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Der Partisan als Pikaro

Posted on 22. Oktober 2014 by Henrike Schmidt
Alek Popov schreibt einen schelmischen Roman über den bulgarischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg: "Die Schwestern Palaveevi im Wirbelsturm der Geschichte" ("Sestri Palaveevi v burjata na istorijata"). Die deutsche Übersetzung ist unter dem märchenhaften Titel "Schneeweißchen und Partisanenrot" beim Residenz Verlag erschienen.

Alek Popov schreibt einen schelmischen Roman über den bulgarischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg

 

popov_cover_dtAls „ersten Partisanenroman nach dem Ende des Kommunismus“ bewirbt der Klappentext das aktuelle Buch des bulgarischen Schriftstellers Alek Popov, das eine parodistische Lesart des historischen Narrativs vom heroischen Widerstand gegen den Faschismus offeriert. Der Roman ist 2013 unter dem bulgarischen Titel Die Schwestern Palaveevi im Wirbelsturm der Geschichte (Sestri Palaveevi v burjata na istorijata) im Hauptstadt-Verlag Siela erschienen und wurde mit dem renommierten Literaturpreis Helikon ausgezeichnet. Die deutsche Übersetzung des bulgarischen Bestsellers folgte in rekordverdächtiger Schnelle: Bereits im März 2014 veröffentlichte der österreichische Residenz Verlag das Werk unter dem märchenhaften Titel Schneeweisschen und Partisanenrot in der Übertragung durch Alexander Sitzmann. Im selben Verlag waren bereits Popovs frühere Erfolgsgeschichten Mission: London (Misija London) und Die Hunde fliegen tief (bulgarischer Titel: Černata kutija / Die schwarze Schachtel) erschienen, in denen der populäre Literat die Wirren der Nach-Wendezeit sowie die Mühen des Lebens in der Emigration auf die Schippe nimmt.

 

Nun also die Partisanen, und mit ihnen der Blick zurück in die bis heute wirkmächtige Geschichte des Zweiten Weltkriegs. popov_cover_bgDer Roman eröffnet jedoch, in einer klassischen Rahmenhandlung, zunächst mit einer zeitgenössischen Szene: Der namenlose Erzähler stolpert in der bulgarischen Hauptstadt Sofia zufällig in eine kleine schäbige Gasse im Niemandsland zwischen Zentrum und Peripherie, die nach einer gewissen Jara Palaveeva benannt ist. Das Sträßchen hat alle politisch motivierten Umbenennungsaktionen der Wendezeit unbeschadet überstanden, seine Namenspatronin jedoch ist den meisten Bewohnern wie dem Erzähler unbekannt. Neugierig geworden begibt dieser sich auf die Suche nach ihrer Geschichte in die städtischen Archive. Aus dem Staub der Akten tritt ihm zunächst Kara Palaveeva entgegen, die Schwester der im Widerstand gefallenen Jara und ihres Zeichens ranghohes Mitglied des Bulgarischen Geheimdienstes. Ihr jahrelanges Ringen um ein ehrendes Angedenken an die im heroischen Kampf gestorbene Schwester ist, nach Aktenlage, durch zahlreiche Hinterhalte und Überraschungsangriffe seitens der kommunistischen Bürokratie gekennzeichnet. Und der Sieg schließlich nur ein scheinbarer, umfasst der städtische Wurmfortsatz der Jara-Palaveeva-Gasse am Ende doch gerade einmal sieben Häuser.

 

Der erzählerische Auftakt ironisiert die machtpolitische Instrumentalisierung des Andenkens an den Widerstand, das im sozialistischen Bulgarien auch realiter bisweilen absurde Züge annahm. So verringerte sich die Zahl der „Aktiven Kämpfer gegen Faschismus und Kapitalismus“, wie der offizielle Terminus lautet, im Lauf der Jahre kurioserweise nicht, sondern wuchs kontinuierlich an. Privilegien wie höhere Gehälter oder bessere Studienmöglichkeiten wurden innerhalb der Familien in Erbfolge weitergegeben, zunächst nur an die Kinder der Partisanen, später sogar an die Enkelgeneration.

 

Aus dieser bereits relativierenden Perspektive setzt nun die eigentliche Geschichte der widerständigen Zwillingsschwestern Jara und Kara Palaveevi ein. Man schreibt das Jahr 1943. Bulgarien dient dem Dritten Reich als Bündnispartner im Zweiten Weltkrieg und als wichtiger Rückhalt für die militärischen Operationen im Südosten Europas und in Russland. Die Rote Armee steht an der Ostfront vor einer entscheidenden Offensive und ihre baldige „Befreiung“ Bulgariens wird von der Bevölkerung, je nach ideologischer Einstellung, befürchtet oder erhofft. In den unzugänglichen Bergregionen bereiten sich, wie überall im Balkan, kommunistische Parteigänger und Sympathisanten auf den russischen Einmarsch und die erhoffte anschließende Machtübernahme vor. So auch die Zwillingsschwestern Palaveevi, gleichwohl sie über einen „bourgeoisen“ familiären Hintergrund verfügen und mit ihren gerade einmal 15 Jahren noch das Erste Sofioter Mädchengymnasium besuchen. In einem Akt des pubertären Ikonoklasmus verunzieren sie das Bild des bulgarischen Zaren Boris III. im Treppenhaus ihrer Schule mit roter Farbe und meinen nun, vor drohender Verfolgung und Folter in die Berge fliehen zu müssen, wo sie sich der Partisaneneinheit des berühmten KomBrig Medved (KomBrig Bär) anschließen.

 

Einmal bei den Partisanen angekommen, mit Seidenunterwäsche, Karamell-Bonbons und Parfüm-Flakons bewaffnet, bringt ihre erotische Ausstrahlung die kämpferische Disziplin ins Wanken. Zwar erkämpfen sich die schönen Schwestern, als Akrobatinnen in rhythmischer Kunstgymnastik geschult, in einigen brenzligen Situationen den Respekt der Kameraden. Ein Rest an Misstrauen gegenüber ihrer bürgerlichen Herkunft bleibt jedoch bestehen. Und als die Einheit aufgrund eines offensichtlichen Verrats in Bedrängnis gerät und viele tapfere Kämpfer verliert, fällt der Verdacht auf die beiden unzuverlässigen Kantonistinnen – „Klassendeterminismus“ eben, wie es der Partisan mit dem charakteristischen Kampfnamen Lenin knapp formuliert.

