http://www.novinki.de

Mein Gott, Gottlinde!

Posted on 10. Januar 2007 by Veronika Steininger
In "Lubiewo" beschreibt Michał Witkowski eine Welt, in der Identität im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Spiel steht.

Kapriziös, verrucht und sexbesessen sind die Gestalten aus Michał Witkowskis Roman Lubiewo. In dem Buch des 1975 geborenen Autors geht es um Tunten im
Allgemeinen und um die Breslauer Szene im Besonderen. Es geht um jene Gruppe homosexueller Männer; die „die Zigarette ein bisschen anders halten", die „mit den Händen rumwedeln, quieken, 'Ach hör doch auf' - sagen und 'Mein Gott, Gottlinde'", die sich wie Frauen verhalten und die auf richtige Kerle stehen. "Hach ja" antwortet eine der Protagonistinnen (oder ist es doch ein Protagonist?) auf die Frage, was so einen Kerl denn ausmache: "Ein Kerl, das ist der Sinn unseres Lebens, ein Kerl, das ist ein Stier, ein besoffener Stier, männlicher Abschaum, ein Lump, ein Hengst, ein Proll, der hin und wieder durch den Park heimkehrt oder betrunken im Graben (...) liegt. Unsere betrunkenen Orpheuse. Eine Tunte will ja schließlich nicht mit einer anderen Tunte herumlesbisieren! Wir brauchen Hetero-Fleisch! Ein Kerl kann auch ein Schwuler sein, Hauptsache schlicht wie Eichenholz, ungebildet, denn mit Abitur ist das schon kein richtiger Mann mehr.(...) Er darf keine Miene verziehen, muss eine Fresse haben wie ein Oberschenkel"
Im ersten Teil des Buches interviewt der Ich-Erzähler, ein Journalist, zwei alternde Tunten in deren gemeinsamer Wohnung: Patrycja, beschrieben als dicker, verlebter Mann mit lebhaften, buschigen Augenbrauen und einer großen Glatze, und Lukrecja, ebenfalls dick, glattrasiert mit zynischem Gesichtsausdruck. Durch die Erzählungen beider über vergangene Liebesabenteuer und wilde Zeiten werden die Lesenden in die 70er und 80er Jahre entführt. In eine Welt hinein, deren Hauptschauplätze stinkende Männerklos, nächtliche Parks und die unmittelbare Umgebung von Kasernen darstellen. Eine Welt, in der sich an abgelegenen Orten und im Schatten der Gesellschaft, alles um Sex dreht. Um Sex mit zahlreichen, wechselnden Liebhabern, um Aufreißen und Abschleppen, um Körperlichkeit, Brutalität und Schmutz. Aber auch um Lust, Humor und Draufgängertum. Und seit einiger Zeit um AIDS.
Doch mittlerweile haben sich die Zeiten gewandelt und aus den beiden Damen, die „in den höheren Regionen der Gosse wie im Paradies" lebten, sind zwei „alte Knackerinnen" geworden, die ihrer eigenen Jugend und dem goldenen Kommunismus nachtrauern. Einer Zeit nämlich, in der man frei von finanziellen Zwängen seinem hedonistischen Lebenswandel nachgehen konnte, und die – im wahrsten Sinne des Wortes – jede Menge Nischen bereithielt. Heute dagegen sind die Parks verbaut oder beleuchtet und die modernen Dixiklos sind zu eng für sexuelle Ausschweifungen.

