Bis dass das Brot uns scheidet – über jugoslawische Bergbauern und die nackte Versuchung

„Schönheit der Sünde“ (Lepota poroka, 1986) von Živko Nikolić wurde dem Publikum in der Sektion „Spotlight Montenegro“ auf dem 29. FilmFestival Cottbus (FFC) vorgeführt. Die 2018 restaurierte Verfilmung aus den 1980ern bietet einen schonungslosen Blick in die Vergangenheit. Jugoslawische ‚Schnurrbartgesellschaft‘ trifft auf blanke FKK.

 

Ein Mann erwischt seine Frau beim Ehebruch. Der ‚Tod‘-Sünde überführt, bäckt sie ihr letztes Brot, ihr Todesbrot sozusagen. Ja, richtig gelesen, denn das Bizarre an der ganzen Geschichte folgt am nächsten Morgen. Schweigend besteigt das Noch-Ehepaar einen scheinbar ganz bestimmten Felsvorsprung, beschattet von einigen schaulustigen Großmütterchen. Die Frau hat ihr langes dunkles Haar sorgfältig geflochten, trägt schwarze Tracht. Sie ist noch jung, doch spielt das keine Rolle mehr. Ihr Mann, der ihr den ganzen Weg dicht gefolgt ist, hält einen großen knüppel-artigen Holzhammer in seinen Händen. Am Horizont geht die rote Sonne auf, als die Frau sich ihrem Schicksal fügt. Nicht etwa unfreiwillig, nein, ganz bewusst, dem Brauch ergeben, platziert sie den großen Laib Brot auf ihrem Kopf. Ein letzter aufrichtiger Blick, bevor der Hammer dumpf auf Brot und Frau einschlägt. Sie ist tot.

Die Szene lässt einen zugegeben sprachlos zurück. Man fragt sich: Ist das gerade wirklich passiert? Untermalt durch ernste, düstere Musik und altmodisch anmutende Bildqualität trifft der Hammer auch die Zuschauenden.

Neue Szene. Luka und Jaglika – ein anderes Paar – sind frisch verheiratet, als sie der Einladung ihres Paten Djrodje (bzw. George, weil das moderner klingt) folgen, der an der Küste Fuß gefasst hat und vom guten Leben, den schönen Frauen und der vielen Arbeitsmöglichkeiten schwärmt. Das traditionsbewusste Paar lebt in einer Ehe nach Vorschrift, in der der Mann die Hosen anhat. Wenn er sie mal nicht anhat, legt er der Frau ein schwarzes Tuch über die Augen, bevor er sie besteigt. Dagegen bleibt die Gattin wie ein steifes emotionsloses Brett liegen – so muss es sein. Das moderne Stadtleben ist für die beiden durchaus befremdend. Beim Paten untergekommen, findet besonders Luka nicht so recht Anschluss, weder am Arbeitsplatz noch in der Gesellschaft. Djordje, der sich als dubioser Geschäftsmann und Frauenheld herausstellt, begegnet ihnen auch immer mehr mit eigennützigem Charme. So kommt es schließlich zum Supergau des patriarchalen Haushalts, die Frau muss das Geld verdienen, und das ausgerechnet in einem FKK-Hotel. Verängstigt von der vielen nackten Haut
arbeitet Jaglika (gespielt von Mira Furlan) als Zimmermädchen unter sonnenbadenden Nudisten. Ein besonders auffälliger Kontrast, da die Hausmädchen im Gegensatz zu den nackten Gästen wie Nonnen gekleidet sind. Die Hotelanlage ist abgeschirmt von den überwiegend männlichen Gaffern. Nach anfänglichen Berührungsängsten lernt sie ein ausländisches Paar kennen, das ihr zeigt, dassdie Sünde schön sein kann. Die drei entwickeln ein inniges, aber vorübergehendes Verhältnis, das dazu führt, dass auch Jaglika ihre Hüllen
fallen lässt, wohl wissend, welches Schicksal ihr bevorsteht.

„Spotlight Montenegro“ zeigte mit insgesamt siebzehn vertretenen Filmen die landschaftsbedingten Gegensätze in der Gesellschaft eines noch jungen Staates im Balkan. Bereits in jugoslawischen Zeiten als Motiv von Regisseuren wie Nikolić aufgenommen, erweisen sich diese Werke heute als Fundament eines sich entwickelnden montenegrinischen Filmlands. Seinerzeit porträtierte Nikolić die Gesellschaft auf sarkastisch-schwarzhumorige Art und Weise. Das schon etwas ältere Werk des bereits verstorbenen Regisseurs über Bräuche, Religion, Offenheit, Moderne, Familie und nicht zuletzt die Liebe visualisiert das Aufeinandertreffen von Bergbauern und Nudisten, streng-orthodoxer Bergkultur, verwurzelt im Patriarchat, und offener Küste, Tummelplatz für den Tourismus und seine Mitbringsel.

Obwohl der Film viele unterwürfige Frauen präsentiert, veralbert er umso mehr eine von Männern dominierte ‚Schnurrbartgesellschaft‘, die sich in ihren Prinzipien – zumindest teilweise – selbst widerspricht. Mit weniger romantischen Aspekten, als der Titel zunächst vermuten lässt, wirkt er sogar in einigen Momenten leicht kitschig, vielleicht wegen der gelegentlich zu abgehackten Dialoge, aber auch des zu überhöhten Einsatzes himmlischen Engelsgesangs als Begleitmusik. Dennoch bietet der Film ein eigenartiges, herzlich schonungsloses Dokument
einer Kulturinterpretation, die seinerzeit aufgrund zu offen gezeigter Erotik für Diskussionsstoff sorgte und – zumindest für prüde Gemüter – auch noch sorgen mag. Es ist ein verzerrter, enthüllender Blick in die Vergangenheit, in jeder Hinsicht ein Einblick in eine fremd wirkende Welt, die wegen ihrer Derbheit doch neugierig macht! Nikolićs makabres Vermächtnis war wegen seiner Freizügigkeit durchaus umstritten, ist aber eine finstere Retrospektive, eine Entblößung, wenn man so will, die den Zuschauenden eine alte Geschichte aus dem neuen Montenegro erzählt, das sie so noch nicht kannten.

 

Nikolić, Živko: Lepota poroka (Schöne Sünde). Jugoslawien, 1986, 105 Min.

 

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