 

Angeführt wird die bunte Truppe der Widerständler vom erwähnten KomBrig Medved, der mehrere Jahre in der Sowjetunion verbrachte und mithin als unhinterfragbare Autorität gilt, sowohl für die militärische Taktik als auch für das Alltagsleben in der utopischen Wunderwelt der Sowjetunion, wo sogar das Speiseeis hochmodern durch unterirdische Rohrleitungen gepumpt werde. Der Kommandeur selbst hat weniger rosige Erinnerungen an seine Zeit in der UdSSR, wohin er nach der Niederschlagung des kommunistischen Septemberaufstands 1923 geflüchtet war. Im Zuge der stalinistischen Repressionen wird er wegen angeblich antisowjetischer Propaganda zu mehreren Jahren Lagerhaft verurteilt und verrichtet Zwangsarbeit am Weißmeer-Kanal. 1941 wird er wieder freigelassen und in einer phantastisch anmutenden Geheimoperation mit einem U-Boot an die Schwarzmeerküste vor Bulgarien zurückgebracht, um vor Ort den Widerstand gegen das faschistische Regime zu verstärken.

 

Nach seinen Erfahrungen in der Sowjetunion gehört Medved zu den wenigen Widerständlern, die der Befreiung Bulgariens durch die siegreiche Sowjetarmee mit gemischten Gefühlen entgegen sehen. Eine gefährliche Skepsis, die er um jeden Preis vor seinen Mitstreitern verbergen muss. Die Rhetorik der Sowjetideologie setzt Medved mithin radikal pragmatisch ein, etwa wenn er den Genossen Botev exzessive Selbstkritik üben lässt. Dessen stundenlange Selbstanklagen zermürben effektiv jeglichen pluralistischen Diskussionswillen in der Gruppe und so bleibt die Entscheidungshoheit des Kommandeurs auch in Krisensituationen unangefochten. Die Auslegung des dialektischen Materialismus delegiert der Kommandeur hingegen an die asketische Extra-Nina, die als Polit-Offizierin den hinterwäldlerischen Kämpfern die „kleinbürgerlichen Zweifel wie faule Zähne zieht“.

 

Die Einheit der Widerstandskämpfer stellt mithin eine obskure Truppe von Kombattanten dar, die in ihren zweifelhaften Motivationen und Talenten die inneren Widersprüche des Partisanenkampfs zum Ausdruck bringen und so gar nicht in das offizielle Narrativ von der Geschlossenheit des antifaschistischen Widerstands passen wollen. Der Jungkommunist mit dem unfreiwillig komischen Kampfnamen „Totengräber des Kapitalismus“, der Vertreter der Bauernbündler mit Spitznamen „Wurzel“, das zu religiösem Aberglauben neigende Parteimitglied Onkel Metodi – die „Brigade“ ist ein Kuriositäten-Kabinett und keine homogene ideologische, geschweige denn eine schlagkräftige militärische Einheit. Schon bald geht es in den Wäldern des Balkangebirges nicht mehr um konkrete Akte militärischer Sabotage, sondern um das pure Überleben.

 

Dem düsteren Medved steht auf der Seite der zaristischen Truppen der berüchtigte Offizier Nacht mit seinem smarten Begleiter Fähnrich Zanev gegenüber. Sie versuchen in militärischen Operationen mit hochtrabenden Code-Namen wie „Schnee-Eule“ oder „Unternehmen Fischreiher“ den Partisanen auf die Schliche zu kommen – mittels der Duftspuren, welche die schönen Schwestern mit ihrem großbürgerlichen Odeur im Wald hinterlassen haben. Die mit bewusst diabolischen Zügen ausgestatten Verfolger sind den erotischen Reizen der Zwillinge mit ihren Kampfnamen Monika und Gabriella jedoch nicht weniger hilflos ausgeliefert als die im Wald frierenden Partisanen. Und der offizielle Kampf gegen den Widerstand in den Wäldern mutiert zur individuellen erotischen Obsession des Hauptmanns Nacht.

 

Die zu epischer Länge neigenden Kampfnamen der Partisanen verdankten sich, so der Erzähler, im Übrigen der großen Popularität Karl Mays und seines Helden Winnetou in den Dörfern der balkanischen Provinz. Die Vermischung von Gattungsmerkmalen der westlichen Populärkultur mit narrativen Versatzstücken der sowjetischen Geschichtsmythen fungiert als wesentlicher Träger der parodistischen Effekte im Roman. So verfügt KomBrig Bär über eine Reihe von technischen Wunderwaffen, ausgetüftelt von den sowjetischen Geheimdiensten, die an die berühmten Geheimdienst-Gadgets des britischen Agenten 007 James Bond erinnern, etwa ein schießender Kugelschreiber oder besondere Kraft spendende Brühwürfel. Hinsichtlich seiner erzählerischen Ästhetik verweist der Autor selbst auf prägende Anleihen beim Kino (Kovačev 2013). Eine Verfilmung des Partisanen-Pop-Epos ist konsequenterweise bereits in Planung (Vagalinska). Der Literaturwissenschaftler Boris Minkov hingegen konstatiert den starken Einfluss des Comics mit seinen verschiedenen Zeitebenen, der als erzählerische Gattung auch innerfiktional stark gemacht wird (z.n. Veličkova 2014). So gestaltet Jara Palaveeva à la Gabriella die Wandzeitung der Partisanen als Comic, mit Stachanov als Superman und Trotzki als aufgeblasenem grünen Zwerg.

 

Strukturiert ist der Roman nach dem klassischen Chronotopos des Abenteuerromans, Prüfungen und Versuchungen militärischer, ideologischer, erotischer und kulinarischer Art reihen sich lückenlos aneinander. Das liebende Paar des klassischen Abenteuerromans im Bachtinschen Sinne wird jedoch durch die unzertrennlichen Zwillinge ersetzt, mit einer durchaus präsenten homoerotischen Komponente. Die Zwillinge verstärken nicht nur den Frauenanteil des Kollektivs, sie propagieren die Emanzipation der Frau und entlarven das bürgerliche Masturbationsverbot als sexuelle Unterjochung der Arbeiterklasse. Ergänzt wird der Abenteuer-Plot um einige märchenhaft-phantastische Elemente, die den mythologischen Kontext des Balkans, seiner Wälder und Schluchten, aufgreifen und die den Partisanen-Mythos so auch in eine historische Kontinuität mit den bulgarischen Freiheitskämpfen gegen die Osmanische Oberhoheit im 19. Jahrhundert stellen.

