Am 6. Juni 2023 wurde am Schauspielhaus Magdeburg Roman Sikoras Monolog Tod eines talentierten Schweins in der Regie von Clara Weyde erstmals aufgeführt. novinki hat mit dem Dramaturgen Bastian Lomsché über die Inszenierung, den Auswahlprozess der Stücke für die Bühne und das Attraktive am tschechischen Theater gesprochen.
Clara Weyde, Clemens Leander und Du, Ihr seid die neue künstlerische Leitung am Schauspielhaus Magdeburg. Bei Eurem Start zur Spielzeit 2022/2023 habt ihr ein beeindruckendes Programm vorgelegt, mit Namen wie Shakespeare, Büchner oder Saša Stanišić auf dem Spielplan. Warum auch ein in Deutschland eher unbekannter Name wie Roman Sikora?
Weil uns der Text gefallen hat! Das ist schon die Antwort. Wir haben ihn damals von Christian Tschirner zugespielt bekommen. Er hat uns den Band mit Sikoras Stücken in deutscher Übersetzung gegeben und gesagt: „Lest die mal“. Das haben wir gemacht, und fanden, dass Tod eines talentierten Schweins ein super Stück ist.
Christian Tschirner war es auch, der als Dramaturg vor zwei Jahren Karel Čapeks Krieg mit den Molchen an die Schaubühne brachte, ebenfalls von Clara Weyde inszeniert. Kommen Stücke oft durch Mund-zu-Mund-Propaganda ins Haus?
Im Theater ergeben sich oft Dinge auseinander – inszeniert man beispielsweise einen Shakespeare erfolgreich, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein anderes Theater auch einen Shakespeare möchte usw. Clara Weyde hat in den letzten Jahren öfter tschechische Autor*innen inszeniert. Neben Krieg mit den Molchen und Tod eines talentierten Schweins inszeniert sie in der Spielzeit 2024/25 das Schlaue Füchsleinvon Leoš Janáček an der Oper Magdeburg, in Hannover hat sie Kafkas Die Verwandlung inszeniert, am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg hat sie vor einigen Jahren Das Urteil gemacht.
Hängt es vom persönlichen Interesse der Theatermacher*innen ab, dass mehr Theaterstücke aus einer Region oder einem Land aufgeführt werden?
Es gibt sicherlich Regisseur*innen, die sich besonders für ein Land interessieren, weil sie sich gut auskennen, oder ihnen das Theater und die Texte von dort liegen. Wir haben keine Agenda in diese Richtung und Magdeburg liegt geographisch nicht so, dass sich etwas aufdrängen würde. Es war bei uns eher Zufall. Wenn wir noch zehn Stücke aus Tschechien inszenieren, dann können Theaterwissenschaftler*innen analysieren, was das Besondere an der tschechischen Art ist, dass wir immer wieder darauf zurückkommen.
Was könnte das sein?
Da muss ich vorsichtig sein, weil ich mich nicht genügend auskenne. Aber es gibt in den genannten Texten eine Art von Humor, die ich von deutschen Texten nicht kenne. Womöglich hat das etwas mit der (jüngeren) Geschichte der Länder zu tun und wie sich die Gesellschaften dort entwickelt haben. Es gibt eine Form von Polemik, Schärfe und auch Selbstironie, die sehr politisch ist. Das ist für uns interessant.
Das komische Element ist auch bei Karel Čapek vorhanden, obwohl er seine Romane und Theaterstücke ‒ häufig düstere Dystopien ‒ im Angesicht des aufziehenden Faschismus des 20. Jahrhunderts geschrieben hat. Brauchen wir angesichts der Weltlage Humor?
Wir wollen nicht didaktisch sein, nicht von der Bühne predigen. Das ist meiner Meinung nach auch nicht die Aufgabe von Kunst und überhaupt fragwürdig. Gleichzeitig haben wir aber natürlich Anliegen, wollen das Publikum bewegen, wollen Reize setzen. Dabei ist Humor hilfreich. Unser Credo ist: Wir können nichts ernst nehmen, was keinen Humor hat.
Die Groteske ist Sikoras Spezialgebiet. In Tschechien wird ihm seine Art oft vorgeworfen. Er ist vielen „zu links” und „zu politisch”. Wie beurteilst Du das aus der deutschen Perspektive?
Hier unterscheiden sich die beiden Länder sehr, soweit ich das beurteilen kann. „Zu linkes“ oder „zu politisches“ Theater zu machen scheint mir im deutschsprachigen Theater aktuell nur schwer möglich, zumindest aus Sicht der Theater-Bubble. Viel öfter wird dem Theater vorgeworfen, nicht politisch genug zu sein oder sich nicht ausreichend politisch zu positionieren. Roman Sikoras Texten ist sowohl die linke, antikapitalistische Grundhaltung deutlich anzumerken als auch die – ich nenne das mal –Verbundenheit zum Proletariat, zu seinen Milieus und Themen. Ersteres würden die allermeisten Dramatiker*innen in Deutschland für sich beanspruchen, Letzteres hingegen ist seltener geworden, so mein Eindruck. Im deutschsprachigen (Theater-)Raum wird Sikora sicherlich nicht als „zu links“ oder „zu politisch“ wahrgenommen. Ich fürchte sogar, dass seinen Texten vorgeworfen werden könnte, „nicht links genug“ zu sein, zumindest aus Sicht einer progressiven Linken – was auch immer damit genau gemeint ist.
