„We are the Freedom“: Plakataktion des Designstudios „Grafprom“ und „Office Ukraine“ in Graz

Ein Jahr nach der Invasion in die Ukraine erinnern überall in Graz Plakate, die von Designer_innen des Charkiwer/Grazer Studios Grafprom gestaltet wurden, an die Grundwerte der Freiheit und Menschenwürde. novinki dokumentierte diese Aktion in Bildern und sprach vor Ort mit den Initiator_innen.

Bilder von Demonstrationen am 24.02.2023 in Wien und Graz, © mrija_org (aus Wien), © Georgii Burda (aus Graz) und Plakataktion in Graz, © Mariya Donska

 

Der traurige Jahrestag der russischen Invasion in die Ukraine am 24.02.2023 wurde in einigen großen Städten Österreichs von einer Vielzahl von Demonstrationen, Diskussionen und Kunstaktionen begleitet. In Graz hängten Designer_innen vom renommierten Charkiwer/Grazer Studio „Grafprom“ eine Serie von 24 Plakaten an öffentlichen Plätzen der Stadt auf. Sie stehen unter dem Motto We are the Freedom und widmen sich Werten wie etwa Freiheit, Mut, Würde und Einigkeit.  

Die Plakataktion basiert auf einer Kollaboration mit dem Schriftsteller Serhij Žadan und verwendet Passagen aus dessen Gedichten und Instagram-Postings aus dem Jahr 2022. Auf Deutsch sind diese im Buch Himmel über Charkiw im Suhrkamp-Verlag erschienen. Außerdem gibt es Sprüche, die von den Designer_innn selbst formuliert wurden. Auf den Plakaten erscheinen Textbausteine meistens auf Englisch, die Antikriegsbewegung ist international.  

Mehrere Plakate zusammen ergeben dabei unterschiedliche Wörter auf Ukrainisch – воля, свобода (Freiheit) – und werden länglich als Fries oder als Rechteck auf geeigneten, frei zugänglichen Wänden platziert. Die Künstler_innen planen nun, jede Woche eine neue solche ‘Wand’ zu gestalten. Durch die Präsenz im öffentlichen Raum fördert die Aktion eine Interaktion und aktive Partizipation. Die Reaktionen der Passant_innen auf die Plakate sind unterschiedlich: Manche wurden bemalt oder mit eigenen Aussagen beschriftet, mitunter wurden sie sogar abgerissen.  

Das Projekt wurde gemeinsam mit Office Ukraine. Shelter for Ukrainian Artists realisiert. Das „Office Ukraine“ ist eine Organisation, die nach dem Beginn des großflächigen Kriegs vom Zentrum für zeitgenössische Kunst „< rotor >“ in Graz unter Leitung von Margarethe Makovec und Anton Lederer ins Leben gerufen wurde. Sie vernetzt in Österreich Schutz suchende Künstler_innen und Kulturschaffende aus der Ukraine mit Institutionen und Initiativen, die Unterstützung anbieten. Somit wird es vielen vertriebenen Künstler_innen aus der Ukraine ermöglicht, weiterhin künstlerisch tätig zu sein. Seit Beginn der Invasion konnte ca. 200 Kulturschaffenden aus unterschiedlichen Bereichen geholfen werden. Vonseiten der Politik wurde die Aktion von den Grazer Grünen, die die Vizebürgermeisterin stellen, unterstützt.  

Plakate “We are the Freedom” in Graz, © Mariya Donska

Mariya Norazyan und Illya Pavlov von Grafprom leben seit 2019 in Graz. Ihr Designstudio blickt auf eine lange Tradition der Zusammenarbeit mit dem in Charkiw lebenden SchriftstelleSerhij Žadan zurück. Bereits 2015 gab es eine Aktion Дія/Лог (Dija/Log) mit Postern im öffentlichen Raum Charkiws, die Gedichte Žadans zitierte. Später wurden diese Plakate in Österreich im Literaturhaus Salzburg und der Kultur bei den Minoriten in Graz ausgestellt.

Plakataktion „Дія/Лог in Charkiw 2015, © Grafprom

Plakat 1: Наші страхи примарніначе сніги unsere Ängste seien eingebildet wie Schnee
Plakat 2: Розуму всім щасливимРадості всім нещасним.“ Verstand allen Glücklichen. Freude allen Unglücklichen.
Plakat 3: 
Наші дітиМарієростутьніби трава: / чорні робочі долоні, стрижена голова, / зранку стоять на зупинках, неприкаяні, як пірати – / тимчасова адреса, країна напівжива“  Unsere Kinder, Maria, wachsen wie Gras: / schwarze Arbeiterhände, kurzgeschorenes Haar, / so sie stehen morgens an den Haltestellen, unbehaust wie Piraten – / provisorische Adresse, das Land halb lebend. 
Plakat 4: 
Доведеться змиритися з тим, / що все мине. / Доведеться не говорити / про важливе та головне, / доведеться боятись свободи, / триматися меж. / Щастя не оминеш. / Щастя не оминеш. Darum heißt es, sich damit abzufinden, / Dass alles vergeht. / Darum heißt es, nicht zu sprechen / Über das Wichtige und Vordergründige, / Darum heißt es, die Freiheit zu fürchten / Die Grenzen zu respektieren. / Am Glück kommt keiner vorbei. / Am Glück kommt keiner vorbei.
(Übersetzung 
aus dem Ukrain.: Claudia Dathe)

Im folgenden Gespräch erzählen die Grafprom-Designer_innen Mariya und Illya, wie es zu den Plakataktionen kam. 

