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Must poetry be national? - ein Vortragsprotokoll der anderen Art

Posted on 16. Juni 2010 by Katharina Schwab, Felicitas Claus
Eugene Ostashevsky [Evgenij Ostaševskij] ist als aus Leningrad gebürtiger amerikanischer Lyriker, Literaturprofessor und Übersetzer (Russisch-Englisch) bekannt. Im Rahmen seiner lyrischen Tätigkeit erschien zuletzt sein Gedichtband „The Pirate Who Does Not Know the Value of Pi“ (2017). 2016 war er Siegfried-Unseld-Gastprofessor an der Humboldt Universität zu Berlin; im Wintersemester 2019/20 war er erneut zu Gast an der HU, diesmal moderierte er eine Veranstaltungsreihe zu Translingualität als „Dorothea Schlegel Artist in Residence“ im Rahmen des Projekts „Temporal communities: Doing Literature in a Global Perspective“ (2020). Das vorliegende Gespräch der ganz anderen Art entstand bei einem Gastvortrag an der HU zur Frage „Must poetry be national?“ im Jahr 2014.

Eugene Ostashevsky war zu Gast an der Humboldt-Universität. Im Seminar vertonte, diskutierte und illustrierte der Dozent und Dichter die Frage: „Must poetry be national?“ Katharina Schwab und Felicitas Claus haben sich die wichtigsten Antworten in Erinnerung gerufen und sich zu ihren Eindrücken ausgetauscht. Ein Vortragsprotokoll der anderen Art.

 

Felicitas: Hallo Katharina! Fein, Skype funktioniert schon mal.

Katharina: Super.

Felicitas: Gut, dann fangen wir an... Eugene Ostashevsky. Sein Vortrag in unserem Seminar ist ja jetzt schon eine Woche her, weißt du überhaupt noch, um was es ging? Oder besser: Wusstest Du vorher schon etwas über Ostashevsky?

Katharina: Ich glaube, dass ich den Namen schon einmal gehört hatte, wirklich zuordnen konnte ich ihn jedoch nicht. Kanntest Du ihn denn schon vorher?

Felicitas: Ja, aber ich habe ihn in einem anderen Zusammenhang kennen gelernt: Er wurde im Deutschlandfunk zur Ukrainekrise interviewt. Als ich mich auf den Vortrag vorbereitet habe, habe ich seinen Namen dann im Künstlerprogramm des DAAD gefunden.

Katharina: Wie war denn dein Eindruck von seinem Vortrag über Lyrik? Ist dir etwas besonders aufgefallen?

Felicitas: Ich hatte eine ähnliche Frage an dich. Ich wollte wissen, ob sein Vortrag deiner Meinung nach dem Titel „Must poetry be national“ gerecht wurde...

Es gab schon ein oder zwei Sachen, die außergewöhnlich waren. Z.B. dass sich Ostashevsky – als Künstler mit US-amerikanisch-russischen Wurzeln – so stark von der sogenannten internationalen Lyrik distanziert hat.

Felicitas: Den Titel „Must poetry be national“ hätte ich vor seinem Vortrag für mich auch ganz anders beantwortet: Ich habe den Standardreflex erwartet, also in etwa: Nein, Lyrik muss nicht national sein. Das Gegenteil war der Fall. Stattdessen erklärte Ostashevsky, dass Gedichte durch ihren Autor immer Nationen repräsentieren. Und hat damit gerungen, dass er selbst Teil davon ist.

Katharina: Also ich muss gestehen, dass mir der Titel seiner Vorlesung gar nicht so präsent war. Beziehungsweise bin ich gar nicht am Titel „hängengeblieben“.

Felicitas: Okay? Was ist dir aufgefallen?

Katharina: Vielmehr habe ich seinen Vortrag als eine Art Einführung in das verstanden, womit er sich beschäftigt – nämlich Fremder und zugleich Nichtfremder in einem Land und einer Sprache zu sein. Mein Interesse hat er am Anfang geweckt, indem er – fast schon forsch – von uns erwartet hat, zu sagen, wie wir die von ihm vorher ausgesuchten Gedichte verstehen. Er forderte uns regelrecht auf, die Gedichte zu interpretieren, keine Scheu davor zu haben und die Dinge beim Namen zu nennen. Ich finde doch, dass das eine sehr typisch US-amerikanische Art und Weise ist zu lehren. Zumindest kenne ich das so aus einigen US-amerikanischen Vorlesungen im Internet.

