Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Ver­Suche. Drogen und Rausch im gesell­schaft­li­chen Kon­text in Marcin Szc­zy­giel­skis Berek

Lubiewo_Witkowski_Cover

Post­kom­mu­nis­ti­sche Identitäten
Der in Polen 2005 ver­öf­fent­lichte Roman Lubiewo gilt als der erste schwule Roman der modernen pol­ni­schen Lite­ratur schlechthin. Michał Wit­kowski (* 1975), der Autor von Lubiewo, lebt in War­schau. Neben seiner Tätig­keit als Schrift­steller arbeitet er auch als Jour­na­list und als Her­aus­geber des pol­ni­schen Kul­tur­jour­nals Ha!art. Wit­kowski betrachtet sich selbst als homo­se­xuell, lehnt jedoch die Bezeich­nung gay/schwul ab, da er diesen Begriff als ein Pro­dukt der kom­mer­zia­li­sierten Mas­sen­kultur betrachtet, der einem ver­engten und ste­reo­typen, d.h. wenig dif­fe­ren­zierten und kaum reflek­tierten Ver­hältnis zur sexu­ellen Ori­en­tie­rung ent­spricht. Der kom­mer­zi­elle Erfolg Lubiewos ani­mierte einige der Ver­lage, ihrer­seits eine ganze Reihe neuer schwuler Romane pol­ni­scher Autoren her­aus­zu­geben. Manche Kri­ti­ke­rInnen spre­chen gera­dezu von einem Boom dieses Lite­ra­tur­genres in Polen. In Lubiewo geht es jedoch um mehr als nur die Sicht­bar­ma­chung schwuler Iden­ti­täten oder um die Arti­ku­la­tion homo­se­xu­ellen Begeh­rens. Viel­mehr sind que­eres Begehren und queere Iden­ti­täten, die im Text ver­han­delt werden, mar­kiert von der post­kom­mu­nis­ti­schen Situa­tion, die diese bedingt. Gera­dezu not­wen­di­ger­weise ist damit auch die Sicht­bar­ma­chung der hete­ro­nor­ma­tiven Matrix pol­ni­scher Kultur und Gesell­schaft ver­bunden. Doch weniger der Essen­tia­lismus, die fun­da­men­ta­lis­ti­sche Miso­gynie und Homo­phobie dieser Matrix sollen hier bespro­chen werden. Neben der andau­ernden Abtrei­bungs­de­batte gibt es ebenso Über­schnei­dungen mit dem alt­her­ge­brachten Anti­se­mi­tismus – was hef­tige Gegen­be­we­gungen erzeugt, die sehr unter­schied­li­chen Cou­leurs sind. So gibt es auch im Auf­be­gehren gegen mehr­heit­liche Aus­schluss­me­cha­nismen Ver­schrän­kungen diverser The­men­felder: “The younger gene­ra­tion of Polish Jews initiated the cul­tural maga­zine ‘Gwiaz­de­czki Shternd­lech Iton – Babel’. It warns against anti-Semi­tism and homo­phobia in Poland […], pres­ents femi­nist and queer ideas […]” so schreiben Kit­liński und Lesz­ko­wicz in einem Artikel Towards a phi­lo­sophy of affec­tive alterity: A recon­nais­sance in der Zeit­schrift Filoso­fija. Socio­lo­gija. Nr. 18 im Jahr 2007.

Die fol­gende Lek­türe richtet sich auf etwas, was auch andere Kri­ti­ke­rInnen Lubiewos fest­stellen: dass die Homo­se­xua­lität ledig­lich als „Chiffre für das heu­tige Leben über­haupt, in dem das Ich, zwi­schen Geschlechts­trieb, Geldnot und Schicksal hin und her geworfen, nur noch kurz­fris­tige Befrie­di­gung findet“, steht in einer Rezen­sion der NZZ. Homo­se­xua­lität bildet in Lubiewo einen Ort, an dem die post­kom­mu­nis­ti­sche Gesell­schaft und ihre rausch­haften Exzesse und Sehn­süchte ver­deut­licht werden. Patrycja und Andzia, zwei in Lubiewo im Dialog ste­henden Tunten, liegen und betrachten die Sterne:
„Was meinst du, ob es dort irgend­welche fremden Zivi­li­sa­tionen gibt?“
„Weiss nicht…“
„Und wenn es welche gäbe, meinst du, da wär was für uns dabei?“

