„Fang den Hasen“ – eine Geschichte über Freundschaft, Herkunft, Sprache und Heimat
„Du hast jemanden, und dann hast du ihn nicht mehr. Und das ist ungefähr die ganze Geschichte.“ – Lana Bastašićs Roman erzählt von einer Frauenfreundschaft. Aber es handelt sich nicht nur um einen Roman über Frauenfreundschaft. Nein, es handelt sich auch um einen Roman über einen Neuanfang. Über Krieg und Dunkelheit. Über Herkunft und Sprache.
Mit ihrem Debütroman Fang den Hasen (Bosn. “Uhvati zeca”) stand die Autorin auf der Shortlist des NIN-Awards, Serbiens renommiertesten Literaturpreises und erhielt 2020 den Literaturpreis der Europäischen Union. Die deutsche Übersetzung erschien im März 2021.
Ein Buch über eine Frauenfreundschaft
„Aber ich bin die, die diese Geschichte erzählt. Ich kann aus ihr machen, was immer ich will.“ – Die Geschichte wird aus der Perspektive der Hauptprotagonistin Sara erzählt. Visualisiert wird das Ganze durch den Wechsel zwischen Ich- und Du-Form, ergänzt durch die Auseinandersetzung mit ihrer Freundin Lejla. Jedes Kapitel ist in zwei Teile geteilt. Im ersten Teil eines jeden Kapitels nimmt die Erzählerin uns in der Gegenwart mit auf die Reise in ihr Herkunftsland, schildert das Zusammentreffen mit ihrer Kindheitsfreundin Lejla und begibt sich auf die Suche nach Lejlas verloren geglaubtem Bruder Armin. Gleichzeitig offenbart sie uns auch im zweiten Teil eines jeden Kapitels ihre Vergangenheit. Dunkelheit, Krieg, ihre Freundschaft mit Lejla in Kindheitstagen und traumatische Erlebnisse.
Von Kapitel zu Kapitel wird immer deutlicher, dass es um eine durchaus ungewöhnliche Freundschaft geht. Bei den beiden jungen Frauen handelt es sich um zwei Individuen mit unterschiedlichen Meinungen, Ansichten und auch Verhaltensmustern. Sara, beschrieben als die Tochter des Polizeichefs, immer zurückhaltend und nachdenklich und Lejla, die Wilde mit zweifelhaftem Ruf. Je weiter die Reise in dem weißen Opel Astra geht, desto mehr verdichtet sich das Bild von Sara und Lejla. Eine Freundschaft, die zerfallen ist, wie das Land, in dem sie einst aufgewachsen sind.
Über zehn Jahre haben Sara und Lejla, zwei Freundinnen, die in Kindheitstagen unzertrennlich waren, nicht mehr miteinander gesprochen. Die Ich-Erzählerin Sara lebt seit zwölf Jahren in Dublin. Sie verließ Bosnien für ein besseres Leben und legte ihre Heimat und Muttersprache mit der Zeit ab. Doch ein Anruf ihrer Kindheitsfreundin Lejla bringt eine verlorene Heimat und Hoffnung wieder zurück. Lejla nimmt Kontakt zu Sara auf mit der Bitte sie in Mostar abzuholen und nach Wien zu fahren. Selbstverständlich ist Sara anfangs nicht sehr begeistert und sträubt sich dagegen, bis der Satz „Sara, Armin ist in Wien“ zu einer Wende führt.
Aufwachsen in Bosnien und Herzegowina in den 1990er Jahren
Einige Parallelen zum Leben der Autorin lassen sich erkennen, was den Roman umso authentischer macht. Lana Bastašić selbst wuchs nach dem Zerfall Jugoslawiens in Banja Luka auf, doch geboren wurde sie in Zagreb als Kind serbischer Eltern. Nach dem Krieg wanderte sie nach Irland aus und lebte zuletzt mehrere Jahre in Barcelona.
