Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Gedichte – nebenbei. Piotr Som­mers „Im Dun­keln auch“

Das Bei­läu­fige, scheinbar Unwe­sent­liche prägt die Lyrik des pol­ni­schen Dich­ters Piotr Sommer. Sein unge­mein auf­merk­samer Blick ist auf belang­lose Details gerichtet wie den „Schatten eines Regen­trop­fens“ („Cień kropli deszczu“) oder eine all­täg­liche Straßenszene:

 

Chło­piec

Jesi­ennym wieczorem

kiedy z boku nie biegnie

żaden groźny pies

tylko drzewa stoją

równo

a szare kałuże

prze­my­kają pod parkanem

jak koty

 

 

Der Junge

An einem Herbstabend

wenn an der Seite

kein bis­siger Hund läuft

nur die Bäume gerade

stehen

und die grauen Pfützen

am Zaun vorbeihuschen

wie Katzen

 

Neben Gedichten seines neu­esten Bandes Tage und Nächte (Dni i noce, 2009) sind auch Gedichte aus seinen frü­heren, seit 1977 erschie­nenen Büchern in die Aus­wahl ein­ge­gangen. Über­setzt hat sie Renate Schmid­gall – kunst­voll und ein­falls­reich in der Über­tra­gung der ver­schie­denen Sprach­ebenen und zahl­rei­cher Wie­der­ho­lungs­fi­guren. Allein das Deut­sche vermag sich in Melodik und Laut­struktur dem Pol­ni­schen nicht anzu­nä­hern, so dass in den Über­tra­gungen mit­unter auf­grund der unter­schied­li­chen Klang­lich­keit der beiden Spra­chen der Text-Zusam­men­halt ver­blasst. Einen Ver­such, zu einem Zusam­men­hang stif­tenden Kern des Werks von Piotr Sommer vor­zu­dringen, stellt das Nach­wort von Jan Ekier dar, der Som­mers Sprach­auf­fas­sung und seine Suche nach Sprech­weisen, nach dem Zuhören und dem Dialog in den Mit­tel­punkt stellt. Die Aus­wahl der Gedichte und deren Anord­nung bleiben leider unkommentiert.

 

Die Verse Som­mers sind wenig bild­reich, auf den ersten Blick wirken sie nicht selten „unge­schliffen“ mit ihren umgangs­sprach­li­chen Wen­dungen, der wenig klaren Form, die in man­chen Gedichten (bei­nahe) zum Pro­sa­text gerät. Da gibt es Gedichte, die sich zu ver­lieren scheinen, vage in eine unge­fähre Rich­tung weisen; hier wird eine Situa­tion ent­worfen, dort eine Stim­mung ange­deutet; oft lapidar und all­täg­lich, wie bei­spiels­weise der Moment des Abflugs in dem Flug­zeug-Gedicht „Deszcz“ („Der Regen“). „Aber warum bin ich hängen geblieben / an diesem Licht­zweig?“ („Ale dlac­zego przy­c­ze­piłem się / do tej gałązki światła?“) heißt es in einem Gedicht von 1980. Um das ‚Hän­gen­bleiben‘ geht es, um das kurze Ver­weilen bei etwas, an dem viele ver­mut­lich vor­bei­gingen. Und wozu? Des­halb. Als „Zwi­schen­sinn“ bezeichnet Jakub Ekier dieses Sich-Ver­lieren des Spre­chers im Schauen, des Gedichts in seinem uner­wartet frühen Ende.

 

Natür­lich gibt es auch ganz andere Gedichte, „Przy­wi­tanie, powrót“ („Begrü­ßung, Rück­kehr“ – eine Remi­nis­zenz an Goe­thes „Abschied und Rück­kehr“) bei­spiels­weise, das zweite der „Zwei Gedichte für Suchy“ (1980). Dem Stand des Schreib­tischs und der Taten­lo­sig­keit des Spre­chens im ersten Gedicht stehen im zweiten dieses Mini­zy­klus Auf­bruch und Zurück­ge­lassen-Werden ent­gegen: Wäh­rend einer Taxi­fahrt durch die nächt­li­chen Straßen der Stadt zu seinem Freund Andrzej am Abend vor dessen Abflug nach Chi­cago sinnt hier der Spre­cher in einem Bewusst­seins­strom über Freund­schaften nach. Gedanken über die Liebe sowie über Ver­än­de­rungen (auch der eigenen Person) werden von Ein­drü­cken der Außen­welt unter­bro­chen, ehe am Ende die Bitte an den Freund steht, nicht noch einmal eine Stelle anzu­nehmen, die so weit weg ist. Ein ähn­li­ches Spiel der Wahr­neh­mungen und Sprech­weisen zeigt sich in „Rano na ziemi“ (aus dem Band Hir­ten­lied, 1999), in dem die Stimme aus der Beschrei­bung einer win­ter­li­chen Mor­gen­stim­mung in den Ton und die Per­spek­tive eines Jungen gleitet und sich alle Wider­sprüche auf­heben. Die Ver­wand­lungen und die Wan­del­bar­keit der Stimmen mit ihren viel­fäl­tigen Über­ra­schungen sind eine der Beson­der­heiten dieser Gedichte.

 

Ein wei­terer Reiz dieser Gedichte liegt darin, wie Piotr Sommer Hete­ro­genes neben­ein­an­der­stellt und dich­te­risch mit­ein­ander ver­bindet. Der Dichter lässt in den zwei Quar­tetten und einem ein­ge­scho­benen Ter­zett Tage, Kon­ti­nente, Vögel, Staub­flo­cken in der Sonne, Blätter, den Atem und noch so man­cherlei von einem „Luft­stoß“ (so der gleich­na­mige Titel des Gedichts, „Pęd powie­trza“) durch­fahren. Und auch die Flut von Ein­drü­cken und Erin­ne­rungen bei einem Gang durch die Straßen („Idziemy sobie po ulicy“), die in nur sieben Versen Gedächtnis, Spulen, Knoten, Bänder und Dopp­lungen mit­ein­ander ver­knüpft, wird so lebendig, dass sich die Lesenden ganz selbst­ver­ständ­lich als Teil des lyri­schen Wir emp­finden. So gesehen laden die Gedichte auch zu einer Poe­ti­sie­rung des All­täg­li­chen ein, die bei Sommer als Selbst­ver­ständ­lich­keit auf­scheint. Damit stellt der Band neben dem Erkunden der Sprache – und ent­spre­chend inspi­rie­rend ist er – auch ein Spiel des Sehens und der Blick­winkel dar.

 

(…)

Nic nie będzie tak samo jak było,

i to też będzie jakoś nowe, bo przecież

przedtem bywało pod­obnie: poranek,

reszta dnia, wieczór i noc, a teraz już nie.

 

Nichts wird so sein, wie es war,

und auch das wird irgendwie neu sein, denn schließlich

war es vorher ähn­lich: Morgen,

Rest des Tages, Abend, Nacht, und jetzt nicht mehr.

 

(aus dem Gedicht „Ciąg dalszy“, „Fort­set­zung“ aus dem Band Hir­ten­lied, 1999)

 

Lite­ratur:

Sommer, Piotr: Im Dun­keln auch. Gedichte. Aus dem Pol­ni­schen von Renate Schmid­gall, Berlin 2010.