Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Von Hams­tern, Lebens­weis­heiten und Mädchenherzen

Slava Sės Blog­ge­schich­ten­samm­lung Der Klempner, sein Kater, seine Frau und wei­tere Einzelheiten

Kennen Sie einen Fami­li­en­vater, Blogger und Klempner aus Lett­land, der urko­mi­sche Bücher schreibt? Nein?! Dann sei Ihnen das neu­este deut­lich auto­bio­gra­phi­sche Werk von Slava Sė San­technik, ego kot, žena i drugie podrob­nosti ans Herz gelegt.
Vjačeslav Sol­da­tenko alias Slava Sė – das Pseud­onym setzt sich aus der Kose­form zum Vor­namen und dem ersten Laut des Fami­li­en­na­mens zusammen – schreibt, lebt und arbeitet in Riga. Dort kam er 1969 zur Welt, beläs­tigte etwas später die Pro­fes­soren der Hoch­schule für Prak­ti­sche Psy­cho­logie mit seinen Weis­heiten und machte schließ­lich seinen Abschluss als Psy­cho­loge. Danach arbei­tete er bei einer Firma für Per­so­nal­re­kru­tie­rung, stieg zum Direktor einer Mar­ke­ting­agentur auf und schaffte schließ­lich den ‚Kar­rie­re­sprung‘ zum Klempner. Sel­bige ver­dienen näm­lich „nicht weniger als ein Mar­ke­ting-Direktor, brau­chen nur vier Stunden am Tag zu arbeiten und können sich frei­nehmen, wann sie wollen“, so Sol­da­tenko in einem Inter­view. Seine Frau nahm diesen Kar­rie­re­wechsel weniger gelassen auf und ver­ließ den frisch­ge­ba­ckenen Hand­werker, der seitdem viel mehr Zeit hat sich als Blogger einen Namen zu machen. Slavas ‚Tage­buch-Geschichten‘ im Live Journal auf pesen-net erfreuten sich bald sol­cher Beliebt­heit, dass der Verlag Astrel‘ ihm anbot, ein Buch aus diesen Ein­trägen zusam­men­zu­stellen. Von der 2010 erschie­nenen Kurz­ge­schich­ten­samm­lung Der Klempner, sein Kater, seine Frau und wei­tere Ein­zel­heiten wurden auf Anhieb über 100.000 Exem­plare ver­kauft. Den Gitarre spie­lenden Vater von zwei Töch­tern kürten sie, eben­falls 2010, zum belieb­testen Jour­na­listen der Inter­net­platt­form Imchonet.
San­technik, ego kot, žena i drugie podrob­nosti besteht aus ins­ge­samt 102 Kurz­ge­schichten, jeweils ein­ge­leitet durch eine Zeich­nung, die ein inhalt­li­ches Moment der nach­fol­genden Erzäh­lung auf­greift und an Stelle einer Über­schrift steht. Gäbe es diese, müssten sie in etwa lauten: „Den Kater lieben lernen“, „Oma Galja und die Sol­daten“, „Sex mit zwölf Jahren“ oder „Aus dem Leben eines Hams­ter­ver­ste­hers“. Zu den Haupt­fi­guren der Erzähl­samm­lung gehören dabei Slavas Frau Ljusja Neza­bud­kina sowie die kleinen Töchter Ljalja und Maša, aber auch seine Freunde, Bekannten und Kol­legen. Der Erzähler Slava Sė weist dabei zwar ein­deu­tige Par­al­lelen zum Autor auf, gibt sich aber nicht ein­deutig als dieser zu erkennen. Nahezu allen Geschichten ist eine prä­sente Erzäh­ler­figur gemeinsam, die von ihren Erleb­nissen und Aben­teuern berichtet. Dabei gelingt es dem Erzähler auch aus nor­malen All­tags­si­tua­tionen, die jeder nach­emp­finden kann, ein kurz­wei­liges Lese­ver­gnügen zu bereiten. Die Auf­ma­chung und Zeich­nungen des klein­for­ma­tigen Büch­leins muten zunächst kin­disch an, Inhalt und Erzähl­weise sind es aber kei­nes­wegs. Unter der comic-artigen Ober­fläche ver­bergen sich sar­kas­ti­scher Humor, eine hand­feste Aus­drucks­weise und ‚Kurz-Phi­lo­so­phien‘ über Bezie­hungs­pro­bleme, Kin­der­er­zie­hung oder Frei­zeit­ge­stal­tung, die ein­deutig an Erwach­sene gerichtet sind. Außerdem finden sich Ver­weise auf klas­si­sche Lite­ratur und Musik – gerichtet an den anspruchs­vollen Bil­dungs­bürger. Zu den Eigen­heiten seines Stils gehört auch, dass Slava Wör­tern eine neue Bedeu­tung ver­leiht: seine Quasi-Neo­lo­gismen – das Wort an sich ist nicht neu, bekommt aber eine neue Semantik durch den Kon­text – ver­leihen dem prä­gnanten Stil seman­ti­sche Tiefe und Wie­der­erken­nungs­wert. Aber lassen wir das Werk selbst für sich spre­chen, hier ein Auszug aus einer der Kurzgeschichten:

„Maša traf einen Hamster. Einsam, wun­der­schön wie Jonny Depp und genau so nütz­lich im Haus­halt. Er über­querte die Straße unter Lebens­ge­fahr. Mitt­lere Größe, brü­nett, trau­rige Augen, ledig. Gehetzt, unver­standen und offen­sicht­lich bereits ent­schlossen als rosa Fleck­chen auf einem Lkw-Reifen davon­zu­eilen. Aber, er traf Maša.
Wie soll man euch bloß ein Mäd­chen­herz erklären? Also, über die Straße kriecht Johnny Depp. Nüch­tern, unglück­lich, flau­schig. Würden Sie ihn nicht nach Hause mit­nehmen? Ich – auf keinen Fall!
Und jetzt wohnt er bei uns im Schrank, in einer Schüssel. Bevor­zugt Brot, Salat und ein biss­chen Toi­let­ten­pa­pier zum Nach­tisch. Sehr gute Manieren.
Der Kater dachte zuerst, den hätten wir für ihn gebracht. Schaute uns an mit Ver­wun­de­rung und Dank­bar­keit. Er wünschte sich seit seiner Kind­heit Hams­ter­fleisch. Man brachte ihm schließ­lich selten genug chi­ne­si­sches Essen aus dem Restau­rant: Vögel, Frö­sche, Hamster.
Dem Kater wurde es mit der Zei­tung ‚um die Ohren‘ erklärt: Hamster sind unsere Freunde  – nicht bloß Fette und Vit­amine! Jetzt denkt der Arme, dass wir voll­kom­mene Idioten sind. Heute fressen wir keine Hamster, morgen befreunden wir uns mit der Pizza, küssen die Wurst auf die Nase und bald darauf hei­raten wir das Butterbrot. […]“
(Über­set­zung A. Boger)

 

Vjačeslav Sol­da­tenkos Blog-Geschichten sind eine emp­feh­lens­werte Lek­türe für zwi­schen­durch – zur Ent­span­nung vom eigenen Alltag und von schwer ver­dau­li­cher Lese­kost: sie sind zum Umfallen komisch, prä­gnant und schlag­kräftig erzählt – kurzum ein Lesevergnügen.

 

San­technik, ego kot, žena i drugie podrob­nosti, bisher nur auf Rus­sisch erschienen im Astrel‘-Verlag, Moskau 2010
Eva, Kurz­ge­schichten und eine Novelle, Astrel‘-Verlag, Moskau 2011