Im Roman ist Banja Luka auch der Ort des Aufwachsens der beiden Freundinnen, Lejla, der Bosniakin und Sara, der Serbin. Durch die Beschreibungen der Erinnerungen aus der Vergangenheit der beiden Protagonistinnen wird zusätzlich die Thematik des Bosnienkrieges, der 1992 ausgebrochen und 1995 beendet worden ist, behandelt. – „Wir wussten, dass es begonnen hatte, dass sie es begonnen hatten. Wir wussten auch, dass es dauern würde.“ Die Kriegsverbrechen werden im Roman nicht gesehen, keine Täter oder Taten werden beschrieben. Dennoch ist alles da. Die Thematik des Krieges und der Dunkelheit wird in einigen Szenen durch Details ersichtlich. So ändert Lejlas Mutter aus Verzweiflung die Namen ihrer Kinder. Aus der Bosniakin Lejla Begić wird die Serbin Lela Berić.
Die Dunkelheit in Bosnien
„Ich hatte alles vergessen: sie und Armin, Bosnien. Diese Finsternis.“ – Bosnien beschrieben als das Land, in dem es schon um 15:00 Uhr dunkel ist. Sara hat vor zwölf Jahren Bosnien für ein besseres Leben verlassen. Auf ihrer Reise mit Lejla muss sie erkennen, dass sie ihre Heimat und Muttersprache nicht einfach ablegen und zurücklassen kann. Die Dunkelheit lässt sich nicht einfach vertreiben. Es bleiben auch Jahre, nachdem sie den Geburtsort, den Krieg, ihre Freunde und die Dunkelheit zurückgelassen hat, gewisse „Teilchen unter der Haut übrig.“ – Wir sind immer in Bosnien.“ Sara hat vielleicht versucht ihre Heimat zu verlassen und alles zu vergessen, doch die Sprache dient als Erinnerung, wie eine Art Kennzeichen dafür wer sie ist und woher sie kommt. Im Unterschied zur Heimat kann die Sprache nicht einfach zurückgelassen werden.
Lana Bastašić verrät in ihrem Nachwort einige pikante Details zu den Beweggründen für das Schreiben ihres Romans. Allerdings ist dieses Nachwort nur in der vierten Auflage des von Booka in Beograd herausgegebenen Buches zu finden. Die Autorin selbst erläutert, dass es ihre Absicht war ein Buch über „ihr Land“ und ihre Albträume, die sie längere Zeit begleitet hatten, zu schreiben. Aus dem Versuch „ihr Land“ zu beschreiben, entstand Lejla Begić. Ihr Vorname trägt die Bedeutung „Nacht“ und im Spiegel gesehen die Initialen von Banja Luka, der Stadt, in der sie aufgewachsen ist. Sara hingegen, deren Name bewusst aufgrund der Bedeutung „Herrin“ (und auch „Prinzessin“) gewählt wurde, soll diejenige sein, die die Geschichte über dieses zerfallene Land erzählt.
Neuanfang
„… von vorne anfangen“ – mitten im Satz beginnt der Roman von Lana Bastašić.
Fang den Hasen bedeutet Erklärungen einzufangen, Antworten zu finden und vor allem die eigene Identität, welche durch Umgebung, Familie, Freunde, Herkunft und Sprache geformt wird und vor der man nicht weglaufen kann. Das Motiv des Hasen begleitet uns vom Titel des Buches bis hin zum Ende der Geschichte. Von Lejlas weißem, lebendem Kaninchen bis hin zu Dürers gemaltem Hasen. Ein gewisser Bezug zu „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll lässt sich erkennen, denn wie Alice fällt Sara zunächst in ein Hasenloch, als sie in ihre Heimat zurückkehrt. Das namenlose weiße Kaninchen, dem einst schon Alice in das Wunderland folgte, ist einer der wesentlichen Verbindungen zwischen Sara und Lejla. Inspiriert durch das „Hasenloch“ in Carrols Roman schickt Lana Bastašić Sara durch zwölf Kapitel um den Hasen Lejla „zu fangen“.
Lana Bastašićs Roman ist in einer fesselnden Sprache geschrieben und erfordert aufmerksame Leser_innen, denn der Text baut Erwartungen auf, um diese zu enttäuschen. Die Geschichte ist leicht zu lesen, aber umso schwerer zu verstehen, da viele Themen nicht direkt angesprochen werden und die Autorin mit Symbolen spielt. Abgerundet wird das Ganze durch den Schluss, der nicht passender sein könnte.
„Ich wollte nur…“ – Lana Bastašičs Roman endet mitten im Satz und könnte mit verändertem Blick noch einmal von vorne gelesen werden.
Literatur
Bastašić, Lana: Fang den Hasen. Aus dem Bosnischen von Rebekka Zeinzinger. Frankfurt am Main 2021.