Katharina: In meiner bisherigen akademischen Ausbildung habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Dozenten davor warnen, zu schnell zu interpretieren. Zunächst sollte man sich mit dem Aufbau, der Syntax etc. beschäftigen. Das wollte Ostashevsky viel weniger, es ging gleich ans „Eingemachte“.

Felicitas: Jein. Auch Ostashewsky war ja der formale Aufbau der Gedichte wichtig. Dass all die Gedichte auf Englisch geschrieben wurden beispielsweise, obwohl die Schreiber aus den unterschiedlichsten Ländern stammen. Dass sie alle recht kurz sind, keinen Reim hatten usw.

Katharina: Es war Ostashevsky aber nicht so wichtig wie die Bedeutung der Wörter. Nimm das Gedicht von Zbigniew Herbert,  da betonte Ostashevsky die Bedeutung des Wortes „pebble“ und weniger die auffällige Wiederholung des Wortes oder den Aufbau des Gedichtes. Und bei Najwan Darwishs „A refugee from Crete“ diskutierten wir die Bedeutung des Wortes „Crete“, wie es Verwirrung stiftet, besonders weil der Poet Araber ist. Oder auch das erste Gedicht von Bei Dao, „A local accent“. Er fragte, was es bedeutet vor dem Spiegel zu stehen und sich mit ihm zu unterhalten, was es inhaltlich bedeutet. Direkte Interpretation und Deutung waren gefordert!

Felicitas: Könnte man sagen, dass er diesen Schwerpunkt gesetzt hat, um zu betonen, dass sich alle Gedichte um den Komplex Exil-Einsamkeit-Sprache drehten? Dass sie keine Geschichte erzählen? Sich also inhaltlich gleichen?

Katharina: Ich war nicht immer d´accord mit ihm. Das ist auch ein Problem seiner Herangehensweise. Manche Gedichte könnten ja – je nach Interpretation – auch anders gelesen werden als durch die „Exilbrille“. Was meinst du? Siehst du in allen Gedichten immer dasselbe Thema durchscheinen?

Felicitas: Warte, ich schau kurz nochmal drauf...

Katharina: Aber lass uns noch auf etwas anderes zu sprechen kommen. Er meinte, wenn ich mich richtig entsinne, dass er es schwierig findet, auf Poetryfestivals aufzutreten, weil sie ihm eine bestimmte Rolle vorgeben, meist die des „russischen Juden“. Und das Publikum erwarte dieses „authentische Auftreten“ auch von ihm. Dabei würde er lieber frei von solchen „Vorurteilen“ auftreten, frei von Werten, besonders frei von der Opferrolle.

Felicitas: Also, zuerst noch eine kurze Bemerkung zu deiner vorherigen Frage und den Gedichten, die Ostashevsky uns zum Lesen mitgebracht hat. Zumindest bei Du Fu, Bei Dao und Najwan Darwish sehe ich den Exilbezug gegeben. „I brood on the uselessness of letters“, „news has been cut off“, „I speak chinese to the mirror“ usw.

Deshalb finde ich auch deinen Übergang zu den Poetryfestivals umso interessanter, denn das war der Kernpunkt seines Vortrags. Es verbindet Ostashevskys Gedichtauswahl für die Vorlesung mit seiner eigenen Poesie. Also zumindest für mich war das der Kern.

Katharina: Gut, das würde ich nicht sagen, aber es war auf jeden Fall elementar.

Felicitas: Darüber lässt sich streiten. Dennoch: Konkret hat er sich ja auf Poetryfestivals bezogen, die sich als Überthema „Menschenrechte“ verpassen, ähnlich wie bei einer Mottoparty. Dann hat er sich gefragt, wie er dort hineinpasst – wo sich doch dort alle nur zum „Gesehen-werden“ aufhalten.

Und erinnerst du dich an Ostashevskys Behauptung über Paul Celan? Dass er angeblich von 99 % der Leser nur zur Kenntnis genommen wird, weil er mit dem Holocaust verbunden war?

Katharina: Ja, ich erinner‘ mich dunkel.

Felicitas: Sehr amüsant fand ich auch, wie er etwas überspitzt beschrieben hat, dass die „offenen westlichen Menschen“ – also wir – auf einem Poetryfestival von ihm selbst (Ostashevsky) anstandslos zu der Lesung einer afrikanischen Frau weiterwandern, um sich dann von ihr etwas über „ihre“ Kultur, Herkunft und Leiden erzählen zu lassen...

