Führt uns Frau Gretkowska an der Nase herum?

Ein Portrait der polnischen Autorin Manuela Gretkowska

 

„Literatura babska – Weiberliteratur“, sagte meine Freundin, Polonistikstudentin aus Poznań, als ich sie fragte, warum Olga Tokarczuk auf größeres literaturwissenschaftliches Interesse stoße als Manuela Gretkowska. Warum Erstere in Deutschland einigermaßen bekannt sei, den Namen Manuela Gretkowska jedoch hierzulande noch kaum einer gehört habe. In der polnischen Öffentlichkeit sind schließlich beide Autorinnen sehr präsent und beide werden zur Frauenliteratur gezählt. Meine Freundin meinte, das liege wohl an der höheren literarischen Qualität Tokarczuks. Auch daran, dass sich in Tokarczuks Prosa mehr Ansatzpunkte für literaturwissenschaftliche Untersuchungen fänden. Kurz: Tokarczuk sei mehr Künstlerin, Gretkowskas Prosa hingegen sei oberflächlich und vor allem autobiographisch. Doch wie ich feststellen musste, ist es so einfach nicht. Manuela Gretkowska, 1964 in Łódź geboren, wurde als Autorin der Zeitschrift brulion bekannt, die der sogenannten „brulion-Generation“ ihren Namen gab und von enormer Wichtigkeit für den literarischen Umbruch Ende der 1980er und
Anfang der 1990er Jahre war. Um diese Zeitschrift versammelten sich Autoren, die sich von jeglichen politischen Ideologien und äußeren Zwängen frei machen wollten. Sie schrieben fragmentarisch, provisorisch und ästhetisch provokativ, propagierten eine zur offiziellen als auch oppositionellen alternative Kultur, wollten der polnischen Tradition eine eigene Stimme entgegensetzen. Ihre Texte sind oft autobiographisch und thematisieren die eigenen existenziellen Erfahrungen. All dies und der unbekümmerte Umgang der brulion-Autoren mit den Medien brachten ihrer Literatur – und auch Gretkowska – den Vorwurf der Oberflächlichkeit, der Kommerzialisierung und des Narzissmus ein.

Gretkowskas Bücher sind tatsächlich stark von ihren persönlichen Erfahrungen beeinflusst und die autobiographischen Motive sind nicht zu übersehen. An ihren Büchern, könnte man meinen, lässt sich ihr gesamter Lebensweg ablesen. In ihrem Debüt-Roman von 1991 My zdies’ emigranty (polnische Schreibweise für Russisch: Wir sind hier Emigranten) beschrieb sie das Leben als Emigrantin in Paris, wohin sie 1988 ausgewandert war, und thematisierte somit die Erfahrungen vieler junger Menschen, die die Volksrepublik Polen zu dieser Zeit verließen. Auch die folgenden Romane Tarot Paryski (Pariser Tarot), Kabaret metafizyczny (Das metaphysische Kabarett) und Podręcznik do ludzi (Handbuch für die Menschen), die nach ihrer Rückkehr nach Polen Anfang der 1990er Jahre erschienen, handeln vom Leben in Paris. Die ersten Bücher Gretkowskas erreichten in Polen große Auflagen und riefen noch größere Irritationen hervor. Als skandalös wurde Gretkowskas Offenheit gegenüber Tabuthemen wie Sexualität, Weiblichkeit und Körper empfunden, ihre kritische Haltung gegenüber Polen, aber auch ihr selbstverständliches Überschreiten jeglicher Grenzen zwischen „hoher Kultur“ und Populärkultur. Ihre Bücher sind sowohl formal als auch inhaltlich eine Art Patchwork, in dem sich autobiographische mit fiktionalen und essayistischen Elementen mischen, der Text mit Bildern und Zeichnungen collagiert wird. Ihre Themen reichen von Erotik über Okkultismus und Religion zu Philosophie und Kunst, die neben Szenen aus dem alltäglichen Leben verhandelt werden. Die verschiedenen Ingredienzien werden vermischt, ohne einen Unterschied zwischen ‚hoch‘ und ,niedrig‘ zu machen. Ihre Sprache ist kolloquial und oft vulgär. Dies sicherte der Autorin den Platz in einigen wohlbekannten Schubladen, die nicht für große Literaten reserviert sind: Provokateurin, Skandalautorin, Feministin. Ein wenig seltsam erscheint da die Läuterung, die sich auf den ersten Blick in ihrem 2001 erschienenen Buch Polka abzeichnet. Dieses ist das Tagebuch einer Schwangerschaft, augenscheinlich ihrer eigenen Schwangerschaft, heißt die Protagonistin doch Manuela, das erwartete Kind Pola, der Lebensgefährte Piotr. Sie leben gemeinsam in Schweden und planen schließlich die Rückkehr nach Warschau. Zudem schreiben Piotr und Manuela am Drehbuch für die polnische Fernsehserie Miasteczko. Faktisch alles genau wie im Leben der realen Schriftstellerin. Und die Medien halten sich daran, wenn sie Polka als intimes Tagebuch verkaufen. Aber bei genauerem Hinschauen lässt sich nicht übersehen, dass es sich hierbei auch um einen Roman handelt, der gewissen Kompositionsstrategien folgt, und um eine Mischung aus authentischen und fiktionalen Elementen, die sich nicht voneinander trennen lassen. Gretkowska will durchaus, dass wir bestimmte Dinge auf sie selbst beziehen, aber im nächsten Moment macht sie sich darüber lustig, wie leichtgläubig wir ihre literarische Figur mit ihr selbst identifizieren.

