Die vielfach preisgekrönte und in Belgrad lebende junge Poetin Radmila Petrović und ich treffen uns „am Pferd“ auf dem Platz der Republik, wie es alle Belgrader_innen tun, die sich auf einen Kaffee im Stadtzentrum verabreden. Sie kam gerade von einer Schreibresidenz aus dem Kosova zurück. So sprechen wir gleich zu Beginn über die Kosovo-Frage, während wir durch die Straßen des ehemals jüdischen Altstadtviertels Dorćol ziehen, auf der Suche nach einem Café. In einem zentralen Gedicht aus ihrem 2020 erschienenen Gedichtband Moja mama zna šta se dešava u gradovima (dt. Meine Mama weiß, was in Städten vor sich geht) werden die purpurroten Pfingstrosen, Symbol für die heldenhaft gestorbenen Krieger aus dem serbischen Narrativ rund um die legendäre Schlacht am Amselfeld von 1389 (serb.: „Kosovska bitka“) mit Menstruationsblut parallelisiert. Dem serbischen Gründungsmythos zufolge erlag der später dafür heiliggesprochene Fürst Lazar freiwillig der Osmanischen Armee des Sultans Murat am Amselfeld, im Austausch für einen Platz im Himmelreich (serb.: „carstvo nebesko“). Es ist dieser nationale Mythos, der den Serb_innen die Anerkennung der staatlichen Souveränität so schwer macht. Je nachdem, ob man die weibliche Menstruation als Scham oder Fruchtbarkeit deutet, kann diese Parallelisierung als verleumdend oder aufwertend interpretiert werden. Für Radmila Petrović geht beides in der Poesie.
Zum serbischen Original geht es ⇒ hier.
Philine Bickhardt: Dein Gedichtband Meine Mama weiß, was in den Städten vor sich geht aus dem Jahr 2020 ist gerade in vierter Auflage im Verlag PPM Enklava erschienen. Als ich ihn gelesen habe, fiel mir besonders die Verbindung von Natur und Weiblichkeit ins Auge. Das Titelbild zeigt diese Verbindung: Eine nackte Frau in Gummistiefeln mit betonten Brüsten und langen Haaren steht vor rotem Hintergrund in einer schematisch dargestellten Wiese. Und sie sieht ziemlich cool aus. Warum?
Radmila Petrović: Das Titelblatt geht auf den Vorschlag der Designerin Hajdana Kostić zurück, darauf hatte ich nicht viel Einfluss. Ich wollte versuchen, Gedichte in der Sprache der Natur zu schreiben, denn ich bin umgeben von der Natur aufgewachsen und das ist die einzige Sprache, die ich kenne. Ich verstehe mich nicht auf diese städtische Sprache, die die urbanen Schriftsteller_innen verwenden. Sie verwenden viele Stadt-Referenzen, wie „Hauseingänge/-korridore“ (serb.: „haustori“) und „Kaffeehäuser“ (serb.: „kafići“). Ich spreche stattdessen von Pflanzen und Tieren.
Ich wollte ein lyrisches Ich erschaffen, das verletzlich ist und sich trotzdem immer behauptet, das kämpft und frohen Mutes bleibt, trotz der schwierigen Umstände und der Natur, die ich in erster Linie als rau und hart bezeichnen würde. Zudem wollte ich ein lyrisches Ich erschaffen, dem das Patriarchat, in dem es aufgewachsen ist, nicht erlaubt, das Frau-Sein voll auszuleben.
P.B.: Dient die Stadt als Antipode zum Dorf, in dem Männer dominieren, hat also die Stadt eine selbstbestimmte weibliche Perspektive auf sich selbst?
R.P.: Die Stadt könnte ein Ort größerer Freiheit sein, ein Ort, wo das Patriarchat nicht so dominant ist oder wo diese Dominanz wenigstens nicht so offensichtlich wird, wie auf dem Dorf. Das lyrische Ich sieht die Stadt als Ort, wo Frauen mehr „Rechte“ hatten oder mehr Möglichkeit, ihr weibliches Prinzip zu entwickeln. Das Patriarchat steht einer solchen Entwicklung oft im Weg und hält Frauen davon ab, ihre wahre Natur zu leben. Dieses Zurückgehaltenwerden wird im lyrischen Subjekt sichtbar, einem Mädchen, das sich der traditionellen weiblichen Rolle nicht unterwirft und sich die Stärke und gesellschaftliche Rolle des Mannes für sich herausnimmt.
P.B.: Könnte man den Titel des Gedichts, das auch titelgebend für den Gedichtband ist, so fortführen: Meine Mama weiß, was in Städten vor sich geht, aber sie bleibt leider trotzdem auf dem Dorf?
