Von Hamstern, Lebensweisheiten und Mädchenherzen

Slava Sės Bloggeschichtensammlung Der Klempner, sein Kater, seine Frau und weitere Einzelheiten

Kennen Sie einen Familienvater, Blogger und Klempner aus Lettland, der urkomische Bücher schreibt? Nein?! Dann sei Ihnen das neueste deutlich autobiographische Werk von Slava Sė Santechnik, ego kot, žena i drugie podrobnosti ans Herz gelegt.
Vjačeslav Soldatenko alias Slava Sė – das Pseudonym setzt sich aus der Koseform zum Vornamen und dem ersten Laut des Familiennamens zusammen – schreibt, lebt und arbeitet in Riga. Dort kam er 1969 zur Welt, belästigte etwas später die Professoren der Hochschule für Praktische Psychologie mit seinen Weisheiten und machte schließlich seinen Abschluss als Psychologe. Danach arbeitete er bei einer Firma für Personalrekrutierung, stieg zum Direktor einer Marketingagentur auf und schaffte schließlich den ‚Karrieresprung‘ zum Klempner. Selbige verdienen nämlich „nicht weniger als ein Marketing-Direktor, brauchen nur vier Stunden am Tag zu arbeiten und können sich freinehmen, wann sie wollen“, so Soldatenko in einem Interview. Seine Frau nahm diesen Karrierewechsel weniger gelassen auf und verließ den frischgebackenen Handwerker, der seitdem viel mehr Zeit hat sich als Blogger einen Namen zu machen. Slavas ‚Tagebuch-Geschichten‘ im Live Journal auf pesen-net erfreuten sich bald solcher Beliebtheit, dass der Verlag Astrel‘ ihm anbot, ein Buch aus diesen Einträgen zusammenzustellen. Von der 2010 erschienenen Kurzgeschichtensammlung Der Klempner, sein Kater, seine Frau und weitere Einzelheiten wurden auf Anhieb über 100.000 Exemplare verkauft. Den Gitarre spielenden Vater von zwei Töchtern kürten sie, ebenfalls 2010, zum beliebtesten Journalisten der Internetplattform Imchonet.
Santechnik, ego kot, žena i drugie podrobnosti besteht aus insgesamt 102 Kurzgeschichten, jeweils eingeleitet durch eine Zeichnung, die ein inhaltliches Moment der nachfolgenden Erzählung aufgreift und an Stelle einer Überschrift steht. Gäbe es diese, müssten sie in etwa lauten: „Den Kater lieben lernen“, „Oma Galja und die Soldaten“, „Sex mit zwölf Jahren“ oder „Aus dem Leben eines Hamsterverstehers“. Zu den Hauptfiguren der Erzählsammlung gehören dabei Slavas Frau Ljusja Nezabudkina sowie die kleinen Töchter Ljalja und Maša, aber auch seine Freunde, Bekannten und Kollegen. Der Erzähler Slava Sė weist dabei zwar eindeutige Parallelen zum Autor auf, gibt sich aber nicht eindeutig als dieser zu erkennen. Nahezu allen Geschichten ist eine präsente Erzählerfigur gemeinsam, die von ihren Erlebnissen und Abenteuern berichtet. Dabei gelingt es dem Erzähler auch aus normalen Alltagssituationen, die jeder nachempfinden kann, ein kurzweiliges Lesevergnügen zu bereiten. Die Aufmachung und Zeichnungen des kleinformatigen Büchleins muten zunächst kindisch an, Inhalt und Erzählweise sind es aber keineswegs. Unter der comic-artigen Oberfläche verbergen sich sarkastischer Humor, eine handfeste Ausdrucksweise und ‚Kurz-Philosophien‘ über Beziehungsprobleme, Kindererziehung oder Freizeitgestaltung, die eindeutig an Erwachsene gerichtet sind. Außerdem finden sich Verweise auf klassische Literatur und Musik – gerichtet an den anspruchsvollen Bildungsbürger. Zu den Eigenheiten seines Stils gehört auch, dass Slava Wörtern eine neue Bedeutung verleiht: seine Quasi-Neologismen – das Wort an sich ist nicht neu, bekommt aber eine neue Semantik durch den Kontext – verleihen dem prägnanten Stil semantische Tiefe und Wiedererkennungswert. Aber lassen wir das Werk selbst für sich sprechen, hier ein Auszug aus einer der Kurzgeschichten:

„Maša traf einen Hamster. Einsam, wunderschön wie Jonny Depp und genau so nützlich im Haushalt. Er überquerte die Straße unter Lebensgefahr. Mittlere Größe, brünett, traurige Augen, ledig. Gehetzt, unverstanden und offensichtlich bereits entschlossen als rosa Fleckchen auf einem Lkw-Reifen davonzueilen. Aber, er traf Maša.
Wie soll man euch bloß ein Mädchenherz erklären? Also, über die Straße kriecht Johnny Depp. Nüchtern, unglücklich, flauschig. Würden Sie ihn nicht nach Hause mitnehmen? Ich – auf keinen Fall!
Und jetzt wohnt er bei uns im Schrank, in einer Schüssel. Bevorzugt Brot, Salat und ein bisschen Toilettenpapier zum Nachtisch. Sehr gute Manieren.
Der Kater dachte zuerst, den hätten wir für ihn gebracht. Schaute uns an mit Verwunderung und Dankbarkeit. Er wünschte sich seit seiner Kindheit Hamsterfleisch. Man brachte ihm schließlich selten genug chinesisches Essen aus dem Restaurant: Vögel, Frösche, Hamster.
Dem Kater wurde es mit der Zeitung ‚um die Ohren‘ erklärt: Hamster sind unsere Freunde  – nicht bloß Fette und Vitamine! Jetzt denkt der Arme, dass wir vollkommene Idioten sind. Heute fressen wir keine Hamster, morgen befreunden wir uns mit der Pizza, küssen die Wurst auf die Nase und bald darauf heiraten wir das Butterbrot. “
(Übersetzung A. Boger)

 

Vjačeslav Soldatenkos Blog-Geschichten sind eine empfehlenswerte Lektüre für zwischendurch – zur Entspannung vom eigenen Alltag und von schwer verdaulicher Lesekost: sie sind zum Umfallen komisch, prägnant und schlagkräftig erzählt – kurzum ein Lesevergnügen.

 

Santechnik, ego kot, žena i drugie podrobnosti, bisher nur auf Russisch erschienen im Astrel‘-Verlag, Moskau 2010
Eva, Kurzgeschichten und eine Novelle, Astrel‘-Verlag, Moskau 2011

 

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