Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Dichter und Ver­leger: Ivan Mal­kovyč hat gleich zwei Berufungen

Ein Inter­view mit Ivan Mal­kovyč

 

1992, ein Jahr nachdem die Ukraine von der Sowjet­union unab­hängig wurde, grün­dete Ivan Mal­kovyč  den ersten Verlag, der auf Kin­der­bü­cher in ukrai­ni­scher Sprache setzte, den ersten, der nicht staat­lich war.  A‑BA-BA-HA-LA-MA-HA ist bekannt dafür, die teu­ersten, aber auch die besten Bücher der Ukraine her­zu­stellen. Ver­ant­wort­lich für den Erfolg seines Ver­lags ist die lan­des­weit ein­ma­lige Qua­lität von  Papier, Druck, Illus­tra­tionen und Über­set­zungen, der Mut zu unge­wöhn­li­chen Mate­ria­lien und inno­va­tiven Ideen, wie z.B. Medi­en­er­eig­nisse zum Erscheinen von Büchern oder aktuell ein Mal­wett­be­werb für Kinder zur EM 2012, die in der Ukraine und Polen statt­finden wird.  2004, 2008 und 2009 wurde Ivan Mal­kovyč in der jähr­li­chen Umfrage der Zeit­schrift „Kore­spon­dent“ zu einem der hun­dert ein­fluss­reichsten Ukrainer gewählt. Per­fek­tio­nis­tisch ist auch der Dichter Ivan Mal­kovyč. Zwi­schen 1984 und 2010 erschienen sechs Gedicht­bände. Etwa alle vier Jahre einer. Er gibt selbst zu, dass er für die detail­lierte Aus­ar­bei­tung manchmal Jahre braucht. Am 10. Mai wird Mal­kovyč 50 Jahre alt.

 

IvanMalkovych

novinki: Sie sind Autor und Ver­leger. Wollten Sie immer diese Berufe ergreifen oder hatten Sie früher andere beruf­liche Pläne?

 

Ivan Mal­kovyč: Vor kurzem fand Mama ein von mir gebas­teltes Büch­lein aus dem Jahr 1971. Das heißt, ich habe es geschrieben, als ich zehn Jahre alt war. Das Büch­lein beginnt mit einigen Versen, geht weiter mit einem Pro­samär­chen über zwei Brüder, dann folgen fünf Lieder mit Noten und schließ­lich wieder Verse… Wie Sie sehen, hatte ich schon damals keine anderen Pläne. Obwohl, das ist nicht die ganze Wahr­heit, denn ich habe auch davon geträumt, Gei­gen­spieler zu werden und … Fahrer. Und ist es nicht son­derbar: Das ist alles in Erfül­lung gegangen.

 

n.: Schreiben Sie noch eigene Lyrik?

 

I.M.: Ich schreibe, wenn auch selten. Im ver­gan­genen Jahr kam ein Buch meiner gesam­melten Gedichte heraus unter dem Titel „Alles Neben­säch­liche“, darin sind auch neue Gedichte ent­halten. Der Band erhielt einen Preis und zwei Nomi­nie­rungen bei ukrai­ni­schen Bücher­wett­be­werben. Doch was mich noch mehr freut ist, dass ich in diesem Jahr als Dichter wieder zur Besin­nung gekommen bin und stetig etwas schreibe. Ich habe Angst, das laut aus­zu­spre­chen, doch ich hoffe, dass diese Offen­ba­rung meiner poe­ti­schen Kon­sis­tenz nicht verschwindet.

 

n.: Ihr Gedicht „Dorf­lehrer“ aus dem Jahr 1985 ist ein Plä­doyer für die ukrai­ni­sche Sprache. Was bedeutet die ukrai­ni­sche Sprache für Sie?

 

I.M.: Die ukrai­ni­sche Sprache ist mein Ozean. Gott hat gegeben, dass ich in diesem Ozean am freisten und ruhigsten schwimme. Ohne ihn ris­kiere ich zu ersticken.

 

n.: Wie sehen Sie die aktu­elle Dis­kus­sion um die Ein­füh­rung des Rus­si­schen als zweite Amtssprache?

 

I.M.: Was würde ein Deut­scher in Deutsch­land denken, wenn man ihm Fran­zö­sisch oder ein Fran­zose in Frank­reich, wenn man ihm Deutsch als zweite Amts­sprache auf­halste? Das ist etwa das Gleiche.

 

n.: Sie wurden zur Zeit der Bu-Ba-Bisten (Bu-Ba-Bu: bekannte Lyrik- und Per­for­mance-Gruppe der 1980er Jahre, zu der unter anderem Jurij Andruchowyč gehörte, Anm. d. Red.) lite­ra­risch aktiv. Was halten Sie von der neusten ukrai­ni­schen Autorengeneration?