Der zweite Teil des Buches spielt vorwiegend an dem titelgebenden Ostseestrand Lubiewo, an dem sich die Tunten seit Jahrzehnten zur Sommerfrische treffen. Der Ich-Erzähler hat sich inzwischen als Mitglied der Szene entpuppt und verbringt seine Ferien an eben jenem Strand. Die dortige Handlung wird immer wieder unterbrochen durch unterschiedlichste Geschichten von und über Tunten. Mal sprechen sie selbst, mal werden sie vom Erzähler beschrieben.
Für die Schilderung dieser teils schillernden, teils schäbigen Halbwelt, bedient sich Witkowski mal einer zotig dahingerotzten, mal einer kapriziös geschraubten  Sprache. Intertextuelle Verweise auf die Dziady von Mickiewicz lassen sich ebenso finden wie derbste Umgangssprache. Der vulgäre, humorvolle Stil ist dem Klientel vom Mund abgeschaut, und tatsächlich arbeitet Witkowski mit dokumentarischen Verfahren, indem er seinen fiktiven Figuren die Geschichten und vor allem die Sprache realer Personen in den Mund legt.
Großspurigkeit und Übertreibung prägen den Tonfall der Protagonist(innen), sich selbst und ihre Welt beschreiben sie vulgär und intrigant.
Manchmal fühlt man sich an Szenen aus Pedro Almodovars Patty Diphusa und andere Wilde Geschichten erinnert, oder an die Autobiographie des Kubaners Reinaldo Arenas Before night falls. Das mag an dem spezifischen Verhältnis zur eigenen Rolle liegen, das das Wesen des 'Tuntenseins' bereits impliziert. Unkonventionalität einerseits und die zwingende Notwendigkeit von übertriebenen Weiblichkeitsklischees andererseits leisten dem Exaltierten, Schrillen und vielleicht dadurch Poetischen Vorschub.
Es geht um ein generelles Infragestellen von Identität und Rollenverständnis: Mal sprechen Witkowskis Figuren von sich selbst in der weiblichen, mal in der männlichen Form, mal werden sie mit Männer-, mal mit Frauennamen angesprochen. Was nun echt ist und was nicht, wird in dieser Welt völlig nebensächlich.
Dieses Spiel mit Mystifikation, Fiktion und möglicher Wirklichkeit unterstreicht der Autor durch die Figur seines Erzählers, Michaśka Literacka (manchmal auch Michał Witkowski genannt), der als Journalist und Schriftsteller auftritt und ein Buch über Tunten zu schreiben gedenkt. Aber die scheinbare Gleichsetzung von Autor und Subjekt wird immer wieder untergraben und so erfährt man gegen Ende aus dem Mund einer der Personen, dass Michaśka aufgrund der Skandalwirkung seines Buches die Heimat verlassen muss und sich auf der Flucht in die Schweiz befindet. Außerdem sei er von einer seltsamen Krankheit befallen und obendrein von Zigeunern geraubt worden.

Lubiewo ist nicht nur ein amüsantes, frisches Buch, das Einblicke in eine Welt gewährt, die den meisten der Lesenden nicht vertraut sein dürfte, sondern Witkowski schreibt auf interessante Weise über Subkultur und Parallelwelten.
Den hier beschriebenen Tunten geht es nicht im geringsten um gesellschaftliche Akzeptanz. Sie sind völlig apolitisch, in vielen Belangen höchst konservativ und ignorieren alles, was sich außerhalb ihrer Welt aus anderen Tunten, Liebhabern und Freiern befindet. Erfahrungen mit prügelnden Skinheads werden zwar beschrieben, aber trotz aller Brutalität bleibt jegliche Wertung über diese feindliche Gegenwelt aus. Die Tunten aus Witkowskis Buch setzten sich über die Gesellschaft und deren Normen einfach hinweg und leben ihr spezifisches Leben einerseits an den Gesellschaftsrändern, andererseits mittendrin. Und so scheint es merkwürdigerweise nicht widersprüchlich, dass das halbe Leben in Bahnhofstoiletten verbracht wird, in denen man anderen Männern gierig den Hintern hinstreckt, während man am Sonntag zur Kirche geht, wie alle anderen älteren Damen auch.

Es geht also nicht in erster Linie um eine aktuelle Debatte über Homosexualität, es geht auch nicht darum, den politisch engagierten Schwulen und Lesben eine Stimme zu geben und sie dabei zu unterstützen, ihre Rechte einzufordern. Ganz im Gegenteil: gerade diese Gruppe, die sich einsetzt für Homoehen, Adoptionen, und Akzeptanz wird im zweiten Teil von Lubiewo ziemlich zynisch karikiert.

Dennoch liegt durch die Abwendung von der Konvention und die Ignoranz von Normen in Lubiewo trotz der programmatischen Missachtung des Gleichberechtigungs-Diskurses eine sehr politische Aussage. Denn da können sich die Tunten noch so unemanzipiert und apolitisch verhalten und sich lustig machen über engagierte Schwule, die – ihrer Meinung nach – lächerliche Mittelklasse-Werte anstreben. Durch ihre bloße Existenz stellen die Tunten das gängige Wertesystem in Frage, stoßen die Gesellschaft vor den Kopf und werben so, unausgesprochen, für Pluralität, und ein Recht auf Andersartigkeit. Dieses Recht nehmen sie für sich in Anspruch, mal konservativ, mal unkonventionell, egal ob es die Gesellschaft gewährt oder nicht.

