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Gedichte – nebenbei. Piotr Sommers „Im Dunkeln auch“

Posted on 10. März 2011 by Anja Burghardt
Piotr Sommer war in den 1990er und 2000er Jahren aktives Mitglied der polnischen Lyrikszene. Der Gedichtband "Wiersze ze słów" (2009, erweitert 2011) ist abgesehen von Kindergedichten (2015) jedoch sein bisher letzter Gedichtband. In den vergangenen Jahren war er – wie bereits seit den 1980er Jahren ‒ als Übersetzer aus dem Englischen und Literaturkritiker tätig. Nachdem einige seiner Gedichte bereits in verschiedenen Anthologien in deutscher Übersetzung erschienen waren, veröffentlichte er 2002 eine Auswahl seiner Gedichte in einer zweisprachigen Ausgabe unter dem Titel "Ein freier Tag im April" (übersetzt von Doreen Daume).

Das Beiläufige, scheinbar Unwesentliche prägt die Lyrik des polnischen Dichters Piotr Sommer. Sein ungemein aufmerksamer Blick ist auf belanglose Details gerichtet wie den „Schatten eines Regentropfens“ („Cień kropli deszczu“) oder eine alltägliche Straßenszene:

 

Chłopiec

Jesiennym wieczorem

kiedy z boku nie biegnie

żaden groźny pies

tylko drzewa stoją

równo

a szare kałuże

przemykają pod parkanem

jak koty

 

 

Der Junge

An einem Herbstabend

wenn an der Seite

kein bissiger Hund läuft

nur die Bäume gerade

stehen

und die grauen Pfützen

am Zaun vorbeihuschen

wie Katzen

 

Neben Gedichten seines neuesten Bandes Tage und Nächte (Dni i noce, 2009) sind auch Gedichte aus seinen früheren, seit 1977 erschienenen Büchern in die Auswahl eingegangen. Übersetzt hat sie Renate Schmidgall – kunstvoll und einfallsreich in der Übertragung der verschiedenen Sprachebenen und zahlreicher Wiederholungsfiguren. Allein das Deutsche vermag sich in Melodik und Lautstruktur dem Polnischen nicht anzunähern, so dass in den Übertragungen mitunter aufgrund der unterschiedlichen Klanglichkeit der beiden Sprachen der Text-Zusammenhalt verblasst. Einen Versuch, zu einem Zusammenhang stiftenden Kern des Werks von Piotr Sommer vorzudringen, stellt das Nachwort von Jan Ekier dar, der Sommers Sprachauffassung und seine Suche nach Sprechweisen, nach dem Zuhören und dem Dialog in den Mittelpunkt stellt. Die Auswahl der Gedichte und deren Anordnung bleiben leider unkommentiert.

 

Die Verse Sommers sind wenig bildreich, auf den ersten Blick wirken sie nicht selten „ungeschliffen“ mit ihren umgangssprachlichen Wendungen, der wenig klaren Form, die in manchen Gedichten (beinahe) zum Prosatext gerät. Da gibt es Gedichte, die sich zu verlieren scheinen, vage in eine ungefähre Richtung weisen; hier wird eine Situation entworfen, dort eine Stimmung angedeutet; oft lapidar und alltäglich, wie beispielsweise der Moment des Abflugs in dem Flugzeug-Gedicht „Deszcz“ („Der Regen“). „Aber warum bin ich hängen geblieben / an diesem Lichtzweig?“ („Ale dlaczego przyczepiłem się / do tej gałązki światła?“) heißt es in einem Gedicht von 1980. Um das ‚Hängenbleiben‘ geht es, um das kurze Verweilen bei etwas, an dem viele vermutlich vorbeigingen. Und wozu? Deshalb. Als „Zwischensinn“ bezeichnet Jakub Ekier dieses Sich-Verlieren des Sprechers im Schauen, des Gedichts in seinem unerwartet frühen Ende.

 

Natürlich gibt es auch ganz andere Gedichte, „Przywitanie, powrót“ („Begrüßung, Rückkehr“ – eine Reminiszenz an Goethes „Abschied und Rückkehr“) beispielsweise, das zweite der „Zwei Gedichte für Suchy“ (1980). Dem Stand des Schreibtischs und der Tatenlosigkeit des Sprechens im ersten Gedicht stehen im zweiten dieses Minizyklus Aufbruch und Zurückgelassen-Werden entgegen: Während einer Taxifahrt durch die nächtlichen Straßen der Stadt zu seinem Freund Andrzej am Abend vor dessen Abflug nach Chicago sinnt hier der Sprecher in einem Bewusstseinsstrom über Freundschaften nach. Gedanken über die Liebe sowie über Veränderungen (auch der eigenen Person) werden von Eindrücken der Außenwelt unterbrochen, ehe am Ende die Bitte an den Freund steht, nicht noch einmal eine Stelle anzunehmen, die so weit weg ist. Ein ähnliches Spiel der Wahrnehmungen und Sprechweisen zeigt sich in „Rano na ziemi“ (aus dem Band Hirtenlied, 1999), in dem die Stimme aus der Beschreibung einer winterlichen Morgenstimmung in den Ton und die Perspektive eines Jungen gleitet und sich alle Widersprüche aufheben. Die Verwandlungen und die Wandelbarkeit der Stimmen mit ihren vielfältigen Überraschungen sind eine der Besonderheiten dieser Gedichte.