 

I.M.: Obwohl ich etwas jünger bin als alle drei Bu-Ba-Bisten, habe ich früher ange­fangen, Gedichte zu schreiben und zu ver­öf­fent­li­chen. Zu meiner Zeit haben mich die Kri­tiker zusammen mit Hera­symjuk und Rymaruk zum „Meta­pho­riker“ erklärt. Ich liebe das Werk der Bu-Ba-Bisten, war sogar der erste Preis­träger ihrer Aus­schrei­bung für das beste Gedicht des Jahres. Einige ihrer ersten „Auswärts“-Treffen fanden in meinem hei­mat­li­chen Bereziv in den Kar­paten statt, wo wir im duf­tenden Heu über­nach­teten. Was ich über die heu­tige Dich­ter­ge­ne­ra­tion denke? Inmitten der ver­brei­teten Ver­ban­nung dich­te­ri­scher Poly­phonie in der Ukraine, ver­nimmt man zum Glück manchmal auch wahr­haf­tige Stimmen, z. B. von Ostap Slyvyns’kyj, Boh­dana Matijaš und natür­lich Serhij Žadan.

ABETKA-Malkovyc-Charcenko

 

n.: Wie und warum kamen Sie auf die Idee, Ihren Verlag zu gründen? Hing diese Ent­schei­dung mit dem Sys­tem­wechsel zusammen? Wie hat sich der Verlag seither entwickelt?

 

I.M.: Im Herbst 1991 dachte ich auf der Zug­fahrt zu meinen Eltern dar­über nach, wie mir für meinen drei­jäh­rigen Sohn ein grund­le­gend neues Kinder-Alphabet gelingen könnte. Im Unter­schied zu allen sowje­tisch-ukrai­ni­schen Alphabet-Büchern, sollte es nicht mit Hai (ukr. Akula, Anm. d. Red.) oder Aqua­rium beginnen, son­dern mit Engel (ukr. Angel, Anm. d. Red.), ein Begriff, der in der UdSSR ver­boten war. Es ist nicht aus­zu­schließen, dass genau in jenem Augen­blick mein künf­tiger Verlag seinen hoff­nungs­frohen Beschützer fand. Stellen Sie sich vor, die erste Seite meines ersten Buchs begann mit einem Engel!

Ich wollte, dass das Buch aus dickem Karton war, doch keine Fabrik machte Anstalten, die pas­sende Bin­dung für 34 Seiten – unser Alphabet hat 33 Buch­staben – her­zu­stellen. Also habe ich beschlossen, meinen eigenen Verlag auf­zu­bauen, denn ich war über­zeugt davon, dass eine solche Bin­dung mög­lich sei. In der Ukraine gab es damals keine ent­spre­chenden Maschinen und Technologien.

Vom geschäft­li­chen Stand­punkt aus war meine Hand­lungs­weise milde gesagt ris­kant. Den­noch beschloss ich, das Alphabet in einer Auf­lage von fünf­zig­tau­send Exem­plaren her­aus­zu­bringen. Sogar nach heu­tigen Maß­stäben ist das viel. Die durch­schnitt­liche Auf­lage ukrai­ni­scher Bücher beträgt drei bis sie­ben­tau­send Exem­plare. Irgendwo musste ich 25 Tonnen Karton her­be­kommen. Und genau zu dieser Zeit traf meine Frau zufällig in Kiew meinen Lands­mann aus den Kar­paten, der Maku­latur an eine Fabrik wei­ter­lei­tete, die Karton her­stellte. Und da damals keiner Geld hatte, „bezahlte“ man ihn mit Karton, den er nir­gends los­wurde, wäh­rend für mich dieser Karton lebens­wichtig war. Auf Kredit über­nahm ich einige Ladungen, führte meinen hals­bre­che­ri­schen Plan aus, ver­sprach, den Kredit inner­halb von fünf Monaten zurück­zu­zahlen. Es gelang, die schwie­rige Auf­gabe weiter zu meis­tern. Wie konnte ich so viele Ladungen „ukrai­ni­sches Alphabet“ ver­kaufen? Hier arbei­tete das alt­her­ge­brachte ukrai­ni­sche Prinzip „Freunde helfen Freunden“ für mich. Die Men­schen emp­fingen mein Werk mit Begeis­te­rung und kauften bald die gesamte Auf­lage auf. Außerdem spielte meine Bekannt­heit in kul­tu­rellen Kreisen, in denen ich zu jener Zeit schon als „reifer“ Dichter Auto­rität genoss, eine bedeu­tende Rolle.

