„We used to be one“ – Briefwechsel zwischen Revolutionen

An der Schnittstelle zwischen der Islamischen Revolution im Iran 1979 und der Revolution in Rumänien 1989 erzählt Vlad Petri die Geschichte einer (Brief-)Freundschaft zweier Frauen, die sich trotz Unterdrückung ihre Selbstbestimmtheit bewahren in Umbruchszeiten, geprägt von zwischenmenschlicher Zerrissenheit und politischer Polarisierung.

 

Eine bittersüße Melodie ertönt, wenig später eine gedämpfte Stimme. Im Wechselspiel leuchten farbenfrohe, dann monochrome Aufnahmen auf der Leinwand auf. Zwei Frauen sonnen sich auf einer Wiese, ihre Hüte schützen sie vor der Hitze. Ein abrupter Schnitt und die Farben verblassen ins Schwarzweiß. Die Zuschauenden finden sich auf der Straße in einer vorbeiziehenden Menschenmenge wieder. Ein weiterer Schnitt – zwei junge Frauen drehen sich um und schauen durch die Linse. Sie lächeln selbstbewusst. Unmittelbar zu Beginn des Films Between Revolutions (2023) des rumänischen Regisseurs Vlad Petri werden wir in eine Welt begleitet, die eine verheißungsvolle Zukunft für diese Frauen verspricht. Ohne etwas zu ahnen, glaubt man, dass diese Welt eine unbeschwerte sein kann. Doch die sanfte Stimme die ertönt, erzählt von einer Realität, die von tiefer Freundschaft, Verlusten und einer drohenden Hoffnungslosigkeit gefärbt ist.  

 

Between Revolutions erzählt die Geschichte zweier Frauen, die durch einen jahrelangen Briefwechsel von den Erlebnissen der jeweils anderen erfahren. Maria und Zahra lernen sich an der Universität in Rumänien im Rahmen eines Studienaustauschs kennen und schließen eine enge Freundschaft. Der Film zeigt Archivbilder aus Rumänien, in denen eine Reihe von Studentinnen gemeinsam auf einem Universitätsgelände verweilen und sich angeregt unterhalten. Infolge zweier unabhängig voneinander und zeitlich versetzter Revolutionen – im Iran 1979 und in Rumänien 1989 – werden die beiden jedoch entzweit, weshalb sie beginnen, sich per Brief auszutauschen. Zahra kehrt 1979 in den Iran zurück, wo sich die Revolution ankündigt, die den gnadenlosen Shah zu stürzen verspricht. Sie möchte ihrem Vater währenddessen zur Seite stehen, denn er unterstützt den Umsturz mit seinen Manifesten. Reale Bilder aus der Zeit zeigen junge Intellektuelle, wie sie durch Autofenster ihre selbstgeschriebenen Manifeste an Vorbeifahrende überreichen. Parallel dazu erzählt Maria in ihren Briefen von den Veränderungen in ihrer Heimat. In Rumänien herrscht die brutal, sozialistische Diktatur von Nicolae Ceaușescut. Eines Tages antwortet Zahra nicht mehr auf Marias Briefe, sodass Maria beginnt, ins Leere zu sinnieren.

 

Die Schnittstelle zwischen den beiden Orten und Schicksalen sind also die Revolutionen. Im Film erfahren die Zuschauenden, wie die Revolution im Iran zunächst als aussichtsreich erscheint und auf einen gesellschaftlichen Umbruch hoffen lässt. Mit Farbaufnahmen wird diese hoffnungsvolle Stimmung unterstrichen. Doch mit dem Sturz der Monarchie und der Machtübernahme der Islamischen Republik wird die nächste Diktatur eingeleitet. Zehn Jahre später wird der rumänische Diktator und damit das sozialistische Regime in Rumänien gestürzt, das Land stürzt in eine schwere Finanzkrise, es herrscht Chaos in der Gesellschaft. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen untermalen auch hier Marias betrübte Sicht auf die Diktatur in Rumänien. Maria und Zahra stehen in der Erzählung als fiktive Figuren zwischen diesen beiden zum Scheitern verurteilten Revolutionen.

 

 

Dem Film gelingt es, ein kunstvolles Porträt zweier Länder, zweier unterschiedlicher Gesellschaften und Stimmungsbilder zu zeichnen, ohne dabei den historischen Kontext aus den Augen zu verlieren. In Zahras poetischen Erzählungen scheint die Hoffnung auf einen Neuanfang für die iranische Bevölkerung durch, insbesondere für die Frauen. Gemeinsam mit ihrem Vater verteilt Zahra Flugblätter und demonstriert. Die originalen, bunten Archivbilder aus dem Iran vermitteln einen scheinbar unbezähmbaren Optimismus, der jedoch mit jedem weiteren Brief Zahras abzuschwellen scheint. Auf den Straßen stehen Frauen Hand in Hand und rufen mit gerunzelter Stirn „Nieder mit den Konservativen!“ – ein Schnitt und eine demonstrierende Gruppe von Männern singt „Nieder mit den Frauen, die keinen Hidschab tragen!“. Gegenüberstellungen wie diese verdeutlichen, in welchen zerrissenen Zuständen sich Zahras Gesellschaft befindet. Für die Frauen im Iran bedeutet die Islamische Republik, dass sie nie wieder selbst werden wählen können, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen. In den Gesichtern der protestierenden Frauen im Film zeichnet sich eine Wut ab, die vor Ehrfurcht schaudern lässt.