In Polen hat Lubiewo ziemlich Furore gemacht. Witkowski, dessen erster Erzählband Copyright bereits 2001 erschien, und der als Journalist für diverse Zeitungen sowie an einer Dissertation zu Queer und Gender-Themen schreibt, wurde nach dem Erscheinen von Lubiewo massiv ins Licht der Öffentlichkeit katapultiert. Dieses mediale Interesse ist nicht zuletzt dadurch zu erklären, dass das Thematisieren von Homosexualität in Polen in höchstem Maß politisch und religiös aufgeladen ist. Eine derartige Darstellung von Sexualität muss also zwangsläufig provozierenden Charakter haben. Dennoch kann man die Aufmerksamkeit nicht nur der 'skandalösen' Thematik zuschreiben. Immerhin war Witkowski unter anderem 2006 für den Nikepreis (die wichtigste Literaturauszeichnung Polens) nominiert und hat soeben den Literaturpreis von Gdynia gewonnen, was für die Beachtung des literarischen Wertes von Lubiewo in der Öffentlichkeit spricht.

Im Juli 2007 wird Lubiewo bei Suhrkamp erscheinen, in der hervorragenden Übersetzung von Marie Hauptmeier (daraus stammen die hier zitierten Textstellen), der es gelingt, den humorvollen, vulgären, szenetypischen Stil ins Deutsche zu übertragen. Auch wenn das Spiel mit Geschlechterrollen durch die Struktur der polnischen Grammatik besser funktioniert als im Deutschen, bleibt die Übersetzung sehr nahe am Original, vermittelt einen getreuen Eindruck und gibt dem deutschsprachigen Publikum jeden Grund zur Vorfreude.

 

Michał Witkowski. Lubiewo. Korporacja Ha!art. Kraków 2005.

Mein Gott, Gottlinde! - novinki
Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Mein Gott, Gottlinde!

Kapri­ziös, ver­rucht und sex­be­sessen sind die Gestalten aus Michał Wit­kow­skis Roman Lubiewo. In dem Buch des 1975 gebo­renen Autors geht es um Tunten im
All­ge­meinen und um die Bres­lauer Szene im Beson­deren. Es geht um jene Gruppe homo­se­xu­eller Männer; die „die Ziga­rette ein biss­chen anders halten”, die „mit den Händen rum­we­deln, quieken, ‘Ach hör doch auf’ – sagen und ‘Mein Gott, Gott­linde’ ”, die sich wie Frauen ver­halten und die auf rich­tige Kerle stehen. “Hach ja” ant­wortet eine der Prot­ago­nis­tinnen (oder ist es doch ein Prot­ago­nist?) auf die Frage, was so einen Kerl denn aus­mache: “Ein Kerl, das ist der Sinn unseres Lebens, ein Kerl, das ist ein Stier, ein besof­fener Stier, männ­li­cher Abschaum, ein Lump, ein Hengst, ein Proll, der hin und wieder durch den Park heim­kehrt oder betrunken im Graben (…) liegt. Unsere betrun­kenen Orpheuse. Eine Tunte will ja schließ­lich nicht mit einer anderen Tunte her­um­les­bi­sieren! Wir brau­chen Hetero-Fleisch! Ein Kerl kann auch ein Schwuler sein, Haupt­sache schlicht wie Eichen­holz, unge­bildet, denn mit Abitur ist das schon kein rich­tiger Mann mehr.(…) Er darf keine Miene ver­ziehen, muss eine Fresse haben wie ein Oberschenkel”
Im ersten Teil des Buches inter­viewt der Ich-Erzähler, ein Jour­na­list, zwei alternde Tunten in deren gemein­samer Woh­nung: Patrycja, beschrieben als dicker, ver­lebter Mann mit leb­haften, buschigen Augen­brauen und einer großen Glatze, und Luk­recja, eben­falls dick, glatt­ra­siert mit zyni­schem Gesichts­aus­druck. Durch die Erzäh­lungen beider über ver­gan­gene Lie­bes­aben­teuer und wilde Zeiten werden die Lesenden in die 70er und 80er Jahre ent­führt. In eine Welt hinein, deren Haupt­schau­plätze stin­kende Män­ner­klos, nächt­liche Parks und die unmit­tel­bare Umge­bung von Kasernen dar­stellen. Eine Welt, in der sich an abge­le­genen Orten und im Schatten der Gesell­schaft, alles um Sex dreht. Um Sex mit zahl­rei­chen, wech­selnden Lieb­ha­bern, um Auf­reißen und Abschleppen, um Kör­per­lich­keit, Bru­ta­lität und Schmutz. Aber auch um Lust, Humor und Drauf­gän­gertum. Und seit einiger Zeit um AIDS.
Doch mitt­ler­weile haben sich die Zeiten gewan­delt und aus den beiden Damen, die „in den höheren Regionen der Gosse wie im Para­dies” lebten, sind zwei „alte Kna­cke­rinnen” geworden, die ihrer eigenen Jugend und dem gol­denen Kom­mu­nismus nach­trauern. Einer Zeit näm­lich, in der man frei von finan­zi­ellen Zwängen seinem hedo­nis­ti­schen Lebens­wandel nach­gehen konnte, und die – im wahrsten Sinne des Wortes – jede Menge Nischen bereit­hielt. Heute dagegen sind die Parks ver­baut oder beleuchtet und die modernen Dixiklos sind zu eng für sexu­elle Ausschweifungen.