Dies war der erste kom­mer­zi­elle Erfolg von A‑BA-BA-HA-LA-MA-HA: den Kredit bei meinem Lands­mann zahlte ich zwei Wochen vor Frist zurück. Heute ist A‑BA-BA-HA-LA-MA-HA der popu­lärste und qua­li­tativ höchst­ste­hende ukrai­ni­sche Kin­der­buch­verlag, der – unab­hängig vom kom­mer­zi­ellen Erfolg – in der Ukraine nur ukrai­ni­sche Bücher her­aus­gibt. Dabei über­wiegt auf dem ukrai­ni­schen Buch­markt noch immer die rus­si­sche Sprache, doch 95% der Ukrainer ver­stehen Ukrai­nisch. Umso über­ra­schender war der Erfolg unseres ukrai­ni­schen Harry Potter. Das hätte in der Ukraine nie­mand gedacht, dass die Leute für ein ukrai­nisch­spra­chiges Buch vor den Buch­läden der wich­tigsten ukrai­ni­schen Städte Schlange stehen. Je schneller wir ein Buch her­aus­geben, desto größer die Chance, dass die Leser es zuerst auf ukrai­nisch lesen. Meine Lands­männer sind in der Seele Patrioten, aber wollen doch billig einkaufen.

 

Garri_Potter_and_the_Chamber_of_Secrets

n.: Wie viele Mit­ar­beiter beschäf­tigen Sie?

 

I.M.: Wir setzen nicht auf Umfang oder auf neue Moden, wir setzen auf Qua­lität und das gefällt den Leuten. Wir haben nicht viele Mit­ar­beiter und auch nicht viele Buch­titel, denn jedes Buch möchte ich per­sön­lich betreuen: Ich redi­giere, ent­wickle, arbeite mit den Künst­lern, Lek­toren und Fabriken daran. Ich bemühe mich, Long­seller her­aus­zu­geben. Bei­nahe 60% der Bücher dru­cken wir jedes Jahr nach. Manche sogar mehr­mals im Jahr. Denn glück­li­cher­weise werden trotz aller Pro­bleme in der Ukraine viele Kinder geboren. Die Ukraine hat eine Bevöl­ke­rung von fast 50 Mio. Einwohnern.

 

n.: Wel­ches Buch haben Sie zuletzt herausgegeben?

 

I.M.: Vor zwei Jahren habe ich mich mit der Her­aus­gabe einer „Serie für Erwach­sene“ beschäf­tigt, in der ich Werke meiner liebsten aus­län­di­schen und ukrai­ni­schen Autoren ver­öf­fent­liche. Die Redak­ti­ons­ar­beit nahm einen kata­stro­phalen Umfang an. Vor kurzem kamen zwei Bücher dieser Serie heraus. In diesem Jahr erwarten wir das Erscheinen einiger wich­tiger Bil­der­bü­cher für Zwei- bis Drei­jäh­rige. Außerdem kommt ein neues Buch unseres bekannten Illus­tra­tors Vla­dislav Erko heraus, näm­lich das klas­si­sche Andersen-Mär­chen Das Feu­er­zeug.

 

n.: Welche Bücher nehmen Sie ins Pro­gramm? Schi­cken Ihnen die Autoren Manu­skripte zu oder suchen Sie aktiv nach Autoren?

 

I.M.: Oh, sehr viele! Und alle wollen, dass ich per­sön­lich ihre Manu­skripte lese und das sofort. Doch wenn ich das alles lesen sollte, bräuchte ich min­des­tens vier­ein­halb Leben… Das Pro­gramm gestalte ich nach meiner Intui­tion als Dichter.

 

n.: Wie macht man einen Bestseller?

 

I.M.: Ich jage nicht nach Best­sel­lern. Doch kommt es vor, dass ich einen pro­du­ziere. Von den ukrai­ni­schen Autoren ver­kaufen wir jedes Jahr nicht weniger als drei­ßig­tau­send Exem­plare vom Tore­a­doriv z Vas­jukivky (Die Stier­kämpfer von Vas­jukivka), einem komi­schen Kult­roman des berühmten zeit­ge­nös­si­schen Kin­der­au­tors Vse­volod Nestajko. Zum Best­seller wurde auch der erste Roman von Lina Kos­tenko, der ver­dienten Dich­terin und „lebenden zeit­ge­nös­si­schen Klas­si­kerin“: In drei Monaten ver­kauften wir fast neun­zig­tau­send Exem­plare. Und wir haben den welt­weiten Best­seller Harry Potter her­aus­ge­geben. Unsere Über­set­zung wird zu den gelun­gensten der Welt gezählt – auch gegen­über der deut­schen. Joanne Row­ling hat den Ein­band unseres „Potter“ aus­ge­zeichnet. Er wurde sogar in einem Film über sie gezeigt.

