Während die Bürger*innen in Belarus weiterhin unter einem repressiven Regime leiden, verblasst die mediale Aufmerksamkeit dafür in Deutschland zusehends. Als eindringlicher Aufruf, diese Ignoranz zu brechen, fand vom 2.2. bis zum 29.5.2024 in der Berliner Galerie im Körnerpark die Ausstellung „manchmal halte ich mich an der luft fest. Belarusische Künstler:innen im Exil“ statt.
Dunkle Überwachungskameras ragen aus den stalinistisch anmutenden Sockeln im Zentrum des Raums empor. Wie kalte Augen folgen ihre Linsen jedem Schritt der Besucher*innen und erinnern an die allgegenwärtige Überwachung durch ein Regime, das keine Opposition toleriert. Sowjetische Nachkriegsarchitektur kommentiert hier die heutige Autokratie. Was nach einem grausamen Albtraum klingt, zeigt die Realität des alltäglichen Lebens in Belarus. Umgeben von Werken, die Repression, Flucht und Leben im Exil verdeutlichen, erhebt sich diese Komposition der belarusischen Künstlerin Lesia Pcholka (Lesja Pčolka). Sie trägt den Titel „The Bases“ und bildet für die Besucherschaft der Ausstellung den ersten Blickfang.
Vier Jahre nach den Protesten gegen das autoritäre Regime und die gefälschten Wahlen in Belarus wird die politische Situation im Land immer seltener in den deutschen Medien thematisiert. Während die Schlagzeilen zu anderen globalen Krisen überwiegen, rückt die anhaltende Brutalität des Lukašenka-Regimes immer mehr in den Hintergrund. Die fehlende Berichterstattung darf jedoch keineswegs als Indiz dafür gewertet werden, dass der Kampf für Freiheit und Demokratie nachgelassen hat, ebenso wenig wie die Unterdrückung der regimekritischen Bevölkerung. Im Gegenteil: die Repressionen in Belarus sind allgegenwärtig, das Leben für diejenigen, die das Land ins Exil verlassen mussten, eine immense Herausforderung.
Unabhängige Medien wurden geschlossen, regierungskritische Journalist*innen verhaftet, die Tätigkeit von Menschenrechtsorganisationen unterbunden. Tag für Tag werden weiterhin Menschen inhaftiert, gefoltert, viele von ihnen sind zu vielen Jahren Haft unter inhumanen Bedingungen verurteilt worden. Die Repressionswelle begann bereits 2020: Die friedlichen Massendemonstrationen wurden damals mit brutaler Gewalt niedergeschlagen, die Protestierenden, die es wagten, sich gegen das Regime zu stellen, riskierten ihre Freiheit und ihr Leben. Viele von ihnen wurden unter Zwang aus ihren Wohnungen verschleppt, während andere, denen dasselbe Schicksal drohte, noch rechtzeitig in aller Eile die wichtigsten Sachen packen und das Land verlassen konnten – meist ohne die Aussicht, jemals zurückkehren zu können. Die systematische Unterdrückung durch die autoritäre Herrschaft hat das Land in eine Spirale der Gewalt und Einschüchterung gestürzt. Freie Meinungsäußerung und grundlegende Menschenrechte sucht man hier vergebens.
In diesem Klima der Furcht leben auch zahlreiche belarusische Künstler*innen, die aufgrund politischer Verfolgung zur Ausreise aus ihrem Heimatland gezwungen wurden und Schutz in anderen europäischen Städten wie Berlin, Warschau oder Prag suchten. Das Gefühl der Entfremdung und des Nichtdazugehörens ist in ihren Werken spürbar. Die Möglichkeit, diese für das heimische Publikum auszustellen, gibt es nicht. Trotz ihrer physischen Abwesenheit befinden sich viele der Künstler*innen mental weiterhin in Belarus, in ständiger Sorge um ihre Angehörigen, die dortgeblieben sind. Im Exil nutzen sie ihre Kunst, um auf die fortwährende Notlage in Belarus und auf die prekäre Situation des Exils aufmerksam zu machen.