 

Der Roman schließt mit einem weiteren Zeitsprung: nun in die Nachkriegsepoche. Die Schwestern finden sich nach Jahren der Trennung, während derer sie sich wechselseitig für tot hielten, auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges wieder. Hier wird auch der von Popov angekündigte zweite Teil des Romans ansetzen, in dem er sich gattungsmäßig nach dem Abenteuerroman nun dem Spionagethriller zuwenden will (Vagalinska).

 

Die Schwestern Palaveevi fand in der lesenden Öffentlichkeit Bulgariens einen regen Widerhall. Angriffe auf den Partisanen-Mythos, der im Živkov-Bulgarien gezielt zur Legitimierung der politischen Elite eingesetzt wurde, lassen noch heute die Gemüter hochschlagen. So wurde im Jahr 2013, dem Erscheinungsjahr des Romans, das Denkmal für die „Aktiven Kämpfer gegen Faschismus und Kapitalismus“ im Zentrum der Hauptstadt im Zuge der Proteste gegen die sozialistische Regierung in rosa Farbe getaucht. Vergleichbar dem politischen Vandalismus der Partisanen-Zwillinge in Popovs Roman wird historische Kritik auch heute noch mit dem Farbeimer betrieben.

 

Erst zwanzig Jahre nach der Wende sei es möglich gewesen, eine kritisch-satirische Annäherung an den sozialistischen Partisanenmythos in seiner bulgarischer Ausprägung vorzunehmen, konstatiert der Autor selbst bei der Vorstellung seines Romans (Vesti.bg). Und gesteht, die klassischen sozialistischen Partisanen-Erzählungen, etwa Marko Marčevskis Erzählung über den Kind-Helden Mitko Palauzov, in seinen Jugendjahren als reine Abenteuerliteratur verschlungen zu haben. Popovs Roman sei eben ein typisches Pastiche, das die etablierten Partisanennarrative – den heroischen Widerstand, seine ideologische und klassenkämpferische Geschlossenheit – weniger dekonstruiere, als sie vielmehr in der Schwebe halte, so der Literaturwissenschaftler Michail Nedelčev (z.n. Veličkova 2014). Genau dies erkläre auch seine kontroverse Rezeption in der bulgarischen Gesellschaft, die sich nicht entscheiden könne, ob es sich nun um eine satirische Abrechnung oder ein verstecktes Lob des Partisanentums – oder beides – handele. Die Parodie ist bei Popov in der Tat nie nur entlarvend, sondern sie wirkt nachgerade zärtlich in der – gelegentlich auch direkt körperlichen – Entblößung der Schwächen ihrer komischen Helden. Diese Ambivalenz manifestiert sich sinnbildlich in der Spiegelfigur der Zwillinge: Als untrennbare und ununterscheidbare Zweiheit verkörpern sie die Synthese widersprüchlicher Eigenschaften und Einstellungen, zwischen opportunistischem Kadergeist und dissidentischem Widerstand, die sich jedoch dialektisch eben gerade nicht entschärfen lassen.

 

Unterhalb der unterhaltsamen Plot-Linie mit ihren Action-Elementen thematisiert der Roman sozusagen subkutan grundsätzliche Fragen der Macht- und Ideologiekritik (feministische Emanzipation im militärischen Widerstand, sexuelle Kriegsgewalt und Totalitarismus), aber auch der Gattungsästhetik mit seinem Mix aus cineastischen und Comic-Motiven und Erzählverfahren. Popov schreibt damit nicht nur einen unterhaltsamen Geschichtsroman (und verpasst dem nicht-bulgarischen Leser einen Crash-Kurs in balkanischer Weltkriegshistorie, die in ihrer Absurdität die Fiktion bisweilen zu übertreffen scheint). Sondern er schreibt sich ein in das von der Forschung seit einiger Zeit konstatierte „Partisanenrevival“ (Jakiša 2011). So positioniert etwa der Belorusse Artur Klinaŭ (2014) den Partisanen als die zentrale mythische Figur des beständig von Ost wie West eroberten und kolonialisierten Weißrussland. Auch aktuell stelle das künstlerische Partisanentum den einzigen Modus im Umgang mit dem neototalitären Lukashenka-Regime dar. Der slowenische Dokumentarfilmer Andraz Pöschl greift in seinem Film Das Lied des Widerstands (Pesem upora) wiederum auf das zeitgenössische Widerstandspotenzial des Partisanentums zurück, mithilfe dessen hier Gegenwehr gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem motiviert wird (Colombi 2014, 201). Bei Popov hingegen ist der Partisan keine Blaupause für einen die Epochen übergreifenden Widerstand von unten, der für den Kampf gegen die zeitgenössischen kapitalistischen Strategien der Ausbeutung fruchtbar gemacht werden könnte. Er erscheint vielmehr als Pikaro, als wenig heldenhafte Figur, gekennzeichnet durch „pathosloses Heldentum“ beziehungsweise „ins Lächerliche übersteigertes Pathos“ (Will 1967, 23 f.). Sein ideeller Werdegang ist derjenige der Desillusionierung und taugt dementsprechend nicht zur ideologischen Mobilisierung.

 

Eine Pikaro-Variante des bulgarischen heroischen Widerstands, in diesem Fall gegen die osmanische Oberhoheit, hatte im Jahr 2011 bereits Milen Ruskov mit seinem Roman Văzvišenie (im Bulgarischen „Erhebung“ oder „Erhöhung“ im geographischen wie spirituellen Sinne) höchst erfolgreich vorgelegt und war dafür gleichfalls mit zahlreichen literarischen Preisen ausgezeichnet worden. Anders als Popov bedient Ruskov sich dabei jedoch des Stilregisters einer konsequent archaisierenden Sprache, was den Roman schwer übersetz- und interkulturell rezipierbar macht. Popovs popkulturelles Partisanen-Pastiche ist ebenfalls Teil und Ergebnis der innerbulgarischen Geschichtsverarbeitung. Der Roman stellt aber, nicht zuletzt dank der luftigen Übersetzung von Alexander Sitzmann, gleichzeitig eine vergnügliche, global und intermedial anschlussfähige Abenteuergeschichte dar, durchaus im Trend der politischen Schelmenromane des schwedischen Erfolgsautors Jonas Jonasson und seines Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand.