 
 

Designer_innen des Studios Grafprom Illya Pavlov und Mariya Norazyan, © Mariya Donska.[/caption]

Mariya Donska: Wer hat sich das Projekt ausgedacht? 

Mariya Norazyan: Gute Frage, eigentlich. 

Illya Pavlov: Wer hat sich das ausgedacht. Na ja, wir wurden provoziert.  

MN: Ganz genau! 

IP: Unsere Freunde aus Charkiw haben uns auf die Idee gebracht. Sie heißen Pride Bikes“, machen Fahrräder und sind ein wichtiges Zentrum der bike community in Charkiw und in der Ukraine. Sie wollten eine Aktion machen, um Ukrainer_innen in Zeiten des Krieges zu unterstützen, um die Moral hochzuhalten, einander zu ermuntern.  

MN: Eine Unterstützungsaktion für Ukrainer_innen. 

IP: Alle hatten den Eindruck, wir müssen etwas tun. Natürlich waren alle als Freiwillige tätig, für die Streitkräfte oder haben Geld für Medikamente für ältere Menschen gespendet usw.  

MN: Aber man musste auch etwas für den Geist tun, für die Menschen, die etwa Rad fahren und ihren aktiven, kreativen Geist aus der Zeit vor diesem Krieg bewahren wollten.  

IP: Jetzt haben wir das fast vergessen, aber wir hatten damals das Gefühl, dass man im Krieg z.B. nicht zum Spaß Fahrrad fahren durfte. Man musste immer etwas für den Sieg tun.  

MN: Die Leute haben es sich verwehrt, Spaß zu haben, Zeit für sich zu haben.  

IP: Wir hatten dieses Gefühl sogar hier in Österreich, aber dort in der Ukraine war es natürlich nicht anders. Und irgendwann haben wir verstanden, dass es so nicht weitergeht, dass es nichts bringt, weil alle zum Burnout neigten. Sehr schnell verlassen einen die Kräfte und man muss die eigenen Ressourcen wieder erneuern. Und diese bike community hat mit uns ein Projekt gemacht, wo es Texte von ihnen gab, darüber, dass sie trotzdem weiterleben möchten, lieben möchten, lachen möchten und dies auch tun werden. 

MN: Trotzdem leben – selbst in Zeiten des Krieges. 

IP: Ja, obwohl der Krieg andauert und uns jemand dieses Leben wegnehmen möchte.  

MN: Die Aktion startete in Charkiw, ungefähr zehn Leute waren dabei, alle mit Fahrrädern, und sie haben diese Plakate an Fenster gehängt, die durch Bombenangriffe in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Fenster wurden mit Spanholzplatten zugenagelt und auf diese Platten wurden die Plakate gehängt. Das war im Juni. 

Die Aktion mit Pride Bikes in Charkiw, © Pride Bikes

 

MD: Aber hier in Graz gab es auch eine Kampagne? 

IP: Ja, es gab noch eine andere Kampagne, nämlich Graz stands with Ukraine. Aber diese Aktion heute ist sozusagen eine ‘Inkarnation’ der ersten Charkiwer Kampagne, wo wir mit einer schwarz-weißen visuellen Sprache gearbeitet haben. 

MD: Warum schwarz-weiß? 

MN: Das ist sehr günstig und sehr praktisch.  

IP: Schnell, praktisch und gut zu sehen.  

MN: Die Stadt ist visuell oft sehr noisy, in diesem visuellen Lärm sind schwarz-weiße Plakate am besten zu sehen.  

IP: Ja, schwarz-weiß sammelt und macht die Umgebung ruhiger..  

MD: Wie ist die Ausstellung nach Graz gekommen? 

IP: Margarethe Makovec aus der Galerie < rotor > und Nastia Khlestova von Office Ukraine haben uns eingeladen und gesagt, sie möchten etwas zum Jahrestag der Invasion machen, um die Gesellschaft daran zu erinnern. Sie wollten ein Plakat mit Texten von Žadan für die Fassade der Galerie haben. Wir haben gesagt „Kein Problem, wir haben 24 Plakate”.  

MN: Illya hat diese Plakate Margarete gezeigt und sie meinte „Ja, genau das brauchen wir“. Aber der Text war ein anderer, auf Ukrainisch. Wir haben dann fast alle Texte neu gemacht. 

MD: Sind das Texte von Žadan, die dieses Jahr entstanden sind? 

