Aus dem Alltag einer Erwachsenen

Schüler_innen denken oft, vieles werde einfacher, wenn sie erst älter würden und die Schule verlassen könnten. Unzählige Coming-of-Age-Filme berichten von dieser Übergangszeit des Erwachsenwerdens. Dass es auch ihre Lehrer_innen nicht leicht haben, können sie sich dabei kaum vorstellen. Das kroatisch-französische Drama Zbornica (The Staffroom, 2021) von Sonja Tarokić (Regie und Drehbuch) erzählt von dem späteren, ebenso herausfordernden Lebensabschnitt einer Schulpädagogin und damit dem „ganz normalen Wahnsinn“ des erwachsenen Alltagslebens.

 

Auf der Schultoilette setzt Anamarija die Plastikflasche an den Mund und leert sie in großen Zügen. Sie verzieht das Gesicht. Gleich darauf wird sie sich übergeben müssen und damit auch all ihren Frust herauslassen. Im Kollegium gibt es verschiedene Strategien, den stressigen Arbeitsalltag zu bewältigen. Dass ihre eigentliche Arbeit mit „Problemkindern“ vielversprechender verläuft als der Umgang mit ihren erwachsenen Kolleg_innen zeigt die Ironie des gesellschaftlichen Zusammenlebens und Arbeitens.

 

Gestalterisch setzt der Film auf eine Anbindung an kroatische Folklore, die sowohl musikalisch als auch bildästhetisch umgesetzt wird. Wenn Anamarija verloren zwischen ihren lebhaften Kolleg_innen steht und ihr alles zu viel wird, unterstreicht neben der hektischen Kameraführung rhythmisches Klatschen ihre innere Gefühlswelt. Zu traditionellem Frauen-Acapella, auch Klapa genannt, hetzt sie durch die in Rottönen gehaltene Schule. Folklorische Muster aus Kroatien sind oft ein Zusammenspiel aus verschiedenen Facetten an Rot, symmetrischen Strukturen und Blumen, die ebenso auf Anamarijas Kleidung zu finden sind. Nicht nur einmal wird der Blick der Betrachter_innen auf ein im Flur oder Klassenzimmer angebrachtes Gemälde gelenkt, das auf die rurale Vergangenheit Kroatiens verweist. So werden die zyklischen Kreisläufe des Daseins vorgeführt. Wie die Regisseurin erklärt, ist Anamarija nicht die Erste, die mit dem emotionalen Ballast, der sich bei ihr anhäuft, zurechtkommen muss. Er liegt in der Geschichte verwurzelt.

 

Zbornica ist das Spielfilm-Debut der jungen Regisseurin und Drehbuchautorin Sonja Tarokić und wurde 2021 in der Wettbewerbs-Sektion auf dem FilmFestival Cottbus gezeigt. Kroatisches Kino behandelt nicht selten Themen, die mit der Kriegsvergangenheit in Verbindung stehen, wie der Film A bili smo vam dobri (Once We Were Good for You, 2021), der ebenfalls auf dem FilmFestival Cottbus lief und einen Veteranen-Aufstand thematisiert. Zbornica dagegen befasst sich mit den alltäglichen Kämpfen und begleitet Anamarija (Marina Redžepović) bei den Herausforderungen ihrer ersten Vollzeitstelle an einer Zagreber Grundschule. Nicht nur die Jugend ist kompliziert.

 

Der Film bedient sich einer hektischen Kameraführung und klaustrophobisch anmutenden Close-ups sowie Einstellungen, welche die Protagonistin verloren zwischen den unaufhörlich tratschenden und kramenden Kolleg_innen zeigen. Das Zentrum des Films ist das Kollegiumszimmer, in dem Machtkämpfe und Intrigen ausgetragen werden. Nur selten findet die Handlung außerhalb der Schule statt. Anamarija möchte bloß eine hilfreiche Vertrauensperson für die Kinder sein und neue Ideen umsetzen, muss dafür aber zunächst ihren Platz in der Hierarchie finden und verteidigen. Schon früh wird ihr Büro und damit die Anlaufstelle für die Schüler_innen in die hintere Ecke des Gebäudes verlegt. Ihre kreativen Vorschläge für die Umsetzung des alljährlichen Theaterstücks stoßen auf genervte Ablehnung. Als „die Neue“ wird sie nicht ernst genommen und auch mit „Mansplaining“ und Sexismus konfrontiert. Nachdem sie nicht bereit ist, wie von ihr gefordert, das unzulängliche Verhalten des psychisch labilen Geschichtslehrers Siniša zu akzeptieren, der im Unterricht Verschwörungstheorien verbreitet, eskaliert die Situation.

 

Tarokić erzählt schonungslos, sehr nah an der Protagonistin und in ausdrucksstarken symbolischen Bildern. In einer Sequenz scheint ihr der Hahn des hinter ihr hängenden Gemäldes wie eine Last auf den Schultern zu hocken. Es ist kaum möglich sich der andauernden beklemmenden Stimmung zu entziehen. Die Regisseurin schafft es so den Anstrengungen des Alltags ein größeres Gewicht zu verleihen und bildet mit dem System des Kollegiumszimmers ganze Gesellschaftsstrukturen ab. Zbornica ist eine lohnende Seherfahrung, die ohne spektakuläre Szenen an den Nerven zehrt und Systeme menschlichen Zusammenlebens hinterfragen lässt.

 

Tarokić, Sonja: Zbornica (The Staffroom). Kroatien und Frankreich, 2021, 126 Min.

 

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