Vier Frauen, vier Generationen – ein Haus im Herzen Lembergs. Von Müttern und Töchtern, von politischen und privaten Unabhängigkeitsbestrebungen erzählt Żanna Słoniowskas Debütroman Das Licht der Frauen. Ein elf Meter hohes Glasmosaik in einem Lemberger Treppenhaus wird dabei zum vieldeutigen Orientierungspunkt.
Schillernd, verstaubt, fragmentiert – Versatzstücke aus buntem Glas fügen sich in ein elf Meter hohes Mosaik. Ein Treppenhaus im Herzen Lembergs. Fast könnten die Versatzstücke symbolisch für die wechselhafte Geschichte der Stadt stehen. Oder aber für die Schicksale der vier Frauen, die gemeinsam in dem Haus mit der außergewöhnlichen Glasmalerei wohnen. In ihrem Debütroman Das Licht der Frauen erzählt Żanna Słoniowska von vier Generationen, deren Schicksale untrennbar mit den politischen Umständen ihrer Zeit verflochten sind. Urgroßmutter, Großmutter, Mutter, Tochter: Im Mittelpunkt steht die jüngste von ihnen. Aus ihrer Sicht erzählt der Roman, der mit einem tragischen Vorfall beginnt: dem Tod der Mutter der Ich-Erzählerin. 1988, im Kampffür eine unabhängige Ukraine, wird die willensstarke Opernsängerin Marianna von einem Scharfschützen erschossen. Dieses Ereignis wird zum Bezugspunkt, um den die Erzählungen der inzwischen erwachsenen Protagonistin kreisen.
Lemberg als Schauplatz
Lemberg – Lwów, Lʼvov, Lʼviv – mit seiner bewegten Geschichte sowie den unterschiedlichen Ethnien, die sich in das Stadtbild eingeschrieben haben, wird zum politischen Schauplatz, vor dessen Hintergrund der Roman erzählt. Untrennbar mit dem Leben der Protagonist_nnen verbunden, erweitert sich dieser historische Erzählstrang um Fragen nach Zugehörigkeit und nationalem Bekenntnis. Es wird dabei deutlich, wie tief das Politische seine Gräben durch die Beziehung der vier Frauen gezogen hat: Schweigend protestiert Urgroßmutter Stanislawa, bekennende sowjetische Russin, gegen die ukrainischen Unabhängigkeitsträume ihrer Enkelin Marianna. Großmutter Aba hingegen fühlt sich als „Polin mit Haut und Haar“, die in Lemberg das Polnische sucht. Die jeweiligen Lebensgeschichten, die mit so deutlichen Zugehörigkeitsbekenntnissen verbunden sind, erzählen dabei vom Scheitern persönlicher Unabhängigkeitsbestrebungen: Großmutter Aba wäre als Malerin mit Chopin ausgewandert, hätte ihre Mutter Stanislawa sie nicht davon abgehalten. Mit den an die Tochter Aba gerichteten Worten „Wir haben ein Herz“ bringt Stanislawa das zum Ausdruck, was die Beziehung der Frauen charakterisiert: eine intime Verbundenheit, die auch repressive Momente in sich birgt. Großmutter Aba etwa wird gegen ihren Willen Ärztin und mit dem Liebhaber ihrer Mutter zwangsverheiratet.
Słoniowskas Sprache ist eine kraftvolle, die ohne viele Umschreibungenauskommt. Kein Satz wirkt zu viel, kein Wort überflüssig. Mit wenigen, treffenden Worten skizziert sie die Protagonisti_nnen; mit klaren, poetischen Bildern beschreibt sie ganze historische Zusammenhänge. Das geschieht mit einer Leichtigkeit, die nie bemüht wirkt: „So trieben wir auf dem Gewässer zwischen den Felsen zweier Epochen, und selbst ich konnte mich der Begeisterung und Ekstase hingeben, denn ich sah diese neue Zukunft so, wie es Mama getan hätte, deren Hoffnungen sich sämtlich vor unseren Augen erfüllten“. Mit diesem Bild erinnert sich die Ich-Erzählerin an die Zeit nach dem Tod ihrer Mutter, als die ersehnte Unabhängigkeit der Ukraine 1991 Realität wird.