 

n.: Orga­ni­sieren Sie spe­zi­elle Aktionen wie Lesungen, Fes­ti­vals, Wettbewerbe?

 

I.M.: Ja, wir lieben Prä­sen­ta­tionen. Dann spiele ich häufig Geige. Meine Erst­aus­bil­dung war die zum Musik­lehrer und Geiger im Sym­phonie-Orchester. Und ich singe mit den Musi­kanten und dem Über­setzer Viktor Morozov fröh­liche Lieder, die wir spe­ziell für den Anlass schreiben. Zum Glück gefallen unsere Dar­bie­tungen den Kin­dern und den Journalisten.

 

n.: Haben Sie viel Konkurrenz?

 

I.M.: Ich nehme die Ver­leger nicht als Kon­kur­renten wahr, denn meine Bücher sind sowieso einzigartig.

 

n.: In Deutsch­land wird viel über das E‑book dis­ku­tiert. Sind die elek­tro­ni­schen Medien eine harte Kon­kur­renz? Welche Mög­lich­keiten bietet das Internet dem Verlag?

 

I.M.: Wir haben schon einige elek­tro­ni­sche Bücher mit kine­ti­schen Momenten, mit inter­ak­tiven Spielen gemacht, doch in allen post­so­wje­ti­schen Län­dern ver­kaufen sich die elek­tro­ni­schen Bücher schlecht. Bei uns werden solche Bücher ein­fach aus dem Internet geklaut. So eine Kultur haben wir. Und das kann für die Ver­leger tra­gisch werden. Die Kom­mu­nisten haben unsere Leute eines gelehrt: zu stehlen und zu lügen.

 

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n.: Welche Unter­schiede gibt es zwi­schen ukrai­ni­schen und west­eu­ro­päi­schen Kin­der­bü­chern? Unter­scheiden sie sich bei­spiels­weise durch ihre Ästhetik? Ist es schwer, Über­setzer zu finden, wenn ja aus wel­chen Spra­chen, und Lizenzen zu kaufen und zu verkaufen?

 

I.M.: Wissen Sie, die Herzen aller Men­schen sind ähn­lich gela­gert, in glei­chem Abstand zum Himmel, und daher gefallen die Bücher, die den Herzen unserer Kinder nahe gehen, in der Regel auch den Kin­dern in anderen Län­dern. In der Ukraine werden poly­gra­phi­sche und buch­bin­de­ri­sche Arbeiten noch auf nied­rigem Niveau aus­ge­führt, daher dru­cken wir unsere Bil­der­bü­cher meist im Aus­land. Rechte an unseren Büchern haben wir schon in 19 Länder ver­kauft, von Groß­bri­tan­nien bis Süd­korea. Leider sind wir in Deutsch­land noch nicht präsent.

 

n.: Welche Ein­sichten haben Sie zu Ihrem 50. Geburtstag zu verkünden?

 

I.M.: Ich weiß nicht warum, doch meinen Fünf­zigsten begehe ich mit einer gewissen Angst. Das ist als würde ich in einen anderen Ozean hin­über schwimmen, dessen Strö­mungen ich absolut nicht kenne.

 

n.: Haben Sie Hobbys?

 

I.M.: In meiner Frei­zeit… edi­tiere ich, schreibe… Ich spiele auch Tennis. Meine Liebste und ich haben sogar ein eigenes Tur­nier, die „Villa Jaryna Open“ – Jaryna ist meine Frau. Das Tur­nier findet auf unserem eigenen Court statt, denn ich bleibe gern zuhause.

 

n.: Reisen Sie gerne? Wie finden Sie Deutschland?

 

I.M.: Ich war als Ver­leger in Deutsch­land und als Dichter. Mein Ein­druck ist… unge­wöhn­lich. Es ist das Land Bachs und Kants. Ich liebe Ihre Kultur, Musik, Phi­lo­so­phie, Lite­ratur… die Autos…

 

n.: Wovon träumen Sie? Welche Pro­jekte ver­folgen Sie in den nächsten Jahren? Wie sehen Sie Ihre Zukunft und die Zukunft der Ukraine?

 

I.M.: Gott, wovon träume ich? … Davon, dass die Welt von der Ukraine end­lich jene mys­ti­sche Tarn­kappe abnähme und alle dieses ziem­lich große euro­päi­sche Land – fak­tisch das größte Ter­ri­to­rium und die fünft­größte Ein­woh­ner­zahl – mit Bergen, Meer, Schwarz­erde und den bei weitem nicht übelsten Men­schen sähen, die zum großen Teil ziem­lich gebildet und fried­lich sind…

 

n.: Danke für das Gespräch!

 

 

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