Gedichte – nebenbei. Piotr Sommers „Im Dunkeln auch“

Das Beiläufige, scheinbar Unwesentliche prägt die Lyrik des polnischen Dichters Piotr Sommer. Sein ungemein aufmerksamer Blick ist auf belanglose Details gerichtet wie den „Schatten eines Regentropfens“ („Cień kropli deszczu“) oder eine alltägliche Straßenszene:

 

Chłopiec

Jesiennym wieczorem

kiedy z boku nie biegnie

żaden groźny pies

tylko drzewa stoją

równo

a szare kałuże

przemykają pod parkanem

jak koty

 

 

Der Junge

An einem Herbstabend

wenn an der Seite

kein bissiger Hund läuft

nur die Bäume gerade

stehen

und die grauen Pfützen

am Zaun vorbeihuschen

wie Katzen

 

Neben Gedichten seines neuesten Bandes Tage und Nächte (Dni i noce, 2009) sind auch Gedichte aus seinen früheren, seit 1977 erschienenen Büchern in die Auswahl eingegangen. Übersetzt hat sie Renate Schmidgall – kunstvoll und einfallsreich in der Übertragung der verschiedenen Sprachebenen und zahlreicher Wiederholungsfiguren. Allein das Deutsche vermag sich in Melodik und Lautstruktur dem Polnischen nicht anzunähern, so dass in den Übertragungen mitunter aufgrund der unterschiedlichen Klanglichkeit der beiden Sprachen der Text-Zusammenhalt verblasst. Einen Versuch, zu einem Zusammenhang stiftenden Kern des Werks von Piotr Sommer vorzudringen, stellt das Nachwort von Jan Ekier dar, der Sommers Sprachauffassung und seine Suche nach Sprechweisen, nach dem Zuhören und dem Dialog in den Mittelpunkt stellt. Die Auswahl der Gedichte und deren Anordnung bleiben leider unkommentiert.

 

Die Verse Sommers sind wenig bildreich, auf den ersten Blick wirken sie nicht selten „ungeschliffen“ mit ihren umgangssprachlichen Wendungen, der wenig klaren Form, die in manchen Gedichten (beinahe) zum Prosatext gerät. Da gibt es Gedichte, die sich zu verlieren scheinen, vage in eine ungefähre Richtung weisen; hier wird eine Situation entworfen, dort eine Stimmung angedeutet; oft lapidar und alltäglich, wie beispielsweise der Moment des Abflugs in dem Flugzeug-Gedicht „Deszcz“ („Der Regen“). „Aber warum bin ich hängen geblieben / an diesem Lichtzweig?“ („Ale dlaczego przyczepiłem się / do tej gałązki światła?“) heißt es in einem Gedicht von 1980. Um das ‚Hängenbleiben‘ geht es, um das kurze Verweilen bei etwas, an dem viele vermutlich vorbeigingen. Und wozu? Deshalb. Als „Zwischensinn“ bezeichnet Jakub Ekier dieses Sich-Verlieren des Sprechers im Schauen, des Gedichts in seinem unerwartet frühen Ende.

 

Natürlich gibt es auch ganz andere Gedichte, „Przywitanie, powrót“ („Begrüßung, Rückkehr“ – eine Reminiszenz an Goethes „Abschied und Rückkehr“) beispielsweise, das zweite der „Zwei Gedichte für Suchy“ (1980). Dem Stand des Schreibtischs und der Tatenlosigkeit des Sprechens im ersten Gedicht stehen im zweiten dieses Minizyklus Aufbruch und Zurückgelassen-Werden entgegen: Während einer Taxifahrt durch die nächtlichen Straßen der Stadt zu seinem Freund Andrzej am Abend vor dessen Abflug nach Chicago sinnt hier der Sprecher in einem Bewusstseinsstrom über Freundschaften nach. Gedanken über die Liebe sowie über Veränderungen (auch der eigenen Person) werden von Eindrücken der Außenwelt unterbrochen, ehe am Ende die Bitte an den Freund steht, nicht noch einmal eine Stelle anzunehmen, die so weit weg ist. Ein ähnliches Spiel der Wahrnehmungen und Sprechweisen zeigt sich in „Rano na ziemi“ (aus dem Band Hirtenlied, 1999), in dem die Stimme aus der Beschreibung einer winterlichen Morgenstimmung in den Ton und die Perspektive eines Jungen gleitet und sich alle Widersprüche aufheben. Die Verwandlungen und die Wandelbarkeit der Stimmen mit ihren vielfältigen Überraschungen sind eine der Besonderheiten dieser Gedichte.

 

Ein weiterer Reiz dieser Gedichte liegt darin, wie Piotr Sommer Heterogenes nebeneinanderstellt und dichterisch miteinander verbindet. Der Dichter lässt in den zwei Quartetten und einem eingeschobenen Terzett Tage, Kontinente, Vögel, Staubflocken in der Sonne, Blätter, den Atem und noch so mancherlei von einem „Luftstoß“ (so der gleichnamige Titel des Gedichts, „Pęd powietrza“) durchfahren. Und auch die Flut von Eindrücken und Erinnerungen bei einem Gang durch die Straßen („Idziemy sobie po ulicy“), die in nur sieben Versen Gedächtnis, Spulen, Knoten, Bänder und Dopplungen miteinander verknüpft, wird so lebendig, dass sich die Lesenden ganz selbstverständlich als Teil des lyrischen Wir empfinden. So gesehen laden die Gedichte auch zu einer Poetisierung des Alltäglichen ein, die bei Sommer als Selbstverständlichkeit aufscheint. Damit stellt der Band neben dem Erkunden der Sprache – und entsprechend inspirierend ist er – auch ein Spiel des Sehens und der Blickwinkel dar.

 

(…)

Nic nie będzie tak samo jak było,

i to też będzie jakoś nowe, bo przecież

przedtem bywało podobnie: poranek,

reszta dnia, wieczór i noc, a teraz już nie.

 

Nichts wird so sein, wie es war,

und auch das wird irgendwie neu sein, denn schließlich

war es vorher ähnlich: Morgen,

Rest des Tages, Abend, Nacht, und jetzt nicht mehr.

 

(aus dem Gedicht „Ciąg dalszy“, „Fortsetzung“ aus dem Band Hirtenlied, 1999)

 

Literatur:

Sommer, Piotr: Im Dunkeln auch. Gedichte. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall, Berlin 2010.

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