 

gretkowska_polkaDie Manuela in Polka sowie in den anderen Büchern Gretkowskas, in welchen die Protagonistin ihren Namen trägt, ist nicht einfach mit der Schriftstellerin gleichzusetzen. Auf die Frage „Ist die Manuela, die wir aus ihren Büchern kennen, und Piotrs Manuela ein und dieselbe Person?“ antwortet Manuelas Lebensgefährte Piotr in Polka: „Meiner Meinung nach gibt es in ihren Büchern keine Manuela. Da irrt eine Chamäleon-Frau herum, jemand ohne Persönlichkeit, auf der Suche nach sich selbst. Ein Kind der modernen Welt.“ Gerade Polka, das als Tagebuch einer Schwangerschaft besonders intim daherkommt, ist ein Beispiel für die Selbstinszenierungstaktik Gretkowskas, die zeigt, wie leicht man sein Image in der Öffentlichkeit manipulieren kann. Die Lebensgeschichte, die wir an ihren Werken ablesen können, ist nicht die der realen Schriftstellerin, sondern die der von der Schriftstellerin geschaffenen „Manuela Gretkowska“.

In einem Artikel von 1998 empört sich Gretkowska darüber, dass bekannte und zumeist skandalöse Künstlerinnen ihre Mutterschaft in der Öffentlichkeit zelebrierten und dazu benutzten, sich ein ‚menschliches‘ Image zu geben. Doch genau solch ein Image schafft sich die Autorin in Polka. Sie berichtet von der perfekten Beziehung, die Nähe und Distanz vereinen kann, von Geborgenheit, Familienglück und Ruhe, und, man glaubt es kaum, von der Sehnsucht nach dem Heimatland Polen. Alles Begriffe, die in der Öffentlichkeit als absolut unvereinbar mit dem Namen Gretkowska gelten. Ist das Inkonsequenz und Anbiederung von Seiten der Autorin? Ist der Spott, den das Buch bei einigen hervorgerufen hat, verdient? Oder ist es nicht doch eher so, dass die Philosophieabsolventin Gretkowska mit ihrem Buch ganz bewusst gerade das vollzieht, was sie kritisiert? Schließlich vergleicht Manuela die Art, wie sie ihr noch nicht geborenes Kind vorführt, selbstironisch mit der Reality Show Big Brother. Die eigene Distanz der Autorin gegenüber ihrem eigenen Text gebietet Vorsicht und verlangt, mehrschichtig zu denken und Text und Autorin nicht zu vorschnell einzuordnen – denn genau darauf zielt Gretkowskas Kritik.

