Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Ein Trep­pen­haus in Lemberg

Vier Frauen, vier Gene­ra­tionen – ein Haus im Herzen Lem­bergs. Von Müt­tern und Töch­tern, von poli­ti­schen und pri­vaten Unab­hän­gig­keits­be­stre­bungen erzählt Żanna Sło­niowskas Debüt­roman Das Licht der Frauen. Ein elf Meter hohes Glas­mo­saik in einem Lem­berger Trep­pen­haus wird dabei zum viel­deu­tigen Orientierungspunkt.

 

Schil­lernd, ver­staubt, frag­men­tiert – Ver­satz­stücke aus buntem Glas fügen sich in ein elf Meter hohes Mosaik. Ein Trep­pen­haus im Herzen Lem­bergs. Fast könnten die Ver­satz­stücke sym­bo­lisch für die wech­sel­hafte Geschichte der Stadt stehen. Oder aber für die Schick­sale der vier Frauen, die gemeinsam in dem Haus mit der außer­ge­wöhn­li­chen Glas­ma­lerei wohnen. In ihrem Debüt­roman Das Licht der Frauen erzählt Żanna Sło­niowska [ukr. Žanna Slon’ovs’ka] von vier Gene­ra­tionen, deren Schick­sale untrennbar mit den poli­ti­schen Umständen ihrer Zeit ver­flochten sind. Urgroß­mutter, Groß­mutter, Mutter, Tochter: Im Mit­tel­punkt steht die jüngste von ihnen. Aus ihrer Sicht erzählt der Roman, der mit einem tra­gi­schen Vor­fall beginnt: dem Tod der Mutter der Ich-Erzäh­lerin. 1988, im Kampffür eine unab­hän­gige Ukraine, wird die wil­lens­starke Opern­sän­gerin Mari­anna von einem Scharf­schützen erschossen. Dieses Ereignis wird zum Bezugs­punkt, um den die Erzäh­lungen der inzwi­schen erwach­senen Prot­ago­nistin kreisen.

 

 

Lem­berg als Schauplatz

Lem­berg – Lwów, L’vov, L’viv – mit seiner bewegten Geschichte sowie den unter­schied­li­chen Eth­nien, die sich in das Stadt­bild ein­ge­schrieben haben, wird zum poli­ti­schen Schau­platz, vor dessen Hin­ter­grund der Roman erzählt. Untrennbar mit dem Leben der Protagonist_nnen ver­bunden, erwei­tert sich dieser his­to­ri­sche Erzähl­strang um Fragen nach Zuge­hö­rig­keit und natio­nalem Bekenntnis. Es wird dabei deut­lich, wie tief das Poli­ti­sche seine Gräben durch die Bezie­hung der vier Frauen gezogen hat: Schwei­gend pro­tes­tiert Urgroß­mutter Sta­nis­lawa, beken­nende sowje­ti­sche Russin, gegen die ukrai­ni­schen Unab­hän­gig­keits­träume ihrer Enkelin Mari­anna. Groß­mutter Aba hin­gegen fühlt sich als „Polin mit Haut und Haar“, die in Lem­berg das Pol­ni­sche sucht. Die jewei­ligen Lebens­ge­schichten, die mit so deut­li­chen Zuge­hö­rig­keits­be­kennt­nissen ver­bunden sind, erzählen dabei vom Schei­tern per­sön­li­cher Unab­hän­gig­keits­be­stre­bungen: Groß­mutter Aba wäre als Malerin mit Chopin aus­ge­wan­dert, hätte ihre Mutter Sta­nis­lawa sie nicht davon abge­halten. Mit den an die Tochter Aba gerich­teten Worten „Wir haben ein Herz“ bringt Sta­nis­lawa das zum Aus­druck, was die Bezie­hung der Frauen cha­rak­te­ri­siert: eine intime Ver­bun­den­heit, die auch repres­sive Momente in sich birgt. Groß­mutter Aba etwa wird gegen ihren Willen Ärztin und mit dem Lieb­haber ihrer Mutter zwangsverheiratet.

Sło­niowskas Sprache ist eine kraft­volle, die ohne viele Umschrei­bun­gen­aus­kommt. Kein Satz wirkt zu viel, kein Wort über­flüssig. Mit wenigen, tref­fenden Worten skiz­ziert sie die Protagonisti_nnen; mit klaren, poe­ti­schen Bil­dern beschreibt sie ganze his­to­ri­sche Zusam­men­hänge. Das geschieht mit einer Leich­tig­keit, die nie bemüht wirkt: „So trieben wir auf dem Gewässer zwi­schen den Felsen zweier Epo­chen, und selbst ich konnte mich der Begeis­te­rung und Ekstase hin­geben, denn ich sah diese neue Zukunft so, wie es Mama getan hätte, deren Hoff­nungen sich sämt­lich vor unseren Augen erfüllten“. Mit diesem Bild erin­nert sich die Ich-Erzäh­lerin an die Zeit nach dem Tod ihrer Mutter, als die ersehnte Unab­hän­gig­keit der Ukraine 1991 Rea­lität wird.