Patrycja und Andzia bringen in Lubiewo wie­der­holt eine Leere, Sehn­sucht, Unbe­frie­digt­heit und Nicht-Zuge­hö­rig­keit zum Aus­druck, die nicht zu stillen, nicht zu füllen, nicht zu besei­tigen ist, wie auch immer ihre Ver­suche dagegen anzu­kommen aus­sehen. Dieses hier beschrie­bene Gefühl scheint eines der pro­gram­ma­ti­schen in der gegen­wär­tigen pol­ni­schen Lite­ratur zu sein und ver­deut­licht, wie sehr ver­schie­dene syn­chrone Lebens­welten ihre jewei­ligen Plätze in der Lite­ratur ein­nehmen, neben­ein­ander stehen, sich zu einem Abbild der Gesell­schaft, einer soge­nannten Trans­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft fügen.

Berek-original

Es geht mir darum auf­zu­zeigen, wie Lite­ratur, spe­ziell der Roman Berek (2007) von Marcin Szc­zy­gielski, mit diesen Ten­denzen und Ent­wick­lungen, wie sie gegen­wärtig in Polen zu finden sind, umgehen kann, sich zu diesen ver­schieden neben­ein­ander exis­tie­renden Rea­li­täten in Bezug setzt. Szc­zy­gielski (* 1972) ist Schrift­steller, Gra­fiker, Jour­na­list und Innen­ar­chi­tekt. Seine schrift­stel­le­ri­sche Lauf­bahn ist ebenso gerad­linig wie sein gesamtes Inter­es­senspek­trum schmal ist: er schrieb u.a. für den Playboy, ein Koch­buch (Kuchnia na ciężkie czasy 2004), ein Jugend­buch (Omega 2009) und letzt­lich Bierki (2010).

 