Wie ist es in Magdeburg, für was für ein Publikum spielt Ihr?
Ich kann immer noch nicht genau sagen, wer genau unser Publikum ist, weil es sehr unterschiedliche Erfahrungen gibt. Und ich hoffe, dass das so bleibt! Nur so macht Theater Spaß. Magdeburg ist eine Stadt, die ihre jüngere Geschichte in der Schwermaschinen-Industrie hatte, also eine Arbeiter*innenstadt ist. Hier gibt es kein Abonnenten-Publikum, kein Bürgertum, das das Theater trägt und zuverlässig füllt. Ins Schauspielhaus zu gehen ist kein gesellschaftliches Event. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Menschen uneingeschränkt wegen der Inszenierungen kommen, wegen der Themen. Deshalb ist es so wichtig, die Stadt beim Kuratieren des Programms im Blick zu haben.
Wie sieht es mit Student*innen aus?
Magdeburg ist eine Universitätsstadt, allerdings sind die Geisteswissenschaften, die oft eine große Affinität zum Theater haben, hier nur rudimentär vertreten. Das ist auch in anderen Kultur- und Subkulturbereichen der Stadt spürbar. Aber die Studierenden haben – wie alle anderen auch – Lust auf Themen und Geschichten. Die Interessen gehen natürlich auseinander, manche interessieren sich mehr für das Performativ-Abstrakte, andere für klassische Inszenierungen usw. Das ist an jedem Theater gleich, denke ich. Wir versuchen eine große Bandbreite an Spielweisen, Zugriffen, Ästhetiken anzubieten und erleben, dass es allem Gegenüber eine große Offenheit gibt, solange das Inhaltliche nicht zu kurz kommt. Wir lernen mit jeder Inszenierung dazu.
An der Stelle würde ich gerne über die Inszenierung von Sikoras‘ Tod eines talentierten Schweinssprechen. Miroslava, das Schwein, betritt die Bühne und scheint ‒ kurz, bevor ihm der Garaus gemacht wird ‒ eine Lebensbeichte abzulegen. Es ahnt, dass es sich seine Welt schöngeredet hat. Wer ist Miroslava für Dich? Doch nicht nur ein Schwein in der Massentierhaltung?
Doch. Für mich ist Miroslava erstmal ein Schwein im Schlachthof, das ein besonderes Talent hat, nämlich singen kann. Wir wollten bei dieser grotesken Setzung bleiben und dem Schwein zuhören, das von seinem Leben erzählt. Es tauchen viele Themen auf, ohne dass sie explizit gemacht werden. Natürlich die Massentierhaltung, aber es gibt auch die Assoziation zu Konzentrationslagern. Zu Häftlingen, die im Lager im Kammerorchester spielen, und sich so das Überleben sichern.
Zu Beginn des Stücks stimmt Miroslava passenderweise This is the End von Adele an. Für sie ist es wirklich das Ende, das talentierte Schwein steht kurz vor der Schlachtbank. Zum Schluss singt sie Help the People von Birdie. Wie seid ihr zu dieser Musik gekommen?
Thomas Leboeg, der am Flügel sitzt und den Schlachter spielt, hat diese Lieder mit Marie-Joelle Blazejewski, die eine großartige Sängerin ist, erarbeitet. Bevor wir geprobt haben, gab es zwei Fassungen, eine mit eher rockigen Songs, die andere mit souligeren Nummern. Wir wollten ausprobieren, was besser passt und wohin uns die Musik führt. Am Ende ist der Abend deutlich nachdenklicher und womöglich auch tiefgreifender geworden, als wir zu Beginn gedacht hätten. Die zweite Fassung hat sich durchgesetzt. Die Musik und die Spielweise bedingten sich im Proben gegenseitig.
Nach Vorstellungsende schien die Stimmung gedrückt, einige Zuschauer*innen nannten es ein „tragisches Stück”…
Das habe ich nicht erwartet, als wir mit dem Proben begonnen haben. Ich dachte, es wird ein eher skurriler und lustiger Abend. Dass er jetzt doch ernster geworden ist, liegt glaube ich daran, dass man sich von Anfang an sehr mit dem Schwein identifiziert. Viele Leute haben mir erzählt, dass sie seit dem Stück kein Fleisch mehr essen. Für sie ging es ganz klar um Massentierhaltung. Roman Sikora war zur Premiere in Magdeburg und ich hatte im Gespräch das Gefühl, dass das bei ihm selbst gar nicht so im Vordergrund stand. Aber so läuft das im Theater.
Du bist als Dramaturg zum tschechischen Theaterfestival Divadelní Svět in die mährische Hauptstadt Brünn eingeladen worden.
Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich hatte die Gelegenheit, mich mit tschechischen Dramaturgie-Kolleg*innen auszutauschen, was sehr interessant war, sowohl was die Gemeinsamkeiten, aber auch was die Unterschiede der beiden ‚Theaterwelten‘ betrifft. Ich habe viel über das tschechische Theater gelernt – und dabei auch wieder Neues am ‚deutschen‘ Theater verstanden.
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview wurde im Juli 2024 von Maira Neubert geführt.
Beitragsbild: Marie-Joelle Blazejewski als Schwein Miroslava. Foto: Kerstin Schomburg, Quelle: theater-magdeburg.de