R.P.: Der Titel ist ironisch gemeint. In meiner Vorstellung steht er für eine Mutter, die aus dem Dorf heraus der Tochter erzählt, was einem Schlechtes und Gefährliches in der Stadt zustoßen kann, dabei war die Mutter selbst nie in der Stadt. Ich wollte einen Titel, der auf traurige Weise ironisch ist.
P.B.: Welche Rolle hat die Kuh als Motiv in deiner Poesie? Im Gedicht Die Sprache der Pflanzen wird über die Kuh als Objekt der Sehnsucht gesprochen. Der Eigenname der Kuh „Šarulja“ (dt. Gefleckte) hebt sich zusätzlich von dem restlichen kleingeschriebenen Text durch seine Großschreibung ab. Zudem schreibt man im Serbischen Gott groß, während fast alles andere (außer Eigennamen) klein. Rückt die Großschreibung der Kuh sie und die Tiere näher an Gott heran?
R.P.: Die Kuh ist mein Lieblingstier, denn es ist das Lieblingstier meiner Mutter. In Serbien geben wir allen Kühen Namen. Sie heißen meist Šarulja, Macula, Zvatula usw. Was Götter anbelangt, so schreiben wir in Serbien das, was heilig ist und das wir respektieren, mit großem Buchstaben. Eigentlich hatte ich Gott zuerst klein geschrieben, aber dann hat man mir gesagt, ich sollte das nochmal überdenken. Am Ende habe ich mich für die Großschreibung entschieden, mehr, weil ich aus einer sehr religiösen Familie komme, weniger, weil ich denke, dass es Gott wichtig ist, wie er geschrieben wird.
P.B.: Im Gedicht Zwei Minuten ohne Poesie heißt es, die Haupterzählerin sei wie die Kuh Šarulja „falsch rum“ geboren. Da Kälber tatsächlich aus der menschlichen Perspektive „verkehrt herum“, nämlich zuerst mit den Beinen, auf die Welt kommen, lese ich in diesen Zeilen das Thematisieren einer Abweichung von der Norm, vielleicht sogar eine Metapher für die Verschmelzung des Männlichen und Weiblichen, für das männlich Geborene im weiblichen Körper (auch „intersex“ genannt)?
R.P.: Meine Mutter hat ihr Leben lang Kühe gehalten. Die Kuh ist somit die einzige Konstante in ihrem Leben. Die Kuh ist darüber hinaus ein Symbol für Wohlstand und Sicherheit. Sie ist auch auf ihre Art ein Wärme-Quell, das wissen alle, die sich auch nur einmal auf einer Wiese oder im Stall zwischen Kühen befunden haben. Die Kuh wird, nachdem das lyrische Ich das Dorf verlassen hat, zum Symbol für die Sehnsucht nach Wärme und nach dem Ort des Aufwachsens. In Serbien kommentiert man mit „verkehrt herum“ (serb.: „naopako“, Anm. d. Red.: im Sinne von „abweichend“) alles, was nicht in Einklang mit traditionellen Vorstellungen von Geschlecht steht. Das lyrische Ich passt nicht in die traditionellen Schubladen. Deswegen nennt es sich selbst – ein wenig traurig, ein wenig ironisch – „verkehrt“.
P.B.: Die Kuh kommt sehr oft in deinen Gedichten vor. Du hast eine besondere Verbindung zu ihr, nicht wahr?
R.P.: Die Kuh ist das dominate Tier meiner Kindheit. Sie ist das Symbol für Stabilität und in meiner Familie hat man ihr viel Aufmerksamkeit gewidmet. Wird die Kuh krank, ist das wie ein abergläubischer Fluch, der sich auf die Familie legt. Alle denken nur noch daran, wie man sie wieder heilen kann. Denn wenn einem die Kuh stirbt, ist das ein großer Verlust für die Familie, mindestens tausend Euro, was für eine ja relativ arme serbische Familie auf dem Land ein großes Unglück bedeutet. Die Menschen hängen sehr an Kühen. Wenn sie kalben, ist die ganze Familie dabei. Meine Eltern verdienen einen Teil ihres Einkommens mit der Herstellung von Käse und dem Verkauf von Kajmak (Anm. d. Red.: ein Milchprodukt, Quark- oder Sahneähnlich). Wir hatten immer Kühe im Haushalt, es war meine Aufgabe, sie zu hüten, auf sie aufzupassen, nach ihnen zu sehen. Die Kuh ist mein Lieblingstier.
P.B.: Und die größte Konkurrenz in den Augen der Mutter?