Exkurs und zurück
Tomasz Kit­liński und Paweł Lesz­ko­wicz, zwei junge pol­ni­sche Geis­tes­wis­sen­schaftler und kri­ti­sche Beob­achter pol­ni­scher Iden­ti­täts­po­li­tiken, betonen im oben genannten Artikel die beson­ders exem­pla­ri­sche Rolle der Schwulen- und Les­ben­be­we­gungen für das Rechts­ge­fühl und somit für poli­ti­sche Ent­wick­lungen der Gegen­wart: “The issue of human rights for sexual mino­ri­ties, the radical other in Cen­tral-Eas­tern Europe, inclu­ding rights for repre­sen­ta­tions and expres­sion in the cul­tural arena, func­tions as a lens through which to view the con­di­tion of demo­cracy in society and cul­ture alike. How to include the rights of les­bians and gays into human rights? Human rights refer to our shared huma­nity. That is why human rights con­sti­tute claims to oppor­tu­ni­ties which foster the fully human exis­tence of each and every indi­vi­dual; this claim of the femi­nist phi­lo­so­pher and lawyer, Martha C. Nuss­baum, per­tains to les­bians and gays: ‘I believe that the rights of les­bians and gays are a cen­tral issue of jus­tice for our time.’”
Das Pro­blem liegt nun­mehr im Zustand, der eigent­lich kein defi­nier­barer ist: Mehr als zwei Jahr­zehnte sind seit dem poli­ti­schen Umbruch im Jahr 1989 ver­gangen – es wird vom Ende der großen Erzäh­lung, der mar­xis­ti­schen, gespro­chen, so German Ritz 1999in seinem Artikel Dys­kurs płci w ujęciu porów­naw­czym in Teksty drugie. Nr. 5/6. Viele Kri­ti­ke­rInnen und Jour­na­lis­tInnen betonen immer wieder, dass sich Polen nach Jahren der Trans­for­ma­tion, statt sich als Staat zu sta­bi­li­sieren und zu ent­wi­ckeln, am Rand eines “ner­vous break­down” befindet, schreibt Robert Kulpa in einem Bei­trag unter der Über­schrift Wes­tern theo­ries, queer pos­si­bi­li­ties, Polish rea­lity: poli­tical sci­ence meets queer theory ‘in Poland, that is nowhere’? für einen Kon­fe­renz­band im Jahr 2008; harsch wirken seine wei­teren Ein­schät­zungen: “Poland has neither advanced, nor liberal, nor demo­cratic poli­tical system. […] Poland did not manage to cope with moder­nism.” Und: “Many con­teporary cri­tics and com­men­ta­tors in Poland noted with a sur­prise, that after […] years of trans­for­ma­tion, rather than sta­bi­li­zing and pro­gres­sing, Polish society lives at the verge of a ner­vous break­down.” Die Idee, oder nennen wir es das Kon­zept der Min­der­heiten ist in einer sol­chen plu­ra­lis­ti­schen Gesell­schaft zu über­denken, ja regel­recht unhaltbar – denn auf diesen anderen, den mino­ri­ties, baut sich ja die Mehr­heit bekannt­lich auf. Aus einem kom­pli­zierten Zusam­men­spiel von Norm und Norm­wid­rig­keit gebiert sich der Mehr­heits­ge­danke. Die Aus­ein­an­der­set­zung um Iden­tität in Polen, also pol­ni­sche Iden­tität, so unfi­xierbar wie sie ist, resul­tiert nicht ein­fach aus Tra­di­tionen (dem Katho­li­zismus etwa), einer kom­mu­nis­ti­schen gemein­samen Ver­gan­gen­heit und/oder einer Phase der Umwäl­zungen. Die natio­nale Iden­tität nach 1989 ist kul­tu­rell, poli­tisch, sozial, öko­no­misch ein neues Phä­nomen. Sie unter­gräbt Pro­zesse der ein­heit­li­chen For­mu­lie­rung, Kris­tal­li­sa­tion, wie Kulpa meint: “The cur­rent situa­tion is not simply a con­se­quence of the tra­di­tion, com­mu­nist past and tran­si­tion. The national iden­tity after 1989 […] is purely new cul­tural, poli­tical, social, and eco­no­mical phe­no­mena. It is under­going pro­cesses of for­mu­la­tion, crystal­liza­tion, as much as con­te­sta­tion and desta­bi­liza­tion. New fea­tures are intro­duced, and old get re-eva­luated.” Die alten neu inter­pre­tier­baren Ein­flüsse exis­tieren also neben den neuen. Gerade das zeigt der Roman Berek vor­züg­lich auf: das Neben­ein­ander dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setzter und zeit­lich ver­setzt ent­stan­dener Lebens­ent­würfe. Die Indi­vi­duen, jedes für sich nicht syn­chro­ni­siert mit der offi­zi­ellen Zeit und deren Lauf, sind schwarz, weib­lich, queer, alt, homo­se­xuell, katho­lisch und unend­lich so weiter, zumal sich die ein­zelnen iden­ti­fi­ka­to­ri­schen Attri­bute aber­mals auf­splitten, aus­dif­fe­ren­zieren lassen – aber in jedem Fall sind die Indi­vi­duen nicht dazu­ge­hörig und auf der Suche, wie auch in Wit­kow­skis Lubiewo. Hier soll auf den 2005 ver­öf­fent­lichten Artikel Time Binds, or Ero­to­his­to­rio­graphy von Eliza­beth Freeman hin­ge­wiesen sein, der sich mit nicht-mit-der-Zeit-Syn­chro­ni­sierten befasst.

