Finnland 1986: Queere Liebe in Zeiten der Katastrophe

Im finnischen Coming-of-Age-Drama Light Light Light (2023) geht „Licht“ in Zeiten der großen Nuklearkatastrophe in Tschornobyl von den romantischen Gefühlen zweier Teenager aus. Doch ihre queere Liebesbeziehung endet ebenfalls in einer Tragödie. Der Film, der auf dem gleichnamigen Bestseller der finnischen Autorin Vilja-Tuulia Huotarinen beruht, taucht ein in Gefühle und Sound der achtziger Jahre und wechselt eindrucksvoll zwischen den Zeitebenen.

 

Was haben der Reaktorunfall in Tschornobyl und die tragische Liebesgeschichte zwischen zwei Mädchen gemeinsam? Tatsächlich nicht so viel, wie man noch zu Beginn des Films Light Light Light (2023) denken würde, ist doch die Tschornobyl-Katastrophe die Ausgangssituation des finnischen Liebesdramas der Regisseurin Inari Niemi. Das Setting ist ein kleiner Ort, umgeben von Wäldern und Seen; Jodtabletten stehen auf dem Tagesplan und die etwa sechzehnjährige Mimi ist neu in der Stadt. Die Protagonistin Mariia ist sogleich fasziniert von ihr: Es entspinnt sich eine Liebesgeschichte, die bereits von Beginn an ein tragisches Ende erahnen lässt.

Den Film durchziehen zwei Zeitstränge: Zum einen blicken wir in den Sommer 1986, wo wir die Protagonistinnen im Teenageralter begleiten, zum anderen sehen wir Mariia etwa 20 Jahre später, als sie zurück in ihren Heimatort kommt. Mariia bedauert ihr Leben als Erwachsene und sieht ihre Aufgabe darin, sich um ihre krebskranke Mutter zu kümmern, die sich darauf aber nur wenig einlässt. Ihre Beziehung war schon im Jahr 1986 kompliziert: Mariias Mutter stellte sich gegen die Freundschaft ihrer Tochter zur zugezogenen Mimi. Von der Liebesbeziehung zwischen den beiden scheint sie aber zunächst nichts zu ahnen, findet bloß, dass die in ärmlichen Umständen lebende Mimi kein guter Umgang für Mariia sei. Generell ist die homosexuelle Beziehung nicht der Ausgangspunkt der Probleme, die in diesem Film verhandelt werden. Dass Mariia und Mimi ein Versteckspiel betreiben und sich unter dem Vorwand treffen, Schwedisch zu lernen, rührt eher vom schlechten Ruf, den Mimi an der Schule hat. Auch die Frage nach sexueller Orientierung oder Verwirrung in der Pubertät kommt nicht wirklich auf. Der Titel Light Light Light suggeriert, dass in dieser tragischen Welt das Licht irgendwoher kommen muss – wenn die Katastrophe von Tschornobyl passiert, wenn die schwierigen Umstände Mimis diese schließlich in den Freitod zwingen. Das Licht scheint hell und warm aus eben dieser queeren Liebesgeschichte zu leuchten. Zugleich zeichnet sich der Film vor allem durch sein lichtreiches Farbspiel aus, was die träumerisch-verliebte Atmosphäre des Sommers 1986 auch in Verbindung mit dem achtziger Jahre Soundtrack besonders unterstreicht.

 

 

Was Mariia und Mimi zusammenbringt oder zusammenhält, wird nie ganz deutlich. Die Zeit, welche die beiden miteinander verbringen, ist vor allem von Alkohol, Sex und Realitätsflucht geprägt. Sie treffen sich im Wald und nicht in der Stadt, sie fahren zusammen weg, einfach um „weg“ zu sein. Das wird in ihren Dialogen wenig bis gar nicht thematisiert. Mimi lässt Mariia an ihren familiären Problemen nur oberflächlich teilhaben. Das nimmt der Beziehung zwar an Tiefe, aber kann dennoch verziehen werden, da es sich ja um eine erste Liebe im Teenageralter handelt, die vielleicht nicht mehr als bloße Anziehung und gegenseitiges Verständnis verlangt.

Dagegen ist die Rolle der erwachsenen Mariia nicht wirklich einzuordnen. Sie klagt darüber, wie beschissen ihr Leben sei, aber über ihre genauen Lebensumstände erfährt man nur wenig. Man kann höchstens erahnen, dass die Vergangenheit sie nicht loslässt. Das wird vor allem in einer der Schlüsselszenen des Films deutlich: Eines Abends besucht die erwachsene Mariia eine Schulfreundin. Nach ein paar Gläsern Wein setzt sich Mariia ans Steuer und fährt dabei ein Reh an. Sie steigt aus und betrachtet das Reh, das zwar verletzt ist, aber noch atmet und sie mit großen Augen anschaut. Mariia steigt wieder ins Auto und fährt los. Der Film läuft weiter, ohne diesen Zwischenfall erneut zu thematisieren, bis Mariias Mutter ihre Tochter schluchzend auf dem Sofa vorfindet und sie ihr den Vorfall mit dem Reh beichtet: „Du konntest sie nicht retten. Du warst noch ein Kind.“ Dieser Satz von Mariias Mutter entschlüsselt die Metapher, die die Parallele zwischen dem Tod des Rehs und Mimi trägt: Mariia konnte den Tod Mimis nicht aufhalten, meint aber, sie hätte die Katastrophe kommen sehen müssen – und wird deswegen von Schuldgefühlen geplagt. Und obwohl es das Einzige ist, was Mariias Mutter über die Beziehung der beiden Mädchen sagt, hat es eine starke emotionale Wirkung, die man von der Leinwand bis in den Kinosessel spürt.

Aber welche Rolle spielt nun Tschornobyl? Die Katastrophe hat auf die Handlung des Films keinen Einfluss. Immer wieder werden zwar Bilder von bedrohlichen und zugleich schön aussehenden Gewitterwolken eingeblendet, aber trotzdem scheint es, als diene Tschornobyl einzig als Mittel, um zu zeigen, dass ein allgemeiner Schatten über der Welt liegt und die Beziehung von Mimi und Mariia sich als Lichtquelle dagegen wehrt. Eine intensivere Verbindung zwischen den historischen Ereignissen und der Handlung hätte dem Film eine größere Tiefe gegeben.

Der Film bleibt im Dialog oder in Verbindung zu historischen Ereignissen zwar etwas oberflächlich, ist aber durch die warme Atmosphäre in den Sommerszenen und den Soundtrack ein rührendes Kinoerlebnis. Am Ende steht nur noch die Frage im Raum, ob es wirklich eine Katastrophe braucht, um eine Liebesgeschichte zu erzählen, wenn die Liebesgeschichte selbst in einer Katastrophe endet.

 

Regie: Inari Niemi, Originaltitel: Light Light Light, Finnland, 2023, 91 Min.

 

Beitragsbild: Filmstill aus Light Light Light. Bildquelle: Queerfilmfestival Berlin, https://queerfilmfestival.net/de/programm/light-light-light/.

 

 

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