R.P.: Ja, manchmal war ich eifersüchtig auf diese Kühe, denn meine Eltern haben ihnen mehr Aufmerksamkeit geschenkt als uns Kindern.
P.B.: In der Sprache der Pflanzen schreibst du über das schwere Erbe, dass die Männer der Menschheit hinterlassen haben. Leidet die Erde unter Kriegen und menschengemachter Zerstörung? Ist die Pflanzensprache eine Frauensprache?
R.P.: An Kriegen leidet nur der Mensch, an Zerstörung ebenso. Die Erde ist unzerstörbar; sie findet immer Wege sich zu erneuern, aber niemand garantiert, dass die Menschheit diese Selbsterneuerung überlebt. Die Sprache der Pflanzen ist nicht zwangsläufig eine weibliche Sprache. Es ist die Sprache, die sich aus all jenen Worten zusammensetzt, die wir geliebten Menschen nicht gesagt haben, aber hätten sagen sollen.
P.B.: Kosova ist eine Schlüsselfrage für Serbien und den ganzen Balkan. Nicht nur für den nationalen Gründungsmythos Serbiens, die Schlacht am Amselfeld, dem „Kosovo Polje“, sondern auch als konkrete Frage für die außenpolitische Orientierung des Landes. Die Europäische Union fordert Serbien zur Anerkennung Kosovas als eigenständigem Staat auf, um der EU überhaupt beitreten zu können. Dein Gedicht Ich bin Serbin, aber Kosovo ist nicht in meinem Herzen, sondern du bezieht sich auf den in Serbien noch heute so wichtigen Kosovo-Mythos und stellt den Großvater und Vater als Teilnehmer an Kriegen (Zweiter Weltkrieg, Jugoslawische Kriege) den mutigen und liebenden Frauen gegenüber. Ist der Krieg für dich ein männliches Prinzip?
R.P.: Nein, ich denke nicht, dass der Krieg männlich ist. Ich denke, dass die Kraft der Frauen größer ist als die der Männer und dass daher Frauen immer die größeren Siegesaussichten haben, besonders die verliebten. Frauen waren nun zum Glück nicht diejenigen, die in der Geschichte Kriege begonnen haben und genau deshalb können sie ein entscheidender Faktor für die Versöhnung sein. Ich stelle also der kriegerischen Kraft der Männer eine erotische Kraft entgegen. Frauen führen auch Kriege, aber sie führen nicht so falsche Kriege, etwa um Territorien. Frauen kämpfen immer für bestimmte höhere Werte. Dabei sind besonders verliebte Frauen gefährlich. Frauen haben eine überaus große Kraft, das ist ihre erotische Kraft. Ich denke im Übrigen auch, dass sie viel gefährlicher sind als Männer. Dieses Gedicht soll genau darüber sprechen, also über die Kraft der Frauen als Antipode zu dieser Kriegskultur, diesem Krieg, dieser männlichen Kraft. Frauen führen weitaus klügere Kriege.
Dieses Gedicht ist ein Versuch, die Kraft der Frau und die erotische Kraft über die hier gepflegte Todeskultur, über die Betonung des Kosovo zu erheben. Die Kosovo-Frage ist für die meisten Serb_innen eigentlich nicht das Hauptthema. Natürlich ist dies ein wichtiges Thema für die Serb_innen im Kosovo selbst, und es tut mir leid, wenn sie nicht die Rechte und Freiheiten haben, die sie ihrer Meinung nach haben sollten. Für uns andere ist der Kosovo wichtig wegen der Art und Weise, wie wir aufgewachsen sind und was unser Bildungssystem sagt, das bestimmte Emotionen in uns für dieses Territoriums produziert, das Lernen, dass das „unseres“ ist. Aber wenn du in diesen Kosovo fährst, ist es real sehr anders, als wir es in der Schule gelernt haben. Und natürlich, wenn du das sagst, bist du ein „Verräter“ (serb.: „izdajnik“). Das ist ein Problem, mit dem man konfrontiert wird.
Vielleicht denkt der Präsident jeden Tag darüber nach, wenn er aufwacht, weil das eine politische Frage ist, die gelöst werden muss, aber dieses Gedicht soll eine Rebellion ausdrücken; nämlich dass diese politischen Fragen, auf die man so sehr insistiert, dem einfachen Volk nicht so wichtig sind. Beispielsweise spreche ich mit meinen Freunden nicht über die Kosovo-Frage; wir reden darüber, wer mit wem zusammen ist, wer weswegen leidet usw. Wichtig ist auch, dass das einfache Volk keine Möglichkeit hat, diese Fragen zu lösen.
