – um die Arbeits­er­geb­nisse ihrer Kol­legen Schritt für Schritt durch­zu­gehen und zu kom­men­tieren. Und die Letz­teren even­tuell zu inspirieren.

Frei­tag­abends in einer Kreuz­berger Kneipe – Treppe hoch, Schie­betür zu und man sitzt schon in der lau­schigen Biblio­thek; die Kell­nerin bringt Bier und nimmt wei­tere Bestel­lungen ent­gegen. Heute steht die Über­set­zung des Thea­ter­stücks Trash Story der pol­ni­schen Dra­ma­ti­kerin Mag­da­lena Fertacz auf dem Prüf­stand. Das ist der ein­fache „Arsch”, der eine Dis­kus­sion über Schimpf­wörter aus­löst: „Um ihnen aus­zu­wei­chen, habe ich sie mal im Gespräch ‘K‑Wörter’ genannt. Die Deut­schen hatten jedoch keine Ahnung, welche Wörter ich meinte – Kirche? Küche? Kita?”, lacht Stroińska. Andreas Volk, der extra aus War­schau nach Berlin gekommen ist, um sein Über­set­zungs­werk aus der Nähe zu betrachten (am nächsten Abend wird Trash Story im Maxim Gorki Theater erst­mals auf Deutsch auf­ge­führt), wurde seine Hem­mungen vor der Bier­kut­scher­sprache schon lange her los – beim Über­setzen von Paweł Sala und Krzy­sztof Varga.

 

Star kontra Star
„Doro …”, rutscht es dem Über­setzer Olaf Kühl heraus und die Lawine geht nieder. Im Pots­damer Lite­ra­tur­laden Wist sitzt neben ihm diesmal näm­lich nicht seine Lieb­lings­au­torin Dorota Masłowska, mit der er sich glän­zend ver­steht. Diesmal mode­riert er das Treffen mit Olga Tok­ar­czuk, einer anderen pro­mi­nenten Per­sön­lich­keit der pol­ni­schen Lite­ratur. Und Tok­ar­czuk kennt keine Gnade. Nach einer noch harm­losen Lesung aus ihrem am Vortag in Deutsch­land erschie­nenen Buch Unrast (ins Deut­sche über­tragen von Esther Kinsky) fängt ein Gespräch an, das alles andere als fried­lich ist: „Wo siehst du deinen Platz in der Frau­en­li­te­ratur?” – „Ich schaffe keine Frau­en­li­te­ratur, ich schaffe all­ge­mein­mensch­liche Lite­ratur! Ich gehe jede Wette ein, dass du Andrzej Sta­siuk nicht fragst, ob er Män­ner­li­te­ratur betreibt.” Der Mode­rator lässt sich nicht ent­mu­tigen: „Suchen die Figuren aus Unrast nach einer imma­te­ri­ellen Heimat?” – „Ich
habe nicht drei Jahre an diesem Buch geschrieben, um es jetzt in einem Satz zu erklären!” Die Atmo­sphäre ist ange­spannt, das Publikum – ver­blüfft, die Autorin ant­wortet auf Kühls Fragen ärger­lich, wort­karg oder gar nicht. Da Letz­terer ständig von der Mode­ra­tion zur Über­set­zung der Dis­kus­sion springt, ent­steht ein schi­zo­phrener Ein­druck, als ob er mit sich selbst einen Streit führen und dabei zwei unter­schied­liche Streit­kul­turen ver­treten würde. Dorota Masłowska und Andrzej Sta­siuk schauen mit­füh­lend aus den Fotos an der Wand der Buch­hand­lung: Das Duo Tokarczuk-Kühl
tritt in knapp einer Woche auf dem Lite­ra­tur­fest lit.COLOGNE wieder auf (was sich übri­gens gegen alle Befürch­tungen rei­bungslos abspielte).