Was bedeutet, dass man als Dichter immer etwas repräsentiert – „Must poetry be national“, da ist es wieder, das Thema unseres Vortrags.

Katharina: Aber andererseits: Auch ein Dichter lebt in seiner Zeit. Und in der passiert etwas. Etwas Schlimmes, Tragisches oder Schönes. Und wenn ein Dichter darüber schreibt, dann ist es doch gerechtfertigt, ihn in diesem Kontext zu lesen.

Felicitas: Ja, aber wenn ich Ostashevsky richtig verstanden habe, ist genau das seine Kritik an dieser Art der Lyrik oder dem „Geschäft“ mit der Lyrik: Dass internationale Lyrik das eben nicht ausdrückt. Dass sie v.a. Gefühle beschreibt und den gesellschaftlichen Hintergrund vernachlässigt. Der „Kontext“ muss durch den Leser quasi dazuinterpretiert werden. Und: Der verbleibende Inhalt ähnelt sich bei den Exildichtern stark.

Ich finde ja, dass die Überspitzung zu Paul Celan nicht in die Reihe passt. Auf jeden Fall nicht, was seine Gedichte anbelangt! Ob er bei den Rezipienten Recht hat, kann ich nicht beurteilen.

Trotzdem hat Ostashevsky deutlich gemacht, wer zu internationalen Festivals eingeladen wird: Nämlich diejenigen, die auf Englisch schreiben, modern, ohne Reim, kurz usw. (siehe der Anfang unseres kleinen Gesprächs). Es werden eben nicht jene Dichter eingeladen, die im klassischen Chinesisch schreiben. Oder?

Katharina: Ja da hast du recht. Der letzte Punkt, den wir ansprechen könnten, wäre der Aspekt der Sprache.

Felicitas: Ja. Aber ich finde, genau da schwächelte der Vortrag bzw. hatten wir zu wenig Zeit, um zu diskutieren. Sehr ausführlich hat Ostashevsky die Abgrenzung seiner Lyrik von internationaler Lyrik erklärt, hat erklärt, was er genau NICHT möchte. Aber dann ist er nur kurz darauf eingegangen, wie seine eigene Poesie beschaffen ist. Trotzdem fand ich die Lesung aus seinem neuesten Werk toll. Erst hat er langsam gelesen, fast getragen, dann hat er sich immer mehr in den Rap seiner Dichtung hineingesteigert, das hat mir gut gefallen.

Katharina: Hmm... das hatte jetzt nur marginal mit Sprache zu tun und berührt eher die Vortragsweise. Aber zu seiner Poesie passt es.

Felicitas: Trotzdem hat er diesen Aspekt wenig ausgeführt. Nur einiges hat er erwähnt: Die grammatischen Inkorrektheiten, die er im Englischen einbaut und die nur für englische Muttersprachler erkennbar sind. Alles gemischt mit russischen Versatzstücken oder mathematischen Formeln…

Katharina: Er ist ja mindestens zweier Sprachen mächtig: des Englischen, weil es die Sprache ist, in der er sozialisiert und aufgewachsen ist und des Russischen, weil er es mit seiner Familie gesprochen und nie verlernt hat. Dass er einen distanzierten Blick auf Sprache hat, hat er ganz treffend mit der Gleichung beschrieben: one language – identifying words with things // several languages – words are things. Es macht verständlich, wie er Sprachen fühlt und hört.

Felicitas: Vielleicht ist für ihn deshalb auch der linguistische Zugang zu Sprache nicht so wichtig. Viel eher thematisiert er Sprache direkt: Wie in dem Dialog zwischen Pirat und Papagei, den er uns zum Schluss vorgelesen hat:

Pirate: Your native language is perrot!
Perrot: I forgot perrot and learned your language.
Pirate: There will always be a difference between you and your words …

Katharina: Ja, genau! Seine kleine Performance am Ende war wirklich cool.

Must poetry be national? - ein Vortragsprotokoll der anderen Art - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Must poetry be national? – ein Vor­trags­pro­to­koll der anderen Art

Eugene Ost­as­hevsky war zu Gast an der Hum­boldt-Uni­ver­sität. Im Seminar ver­tonte, dis­ku­tierte und illus­trierte der Dozent und Dichter die Frage: „Must poetry be national?“ Katha­rina Schwab und Feli­citas Claus haben sich die wich­tigsten Ant­worten in Erin­ne­rung gerufen und sich zu ihren Ein­drü­cken aus­ge­tauscht. Ein Vor­trags­pro­to­koll der anderen Art.