 

Ein weiterer Reiz dieser Gedichte liegt darin, wie Piotr Sommer Heterogenes nebeneinanderstellt und dichterisch miteinander verbindet. Der Dichter lässt in den zwei Quartetten und einem eingeschobenen Terzett Tage, Kontinente, Vögel, Staubflocken in der Sonne, Blätter, den Atem und noch so mancherlei von einem „Luftstoß“ (so der gleichnamige Titel des Gedichts, „Pęd powietrza“) durchfahren. Und auch die Flut von Eindrücken und Erinnerungen bei einem Gang durch die Straßen („Idziemy sobie po ulicy“), die in nur sieben Versen Gedächtnis, Spulen, Knoten, Bänder und Dopplungen miteinander verknüpft, wird so lebendig, dass sich die Lesenden ganz selbstverständlich als Teil des lyrischen Wir empfinden. So gesehen laden die Gedichte auch zu einer Poetisierung des Alltäglichen ein, die bei Sommer als Selbstverständlichkeit aufscheint. Damit stellt der Band neben dem Erkunden der Sprache – und entsprechend inspirierend ist er – auch ein Spiel des Sehens und der Blickwinkel dar.

 

(…)

Nic nie będzie tak samo jak było,

i to też będzie jakoś nowe, bo przecież

przedtem bywało podobnie: poranek,

reszta dnia, wieczór i noc, a teraz już nie.

 

Nichts wird so sein, wie es war,

und auch das wird irgendwie neu sein, denn schließlich

war es vorher ähnlich: Morgen,

Rest des Tages, Abend, Nacht, und jetzt nicht mehr.

 

(aus dem Gedicht „Ciąg dalszy“, „Fortsetzung“ aus dem Band Hirtenlied, 1999)

 

Literatur:

Sommer, Piotr: Im Dunkeln auch. Gedichte. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall, Berlin 2010.

Gedichte – nebenbei. Piotr Sommers „Im Dunkeln auch“ - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Gedichte – nebenbei. Piotr Som­mers „Im Dun­keln auch“

Das Bei­läu­fige, scheinbar Unwe­sent­liche prägt die Lyrik des pol­ni­schen Dich­ters Piotr Sommer. Sein unge­mein auf­merk­samer Blick ist auf belang­lose Details gerichtet wie den „Schatten eines Regen­trop­fens“ („Cień kropli deszczu“) oder eine all­täg­liche Straßenszene:

 

Chło­piec

Jesi­ennym wieczorem

kiedy z boku nie biegnie

żaden groźny pies

tylko drzewa stoją

równo

a szare kałuże

prze­my­kają pod parkanem

jak koty

 

 

Der Junge

An einem Herbstabend

wenn an der Seite

kein bis­siger Hund läuft

nur die Bäume gerade

stehen

und die grauen Pfützen

am Zaun vorbeihuschen

wie Katzen

 

Neben Gedichten seines neu­esten Bandes Tage und Nächte (Dni i noce, 2009) sind auch Gedichte aus seinen frü­heren, seit 1977 erschie­nenen Büchern in die Aus­wahl ein­ge­gangen. Über­setzt hat sie Renate Schmid­gall – kunst­voll und ein­falls­reich in der Über­tra­gung der ver­schie­denen Sprach­ebenen und zahl­rei­cher Wie­der­ho­lungs­fi­guren. Allein das Deut­sche vermag sich in Melodik und Laut­struktur dem Pol­ni­schen nicht anzu­nä­hern, so dass in den Über­tra­gungen mit­unter auf­grund der unter­schied­li­chen Klang­lich­keit der beiden Spra­chen der Text-Zusam­men­halt ver­blasst. Einen Ver­such, zu einem Zusam­men­hang stif­tenden Kern des Werks von Piotr Sommer vor­zu­dringen, stellt das Nach­wort von Jan Ekier dar, der Som­mers Sprach­auf­fas­sung und seine Suche nach Sprech­weisen, nach dem Zuhören und dem Dialog in den Mit­tel­punkt stellt. Die Aus­wahl der Gedichte und deren Anord­nung bleiben leider unkommentiert.

