Das kollabierende rumänische Regime, ein Schuss und ein Schwimmbadbecken voller Gefangener: Tudor Giurgius Libertate (Freiheit), der auf dem 33. Filmfestival Cottbus den FIPRESCI Preis gewann, schildert statt eines heroischen Freiheitskampfs, einen revolutionären Tumult, der mehr Fragen hinterlässt als beantwortet.
Es ist dunkel und laut. Statt Musik erklingt eine Kakophonie aus Schreien und Detonationen. Eine Gruppe von Polizisten versucht panisch, sich aus dem Polizeipräsidium zu kämpfen. In einer langen und hektischen One-Shot-Einstellung begleitet das Publikum die Flüchtenden durch enge Korridore. Fenster zerbersten, Menschen verstecken sich vor den Schusssalven des Militärs. Von Raum zu Raum jagt eine chaotische Szenerie die nächste.
Rumänien war 1989 das letzte Land unter den ehemaligen Verbündeten der UdSSR, in dem ein Regimewechsel stattfand. Bis heute sind viele Fragen zu den Hintergründen dieser gewaltsamen Revolution, die vom 16. bis zum 27. Dezember andauerte, ungeklärt. In dem Polit-Drama Libertate versucht Tudor Giurgiu die diffusen Ereignisse, die sich in dieser Zeit in Sibiu begaben, wiederzugeben.
Der Film beginnt mit einem kurzen Ausschnitt des morgendlichen Familienlebens des Polizisten Viorel Stanese, der sich gerade für die Arbeit fertig macht. Als dieser im Polizeipräsidium eintrifft, werden wir bereits mit der angespannten, politischen Lage konfrontiert, die zwischen Polizei, Militär und Geheimdienst herrscht. Die Situation eskaliert schließlich rasant, als auf einer Demonstration vor dem Gebäude ein Schuss fällt. Weder den Polizisten noch den Zuschauenden bleibt Zeit zu realisieren, von wo und von wem dieser Schuss abgefeuert wurde, als auch schon Revolutionäre und Militärs gleichermaßen das Polizeipräsidium stürmen. Durch mehrfache Perspektivwechsel verschiedenster Figuren folgt Libertate, besonders in seiner ersten Hälfte, keiner geradlinigen Handlung. Das Publikum wird Zeuge von Plünderungen und Misstrauen bei den zivilen Revolutionären, von erratischen Entscheidungen im Militärstab und vom verzweifelten Überlebenskampf der Polizisten, welcher drastische Maßnahmen zur Folge hat.
Bis zum Schluss erhalten wir keine Aufklärung, wer oder was der konkrete Auslöser der brutalen Ausbrüche war. Verrat und Schuldzuweisungen bestimmen die Handlungen und tragen zur Komplexität eines Konflikts bei, in dem alle Parteien vom herrschenden System profitiert haben und gleichzeitig gegeneinander ausgespielt wurden. Der Film vermittelt dabei weniger Polithistorie, als vielmehr die ungeschönte Stimmung eines gewalttätigen Aufstands. Zuschauende, die sich nicht mit dem Konflikt und seinen Akteuren auskennen, werden sich jedoch an mancher Stelle verloren fühlen. Es werden Namen und Figuren eingeführt, zu denen man kein Gesicht bekommt oder die auch im späteren Handlungsverlauf keine Rolle mehr spielen. Dies lässt sich jedoch auch als Teil der kaleidoskopartigen Erzählung verstehen, um die gehetzte Atmosphäre und das aufgeladene Erzähltempo zu unterstreichen. Im Gegensatz dazu wirkt der zweite Teil nahezu statisch. Die vielen Männer, die im Zuge der Revolution als Terroristen gebrandmarkt wurden, werden in dem visuellen Kernstück des Films gefangen gehalten: im leeren Schwimmbadbecken.
Auf dem 33. Filmfestival Cottbus, wo Libertate den FIPRESCI Preis gewann, erklärte Giurgiu, dass er sich bei der Darstellung dieses Settings von griechischen Tragödien inspiriert fühlte. Die Gefangenen bewegen sich in dem leeren, gekachelten Schwimmbecken wie die Akteure eines Dramas in einem antiken Amphitheater, mit ihren Wärtern als Zuschauer, die von ihren hohen Rängen auf sie hinabschauen. Die Gefangenen wie auch die Zuschauenden erfahren kaum etwas über die Lage Rumäniens außerhalb der Schwimmhalle. Propaganda und Gerüchte von Terroristenzellen und vergiftetem Trinkwasser ertönen von Fernsehern und Radios, die im Hintergrund laufen. Vereinzelt sehen wir an einem anderen Ort die Situation der weiblichen Gefangenen, die aus mutmaßlichen Terroristinnen und Regimeanhängerinnen bestehen. Die Handlung fokussiert sich jedoch fast ausschließlich auf die Männer im Schwimmbad und beleuchtet die Dynamiken der verschiedenen Fraktionsanhänger, die alle gemeinsam eingepfercht wurden. Ausschweifende Hintergrundgeschichten werden uns verwehrt und moralische Zuschreibungen können nur an Ort und Stelle gemacht werden. Einzig der Polizist Viorell dient als eine Art Rahmenfigur, dessen persönliche Hintergründe immer wieder angedeutet werden.
Hier ist besonders das Schauspieldebüt von Alex Calangiu hervorzuheben, welcher den stoischen Anti-Helden Viorell mit einer nüchternen Komplexität verkörpert. Denn genau wie der zwielichtige Taxi-Fahrer Leahu oder der Polizeichef selbst, wird Viorell weder als heroischer Charakter noch als berechnender Schurke dargestellt. Spätestens mit der Inhaftierung von Unschuldigen und Kindern wird für die Figuren und auch Zuschauenden deutlich, dass es hier keine klaren Pro- und Antagonisten gibt, sondern nur ein bizarres Szenario, dass keine eindeutige Auflösung verspricht.
Giurgiu hat fast zwei Jahre Recherche betrieben und Interviews mit Betroffenen geführt, um die traumatischen und wenig dokumentierten Vorfälle um die im Schwimmbad gefangenen Polizisten zu rekonstruieren. Der Film wartet dabei weder mit neuen Bildern noch einer innovativen Erzählform auf, welche man nicht bereits aus anderen Polit-Thrillern kennt. Frei von heroischem Patriotismus oder Politkritik, dekonstruiert Libertate jedoch die Erwartungen, die man an das Genre haben mag und zeichnet sich dadurch mehr als emotionaler denn historischer Aufarbeitungsfilm aus. Giurgiu schickt seine moralisch ambivalenten Figuren und die Zuschauenden nicht auf eine lange Reise, an der sie am Ende die Wahrheit über Recht und Unrecht des Konflikts gelernt haben. Vielmehr ist es ein freier Fall, indem wir mit ihnen einfach nur durchhalten wollen, um am Ende ohne Antworten wieder dazustehen.

Libertate (Freiheit),
Regie: Tudor Giurgiu, 2023, Rumänien/Ungarn, 109 Min.
Bildquelle aller Bilder des Beitrags: cineuropa.org.