 

Feli­citas: Hallo Katha­rina! Fein, Skype funk­tio­niert schon mal.

Katha­rina: Super.

Feli­citas: Gut, dann fangen wir an… Eugene Ost­as­hevsky. Sein Vor­trag in unserem Seminar ist ja jetzt schon eine Woche her, weißt du über­haupt noch, um was es ging? Oder besser: Wuss­test Du vorher schon etwas über Ostashevsky?

Katha­rina: Ich glaube, dass ich den Namen schon einmal gehört hatte, wirk­lich zuordnen konnte ich ihn jedoch nicht. Kann­test Du ihn denn schon vorher?

Feli­citas: Ja, aber ich habe ihn in einem anderen Zusam­men­hang kennen gelernt: Er wurde im Deutsch­land­funk zur Ukrai­ne­krise inter­viewt. Als ich mich auf den Vor­trag vor­be­reitet habe, habe ich seinen Namen dann im Künst­ler­pro­gramm des DAAD gefunden.

Katha­rina: Wie war denn dein Ein­druck von seinem Vor­trag über Lyrik? Ist dir etwas beson­ders aufgefallen?

Feli­citas: Ich hatte eine ähn­liche Frage an dich. Ich wollte wissen, ob sein Vor­trag deiner Mei­nung nach dem Titel „Must poetry be national“ gerecht wurde…

Es gab schon ein oder zwei Sachen, die außer­ge­wöhn­lich waren. Z.B. dass sich Ost­as­hevsky – als Künstler mit US-ame­ri­ka­nisch-rus­si­schen Wur­zeln – so stark von der soge­nannten inter­na­tio­nalen Lyrik distan­ziert hat.

Feli­citas: Den Titel „Must poetry be national“ hätte ich vor seinem Vor­trag für mich auch ganz anders beant­wortet: Ich habe den Stan­dard­re­flex erwartet, also in etwa: Nein, Lyrik muss nicht national sein. Das Gegen­teil war der Fall. Statt­dessen erklärte Ost­as­hevsky, dass Gedichte durch ihren Autor immer Nationen reprä­sen­tieren. Und hat damit gerungen, dass er selbst Teil davon ist.

Katha­rina: Also ich muss gestehen, dass mir der Titel seiner Vor­le­sung gar nicht so prä­sent war. Bezie­hungs­weise bin ich gar nicht am Titel „hän­gen­ge­blieben“.

Feli­citas: Okay? Was ist dir aufgefallen?

Katha­rina: Viel­mehr habe ich seinen Vor­trag als eine Art Ein­füh­rung in das ver­standen, womit er sich beschäf­tigt – näm­lich Fremder und zugleich Nicht­fremder in einem Land und einer Sprache zu sein. Mein Inter­esse hat er am Anfang geweckt, indem er – fast schon forsch – von uns erwartet hat, zu sagen, wie wir die von ihm vorher aus­ge­suchten Gedichte ver­stehen. Er for­derte uns regel­recht auf, die Gedichte zu inter­pre­tieren, keine Scheu davor zu haben und die Dinge beim Namen zu nennen. Ich finde doch, dass das eine sehr typisch US-ame­ri­ka­ni­sche Art und Weise ist zu lehren. Zumin­dest kenne ich das so aus einigen US-ame­ri­ka­ni­schen Vor­le­sungen im Internet.

Katha­rina: In meiner bis­he­rigen aka­de­mi­schen Aus­bil­dung habe ich die Erfah­rung gemacht, dass die Dozenten davor warnen, zu schnell zu inter­pre­tieren. Zunächst sollte man sich mit dem Aufbau, der Syntax etc. beschäf­tigen. Das wollte Ost­as­hevsky viel weniger, es ging gleich ans „Ein­ge­machte“.

Feli­citas: Jein. Auch Ost­as­hewsky war ja der for­male Aufbau der Gedichte wichtig. Dass all die Gedichte auf Eng­lisch geschrieben wurden bei­spiels­weise, obwohl die Schreiber aus den unter­schied­lichsten Län­dern stammen. Dass sie alle recht kurz sind, keinen Reim hatten usw.