 

Marias Rumänien ist unterdessen schwarz-weiß. Das Regime schafft es, die Bevölkerung mit seinen barbarischen Methoden zu unterdrücken und insbesondere die Frauen im Land gefügig zu machen. In einem eingespielten Werbeslogan spricht eine Männerstimme von der Rolle der Frau in der rumänischen Gesellschaft: „In diesem Jahr, welches den Frauen dieser Nation gewidmet ist, tun sie immerzu das, was sie schon immer getan haben: sie bekommen Kinder, sie leben ein glückliches Leben, sie arbeiten, sie fühlen, sie denken, sie leiden und sie hoffen“. Während der fröhliche Slogan läuft, erscheinen auf der Leinwand Bilder von Frauen, die bügeln, kochen und ihre Kinder bei der Hand halten. Doch mit nichts von alledem kann sich Maria identifizieren. Als sie nachts auf dem Nachhauseweg von Männern in schwarzen Mänteln beobachtet wird, spürt sie eine tiefe Angst, die die prüfenden Augen der Regierungsspitzel in ihr hinterlassen. Um dieses Gefühl zu unterstreichen, spielt Petri mit monochromen Aufnahmen, die in Verbindung mit spitzen, bedrohlichen Klängen Marias Ohnmacht auf der Straße erspüren lassen. Mit schwerer Stimme drückt Maria schließlich ihre Sorge darüber aus, dass auch das Schicksal einer rumänischen Frau von konservativen Stimmen gelenkt wird und für sie kaum Hoffnung auf Veränderung besteht.

 

In der Art und Weise, wie die Charaktere der Protagonistinnen gezeichnet sind, wird deutlich, dass Petri Wert legt auf die Übermittlung von Sinnen, Stimmen sowie Gefühlen und Gedanken, die in den beiden Protagonistinnen entstehen, wenn sie ihre Realität beschreiben und sich als Subjekte in ihren Gesellschaften verorten. Zudem zeichnet er ein Bild von weiblichen Protagonistinnen, die eine Stimme haben und sich trotz Unterdrückung Wege schaffen, ihre Realität selbstbestimmt zu formen. Innerhalb dieser intimen Welt, die Zahra und Maria miteinander teilen, können sie sie selbst sein und müssen sich nicht anpassen: So wie sie dort sind, fühlt es sich real an. Mit dieser Erzählweise nimmt Petri auf bemerkenswerte Weise Abschied von dem objektifizierenden und eindimensionalen male gaze und widmet sich gelungen einer empowernden und zugleich einfühlsamen Beobachtungs- und Darstellungskunst im Film.

 

Between Revolutions fühlt sich an wie ein Tauchgang in die Tiefen einer Freundschaft, vielleicht sogar einer Liebe, die nur zwischen den Zeilen leben kann. We used to be one, schreibt Maria in ihrem letzten Brief an Zahra. Dieser Satz beklagt nicht nur den Verlust einer geliebten Person, die durch unvorhersehbare, politische Ereignisse aus dem Leben einer anderen herausgerissen wird. Vielmehr wirkt sie wie eine Referenz an die grundsätzliche zwischenmenschliche Zerrissenheit, die von den Ideologien diktatorischer Regime getrieben wird. Diktaturen brechen die Verbindungen der Menschen zueinander – auf individueller wie auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. In polarisierten Zeiten, wie sie auch heute wieder herrschen, hallt die Botschaft des Films noch lange nach. Denn sie erinnert daran, wie unabdingbar es ist, für die Freiheit zu kämpfen. Zugleich appelliert der Film an die Stärke, die insbesondere Frauen im Laufe der letzten Jahrzehnte durch Revolutionen wie die im Iran und in Rumänien gewonnen haben. Er würdigt die zahlreichen Kämpfe, die sie durchstehen mussten, um mit jedem Schritt ein wenig mehr Freiheit zu erlangen und ruft zur niemals aufhörenden Revolution auf. Diese Komposition vielschichtiger Botschaften und die Liebe zum bildsprachlichen Detail machen Between Revolutions zu einem Meisterwerk seiner Zeit.

 
 

Originaltitel: Între revoluții (Between Revolutions), Regie: Vlad Petri, Rumänien/Kroatien/Katar/Iran, 2023, 68 Min.

 

Bildquelle aller Bilder des Beitrags: cineuropa.org.

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