Sicher­lich wird in der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft meist jeder Anspruch auf einen refe­ren­ti­ellen Dis­kurs und auch die Idee von Rea­lität hinter dem Text auf­ge­geben und statt­dessen der Ort der Bedeu­tungs­pro­duk­tion zwi­schen Text und Leserin bzw. Leser ange­sie­delt. Trotzdem insze­niert sich ein Text vor dem Hin­ter­grund seiner Bedingt­heiten – eben durch ein Netz mäch­tiger Dis­kurse, die auf AutorIn und Text ein­wirken. Gleich­zeitig ist der Text Teil dieser Dis­kurse. AutorInnen können/wollen weder alle dis­kur­siven Ein­flüsse abwehren noch alle Rezep­ti­ons­weisen des Textes kon­trol­lieren. Beden­kens­wert sind jedoch die Stra­te­gien im Umgang mit den unter­schied­li­chen dis­kur­siven Ein­flüssen, die in den Texten zu finden sind.

 

Sehn­süchte stillen
„Uśmiecham się szeroko do niego i klękam na twardej, zimnej posadzce. Wciągam zapach kad­zidła i kwiatów, przy­tłu­miony nieco przez zapach perfum i wil­got­nych płaszczy. Majtki wpi­jają mi się w pupę, ale nie mogę ich poprawić – czuję dzie­siątki oczu na swoich ple­cach. […] Pod beretem robi mi się cho­lernie gorąco, głowa mnie swędzi. Zamykam oczy i połykam Go. Zba­wi­enie. Zalewa mnie fala szc­zęścia, uda drżą lekko. Dobry Boże, dzię­kuje Ci. Dzięki takim chwilom wiem, po co żyję“. (Die Figur Ania beim Ent­ge­gen­nehmen der Kom­mu­nion. „Ich lächle ihn breit an und knie auf dem harten, kalten Fuss­boden nieder, atme den Geruch von Weih­rauch und Blumen ein, wel­cher ein wenig mit dem von Parfum und klammen Män­teln durch­mischt ist. Der Schlüpfer klemmt sich in meine Ritze, aber ich kann ihn nicht zurecht­rü­cken – ich spüre zig Augen auf meinem Rücken. […] Es wird ver­dammt heiss unter der Bas­ken­mütze, mich juckt der Kopf. Ich schliesse die Augen und schlucke Ihn. Ver­zü­ckung. Ein Glücks­schauer über­kommt mich, meine Schenkel beben leicht. Lieber Gott, ich danke Dir. Dank sol­cher Momente weiss ich, wofür ich lebe.“)
Die zwei Haupt­fi­guren in Marciń Szc­zy­giel­skis Berek kon­su­mieren unent­wegt mit dem Ziel, eine Sehn­sucht zu stillen; der Ein­sam­keit zu ent­kommen. Sie, Ania, eine kon­ser­va­tive, an tra­di­tio­nellen Werten ori­en­tierte Frau im Ruhe­stand, schaut viel fern, isst für ihr Leben gern – vor allem Süßes (und leidet an Ver­stop­fung), geht obses­sivem Kirch­gang nach, lebt zudem eine unge­bän­digte, pene­trante Kon­troll­sucht aus (vor allem an ihrer erwach­senen Tochter). Er, Paweł, ein junger Homo­se­xu­eller, besucht Nacht­clubs auf der Suche nach der großen Liebe, raucht Mari­huana, schnieft Koks, schluckt Sperma, Pillen (dropsy), Mian­serin (ein dämp­fend wir­kendes Medi­ka­ment, wel­ches ihm seine The­ra­peutin ver­schreibt), Alkohol und so weiter. „Der Genuss von Drogen ist ent­zau­bert, gänz­lich banal“ – so beschreibt es Ste­phan Resch, der Autor der 2009 erschie­nenen Mono­gra­phie zur deut­schen Dro­gen­li­te­ratur (Rausch­blüten), für den Fall einer modernen Erlebnis- und Über­fluss­ge­sell­schaft. Im kon­kreten Text Berek han­delt es sich eher um die Beschrei­bung einer Man­gel­ge­sell­schaft; um den Mangel des Gefühls des Mit­ein­an­ders. „Dro­gen­li­te­ratur: was ist das eigent­lich? Ist das Lite­ratur, die sich mit dem Thema Drogen befasst oder Lite­ratur, die unter dem Ein­fluss von Drogen geschrieben wurde? Beides mag zutreffen“ – meint Resch. In diesem Bei­trag han­delt es sich um die Bespre­chung von Lite­ratur, in wel­cher der Konsum von Genuss­mit­teln the­ma­ti­siert wird, um auf einen gesell­schaft­li­chen Zustand hin­zu­weisen, nicht um den Konsum an sich zum Gegen­stand zu machen. Für diesen Artikel gehe ich von einem weiten Dro­gen­be­griff aus, der sich auf jeg­liche Genuss­mittel erstreckt. So kommen in Berek oft nicht ille­ga­li­sierte Drogen vor (wie ärzt­lich ver­schrie­bene Medi­ka­mente oder Zucker). Die strikte Unter­schei­dung Drogen vs. Genuss­mittel führt zur Stig­ma­ti­sie­rung der Kon­su­men­tInnen. Resch: „Die land­läu­fige Unter­schei­dung zwi­schen Drogen und Genuss­mit­teln beruht wohl eher auf poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Ent­schei­dungen als auf sub­stanz­spe­zi­fi­schen Gefah­ren­stufen. Die Defi­ni­tion dessen, was als gefähr­liche Droge ver­boten und als gött­liche Sub­stanz gehei­ligt wird, hat sich im Laufe der Geschichte oft­mals geän­dert, sogar inner­halb eines Men­schen­le­bens und inner­halb der glei­chen Kultur.“