Katha­rina: Es war Ost­as­hevsky aber nicht so wichtig wie die Bedeu­tung der Wörter. Nimm das Gedicht von Zbi­gniew Her­bert,  da betonte Ost­as­hevsky die Bedeu­tung des Wortes „pebble“ und weniger die auf­fäl­lige Wie­der­ho­lung des Wortes oder den Aufbau des Gedichtes. Und bei Najwan Dar­wishs „A refugee from Crete“ dis­ku­tierten wir die Bedeu­tung des Wortes „Crete“, wie es Ver­wir­rung stiftet, beson­ders weil der Poet Araber ist. Oder auch das erste Gedicht von Bei Dao, „A local accent“. Er fragte, was es bedeutet vor dem Spiegel zu stehen und sich mit ihm zu unter­halten, was es inhalt­lich bedeutet. Direkte Inter­pre­ta­tion und Deu­tung waren gefordert!

Feli­citas: Könnte man sagen, dass er diesen Schwer­punkt gesetzt hat, um zu betonen, dass sich alle Gedichte um den Kom­plex Exil-Ein­sam­keit-Sprache drehten? Dass sie keine Geschichte erzählen? Sich also inhalt­lich gleichen?

Katha­rina: Ich war nicht immer d´accord mit ihm. Das ist auch ein Pro­blem seiner Her­an­ge­hens­weise. Manche Gedichte könnten ja – je nach Inter­pre­ta­tion – auch anders gelesen werden als durch die „Exil­brille“. Was meinst du? Siehst du in allen Gedichten immer das­selbe Thema durchscheinen?

Feli­citas: Warte, ich schau kurz nochmal drauf…

Katha­rina: Aber lass uns noch auf etwas anderes zu spre­chen kommen. Er meinte, wenn ich mich richtig ent­sinne, dass er es schwierig findet, auf Poet­ry­fes­ti­vals auf­zu­treten, weil sie ihm eine bestimmte Rolle vor­geben, meist die des „rus­si­schen Juden“. Und das Publikum erwarte dieses „authen­ti­sche Auf­treten“ auch von ihm. Dabei würde er lieber frei von sol­chen „Vor­ur­teilen“ auf­treten, frei von Werten, beson­ders frei von der Opferrolle.

Feli­citas: Also, zuerst noch eine kurze Bemer­kung zu deiner vor­he­rigen Frage und den Gedichten, die Ost­as­hevsky uns zum Lesen mit­ge­bracht hat. Zumin­dest bei Du Fu, Bei Dao und Najwan Dar­wish sehe ich den Exil­bezug gegeben. „I brood on the use­l­ess­ness of let­ters“, „news has been cut off“, „I speak chi­nese to the mirror“ usw.

Des­halb finde ich auch deinen Über­gang zu den Poet­ry­fes­ti­vals umso inter­es­santer, denn das war der Kern­punkt seines Vor­trags. Es ver­bindet Ost­as­hevskys Gedicht­aus­wahl für die Vor­le­sung mit seiner eigenen Poesie. Also zumin­dest für mich war das der Kern.

Katha­rina: Gut, das würde ich nicht sagen, aber es war auf jeden Fall elementar.

Feli­citas: Dar­über lässt sich streiten. Den­noch: Kon­kret hat er sich ja auf Poet­ry­fes­ti­vals bezogen, die sich als Über­thema „Men­schen­rechte“ ver­passen, ähn­lich wie bei einer Mot­to­party. Dann hat er sich gefragt, wie er dort hin­ein­passt – wo sich doch dort alle nur zum „Gesehen-werden“ aufhalten.

Und erin­nerst du dich an Ost­as­hevskys Behaup­tung über Paul Celan? Dass er angeb­lich von 99 % der Leser nur zur Kenntnis genommen wird, weil er mit dem Holo­caust ver­bunden war?

Katha­rina: Ja, ich erinner‘ mich dunkel.

Feli­citas: Sehr amü­sant fand ich auch, wie er etwas über­spitzt beschrieben hat, dass die „offenen west­li­chen Men­schen“ – also wir – auf einem Poet­ry­fes­tival von ihm selbst (Ost­as­hevsky) anstandslos zu der Lesung einer afri­ka­ni­schen Frau wei­ter­wan­dern, um sich dann von ihr etwas über „ihre“ Kultur, Her­kunft und Leiden erzählen zu lassen…

Was bedeutet, dass man als Dichter immer etwas reprä­sen­tiert – „Must poetry be national“, da ist es wieder, das Thema unseres Vortrags.