Die Geschichten und Erinnerungen der Protagonist_innen verdichten sich zu unterschiedlichen Erzählsträngen, die sich mal abwechseln, mal ineinander verwoben werden. Das Erwachsenwerden der Ich-Erzählerin steht dabei im Mittelpunkt: Die Beziehung zu ihrer verstorbenen Mutter Marianna arbeitet sie nicht nur in den Erinnerungen auf, sondern auch durch die Begegnung mit Mikolaj: Den Kunstdozenten, bekennenden Lemberger und ehemaligen Liebhaber ihrer Mutter trifft sie beim Entstauben des Glasmosaiks im Treppenhaus. Er ist es auch, der sie durch das dichte Palimpsest der Stadt mit ihren polnischen, jüdischen, sowjetischen und nicht zuletzt ukrainischen Denkmälern führt. So, dass sie begreift: „Jeder von uns war eine Frucht Lembergs, ein von dieser Stadt ausgebrütetes Ei, geschlüpft auf ihren Straßen und in sie eingeschrieben“. Die lokale Zugehörigkeit ist es, zu der sie sich schließlich bekennt.
Jenseits nationaler Begrenzungen
In der Haltung der jüngsten der vier Frauen zeigt sich das, worum es Słoniowska geht: Um Zugehörigkeiten, die sich keiner Form von nationalen Setzungen unterordnen lassen, sondern sich vielmehr auf die Identifikation mit dem Ort sowie auf individuelle Selbstbestimmung beziehen. Żanna Słoniowska schrieb ihren Debütroman als gebürtige Ukrainerin mit polnischen und russischen Wurzeln auf Polnisch. Für ihren Roman, der den polnischen Titel Dom z witrażem (dt. „Haus mit Glasfenster“) trägt und von Olaf Kühl ins Deutsche übertragen wurde, erhielt Słoniowska 2016 den wichtigsten polnischen Literaturpreis für Debütanten, den Conrad-Preis. Obgleich sie von der polnischen Kritik viel Zuspruch erhielt, wurde sie auch mit kritischen Stimmen konfrontiert: „Mir vorgeworfen, mein Polnisch sei nicht ‚rein‘ genug. Ich wurde gefragt, wie ich es wagen könnte, auf Polnisch zu schreiben“, erzählt die gebürtige Lembergerin und heute in Krakau lebende Autorin, Übersetzerin und Journalistin in einem Interview.
Im letzten Kapitel, mit nur wenig zeitlicher Distanz (der Roman wurde 2014 veröffentlicht), erzählt Słoniowska von den Protesten auf dem Majdan im Jahr 2013. Die Ich-Erzählerin demonstriert für eine pro-europäische Ukraine. Zur tragischen Rahmung wird dabei die ukrainische Flagge: Zu Beginn des Romans ist es ihre Mutter, deren Leichnam in das blau-gelbe Tuch gehüllt wird, im letzten Kapitel sind es die Gefallenen auf dem Majdan. Es ist das eindeutige Bekenntnis der Protagonistin zu einer pro-europäischen Ukraine, das sich mit dem leisen Apell an ein Grenzen übergreifendes Miteinander verbindet. Die schillernde Glasmalerei im zunehmend maroden Treppenhaus steht dabei noch einmal für die Absurdität nationalistischer Abgrenzungen: Die Erhaltung des Glasmosaiks durch polnische Unterstützung scheitert am falsch verstandenen Patriotismus der Lemberger Behörden.
Literatur:
Słoniowska, Żanna: Das Licht der Frauen. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Zürich 2018.
Słoniowska, Żanna: Dom z witrażem. Kraków 2014.Weiterführende Links
Interview mit Żanna Słoniowska: „Europa macht die Ukrainerinnen selbstbewusst“, 2018.