 

Berek_Marcin-Szczygielski_CoverZurück zum Roman: Dieses Ver­zehren nach einem Mit­ein­ander, Zuein­ander, Durch­ein­ander der Men­schen, nach der Ver­schmel­zung der Indi­vi­duen – im Sinne Georges Batailles –, ein Ver­zehren das auch die Figuren in Berek hegen, zeige sich beson­ders und explizit im ritu­ellen Fest. Im Fest strebe alles nach Ent­fes­se­lung und Los­lö­sung, zu einer Auf­lö­sung der mensch­li­chen Grenzen. Bataille schreibt in Theorie der Reli­gion dazu: „Als Rausch, Chaos oder sexu­elle Orgie, wie es [das Fest, d.V.] sich im Grenz­fall dar­stellt, taucht es [das Indi­vi­duum, d.V.] in gewissem Sinne ein in die Imma­nenz.“ Ania in Berek findet einen Rausch wie oben beschrieben wäh­rend der Kom­mu­nion, wäh­rend des Emp­fangs der Hostie. Sie erlebt diesen exta­ti­schen, lei­den­schaft­li­chen Moment durch das Bewusst­sein über die Anwe­sen­heit der anderen („ich spüre zig Augen auf meinem Rücken“), teilt diesen Moment mit ihnen, er wird durch die anderen erst mög­lich. Der Emp­fang der Hostie, das Schlu­cken, die olfak­to­ri­schen Ein­drücke (Weih­rauch, Blumen, Parfum, klamme Mäntel) – selbst der kalte harte Fuß­boden und die damit ein­her­ge­hende Form der hin­ga­be­vollen Ernied­ri­gung ergeben ein Zusam­men­spiel, wel­ches die Kom­mu­nion zu „Ort und […] Zeit einer spek­ta­ku­lären Ent­fes­se­lung“ werden lässt, so Bataille. „Im Fest fla­ckert ein Ver­langen nach Zer­stö­rung auf, aber eine bewah­rende Beson­nen­heit setzt ihm Grenzen und lenkt es in geord­nete Bahnen. Auf der einen Seite finden sich alle Mög­lich­keiten von Ver­zeh­rung ver­eint: Tanz und Poesie, Musik und die übrigen Künste tragen dazu bei, aus dem Fest den Ort und die Zeit einer spek­ta­ku­lären Ent­fes­se­lung zu machen. Aber das ängst­lich wachende Bewusst­sein, durch das Unver­mögen, mit der Ent­fes­se­lung Schritt zu halten, zur Umkehr genö­tigt, neigt dazu, diese Ent­fes­se­lung in den Dienst der Ord­nung der Dinge zu stellen […].“ Ania offen­bart sich der Sinn des Lebens.