 

Popov, Alek: Schneeweisschen und Partisanenrot. Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann. St. Pölten – Salzburg – Wien 2014.
Popov, Alek: Sestri Palaveevi v burjata na istorijata (Die Schwestern Palaveevi im Wirbelsturm der Geschichte). Sofia 2013.

 

Weitere Werke von Alek Popov (Auswahl):

Popov, Alek: Mission: London. Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann. St. Pölten – Salzburg – Wien 2006.
Popov, Alek: Misija London (Mission London). Sofia 2001.

Popov, Alek: Die Hunde fliegen tief. Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann. St. Pölten – Salzburg – Wien 2008.
Popov, Alek: Černata kutija (Die Schwarze Schachtel). Sofia 2007.

 

Weiterführende Literatur und Links:

Colombi, Matteo: „Andere Geschichten. Das Nachleben der Partisanen in der slowenischen Kunst und Literatur“. In: Gölz, Christine; Kliems, Alfrun (Hrsg.): Spielplätze der Verweigerung. Gegenkulturen im östlichen Europa nach 1956. Wien – Köln – Weimar 2014, S. 174-201.

Jakiša, Miranda: „Der 'tellurische Charakter' des Partisanengenres: Jugoslavische Topo-Graphie in Film und Literatur“. In: Kilchmann, Esther; Pflitsch, Andreas; Thun-Hohenstein, Franziska: Topographien pluraler Kulturen. Europa vom Osten gesehen. Berlin 2011, S. 207-223.

Klinaŭ, Artur: PARTISANEN. Kultur_Macht_Belarus. Hg. von Taciana Arcimovič, Steffen Beilich, Thomas Weiler und Tina Wünschmann. Berlin 2014.

Kovačev, Penčo: „Alek Popov: Sestri Palaveevi palavejat v partisanskite burni vremena“ (Alek Popov: Die Schwestern Palaveevi wirbeln durch die wilden Partisanen-Zeiten). 24 časa, 07.09.2013.

Ruskov, Milen: Văzvišenie (Erhöhung). Plovdiv 2011.

Vagalinska, Irina: „Pisateljat Alek Popov: Partizanština ima văv vsjaka demokracija“ (Der Schriftsteller Alek Popov: Partisanentum gibt es in jeder Demokratie). Tema (ohne Datum).

Veličkova, Bistra: „Nagradi, konflikti, postmodernizăm. Okolo literaturnata 2013 g. v Bălgarija“ (Literaturpreise, Konflikte, Postmodernismus. Zum literarischen Jahr 2013 in Bulgarien). Kultura, Broj 24 (2773), 27 ijuni 2014.

Vesti.bg: „Novijat skandalen roman na Alek Popov“ (Der neue Skandal-Roman von Alek Popov). 12.04.2013.

Will, Wilfried van der: Pikaro heute - Metamorphosen des Schelms bei Thomas Mann, Döblin, Brecht und Grass. Stuttgart 1967.

Der Partisan als Pikaro - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Der Par­tisan als Pikaro

Alek Popov schreibt einen schel­mi­schen Roman über den bul­ga­ri­schen Wider­stand im Zweiten Weltkrieg

 

popov_cover_dtAls „ersten Par­ti­sa­nen­roman nach dem Ende des Kom­mu­nismus“ bewirbt der Klap­pen­text das aktu­elle Buch des bul­ga­ri­schen Schrift­stel­lers Alek Popov, das eine par­odis­ti­sche Lesart des his­to­ri­schen Nar­ra­tivs vom heroi­schen Wider­stand gegen den Faschismus offe­riert. Der Roman ist 2013 unter dem bul­ga­ri­schen Titel Die Schwes­tern Pala­veevi im Wir­bel­sturm der Geschichte (Sestri Pala­veevi v bur­jata na isto­ri­jata) im Haupt­stadt-Verlag Siela erschienen und wurde mit dem renom­mierten Lite­ra­tur­preis Helikon aus­ge­zeichnet. Die deut­sche Über­set­zung des bul­ga­ri­schen Best­sel­lers folgte in rekord­ver­däch­tiger Schnelle: Bereits im März 2014 ver­öf­fent­lichte der öster­rei­chi­sche Resi­denz Verlag das Werk unter dem mär­chen­haften Titel Schnee­weiss­chen und Par­ti­sa­nenrot in der Über­tra­gung durch Alex­ander Sitz­mann. Im selben Verlag waren bereits Popovs frü­here Erfolgs­ge­schichten Mis­sion: London (Misija London) und Die Hunde fliegen tief (bul­ga­ri­scher Titel: Čer­nata kutija / Die schwarze Schachtel) erschienen, in denen der popu­läre Literat die Wirren der Nach-Wen­de­zeit sowie die Mühen des Lebens in der Emi­gra­tion auf die Schippe nimmt.

 

Nun also die Par­ti­sanen, und mit ihnen der Blick zurück in die bis heute wirk­mäch­tige Geschichte des Zweiten Welt­kriegs. popov_cover_bgDer Roman eröffnet jedoch, in einer klas­si­schen Rah­men­hand­lung, zunächst mit einer zeit­ge­nös­si­schen Szene: Der namen­lose Erzähler stol­pert in der bul­ga­ri­schen Haupt­stadt Sofia zufällig in eine kleine schä­bige Gasse im Nie­mands­land zwi­schen Zen­trum und Peri­pherie, die nach einer gewissen Jara Pala­veeva benannt ist. Das Sträß­chen hat alle poli­tisch moti­vierten Umbe­nen­nungs­ak­tionen der Wen­de­zeit unbe­schadet über­standen, seine Namens­pa­tronin jedoch ist den meisten Bewoh­nern wie dem Erzähler unbe­kannt. Neu­gierig geworden begibt dieser sich auf die Suche nach ihrer Geschichte in die städ­ti­schen Archive. Aus dem Staub der Akten tritt ihm zunächst Kara Pala­veeva ent­gegen, die Schwester der im Wider­stand gefal­lenen Jara und ihres Zei­chens rang­hohes Mit­glied des Bul­ga­ri­schen Geheim­dienstes. Ihr jah­re­langes Ringen um ein ehrendes Ange­denken an die im heroi­schen Kampf gestor­bene Schwester ist, nach Akten­lage, durch zahl­reiche Hin­ter­halte und Über­ra­schungs­an­griffe sei­tens der kom­mu­nis­ti­schen Büro­kratie gekenn­zeichnet. Und der Sieg schließ­lich nur ein schein­barer, umfasst der städ­ti­sche Wurm­fort­satz der Jara-Pala­veeva-Gasse am Ende doch gerade einmal sieben Häuser.