„Am Anfang habe ich nur die Autoren mode­riert, die ich selbst über­setzt habe. Inzwi­schen fragen mich immer mehr Ver­an­stalter, ob ich auch die Publi­kums­ge­spräche anderer ost­eu­ro­päi­scher Schrift­steller leiten würde, ich weiß nicht, warum” – Dr. Olaf Kühl Trans­la­tion Super­sys­tems, wie die Sen­sa­tion der pol­ni­schen Gegen­warts­li­te­ratur Dorota Masłowska ihren Stamm­über­setzer genannt hat, scheint effek­tives Zeit­ma­nage­ment im kleinen Finger zu haben. Außer lite­ra­ri­schen Über­set­zungen aus vier Spra­chen und Mode­ra­tionen stehen Ver­lags­gut­achten, Work­shops für ange­hende Lite­ra­tur­über­setzer, Mit­ar­beit am Magazin polen­plus, Bei­träge zur Lite­ra­tur­ge­schichte und zu aktu­ellen poli­ti­schen Themen, Lesungen und Recher­che­reisen auf seinem Pro­gramm. Als ange­se­hener Spe­zia­list für schmut­zige Sprache macht er sogar von diesen zwei Stunden Gebrauch, die er täg­lich in der S- und U‑Bahn ver­bringen muss (auf dem Weg zum Roten Rat­haus, wo er als Refe­rent für Russ­land, Belarus, Ukraine und Trans­kau­kasus arbeitet). Die Ber­liner plau­dern gemüt­lich und ahnen gar nicht, dass sprach­hung­rige Über­setzer im Gedrängel lauern …

 

Getriebe in der Literaturmaschinerie
Kennen Sie Martin Pol­lack, Kapuścińskis Über­setzer? Den schätze ich beson­ders als Lite­ra­tur­ver­mittler und Autor.” Olaf Kühl ist der Mei­nung, dass jeder Lite­ra­tur­über­setzer auch selbst schreiben sollte – sei es sein Tage­buch oder seine gol­denen Lehren. Auch wenn er nicht ver­öf­fent­licht, sollte er ständig an seinem eigenen Aus­druck feilen. „So wie Jenny Erpen­beck für ihr Buch sehr viel recher­chiert hat, so muss natür­lich auch ihr Über­setzer ihr nach­ma­chen, auch sehr viel Wissen ergat­tern, in ver­schie­denen Berei­chen”, sagt Eliza Borg, die die Autorin auf ihrer Recher­che­reise in War­schau begleitet hat. Der Rat von Dorota Stroińska ist wie­derum, auch Bücher zu über­setzen, die man nicht beson­ders mag, weil sie das Reser­voir an eigenen sti­lis­ti­schen Mit­teln erweitern.

Neben der Qual des Schaf­fens teilen Über­setzer und Schrift­steller auch andere Leiden. Der Weg zu wohl­wol­lenden Ver­le­gern ist meist steinig – er fängt mit der Begeis­te­rung für einen Autor (oder für sich selbst als Autor) an, danach werden diverse Ver­lage abge­klap­pert und Über­zeu­gungs­ver­suche unter­nommen. „Das ist eine sehr müh­se­lige Arbeit”, erzählt Stroińska. „Die pol­ni­schen Ver­lage sind sehr zurück­hal­tend der deutsch­spra­chigen Lite­ratur gegen­über. Polen ist zwar das Land, in dem die meisten deut­schen Titel erscheinen, das sind aber eher die Sach­bü­cher, die sich sehr gut ver­kaufen und sehr viel ver­legt werden. Und die deutsch­spra­chige Kinder- und Jugend­li­te­ratur.” Die Pol­nisch-Über­set­zerin von Jutta Richter und Paul Maar zuckt die Ach­seln: „Die Auf­träge bekomme ich schon. Es ist nur schade, dass ich mein Honorar seit Monaten nicht mehr gesehen habe.” Viel­leicht lohnt es sich dann, zu Sach­bü­chern zu wech­seln? „Das werde ich nicht mehr tun”, schüt­telt sich Eliza Borg vor Ekel. „Das habe ich zuletzt vor zwei Jahren gemacht; etwas his­to­riogra-fisches zur pol­ni­schen Geschichte habe ich über­setzt – es war schwer, es war undankbar, schlecht geschrieben, irgendwie schlampig … Nie mehr.”

Olaf Kühl wird die Wan­de­rung durch die Ver­lage gespart; die rufen ihn selber an. Trotzdem sieht er in der pol­ni­schen Lite­ratur kein Geschäft. Wenn das Buch nicht zum Best­seller wird, wie Masłowskas Schnee­weiß und Rus­senrot, krebst der Ver­kauf bei drei Tau­send Exem­plaren herum. Wenn sich diese drei Tau­send ver­kaufen, ist das schon gut. Das berührt Kühl jedoch nicht. „Ich lebe nicht von meinen Über­set­zungen. Über­setzen ist meine Leidenschaft.”