Kon­ver­gent erfährt Paweł in einem Dark­room fol­gendes: „Uśmiecham się i klękam przed nim. Lekko całuję nagi frag­ment skóry pod pęp­kiem, dłonią leci­utko zac­zynam masować jego krocze. […] Przy­mykam oczy, przy­tulam twarz do jego pod­brzusza i wciągam zapach. Nie­biański zapach. Zapach mło­dego, gorącego, spo­co­nego faceta. Faceta, który praw­do­po­d­obnie ost­atni pry­sznic brał ran­kiem. Przes­zywa mnie dreszcz roz­koszy […]. Twarde kafle gresu boleśnie ucis­kają moje kolana […]. Trzy wielkie porcje spermy lądują mi w samym gardle. Kręci mi się w głowie, fala szc­zęścia zalewa mnie jak przy­pływ. Połykam go […]. Wysysam ostanią kroplę. Euf­oria. Dla takich chwil jak ta warto żyć.“ („Ich Lächle und knie vor ihm nieder. Zart küsse ich die nackte Stelle der Haut unterm Nabel, mit der Hand beginne ich sacht seinen Damm zu mas­sieren […] Leicht schließe ich die Augen, drücke mein Gesicht an seinen Unter­leib und sauge den Duft ein. Einen himm­li­schen Duft. Den Duft eines jungen, heißen, ver­schwitzen Typen. Ein Typ, der wahr­schein­lich heut morgen das letzte Mal geduscht hat. Ein genüss­li­cher Schauer über­kommt mich […]. Meine Knie schmerzen auf den harten Platten des Stein­fuß­bo­dens […]. Drei große Por­tionen Sperma landen direkt in meinem Hals. Mir wird schwin­delig, flut­artig über­rollt mich eine Glücks­welle. Ich schlucke ihn […]. Auch den letzten Tropfen zut­sche ich heraus. Euphorie. Für solche Momente wie diesen lohnt es sich zu leben.“)

Durch die tex­tu­elle Eng­füh­rung der beiden Rausch­erleb­nisse im sub­jek­tiven Erleben Anias und Pawełs, auch wenn sie sich objektiv an ver­schie­denen Orten der Gesell­schaft und moti­viert von ver­schie­denem Begehren voll­ziehen (Nacht­club, homo­ero­tisch und Kirche, reli­giös), zeigt sich die gemein­same Sehn­sucht der beiden. Es kommt nicht darauf an, wie sie sich jeweils berau­schen, son­dern warum. Wäh­rend Prot­ago­nist und Prot­ago­nistin, beide wech­sel­seitig aus der Ich-Per­spek­tive berich­tend, als unmit­tel­bare Nach­barn Tür an Tür ihren Alltag in einem Block in War­schau ver­leben, kommen die beiden durch ihre sich dia­me­tral gegen­über­lie­genden Welt­bilder in kon­fron­ta­tiven Kon­takt. Bekannt­lich ist es so, dass Kon­flikte und das Bewusst­sein dar­über Quelle der Krea­ti­vität sind, was die beiden Nach­barn unter Beweis stellen: Sie machen sich auf viel­fäl­tigste, wirk­lich krea­tive Weise gegen­seitig das Leben schwer und ent­wi­ckeln dabei per­fide Stra­te­gien. Denn: sie hält ihn auf­grund seiner sexu­ellen Ori­en­tie­rung für krank, für ein Krebs­ge­schwür der Gesell­schaft, einen Schma­rotzer, Juden, der ihrer Mei­nung nach sicher pädo­phil ist. Ania spürt den gesell­schaft­li­chen Rück­halt für ihr Denken und Han­deln, fühlt sich mit ihrer Aggres­sion im Recht (“[…] in Poland, where the fun­da­men­ta­list miso­gyny and homo­phobia increase”, so Kit­liński and Lesz­ko­wicz). Paweł hin­gegen kommt nicht umhin, ihr Klein­lich­keit, Gemein­heit, Ver­schro­ben­heit, Erbärm­lich­keit und eine unzeit­ge­mäße Denk­weise vorzuwerfen.