 

Der erzäh­le­ri­sche Auf­takt iro­ni­siert die macht­po­li­ti­sche Instru­men­ta­li­sie­rung des Andenkens an den Wider­stand, das im sozia­lis­ti­schen Bul­ga­rien auch rea­liter bis­weilen absurde Züge annahm. So ver­rin­gerte sich die Zahl der „Aktiven Kämpfer gegen Faschismus und Kapi­ta­lismus“, wie der offi­zi­elle Ter­minus lautet, im Lauf der Jahre kurio­ser­weise nicht, son­dern wuchs kon­ti­nu­ier­lich an. Pri­vi­le­gien wie höhere Gehälter oder bes­sere Stu­di­en­mög­lich­keiten wurden inner­halb der Fami­lien in Erb­folge wei­ter­ge­geben, zunächst nur an die Kinder der Par­ti­sanen, später sogar an die Enkelgeneration.

 

Aus dieser bereits rela­ti­vie­renden Per­spek­tive setzt nun die eigent­liche Geschichte der wider­stän­digen Zwil­lings­schwes­tern Jara und Kara Pala­veevi ein. Man schreibt das Jahr 1943. Bul­ga­rien dient dem Dritten Reich als Bünd­nis­partner im Zweiten Welt­krieg und als wich­tiger Rück­halt für die mili­tä­ri­schen Ope­ra­tionen im Süd­osten Europas und in Russ­land. Die Rote Armee steht an der Ost­front vor einer ent­schei­denden Offen­sive und ihre bal­dige „Befreiung“ Bul­ga­riens wird von der Bevöl­ke­rung, je nach ideo­lo­gi­scher Ein­stel­lung, befürchtet oder erhofft. In den unzu­gäng­li­chen Berg­re­gionen bereiten sich, wie überall im Balkan, kom­mu­nis­ti­sche Par­tei­gänger und Sym­pa­thi­santen auf den rus­si­schen Ein­marsch und die erhoffte anschlie­ßende Macht­über­nahme vor. So auch die Zwil­lings­schwes­tern Pala­veevi, gleich­wohl sie über einen „bour­geoisen“ fami­liären Hin­ter­grund ver­fügen und mit ihren gerade einmal 15 Jahren noch das Erste Sofioter Mäd­chen­gym­na­sium besu­chen. In einem Akt des puber­tären Iko­no­klasmus ver­un­zieren sie das Bild des bul­ga­ri­schen Zaren Boris III. im Trep­pen­haus ihrer Schule mit roter Farbe und meinen nun, vor dro­hender Ver­fol­gung und Folter in die Berge fliehen zu müssen, wo sie sich der Par­ti­sa­nen­ein­heit des berühmten Kom­Brig Medved (Kom­Brig Bär) anschließen.

 

Einmal bei den Par­ti­sanen ange­kommen, mit Sei­den­un­ter­wä­sche, Kara­mell-Bon­bons und Parfüm-Fla­kons bewaffnet, bringt ihre ero­ti­sche Aus­strah­lung die kämp­fe­ri­sche Dis­zi­plin ins Wanken. Zwar erkämpfen sich die schönen Schwes­tern, als Akro­ba­tinnen in rhyth­mi­scher Kunst­gym­nastik geschult, in einigen brenz­ligen Situa­tionen den Respekt der Kame­raden. Ein Rest an Miss­trauen gegen­über ihrer bür­ger­li­chen Her­kunft bleibt jedoch bestehen. Und als die Ein­heit auf­grund eines offen­sicht­li­chen Ver­rats in Bedrängnis gerät und viele tap­fere Kämpfer ver­liert, fällt der Ver­dacht auf die beiden unzu­ver­läs­sigen Kan­to­nis­tinnen – „Klas­sen­de­ter­mi­nismus“ eben, wie es der Par­tisan mit dem cha­rak­te­ris­ti­schen Kampf­namen Lenin knapp formuliert.

 

Ange­führt wird die bunte Truppe der Wider­ständler vom erwähnten Kom­Brig Medved, der meh­rere Jahre in der Sowjet­union ver­brachte und mithin als unhin­ter­frag­bare Auto­rität gilt, sowohl für die mili­tä­ri­sche Taktik als auch für das All­tags­leben in der uto­pi­schen Wun­der­welt der Sowjet­union, wo sogar das Spei­seeis hoch­mo­dern durch unter­ir­di­sche Rohr­lei­tungen gepumpt werde. Der Kom­man­deur selbst hat weniger rosige Erin­ne­rungen an seine Zeit in der UdSSR, wohin er nach der Nie­der­schla­gung des kom­mu­nis­ti­schen Sep­tem­ber­auf­stands 1923 geflüchtet war. Im Zuge der sta­li­nis­ti­schen Repres­sionen wird er wegen angeb­lich anti­so­wje­ti­scher Pro­pa­ganda zu meh­reren Jahren Lager­haft ver­ur­teilt und ver­richtet Zwangs­ar­beit am Weiß­meer-Kanal. 1941 wird er wieder frei­ge­lassen und in einer phan­tas­tisch anmu­tenden Geheim­ope­ra­tion mit einem U‑Boot an die Schwarz­meer­küste vor Bul­ga­rien zurück­ge­bracht, um vor Ort den Wider­stand gegen das faschis­ti­sche Regime zu verstärken.