Ihre Erfahrungen werden in der Ausstellung sichtbar gemacht. Die Kurator*innen der Ausstellung Katharina von Hagenow, Uladzimir Hramovic (Uladzimir Hramovič) und Paulina Olszewska (Paŭlina Al’šėŭskaja) haben hier einen Raum geschaffen, in dem die Werke belarusischer Künstler*innen nicht nur einen künstlerischen, sondern auch einen emotionalen Zugang zu den Erfahrungen des Exils und der damit verbundenen Unsicherheit beleuchten und gleichzeitig die Notlage derjenigen thematisieren, die sich weiterhin in Belarus aufhalten.
Während Pcholka mit ihrer Installation daran erinnert, wie die Mechanismen der Unterdrückung und der omnipräsenten Überwachung in Belarus über die Jahrzehnte hinweg bestehen bleiben und sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart der belarusischen Gesellschaft durchdringen, greifen andere Künstler*innen eher nach individuellen Erfahrungen als Ausgangspunkt für ihre Botschaft.
So zum Beispiel Varvara Sudnik, die ihre eigenen Erlebnisse mit den Absurditäten des Visaprozesses und der Bürokratie in Deutschland in sechs Szenen auf traditionell bestickten Tüchern verwebt. In einer 3D-Animation werden diese in einem sich drehenden Teeservice präsentiert, welches ‒ wie das Visumverfahren und die damit verbundene anhaltende Unsicherheit ‒ kein Ende zu nehmen scheint. Nachdem ihr das Ultimatum gestellt wurde, entweder ins Flüchtlingslager zu gehen oder nach Belarus zurückzukehren, sah sie sich zur Ausreise aus Deutschland gezwungen. Ihren aktuellen Aufenthaltsort verrät sie aus Sicherheitsgründen nicht.
Gegenüber von Sudniks Stickereien laufen parallel zwei Videoarbeiten auf separaten Bildschirmen. Während die verstreuten Botschaften, die die Wand hinter dem linken Monitor bedecken, teils unleserlich scheinen, sind die Worte „We didn’t plan to leave“ deutlich erkennbar. Die Künstlerin Nadya Sayapina (Nadzja Sajapina) fängt die persönlichen, sich aber auch vielfach ähnelnden Schicksale von Belarus*innen im Exil ein und präsentiert vier Arbeiten als eine zusammenhängende Installation. Über dem rechten Bildschirm befindet sich eine Fotocollage von Koffern in leeren Räumen, die auf diejenigen verweist, die gezwungen waren, Belarus nach den Protesten zu verlassen, und sich seither in ständiger Bewegung zwischen unterschiedlichen Orten befinden. Sayapinas Videoarbeiten zeigen sie selbst zum einen beim Versuch, sich in einen Koffer zu zwängen, zum anderen in der Mitte zwischen zwei Leinwänden, auf welchen Aufnahmen verschiedener europäischer Städte projiziert werden. „Es verdeutlicht die Hin- und Hergerissenheit“, erklärt der Kurator Hramovic. Im Hintergrund wird wiederholt ein in verschiedenen Sprachen aufgenommener Text vorgetragen, der die Erfahrungen von Belarus*innen im Exil schildert. Die Frage „Where are you from?“ zieht sich durch das Video und bildet zugleich den Titel der Komposition.
Die ausgestellten Arbeiten rufen unmissverständlich in Erinnerung, dass der Kampf für Freiheit und Demokratie noch immer weit davon entfernt ist, gewonnen zu sein. Indem die Galerie den Unterdrückten der diktatorischen Regierung eine Plattform bietet, animiert sie die Besucher*innen der Ausstellung dazu, sich den Geschichten derjenigen zu öffnen, die aufgrund von politischer Repression und Verfolgung ihr Heimatland verlassen mussten. Die verschiedenen Ausstellungsstücke laden dazu ein, dem Ruf nach Menschenrechten und Demokratie in Belarus zuzuhören – neben den hier vorgestellten Arbeiten waren in den Räumen am Körnerpark Werke sechs weiterer Künstlerinnen präsentiert. Dabei wird vor allem eine Botschaft hervorgehoben: Die Notlage der Belarus*innen darf nicht in Vergessenheit geraten.
Das Beitragsbild zeigt die Arbeit „Welcome“, bestehend aus vervielfältigten Plakaten, von Alexander Adamov.
Alle Bilder im Beitrag wurden von Marina K. aufgenommen.
Auf Wunsch der Autorin zeigt novinki nicht ihren vollen Namen an.