Das Bemer­kens­werte an dem Ver­gleich der beiden Lebens­welten ist, dass sie unter­schied­li­cher und doch glei­cher nicht sein könnten. Im Grunde trifft der Satz, den Pawełs The­ra­peutin ihm in einer Sit­zung nahe­zu­bringen ver­sucht, worum es eigent­lich geht; das nicht zu besei­ti­gende Gefühl der Leere und Ein­sam­keit: „Każdy czło­wiek idzie przez życie sam“ – „Jeder Mensch geht allein durchs Leben.“ Paweł wehrt sich gegen eine solche Wahr­heit, wider­spricht der The­ra­peutin vehe­ment. Er befindet sich, genau wie Ania, uner­müd­lich auf der Suche nach Berüh­rungen, nach Kon­takt, wohl­ge­son­nenem Aus­tausch, nach Bezie­hungen, die Gebor­gen­heit und Sicher­heit sug­ge­rieren. „Jestem już zmęc­zony. Zmęc­zony szu­ka­niem. Na ciebie.“ – „Ich bin schon ermüdet. Vom Suchen müde. Von der Suche nach Dir.“ – sagt er eines Mor­gens einem Mann, neben dem er erwacht, dessen Namen er nicht kennt, den er in der letzten Nacht im  Club „Utopia“ ken­nen­ge­lernt hat – wel­cher jedoch noch schläft und somit die per­fekte Pro­jek­ti­ons­fläche für Pawełs Sehn­süchte bietet. Resch fasst zusammen, worin es seiner Ansicht nach in Texten geht, deren Thema Dro­gen­konsum ist: „Es geht um mensch­liche Schick­sale, zer­störte Träume, Ein­sam­keit, Hoff­nung auf ein bes­seres Leben, um den Wunsch nach Selbst­fin­dung, um die Suche nach künst­le­ri­scher Inspi­ra­tion und vieles mehr. Zwar steht die Droge im Mit­tel­punkt der Texte, doch sie ist immer nur ein Medium für die Pläne und Wün­sche der Figuren“, so Resch. Das zen­trale Thema in Berek ist der Wunsch der ein­zelnen Men­schen nach Zuge­hö­rig­keit und Anleh­nung. Tomasz Raczek schreibt im Vor­wort zu Berek: „Geje są inni, czyli obcy, niez­ro­zu­miali, nie­prze­w­i­dy­walni, mogą zagrozić poukła­da­nemu w gło­wach światu. Prez nich pod­ział na dobro i zło traci biblijny kon­trast […]“ – „Schwule sind anders. Oder fremd, unver­standen, undurch­schaubar, sie können die Ord­nung der Welt in den Köpfen bedrohen. Durch sie ver­liert die Ein­tei­lung in Gut und Böse ihren bibli­schen Kon­trast […].“ Was der Ver­fasser dieser Worte hier für Schwule in Anspruch nimmt, das Prinzip des Aus­ge­schlos­sen­seins, trifft aber genauso auf die anderen Figuren des Romans und nicht nur auf Paweł zu. Es ist ein Phä­nomen, wel­ches sich aus ver­schie­denen argu­men­ta­tiven Ecken heraus auch auf Ania und die anderen Figuren erstreckt.