 

Nach seinen Erfah­rungen in der Sowjet­union gehört Medved zu den wenigen Wider­ständ­lern, die der Befreiung Bul­ga­riens durch die sieg­reiche Sowjet­armee mit gemischten Gefühlen ent­gegen sehen. Eine gefähr­liche Skepsis, die er um jeden Preis vor seinen Mit­strei­tern ver­bergen muss. Die Rhe­torik der Sowjet­ideo­logie setzt Medved mithin radikal prag­ma­tisch ein, etwa wenn er den Genossen Botev exzes­sive Selbst­kritik üben lässt. Dessen stun­den­lange Selbst­an­klagen zer­mürben effektiv jeg­li­chen plu­ra­lis­ti­schen Dis­kus­si­ons­willen in der Gruppe und so bleibt die Ent­schei­dungs­ho­heit des Kom­man­deurs auch in Kri­sen­si­tua­tionen unan­ge­fochten. Die Aus­le­gung des dia­lek­ti­schen Mate­ria­lismus dele­giert der Kom­man­deur hin­gegen an die aske­ti­sche Extra-Nina, die als Polit-Offi­zierin den hin­ter­wäld­le­ri­schen Kämp­fern die „klein­bür­ger­li­chen Zweifel wie faule Zähne zieht“.

 

Die Ein­heit der Wider­stands­kämpfer stellt mithin eine obskure Truppe von Kom­bat­tanten dar, die in ihren zwei­fel­haften Moti­va­tionen und Talenten die inneren Wider­sprüche des Par­ti­sa­nen­kampfs zum Aus­druck bringen und so gar nicht in das offi­zi­elle Nar­rativ von der Geschlos­sen­heit des anti­fa­schis­ti­schen Wider­stands passen wollen. Der Jung­kom­mu­nist mit dem unfrei­willig komi­schen Kampf­namen „Toten­gräber des Kapi­ta­lismus“, der Ver­treter der Bau­ern­bündler mit Spitz­namen „Wurzel“, das zu reli­giösem Aber­glauben nei­gende Par­tei­mit­glied Onkel Metodi – die „Bri­gade“ ist ein Kurio­si­täten-Kabi­nett und keine homo­gene ideo­lo­gi­sche, geschweige denn eine schlag­kräf­tige mili­tä­ri­sche Ein­heit. Schon bald geht es in den Wäl­dern des Bal­kan­ge­birges nicht mehr um kon­krete Akte mili­tä­ri­scher Sabo­tage, son­dern um das pure Überleben.

 

Dem düs­teren Medved steht auf der Seite der zaris­ti­schen Truppen der berüch­tigte Offi­zier Nacht mit seinem smarten Begleiter Fähn­rich Zanev gegen­über. Sie ver­su­chen in mili­tä­ri­schen Ope­ra­tionen mit hoch­tra­benden Code-Namen wie „Schnee-Eule“ oder „Unter­nehmen Fisch­reiher“ den Par­ti­sanen auf die Schliche zu kommen – mit­tels der Duft­spuren, welche die schönen Schwes­tern mit ihrem groß­bür­ger­li­chen Odeur im Wald hin­ter­lassen haben. Die mit bewusst dia­bo­li­schen Zügen aus­ge­statten Ver­folger sind den ero­ti­schen Reizen der Zwil­linge mit ihren Kampf­namen Monika und Gabri­ella jedoch nicht weniger hilflos aus­ge­lie­fert als die im Wald frie­renden Par­ti­sanen. Und der offi­zi­elle Kampf gegen den Wider­stand in den Wäl­dern mutiert zur indi­vi­du­ellen ero­ti­schen Obses­sion des Haupt­manns Nacht.

 

Die zu epi­scher Länge nei­genden Kampf­namen der Par­ti­sanen ver­dankten sich, so der Erzähler, im Übrigen der großen Popu­la­rität Karl Mays und seines Helden Win­netou in den Dör­fern der bal­ka­ni­schen Pro­vinz. Die Ver­mi­schung von Gat­tungs­merk­malen der west­li­chen Popu­lär­kultur mit nar­ra­tiven Ver­satz­stü­cken der sowje­ti­schen Geschichts­my­then fun­giert als wesent­li­cher Träger der par­odis­ti­schen Effekte im Roman. So ver­fügt Kom­Brig Bär über eine Reihe von tech­ni­schen Wun­der­waffen, aus­ge­tüf­telt von den sowje­ti­schen Geheim­diensten, die an die berühmten Geheim­dienst-Gad­gets des bri­ti­schen Agenten 007 James Bond erin­nern, etwa ein schie­ßender Kugel­schreiber oder beson­dere Kraft spen­dende Brüh­würfel. Hin­sicht­lich seiner erzäh­le­ri­schen Ästhetik ver­weist der Autor selbst auf prä­gende Anleihen beim Kino (Kovačev 2013). Eine Ver­fil­mung des Par­ti­sanen-Pop-Epos ist kon­se­quen­ter­weise bereits in Pla­nung (Vaga­linska). Der Lite­ra­tur­wis­sen­schaftler Boris Minkov hin­gegen kon­sta­tiert den starken Ein­fluss des Comics mit seinen ver­schie­denen Zeit­ebenen, der als erzäh­le­ri­sche Gat­tung auch inner­fik­tional stark gemacht wird (z.n. Velič­kova 2014). So gestaltet Jara Pala­veeva à la Gabri­ella die Wand­zei­tung der Par­ti­sanen als Comic, mit Stach­anov als Superman und Trotzki als auf­ge­bla­senem grünen Zwerg.

 

Struk­tu­riert ist der Roman nach dem klas­si­schen Chro­no­topos des Aben­teu­er­ro­mans, Prü­fungen und Ver­su­chungen mili­tä­ri­scher, ideo­lo­gi­scher, ero­ti­scher und kuli­na­ri­scher Art reihen sich lückenlos anein­ander. Das lie­bende Paar des klas­si­schen Aben­teu­er­ro­mans im Bacht­in­schen Sinne wird jedoch durch die unzer­trenn­li­chen Zwil­linge ersetzt, mit einer durchaus prä­senten homo­ero­ti­schen Kom­po­nente. Die Zwil­linge ver­stärken nicht nur den Frau­en­an­teil des Kol­lek­tivs, sie pro­pa­gieren die Eman­zi­pa­tion der Frau und ent­larven das bür­ger­liche Mas­tur­ba­ti­ons­verbot als sexu­elle Unter­jo­chung der Arbei­ter­klasse. Ergänzt wird der Aben­teuer-Plot um einige mär­chen­haft-phan­tas­ti­sche Ele­mente, die den mytho­lo­gi­schen Kon­text des Bal­kans, seiner Wälder und Schluchten, auf­greifen und die den Par­ti­sanen-Mythos so auch in eine his­to­ri­sche Kon­ti­nuität mit den bul­ga­ri­schen Frei­heits­kämpfen gegen die Osma­ni­sche Ober­ho­heit im 19. Jahr­hun­dert stellen.