Die Geschichten und Erin­ne­rungen der Protagonist_innen ver­dichten sich zu unter­schied­li­chen Erzähl­strängen, die sich mal abwech­seln, mal inein­ander ver­woben werden. Das Erwach­sen­werden der Ich-Erzäh­lerin steht dabei im Mit­tel­punkt: Die Bezie­hung zu ihrer ver­stor­benen Mutter Mari­anna arbeitet sie nicht nur in den Erin­ne­rungen auf, son­dern auch durch die Begeg­nung mit Mikolaj: Den Kunst­do­zenten, beken­nenden Lem­berger und ehe­ma­ligen Lieb­haber ihrer Mutter trifft sie beim Ent­stauben des Glas­mo­saiks im Trep­pen­haus. Er ist es auch, der sie durch das dichte Palim­psest der Stadt mit ihren pol­ni­schen, jüdi­schen, sowje­ti­schen und nicht zuletzt ukrai­ni­schen Denk­mä­lern führt. So, dass sie begreift: „Jeder von uns war eine Frucht Lem­bergs, ein von dieser Stadt aus­ge­brü­tetes Ei, geschlüpft auf ihren Straßen und in sie ein­ge­schrieben“. Die lokale Zuge­hö­rig­keit ist es, zu der sie sich schließ­lich bekennt.

 

Jen­seits natio­naler Begrenzungen

In der Hal­tung der jüngsten der vier Frauen zeigt sich das, worum es Sło­niowska geht: Um Zuge­hö­rig­keiten, die sich keiner Form von natio­nalen Set­zungen unter­ordnen lassen, son­dern sich viel­mehr auf die Iden­ti­fi­ka­tion mit dem Ort sowie auf indi­vi­du­elle Selbst­be­stim­mung beziehen. Żanna Sło­niowska schrieb ihren Debüt­roman als gebür­tige Ukrai­nerin mit pol­ni­schen und rus­si­schen Wur­zeln auf Pol­nisch. Für ihren Roman, der den pol­ni­schen Titel Dom z witrażem (dt. „Haus mit Glas­fenster“) trägt und von Olaf Kühl ins Deut­sche über­tragen wurde, erhielt Sło­niowska 2016 den wich­tigsten pol­ni­schen Lite­ra­tur­preis für Debü­tanten, den Conrad-Preis. Obgleich sie von der pol­ni­schen Kritik viel Zuspruch erhielt, wurde sie auch mit kri­ti­schen Stimmen kon­fron­tiert: „Mir [wurde] vor­ge­worfen, mein Pol­nisch sei nicht ‚rein‘ genug. Ich wurde gefragt, wie ich es wagen könnte, auf Pol­nisch zu schreiben“, erzählt die gebür­tige Lem­ber­gerin und heute in Krakau lebende Autorin, Über­set­zerin und Jour­na­listin in einem Interview.

Im letzten Kapitel, mit nur wenig zeit­li­cher Distanz (der Roman wurde 2014 ver­öf­fent­licht), erzählt Sło­niowska von den Pro­testen auf dem Majdan im Jahr 2013. Die Ich-Erzäh­lerin demons­triert für eine pro-euro­päi­sche Ukraine. Zur tra­gi­schen Rah­mung wird dabei die ukrai­ni­sche Flagge: Zu Beginn des Romans ist es ihre Mutter, deren Leichnam in das blau-gelbe Tuch gehüllt wird, im letzten Kapitel sind es die Gefal­lenen auf dem Majdan. Es ist das ein­deu­tige Bekenntnis der Prot­ago­nistin zu einer pro-euro­päi­schen Ukraine, das sich mit dem leisen Apell an ein Grenzen über­grei­fendes Mit­ein­ander ver­bindet. Die schil­lernde Glas­ma­lerei im zuneh­mend maroden Trep­pen­haus steht dabei noch einmal für die Absur­dität natio­na­lis­ti­scher Abgren­zungen: Die Erhal­tung des Glas­mo­saiks durch pol­ni­sche Unter­stüt­zung schei­tert am falsch ver­stan­denen Patrio­tismus der Lem­berger Behörden.

 

Lite­ratur:
Sło­niowska, Żanna: Das Licht der Frauen. Aus dem Pol­ni­schen von Olaf Kühl. Zürich 2018.
Sło­niowska, Żanna: Dom z witrażem. Kraków 2014.Weiterführende Links

Inter­view mit Żanna Sło­niowska: „Europa macht die Ukrai­ne­rinnen selbst­be­wusst“, 2018.