Der zweite Teil des Buches spielt vor­wie­gend an dem titel­ge­benden Ost­see­strand Lubiewo, an dem sich die Tunten seit Jahr­zehnten zur Som­mer­fri­sche treffen. Der Ich-Erzähler hat sich inzwi­schen als Mit­glied der Szene ent­puppt und ver­bringt seine Ferien an eben jenem Strand. Die dor­tige Hand­lung wird immer wieder unter­bro­chen durch unter­schied­lichste Geschichten von und über Tunten. Mal spre­chen sie selbst, mal werden sie vom Erzähler beschrieben.
Für die Schil­de­rung dieser teils schil­lernden, teils schä­bigen Halb­welt, bedient sich Wit­kowski mal einer zotig dahin­ge­rotzten, mal einer kapri­ziös geschraubten  Sprache. Inter­tex­tu­elle Ver­weise auf die Dziady von Mickie­wicz lassen sich ebenso finden wie derbste Umgangs­sprache. Der vul­gäre, humor­volle Stil ist dem Kli­entel vom Mund abge­schaut, und tat­säch­lich arbeitet Wit­kowski mit doku­men­ta­ri­schen Ver­fahren, indem er seinen fik­tiven Figuren die Geschichten und vor allem die Sprache realer Per­sonen in den Mund legt.
Groß­spu­rig­keit und Über­trei­bung prägen den Ton­fall der Protagonist(innen), sich selbst und ihre Welt beschreiben sie vulgär und intrigant.
Manchmal fühlt man sich an Szenen aus Pedro Almo­do­vars Patty Diphusa und andere Wilde Geschichten erin­nert, oder an die Auto­bio­gra­phie des Kuba­ners Rei­naldo Arenas Before night falls. Das mag an dem spe­zi­fi­schen Ver­hältnis zur eigenen Rolle liegen, das das Wesen des ‘Tun­ten­seins’ bereits impli­ziert. Unkon­ven­tio­na­lität einer­seits und die zwin­gende Not­wen­dig­keit von über­trie­benen Weib­lich­keits­kli­schees ande­rer­seits leisten dem Exal­tierten, Schrillen und viel­leicht dadurch Poe­ti­schen Vorschub.
Es geht um ein gene­relles Infra­ge­stellen von Iden­tität und Rol­len­ver­ständnis: Mal spre­chen Wit­kow­skis Figuren von sich selbst in der weib­li­chen, mal in der männ­li­chen Form, mal werden sie mit Männer‑, mal mit Frau­en­namen ange­spro­chen. Was nun echt ist und was nicht, wird in dieser Welt völlig nebensächlich.
Dieses Spiel mit Mys­ti­fi­ka­tion, Fik­tion und mög­li­cher Wirk­lich­keit unter­streicht der Autor durch die Figur seines Erzäh­lers, Michaśka Liter­acka (manchmal auch Michał Wit­kowski genannt), der als Jour­na­list und Schrift­steller auf­tritt und ein Buch über Tunten zu schreiben gedenkt. Aber die schein­bare Gleich­set­zung von Autor und Sub­jekt wird immer wieder unter­graben und so erfährt man gegen Ende aus dem Mund einer der Per­sonen, dass Michaśka auf­grund der Skan­dal­wir­kung seines Buches die Heimat ver­lassen muss und sich auf der Flucht in die Schweiz befindet. Außerdem sei er von einer selt­samen Krank­heit befallen und oben­drein von Zigeu­nern geraubt worden.