 

Der Roman schließt mit einem wei­teren Zeit­sprung: nun in die Nach­kriegs­epoche. Die Schwes­tern finden sich nach Jahren der Tren­nung, wäh­rend derer sie sich wech­sel­seitig für tot hielten, auf beiden Seiten des Eisernen Vor­hanges wieder. Hier wird auch der von Popov ange­kün­digte zweite Teil des Romans ansetzen, in dem er sich gat­tungs­mäßig nach dem Aben­teu­er­roman nun dem Spio­na­ge­thriller zuwenden will (Vaga­linska).

 

Die Schwes­tern Pala­veevi fand in der lesenden Öffent­lich­keit Bul­ga­riens einen regen Wider­hall. Angriffe auf den Par­ti­sanen-Mythos, der im Živkov-Bul­ga­rien gezielt zur Legi­ti­mie­rung der poli­ti­schen Elite ein­ge­setzt wurde, lassen noch heute die Gemüter hoch­schlagen. So wurde im Jahr 2013, dem Erschei­nungs­jahr des Romans, das Denkmal für die „Aktiven Kämpfer gegen Faschismus und Kapi­ta­lismus“ im Zen­trum der Haupt­stadt im Zuge der Pro­teste gegen die sozia­lis­ti­sche Regie­rung in rosa Farbe getaucht. Ver­gleichbar dem poli­ti­schen Van­da­lismus der Par­ti­sanen-Zwil­linge in Popovs Roman wird his­to­ri­sche Kritik auch heute noch mit dem Farb­eimer betrieben.

 

Erst zwanzig Jahre nach der Wende sei es mög­lich gewesen, eine kri­tisch-sati­ri­sche Annä­he­rung an den sozia­lis­ti­schen Par­ti­sa­nen­my­thos in seiner bul­ga­ri­scher Aus­prä­gung vor­zu­nehmen, kon­sta­tiert der Autor selbst bei der Vor­stel­lung seines Romans (Vesti.bg). Und gesteht, die klas­si­schen sozia­lis­ti­schen Par­ti­sanen-Erzäh­lungen, etwa Marko Marčevskis Erzäh­lung über den Kind-Helden Mitko Pal­auzov, in seinen Jugend­jahren als reine Aben­teu­er­li­te­ratur ver­schlungen zu haben. Popovs Roman sei eben ein typi­sches Pas­tiche, das die eta­blierten Par­ti­sa­nenn­ar­ra­tive – den heroi­schen Wider­stand, seine ideo­lo­gi­sche und klas­sen­kämp­fe­ri­sche Geschlos­sen­heit – weniger dekon­stru­iere, als sie viel­mehr in der Schwebe halte, so der Lite­ra­tur­wis­sen­schaftler Michail Nedelčev (z.n. Velič­kova 2014). Genau dies erkläre auch seine kon­tro­verse Rezep­tion in der bul­ga­ri­schen Gesell­schaft, die sich nicht ent­scheiden könne, ob es sich nun um eine sati­ri­sche Abrech­nung oder ein ver­stecktes Lob des Par­ti­sa­nen­tums – oder beides – han­dele. Die Par­odie ist bei Popov in der Tat nie nur ent­lar­vend, son­dern sie wirkt nach­ge­rade zärt­lich in der – gele­gent­lich auch direkt kör­per­li­chen – Ent­blö­ßung der Schwä­chen ihrer komi­schen Helden. Diese Ambi­va­lenz mani­fes­tiert sich sinn­bild­lich in der Spie­gel­figur der Zwil­linge: Als untrenn­bare und unun­ter­scheid­bare Zwei­heit ver­kör­pern sie die Syn­these wider­sprüch­li­cher Eigen­schaften und Ein­stel­lungen, zwi­schen oppor­tu­nis­ti­schem Kader­geist und dis­si­den­ti­schem Wider­stand, die sich jedoch dia­lek­tisch eben gerade nicht ent­schärfen lassen.

 

Unter­halb der unter­halt­samen Plot-Linie mit ihren Action-Ele­menten the­ma­ti­siert der Roman sozu­sagen sub­kutan grund­sätz­liche Fragen der Macht- und Ideo­lo­gie­kritik (femi­nis­ti­sche Eman­zi­pa­tion im mili­tä­ri­schen Wider­stand, sexu­elle Kriegs­ge­walt und Tota­li­ta­rismus), aber auch der Gat­tungs­äs­thetik mit seinem Mix aus cine­as­ti­schen und Comic-Motiven und Erzähl­ver­fahren. Popov schreibt damit nicht nur einen unter­halt­samen Geschichts­roman (und ver­passt dem nicht-bul­ga­ri­schen Leser einen Crash-Kurs in bal­ka­ni­scher Welt­kriegs­his­torie, die in ihrer Absur­dität die Fik­tion bis­weilen zu über­treffen scheint). Son­dern er schreibt sich ein in das von der For­schung seit einiger Zeit kon­sta­tierte „Par­ti­sa­nen­re­vival“ (Jakiša 2011). So posi­tio­niert etwa der Bel­o­russe Artur Klinaŭ (2014) den Par­ti­sanen als die zen­trale mythi­sche Figur des beständig von Ost wie West eroberten und kolo­nia­li­sierten Weiß­russ­land. Auch aktuell stelle das künst­le­ri­sche Par­ti­sa­nentum den ein­zigen Modus im Umgang mit dem neo­to­ta­li­tären Luka­shenka-Regime dar. Der slo­we­ni­sche Doku­men­tar­filmer Andraz Pöschl greift in seinem Film Das Lied des Wider­stands (Pesem upora) wie­derum auf das zeit­ge­nös­si­sche Wider­stands­po­ten­zial des Par­ti­sa­nen­tums zurück, mit­hilfe dessen hier Gegen­wehr gegen das kapi­ta­lis­ti­sche Wirt­schafts­system moti­viert wird (Colombi 2014, 201). Bei Popov hin­gegen ist der Par­tisan keine Blau­pause für einen die Epo­chen über­grei­fenden Wider­stand von unten, der für den Kampf gegen die zeit­ge­nös­si­schen kapi­ta­lis­ti­schen Stra­te­gien der Aus­beu­tung fruchtbar gemacht werden könnte. Er erscheint viel­mehr als Pikaro, als wenig hel­den­hafte Figur, gekenn­zeichnet durch „pathos­loses Hel­dentum“ bezie­hungs­weise „ins Lächer­liche über­stei­gertes Pathos“ (Will 1967, 23 f.). Sein ideeller Wer­de­gang ist der­je­nige der Des­il­lu­sio­nie­rung und taugt dem­entspre­chend nicht zur ideo­lo­gi­schen Mobilisierung.