P.B.: In diesem Sinne ist auch die Ansprache an den Herrn General, „die roten Pfingstrosen blühen in Höschen“, zu verstehen?
R.P.: Die Pfingstrosen sind ein Symbol der serbischen leidvollen Niederlage am Amselfeld. Wir haben diesen Mythos, dass nach der Schlacht Pfingstrosen aus dem Blut serbischer Gefallener erwuchsen. Das aufzugreifen, ist sehr provokativ und ich wurde von serbisch-orthodox Gläubigen und der politischen Rechten auch scharf verurteilt. Ich war das Hauptthema auf Twitter, ich wurde zum kontroverstesten Gast der Sendung „24 Minuten“ von Zoran Kesić. Er moderiert diese Show seit Jahren, die sehr links gerichtet ist. Nachdem ich das Gedicht in der Sendung vorlas, beschuldigten mich Rechte, Kosovo verraten zu haben, mit meinen 23 Jahren. Ich wusste, dass diese Metapher sehr explosiv ist, aber es kommt darauf an, wie man das versteht: Wenn man es so interpretiert, dass eine ganze Nation aus weiblichen Fortpflanzungsorganen entsteht, kann dies ein Symbol der Macht sein. Aber sie entschieden sich dazu, es stattdessen als Symbol der Scham und der Herabsetzung eines nationalen Mythos zu verstehen. Es war also eine Entscheidung, negativ zu interpretieren.Quelle des Beitragsbildes: Radmila Petrović 2021, © Marija Strajnić.
Die folgenden Übersetzungen sind von Rebekah Manlove und Philine Bickhardt im Rahmen der Sommerschule „Krisenszenarien und (junge) Literatur“ in Halle 2021 angefertigt worden.
Devojka koja ne veruje u mitove
kod proročice smo išli tata, mama i ja rekla je biću muško i nešto veliko spasla mi je život
devojčice koje se ovako rode ne poznaju bogove za sedmi rođendan kolju petla na panju
ne koriste maskaru nego masat i francuski ključ voze traktor cede čvarke i jedu kavurmu
to su one dugonoge devojke što same šetaju dok se prve pahulje tope na krovu hotela Moskva
priđi im samo ako mozes zavoleti muskarca u njima
Dva minuta bez poezije
znam, mama, dali ste sve od sebe ali sa mnom je krenulo kao kad se Saruija telila – naopako
a bila sam dobra u školi uvek petice, dak generacije
a sad, kojim čes me travama lečiti od topline njenih usana
za raspuste sam boravila na njivi svi drugi na moru sad znam da najtužnije leto nije ono provedeno u malinama
deda je prodao tele i kući nije dolazio dok ga nije propio i ne samo toliku rakiju popio je čitavo imanje bezbriznost tvog detinjstva baba je zbog njega prerano završila
neko će za to ispaštati komšije su često govorile
mama, jesam li ja taj neko?
Srpkinja sam, al‘ mi Kosovo nije u srcu, nego ti
tata je prvo kukao na dedu što nije hteo ni u četnike ni u partizane pa su ga ganjali i jedini i drugi
onda na predsednika
uvek na Ameriku
ovde se u rat išlo ako nemaš vezu u vojnom odseku
generale pobedili bismo da si znao
jedna zaljubljena žena opasnija je od NATO tenka
protivraketnu zaštitu nosi u grudima
bokove uvek drži u borbenom položaju
sreće ima toliko da štiklom ne potrefi minu
pobogu čoveče, naspavajte se
u vezi s kosovskim pitanjem generale
božuri cvetaju
u mojim gaćicama
Moja mama zna šta se dešava u gradovima
moja mama nema sina nema overenu zdravstvenu knjižicu njeno srce nije od čelika
surutka joj teče pod prstima samoća se razlistava u stabljike kupusa
i samo je motika ostavlja bez daha
ona zna da su tatine ruke armirani beton reči crni luk blizu očiju
razume jezik bilja ima odgovor na pitanje zemlje ali ćuti
ovde čudan znači dobar a budak znači smrt
moja mama nema sina da je zaštiti
razumno je bilo jedino napustiti nas
naopako, mama šta bi tek od mene bilo da si otišla
Jezik bilja
mama, sanjam livade jutarnje izvođenje krava kiše od kojih se grana i narasta naš jezik bilja
oko čijeg će se vrata obaviti rečenice-bršljani kad rastvore fasade porodičnih kuća
mama, živim u gradu ali ja sam rudar zatrpan pitanjima zemlje
koja se do sada nasleđivala po muškoj liniji a kad sam se rodila ona je postala miraz
u suton se međe ocrtavaju na mojim dlanovima
poput zvuka vode sekundu pre ključanja tako čujem bujanje naših biljaka neke su reči toliko nežne da ih čuvamo u plastenicima
da li da im otkrijemo, mama?