Lubiewo ist nicht nur ein amü­santes, fri­sches Buch, das Ein­blicke in eine Welt gewährt, die den meisten der Lesenden nicht ver­traut sein dürfte, son­dern Wit­kowski schreibt auf inter­es­sante Weise über Sub­kultur und Parallelwelten.
Den hier beschrie­benen Tunten geht es nicht im geringsten um gesell­schaft­liche Akzep­tanz. Sie sind völlig apo­li­tisch, in vielen Belangen höchst kon­ser­vativ und igno­rieren alles, was sich außer­halb ihrer Welt aus anderen Tunten, Lieb­ha­bern und Freiern befindet. Erfah­rungen mit prü­gelnden Skin­heads werden zwar beschrieben, aber trotz aller Bru­ta­lität bleibt jeg­liche Wer­tung über diese feind­liche Gegen­welt aus. Die Tunten aus Wit­kow­skis Buch setzten sich über die Gesell­schaft und deren Normen ein­fach hinweg und leben ihr spe­zi­fi­sches Leben einer­seits an den Gesell­schafts­rän­dern, ande­rer­seits mit­ten­drin. Und so scheint es merk­wür­di­ger­weise nicht wider­sprüch­lich, dass das halbe Leben in Bahn­hofs­toi­letten ver­bracht wird, in denen man anderen Män­nern gierig den Hin­tern hin­streckt, wäh­rend man am Sonntag zur Kirche geht, wie alle anderen älteren Damen auch.

Es geht also nicht in erster Linie um eine aktu­elle Debatte über Homo­se­xua­lität, es geht auch nicht darum, den poli­tisch enga­gierten Schwulen und Lesben eine Stimme zu geben und sie dabei zu unter­stützen, ihre Rechte ein­zu­for­dern. Ganz im Gegen­teil: gerade diese Gruppe, die sich ein­setzt für Homo­ehen, Adop­tionen, und Akzep­tanz wird im zweiten Teil von Lubiewo ziem­lich zynisch karikiert.

Den­noch liegt durch die Abwen­dung von der Kon­ven­tion und die Igno­ranz von Normen in Lubiewo trotz der pro­gram­ma­ti­schen Miss­ach­tung des Gleich­be­rech­ti­gungs-Dis­kurses eine sehr poli­ti­sche Aus­sage. Denn da können sich die Tunten noch so uneman­zi­piert und apo­li­tisch ver­halten und sich lustig machen über enga­gierte Schwule, die – ihrer Mei­nung nach – lächer­liche Mit­tel­klasse-Werte anstreben. Durch ihre bloße Exis­tenz stellen die Tunten das gän­gige Wer­te­system in Frage, stoßen die Gesell­schaft vor den Kopf und werben so, unaus­ge­spro­chen, für Plu­ra­lität, und ein Recht auf Anders­ar­tig­keit. Dieses Recht nehmen sie für sich in Anspruch, mal kon­ser­vativ, mal unkon­ven­tio­nell, egal ob es die Gesell­schaft gewährt oder nicht.

In Polen hat Lubiewo ziem­lich Furore gemacht. Wit­kowski, dessen erster Erzähl­band Copy­right bereits 2001 erschien, und der als Jour­na­list für diverse Zei­tungen sowie an einer Dis­ser­ta­tion zu Queer und Gender-Themen schreibt, wurde nach dem Erscheinen von Lubiewo massiv ins Licht der Öffent­lich­keit kata­pul­tiert. Dieses mediale Inter­esse ist nicht zuletzt dadurch zu erklären, dass das The­ma­ti­sieren von Homo­se­xua­lität in Polen in höchstem Maß poli­tisch und reli­giös auf­ge­laden ist. Eine der­ar­tige Dar­stel­lung von Sexua­lität muss also zwangs­läufig pro­vo­zie­renden Cha­rakter haben. Den­noch kann man die Auf­merk­sam­keit nicht nur der ’skan­da­lösen’ The­matik zuschreiben. Immerhin war Wit­kowski unter anderem 2006 für den Nike­preis (die wich­tigste Lite­ra­tur­aus­zeich­nung Polens) nomi­niert und hat soeben den Lite­ra­tur­preis von Gdynia gewonnen, was für die Beach­tung des lite­ra­ri­schen Wertes von Lubiewo in der Öffent­lich­keit spricht.

Im Juli 2007 wird Lubiewo bei Suhr­kamp erscheinen, in der her­vor­ra­genden Über­set­zung von Marie Haupt­meier (daraus stammen die hier zitierten Text­stellen), der es gelingt, den humor­vollen, vul­gären, sze­ne­ty­pi­schen Stil ins Deut­sche zu über­tragen. Auch wenn das Spiel mit Geschlech­ter­rollen durch die Struktur der pol­ni­schen Gram­matik besser funk­tio­niert als im Deut­schen, bleibt die Über­set­zung sehr nahe am Ori­ginal, ver­mit­telt einen getreuen Ein­druck und gibt dem deutsch­spra­chigen Publikum jeden Grund zur Vorfreude.

 

Michał Wit­kowski. Lubiewo. Kor­poracja Ha!art. Kraków 2005.