MN: Ja, seine Aufzeichnungen von Instagram, aber auch Gedichte, kurze Ausschnitte daraus. […] 

MN: Nachdem wir übereingekommen sind, ging alles ganz schnell, daher sage ich auch, dass das Management dieses Projekts quasi ‘ukrainisch’ war. Wir haben die Plakate sehr schnell gestaltet, dann wurden sie gedruckt und am Samstag haben wir sie bereits gemeinsam mit der ukrainischen Community, mit ukrainischen Künstler_innen hier in Graz aufgehängt. Das waren etwa zehn Leute, darunter auch eine sehr nette Österreicherin, die uns geholfen hat. Für Menschen war es auch wichtig mitzuhelfen, interessant und angenehm, wie sie sagten. Darin besteht die gegenseitige Unterstützung der ukrainischen Community. 

MD: … gemeinsam Projekte machen? 

IP: Ja, eine Art Therapie. 

MN: Teambuilding, könnte man sagen. Und auch eine Zusammenarbeit auf ukrainische Art. 

Aufhängen der Plakate in Graz, © Mariya Donska

MD: Warum diese Wörter свобода (svoboda) und воля (volja), die beide Freiheit bedeuten? 

IP: Das sind doch die wichtigsten Werte, um die hier gekämpft wird. 

MN: Ja, das sind Werte, die durch unsere Taten verwirklicht werden.  

MD: Wenn man z.B. von der Brücke runterschaut, dann sieht man das Wort свобода und weiß nicht, ob es auf Ukrainisch oder auf Russisch ist. Ist es absichtlich so? 

IP: Ja, aber man sieht das Staatswappen.  

MD: Das auf jeden Fall! Aber ihr verwendet zwei Wörter für ‘Freiheit’. 

MN: Ja, sie verhalten sich etwa zueinander wie liberty und freedom.  

IP: Und gleichzeitig ist воля auch der Wille, es geht also um das Aktivwerden. Die Freiheit ist wichtig, aber im Wort воля steht auch noch der Wille das zu tun, konkrete Schritte zu setzen, es zeigt, dass diese Menschen gewillt sind, diese Freiheit zu haben („воліють мати свободу“), gewillt sind, um sie zu kämpfen. 

MN: So wie in der ukrainischen Hymne, dort gibt es auch beides. Die visuellen Elemente – diese Wörter z.B. – gab es bereits im Charkiwer Projekt, das aber andere Texte verwendete. 

MD: Ich habe auch die Dreiecke beim Wort „воля“ bemerkt. Ist es so, dass sie auch bei diesem berühmten Projekt mit der Straßenbahn verwendet wurden? 

Straßenbahnen und Busse zur Unterstützung der Ukraine in Wien, Vilnius und den Haag mit dem Design des Grafprom-Studios, © Grafprom

P: Ja, und weißt du, warum? Weil dies das ukrainische Grafik-Gen ist.  

MN: Das sind eigentlich Sonnenblumenkerne. 

IP: Die gehen zurück auf Heorhij Narbut. Er war zur Zeit der Ukrainischen Volksrepublik (der unabhängige ukrainische Staat von 1917–1921, Anm. MD) sehr aktiv. 

Der Buchstabe „Я“ von „воля“, © Grafprom

MN: Er war so etwas wie der Hauptkünstler der Ukrainischen Volksrepublik. Er gestaltete Geld und Briefmarken. Mit diesen Dreiecken hat er die Volkssymbolik umgestaltet. 

IP: Ich sehe darin auch ein Symbol für die ukrainische Gesellschaft, weil sie eine ähnliche Struktur hat, eine horizontale Struktur ohne Hierarchie. Eine demokratische Struktur. Sogar die Kosaken hatten zwar eine Hierarchie, waren aber sehr demokratisch organisiert. 

MD: Was gibt es noch an Konzepten, die man nicht auf den ersten Blick sieht? 

IP: Wir verwenden den Satz „Our hearts are made to break free“. Das ist ein Wortspiel: Die Herzen schlagen nicht einfach so, sie schlagen für die Freiheit. Die Worte ‘schlagen’ und ‘kämpfen’ sind auf Ukrainisch gleich („битися“). Wir sagen „The heart is breaking“, aber ukrainische Herzen, sie sind nicht einfach „breaking“, sondern „breaking free“.  

MN: In diesem Bild versteckt sich ein Zitat von Žadan („коли сердце відчувається / так гостро, / ніби воно не просто б’ється. / А б’ється з кимось. / Б’ється за тебе“ ) In diesen Plakaten geht es eben um die Freiheit, das Herz. Wir wollten, dass diese Plakataktion sehr menschlich ist, human. Das ist keine abstrakte Freiheit, das sind nicht nur Slogans, derer wir bereits überdrüssig sind, es geht um konkrete Menschen, die das tun. Sie stehen im Zentrum.  

[…] 

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Das Interview wurde von Mariya Donska auf Ukrainisch geführt, von ihr übersetzt und für diese Veröffentlichung gekürzt. Die Bilder zur Demonstration und Plakataktion in Graz stammen von der Autorin. Das Beitragsbild ist von Elisabeth Bauer und bildet mit den anderen Beiträgen des Ukraine-Spezials eine Einheit in Form der Fotoserie „Ukrainisches Berlin: Die Stadt als gelb-blauer Symbolraum“.

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