 

Die Verse Som­mers sind wenig bild­reich, auf den ersten Blick wirken sie nicht selten „unge­schliffen“ mit ihren umgangs­sprach­li­chen Wen­dungen, der wenig klaren Form, die in man­chen Gedichten (bei­nahe) zum Pro­sa­text gerät. Da gibt es Gedichte, die sich zu ver­lieren scheinen, vage in eine unge­fähre Rich­tung weisen; hier wird eine Situa­tion ent­worfen, dort eine Stim­mung ange­deutet; oft lapidar und all­täg­lich, wie bei­spiels­weise der Moment des Abflugs in dem Flug­zeug-Gedicht „Deszcz“ („Der Regen“). „Aber warum bin ich hängen geblieben / an diesem Licht­zweig?“ („Ale dlac­zego przy­c­ze­piłem się / do tej gałązki światła?“) heißt es in einem Gedicht von 1980. Um das ‚Hän­gen­bleiben‘ geht es, um das kurze Ver­weilen bei etwas, an dem viele ver­mut­lich vor­bei­gingen. Und wozu? Des­halb. Als „Zwi­schen­sinn“ bezeichnet Jakub Ekier dieses Sich-Ver­lieren des Spre­chers im Schauen, des Gedichts in seinem uner­wartet frühen Ende.

 

Natür­lich gibt es auch ganz andere Gedichte, „Przy­wi­tanie, powrót“ („Begrü­ßung, Rück­kehr“ – eine Remi­nis­zenz an Goe­thes „Abschied und Rück­kehr“) bei­spiels­weise, das zweite der „Zwei Gedichte für Suchy“ (1980). Dem Stand des Schreib­tischs und der Taten­lo­sig­keit des Spre­chens im ersten Gedicht stehen im zweiten dieses Mini­zy­klus Auf­bruch und Zurück­ge­lassen-Werden ent­gegen: Wäh­rend einer Taxi­fahrt durch die nächt­li­chen Straßen der Stadt zu seinem Freund Andrzej am Abend vor dessen Abflug nach Chi­cago sinnt hier der Spre­cher in einem Bewusst­seins­strom über Freund­schaften nach. Gedanken über die Liebe sowie über Ver­än­de­rungen (auch der eigenen Person) werden von Ein­drü­cken der Außen­welt unter­bro­chen, ehe am Ende die Bitte an den Freund steht, nicht noch einmal eine Stelle anzu­nehmen, die so weit weg ist. Ein ähn­li­ches Spiel der Wahr­neh­mungen und Sprech­weisen zeigt sich in „Rano na ziemi“ (aus dem Band Hir­ten­lied, 1999), in dem die Stimme aus der Beschrei­bung einer win­ter­li­chen Mor­gen­stim­mung in den Ton und die Per­spek­tive eines Jungen gleitet und sich alle Wider­sprüche auf­heben. Die Ver­wand­lungen und die Wan­del­bar­keit der Stimmen mit ihren viel­fäl­tigen Über­ra­schungen sind eine der Beson­der­heiten dieser Gedichte.

 

Ein wei­terer Reiz dieser Gedichte liegt darin, wie Piotr Sommer Hete­ro­genes neben­ein­an­der­stellt und dich­te­risch mit­ein­ander ver­bindet. Der Dichter lässt in den zwei Quar­tetten und einem ein­ge­scho­benen Ter­zett Tage, Kon­ti­nente, Vögel, Staub­flo­cken in der Sonne, Blätter, den Atem und noch so man­cherlei von einem „Luft­stoß“ (so der gleich­na­mige Titel des Gedichts, „Pęd powie­trza“) durch­fahren. Und auch die Flut von Ein­drü­cken und Erin­ne­rungen bei einem Gang durch die Straßen („Idziemy sobie po ulicy“), die in nur sieben Versen Gedächtnis, Spulen, Knoten, Bänder und Dopp­lungen mit­ein­ander ver­knüpft, wird so lebendig, dass sich die Lesenden ganz selbst­ver­ständ­lich als Teil des lyri­schen Wir emp­finden. So gesehen laden die Gedichte auch zu einer Poe­ti­sie­rung des All­täg­li­chen ein, die bei Sommer als Selbst­ver­ständ­lich­keit auf­scheint. Damit stellt der Band neben dem Erkunden der Sprache – und ent­spre­chend inspi­rie­rend ist er – auch ein Spiel des Sehens und der Blick­winkel dar.

 

(…)

Nic nie będzie tak samo jak było,

i to też będzie jakoś nowe, bo przecież

przedtem bywało pod­obnie: poranek,

reszta dnia, wieczór i noc, a teraz już nie.

 

Nichts wird so sein, wie es war,

und auch das wird irgendwie neu sein, denn schließlich

war es vorher ähn­lich: Morgen,

Rest des Tages, Abend, Nacht, und jetzt nicht mehr.

 

(aus dem Gedicht „Ciąg dalszy“, „Fort­set­zung“ aus dem Band Hir­ten­lied, 1999)

 

Lite­ratur:

Sommer, Piotr: Im Dun­keln auch. Gedichte. Aus dem Pol­ni­schen von Renate Schmid­gall, Berlin 2010.