Der Erfolg von Polka, des einzigen ins Deutsche übersetzten Buchs, und seine Nominierung für den Literaturpreis Nike führten tatsächlich dazu, dass die Autorin in einem neuen Licht erschien. Doch ist der Tagebuchroman noch immer ein typisches Gretkowska-Buch mit den typischen Gretkowska-Themen, die provozieren: Erotik, Sex und Körperlichkeit, Attacken auf die Rollenklischees von Mann und Frau, den polnischen Literatur- und Medienbetrieb, die Kirche. Manuela Gretkowska ist nach wie vor eine kontroverse Erscheinung in den Medien: Einer ihrer Artikel in der Zeitschrift Sukces – ihre Antwort auf eine Beschwerde von Seiten der damaligen Regierung der Kaczyński-Brüder bezüglich eines anderen von ihr verfassten Artikels – wurde auf Geheiß des Herausgebers nachträglich fein säuberlich mit einem Messer aus jedem einzelnen Exemplar entfernt.

Gretkowska versteht ihre Literatur sicherlich nicht nur als postmodernes Spiel mit Realität und Fiktion, sondern sehr wohl als engagierte Literatur. Dies wird in Polka vor allem an den vielen essayistischen Passagen deutlich, die sich aktuellen politischen und kulturellen Themen zuwenden. Die beiden als Fortsetzung von Polka konzipierten Bücher Europejka (Die Europäerin) und Obywatelka (Die Bürgerin) tendieren immer mehr zur Dokumentarizität: In Ersterem geht es um den Beitritt Polens zur EU, in Letzterem um die Gründung der Frauenpartei in Polen. Im Jahr 2007 beschäftigte Gretkowska die Medien einmal mehr aus ganz unliterarischen Gründen: als Initiatorin der Bewegung Polska jest kobietą (Polen ist eine Frau) und Gründerin der Frauenpartei Partia kobiet, die bei den letzten polnischen Parlamentswahlen antrat. Gerade das Image Gretkowskas als Feministin schadet wohl ihrem Ruf als Literatin; aber auch dies ist wiederum zu hinterfragen.

Sicherlich sind es die zutiefst polnischen Themen und Probleme, die Gretkowskas Literatur außerhalb des Landes nicht für alle interessant macht. Außerdem lässt das häufige Aufgreifen des Genderthemas die eine oder andere Augenbraue gelangweilt hoch wandern. Es irritiert, dass die Autorin ein wenig zu oft ihre Meinung direkt präsentiert und ein wenig zu sehr ihr Privatleben in der Öffentlichkeit darlegt. Aber die Beurteilung ihrer Prosa als oberflächlich und rein autobiographisch basiert selbst auf einer nur oberflächlichen Lektüre. Das Gefühl bleibt, dass Frau Gretkowska uns irgendwie an der Nase herumführt, dass sie genau weiß, in welche Schubladen wir sie stecken und dass sie alles auch genau so plant. Und uns dann – nach der Manier: Hab ich’s doch gesagt! Ich kenn euch ganz genau! – die Zunge rausstreckt und … ein neues Buch herausbringt.

 

Literatur von Manuela Gretkowska in Auswahl:
My zdies’ emigranty. Warszawa: Wydawnicto W.A.B. 1991.
Tarot Paryski. Warszawa: Wydawnicto W.A.B. 1993.
Kabaret metafizyczny. Warszawa: Wydawnicto W.A.B. 1994.
Podręcznik do ludzi. Warszawa: Wydawnicto W.A.B. 1996.
Polka. Warszawa: Wydawnicto W.A.B. 2001.
Europejka. Warszawa: Wydawnicto W.A.B. 2004.
Obywatelka. Warszawa: Wydawnicto W.A.B. 2008.

 

auf Deutsch:
Polka. Aus dem Polnischen von Paulina Schulz. München: dtv 2004.

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