 

Eine Pikaro-Vari­ante des bul­ga­ri­schen heroi­schen Wider­stands, in diesem Fall gegen die osma­ni­sche Ober­ho­heit, hatte im Jahr 2011 bereits Milen Ruskov mit seinem Roman Văz­višenie (im Bul­ga­ri­schen „Erhe­bung“ oder „Erhö­hung“ im geo­gra­phi­schen wie spi­ri­tu­ellen Sinne) höchst erfolg­reich vor­ge­legt und war dafür gleich­falls mit zahl­rei­chen lite­ra­ri­schen Preisen aus­ge­zeichnet worden. Anders als Popov bedient Ruskov sich dabei jedoch des Stil­re­gis­ters einer kon­se­quent archai­sie­renden Sprache, was den Roman schwer über­setz- und inter­kul­tu­rell rezi­pierbar macht. Popovs pop­kul­tu­relles Par­ti­sanen-Pas­tiche ist eben­falls Teil und Ergebnis der inner­bul­ga­ri­schen Geschichts­ver­ar­bei­tung. Der Roman stellt aber, nicht zuletzt dank der luf­tigen Über­set­zung von Alex­ander Sitz­mann, gleich­zeitig eine ver­gnüg­liche, global und inter­me­dial anschluss­fä­hige Aben­teu­er­ge­schichte dar, durchaus im Trend der poli­ti­schen Schel­men­ro­mane des schwe­di­schen Erfolgs­au­tors Jonas Jonasson und seines Hun­dert­jäh­rigen, der aus dem Fenster stieg und ver­schwand.

 

Popov, Alek: Schnee­weiss­chen und Par­ti­sa­nenrot. Aus dem Bul­ga­ri­schen von Alex­ander Sitz­mann. St. Pölten – Salz­burg – Wien 2014.
Popov, Alek: Sestri Pala­veevi v bur­jata na isto­ri­jata (Die Schwes­tern Pala­veevi im Wir­bel­sturm der Geschichte). Sofia 2013.

 

Wei­tere Werke von Alek Popov (Aus­wahl):

Popov, Alek: Mis­sion: London. Aus dem Bul­ga­ri­schen von Alex­ander Sitz­mann. St. Pölten – Salz­burg – Wien 2006.
Popov, Alek: Misija London (Mis­sion London). Sofia 2001.

Popov, Alek: Die Hunde fliegen tief. Aus dem Bul­ga­ri­schen von Alex­ander Sitz­mann. St. Pölten – Salz­burg – Wien 2008.
Popov, Alek: Čer­nata kutija (Die Schwarze Schachtel). Sofia 2007.

 

Wei­ter­füh­rende Lite­ratur und Links:

Colombi, Matteo: „Andere Geschichten. Das Nach­leben der Par­ti­sanen in der slo­we­ni­schen Kunst und Lite­ratur“. In: Gölz, Chris­tine; Kliems, Alfrun (Hrsg.): Spiel­plätze der Ver­wei­ge­rung. Gegen­kul­turen im öst­li­chen Europa nach 1956. Wien – Köln – Weimar 2014, S. 174–201.

Jakiša, Miranda: „Der ‘tel­luri­sche Cha­rakter’ des Par­ti­sa­nen­genres: Jugo­sla­vi­sche Topo-Gra­phie in Film und Lite­ratur“. In: Kilch­mann, Esther; Pflitsch, Andreas; Thun-Hohen­stein, Fran­ziska: Topo­gra­phien plu­raler Kul­turen. Europa vom Osten gesehen. Berlin 2011, S. 207–223.

Klinaŭ, Artur: PARTISANEN. Kultur_Macht_Belarus. Hg. von Taciana Arci­movič, Steffen Bei­lich, Thomas Weiler und Tina Wün­sch­mann. Berlin 2014.

Kovačev, Penčo: „Alek Popov: Sestri Pala­veevi pala­vejat v par­tis­ans­kite burni vre­mena“ (Alek Popov: Die Schwes­tern Pala­veevi wir­beln durch die wilden Par­ti­sanen-Zeiten). 24 časa, 07.09.2013.

Ruskov, Milen: Văz­višenie (Erhö­hung). Plovdiv 2011.

Vaga­linska, Irina: „Pisa­teljat Alek Popov: Par­tizanš­tina ima văv vsjaka demo­kra­cija“ (Der Schrift­steller Alek Popov: Par­ti­sa­nentum gibt es in jeder Demo­kratie). Tema (ohne Datum).

Velič­kova, Bistra: „Nagradi, kon­flikti, post­mo­der­nizăm. Okolo lite­ra­tur­nata 2013 g. v Băl­ga­rija“ (Lite­ra­tur­preise, Kon­flikte, Post­mo­der­nismus. Zum lite­ra­ri­schen Jahr 2013 in Bul­ga­rien). Kul­tura, Broj 24 (2773), 27 ijuni 2014.

Vesti.bg: „Novijat skan­dalen roman na Alek Popov“ (Der neue Skandal-Roman von Alek Popov). 12.04.2013.

Will, Wil­fried van der: Pikaro heute – Meta­mor­phosen des Schelms bei Thomas Mann, Döblin, Brecht und Grass. Stutt­gart 1967.