jezik bilja nema veze s tim odakle ste
jezikom bilja govore majka i ćerka kad ne pričaju dovoljno
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Das Mädchen, das nicht an Mythen glaubt
zur prophetin gingen wir papa, mama und ich sie sagte, ich werde männlich sein und etwas großes sie rettete mir das leben
mädchen, die so geboren sind kennen die götter nicht zum siebten geburtstag schlachten sie den hahn auf einem baumstumpf
wimperntusche nutzen sie nicht sondern wetzstab und schraubenschlüssel fahren traktor pressen schweinegriebe aus und essen kavurma
das sind diese langbeinigen mädchen die alleine spazieren gehen während die ersten flocken schmelzen auf dem dach des hotels “Moskva”
nähere dich ihnen nur, wenn du dich in den mann in ihnen verlieben kannst
Übersetzt von Philine Bickhardt
Zwei Minuten ohne Poesie
ich weiß, mama, ihr habt alles von euch gegeben bei mir gings so los, wie bei Sarulja als sie kalbte – kopfüber in der schule war ich gut immer einsen, jahrgangsbeste
aber jetzt, mit welchen kräutern wirst du mich von der wärme ihrer lippen heilen?
für die ferien blieb ich auf dem feld alle anderen am meer jetzt weiß ich, dass der in himbeeren verbrachte sommer nicht der traurigste ist
opa hat das kalb verkauft und er kam nicht eher nach hause, bis er es nicht versoffen hatte
und nicht nur so viel rakija er hat den ganzen hof vertrunken die unbeschwertheit deiner kindheit oma ist wegen ihm vorzeitig von uns gegangen
jemand wird es ausbaden haben die nachbarn oft gesagt
mama, bin ich dieser jemand?
Übersetzt von Philine Bickhardt Ich bin Serbin, aber nicht der Kosovo ist in meinem Herzen, sondern du
papa hat über opa geklagt weil er weder zu den tschetniks noch zu den partisanen wollte so jagten ihn die einen wie die anderen
dann über den präsidenten
immer über Amerika
hier zogst du in den krieg, wenn du keine beziehungen zum militär hattest
herr general wir hätten gesiegt, hättest du gewusst
eine verliebte frau ist gefährlicher als ein NATO panzer
ein raketenabwehrsystem trägt sie in den brüsten
die hüften hält sie immer in kampfstellung
sie hat so viel glück dass ihr absatz keine mine trifft
um gotteswillen mensch, schlafen sie sich aus
und in verbindung mit der kosovo frage herr general
rote pfingstrosen blühen
in meinem höschen
Übersetzt von Rebekah Manlove
Meine Mama weiß, was in den Städten vor sich geht
meine mama hat keinen sohn sie hat keine gültige krankenversicherung ihr herz ist nicht aus stein
molke fließt ihr unter den fingern einsamkeit entblättert sich in kohlstrünken
und nur die hacke lässt sie atemlos zurück
die weiß, papas arme sind stahlbeton worte zwiebeln nah der augen
sie versteht die pflanzensprache hat die antwort auf die frage der erde aber schweigt
hier bedeutet merkwürdig gut und spitzhacke bedeutet tod
meine mama hat keinen sohn, der sie beschützt
vernünftig war nur uns zu verlassen
andererseits, mama was wäre bloß aus mir geworden, wärst du gegangen
Übersetzt von Rebekah Manlove
Pflanzensprache
mama, ich träume von wiesen dem morgendlichen ausführen der kühe dem regen, durch ihn verzweigt sich und wächst unsere pflanzensprache
um wessen hals werden sich efeu-sätze ranken wenn sie die fassaden der familienhäuser auflösen
mama, ich wohne in der stadt aber ich bin bergarbeiter begraben von fragen der erde
bisher in männlicher linie vererbt wurde sie nach meiner geburt zur mitgift
in der dämmerung zeichnen sich die feldgrenzen auf meinen handflächen ab
wie das geräusch von wasser eine sekunde vor dem brodeln so höre ich das gedeihen unserer pflanzen manche worte sind so sanft, dass wir sie in gewächshäusern schonen
sollen wir es ihnen sagen, mama?
pflanzensprache es hat nichts mit eurer herkunft zu tun
pflanzensprache sprechen mutter und tochter wenn sie nicht genug reden
Übersetzt von Philine Bickhardt und Rebekah Manlove |
Original: Radmila Petrović: „Moja mama zna šta se dešava u gradovima“. Beograd: PPM Enklava 2020.