Katha­rina: Aber ande­rer­seits: Auch ein Dichter lebt in seiner Zeit. Und in der pas­siert etwas. Etwas Schlimmes, Tra­gi­sches oder Schönes. Und wenn ein Dichter dar­über schreibt, dann ist es doch gerecht­fer­tigt, ihn in diesem Kon­text zu lesen.

Feli­citas: Ja, aber wenn ich Ost­as­hevsky richtig ver­standen habe, ist genau das seine Kritik an dieser Art der Lyrik oder dem „Geschäft“ mit der Lyrik: Dass inter­na­tio­nale Lyrik das eben nicht aus­drückt. Dass sie v.a. Gefühle beschreibt und den gesell­schaft­li­chen Hin­ter­grund ver­nach­läs­sigt. Der „Kon­text“ muss durch den Leser quasi dazu­in­ter­pre­tiert werden. Und: Der ver­blei­bende Inhalt ähnelt sich bei den Exil­dich­tern stark.

Ich finde ja, dass die Über­spit­zung zu Paul Celan nicht in die Reihe passt. Auf jeden Fall nicht, was seine Gedichte anbe­langt! Ob er bei den Rezi­pi­enten Recht hat, kann ich nicht beurteilen.

Trotzdem hat Ost­as­hevsky deut­lich gemacht, wer zu inter­na­tio­nalen Fes­ti­vals ein­ge­laden wird: Näm­lich die­je­nigen, die auf Eng­lisch schreiben, modern, ohne Reim, kurz usw. (siehe der Anfang unseres kleinen Gesprächs). Es werden eben nicht jene Dichter ein­ge­laden, die im klas­si­schen Chi­ne­sisch schreiben. Oder?

Katha­rina: Ja da hast du recht. Der letzte Punkt, den wir anspre­chen könnten, wäre der Aspekt der Sprache.

Feli­citas: Ja. Aber ich finde, genau da schwä­chelte der Vor­trag bzw. hatten wir zu wenig Zeit, um zu dis­ku­tieren. Sehr aus­führ­lich hat Ost­as­hevsky die Abgren­zung seiner Lyrik von inter­na­tio­naler Lyrik erklärt, hat erklärt, was er genau NICHT möchte. Aber dann ist er nur kurz darauf ein­ge­gangen, wie seine eigene Poesie beschaffen ist. Trotzdem fand ich die Lesung aus seinem neu­esten Werk toll. Erst hat er langsam gelesen, fast getragen, dann hat er sich immer mehr in den Rap seiner Dich­tung hin­ein­ge­stei­gert, das hat mir gut gefallen.

Katha­rina: Hmm… das hatte jetzt nur mar­ginal mit Sprache zu tun und berührt eher die Vor­trags­weise. Aber zu seiner Poesie passt es.

Feli­citas: Trotzdem hat er diesen Aspekt wenig aus­ge­führt. Nur einiges hat er erwähnt: Die gram­ma­ti­schen Inkor­rekt­heiten, die er im Eng­li­schen ein­baut und die nur für eng­li­sche Mut­ter­sprachler erkennbar sind. Alles gemischt mit rus­si­schen Ver­satz­stü­cken oder mathe­ma­ti­schen Formeln…

Katha­rina: Er ist ja min­des­tens zweier Spra­chen mächtig: des Eng­li­schen, weil es die Sprache ist, in der er sozia­li­siert und auf­ge­wachsen ist und des Rus­si­schen, weil er es mit seiner Familie gespro­chen und nie ver­lernt hat. Dass er einen distan­zierten Blick auf Sprache hat, hat er ganz tref­fend mit der Glei­chung beschrieben: one lan­guage – iden­ti­fying words with things // several lan­guages – words are things. Es macht ver­ständ­lich, wie er Spra­chen fühlt und hört.

Feli­citas: Viel­leicht ist für ihn des­halb auch der lin­gu­is­ti­sche Zugang zu Sprache nicht so wichtig. Viel eher the­ma­ti­siert er Sprache direkt: Wie in dem Dialog zwi­schen Pirat und Papagei, den er uns zum Schluss vor­ge­lesen hat:

Pirate: Your native lan­guage is perrot!
Perrot: I forgot perrot and learned your language.
Pirate: There will always be a dif­fe­rence bet­ween you and your words …

Katha­rina: Ja, genau! Seine kleine Per­for­mance am Ende war wirk­lich cool.