Das, woraus sich eine typi­sche pol­ni­sche Iden­tität zusam­men­setzt, ange­nommen es gäbe so etwas wie eine pol­ni­sche Iden­tität, kann von keiner realen Person in sich ver­eint sein, wes­halb es zwangs­läufig zu einem immer­wäh­renden par­ti­ellen gegen­sei­tigen Aus­schluss kommt. Das ist 1. ein starker Bezug zur katho­li­schen Kirche, auch wenn die meisten PolInnen heut­zu­tage ihre Reli­gio­sität sehr selektiv leben. 2. Ein Hang zum Opfertum/Märtyrium, wel­ches, einer in der roman­ti­schen Epoche ent­stan­denen Prä­misse nach, per­sön­li­ches Glück gegen­über dem Wohl Polens zurück­stellt. 3. Ein mono­li­thi­sches Emp­finden in Bezug auf die Eth­ni­zität, die sich nach den zwei Welt­kriegen erst her­aus­bil­dete, denn vorher war Polen eine aus­ge­spro­chen mul­ti­eth­ni­sche Gesell­schaft bestehend unter anderem aus Ukrai­ne­rinnen, Juden, Weiss­rus­sInnen, Deut­schen, Litaue­rInnen, Rus­sInnen, Slo­va­kInnen usw., die ins­ge­samt etwa 30 Pro­zent der Bevöl­ke­rung Polens aus­machten. Dazu kommen 4. eine all­ge­mein emp­fun­dene Wer­te­krise nach 1989, die sich in dem Streit um eine Zuge­hö­rig­keit zur Euro­päi­schen Union wider­spie­gelt, und 5. eine exklusiv hete­ro­se­xu­elle Aus­rich­tung – für diese Auf­lis­tung an Iden­ti­täts­merk­malen habe ich mich durch oben erwähnten Artikel Kulpas anregen lassen. Diese soge­nannte (pol­ni­sche?) Iden­tität hat Szc­zy­gielski in seinem Roman the­ma­ti­siert, indem er sowohl einen Schwulen als auch eine ver­al­teten Werten ver­haf­tete Person ein­ander gegen­über­stellt. Beide kommen sich im Laufe der Hand­lung ein­ander nahe, ent­wi­ckeln eine Bezie­hung, die es ihnen ermög­licht, Leer­stellen ein­ander füllen zu lassen. Gewis­ser­maßen kommt es zwi­schen den beiden Figuren zu einer Inter­sub­jek­ti­vie­rung; Nachdem sich die beiden Par­teien im nach­bar­li­chen Streit gegen­seitig vor­erst nur distan­ziert beob­achtet und beäugt haben, kommt es nach und nach zu einer dia­lek­ti­schen Bezie­hung: beäu­gendes Sub­jekt und beäugtes Objekt ver­schmelzen mit­ein­ander, manche würden dieses Modell des Mit­ein­ander als Patch­work­fa­milie identifizieren.

Dass die ten­den­zi­ellen Cha­rak­te­ris­tika einer Gesell­schaft sich im Dro­gen­konsum ihrer Mit­glieder spie­geln, ist keine neue Fest­stel­lung. So schreibt Resch über die gol­denen Zwan­ziger: „In den soge­nannten ‚gol­denen Zwan­zi­gern’ sollte Dro­gen­konsum aller Art […] Hoch­kon­junktur haben. Die Ver­gnü­gungs­sucht nach dem Krieg basierte vor allem auf Angst, Unsi­cher­heit und dem Wunsch, das ver­lo­rene Leben der ver­gan­genen Jahre nach­zu­holen. […] In diesem Klima konnte ein Hier-und-Jetzt-Denken ent­stehen, dessen Ventil die Suche nach ober­fläch­li­cher Unter­hal­tung war.“ In Berek finden sich viele Hin­weise auf Miss­stände im Leben der Ein­zelnen, die auf gesell­schaft­li­chen Ten­denzen beruhen, vor allem aber zeigt Berek den gegen­sei­tigen Aus­schluss­cha­rakter der ver­meint­lich so unver­ein­baren Lebens­welten auf – und die damit ein­her­ge­hende Ver­ein­sa­mung samt Sehn­sucht nach einer Auf­lö­sung dieses Zustands. Szc­zy­giel­skis Leis­tung besteht darin, die Figuren aus­nahmslos zu mar­gi­na­li­sieren. Weder Anias noch Pawełs Argu­menten kommt ein wahr­haf­tiger Status zu, beide ver­zehren sich auf ihrer Suche nach Immanenz.

 

Marcin Szc­zy­giel­skis Roman Berek ist in Polen 2007 erschienen, Michał Wit­kow­skis Lubiewo in der deut­schen Über­set­zung von Chris­tina Marie Haupt­meier eben­falls 2007.