Misslungene Versöhnung
Dass ein literarisches Werk Hass, Verachtung und Gewaltandrohung hervorrufen und einen anerkannten Autor zum ‚Volksverräter’ stempeln kann, hat der aserbaidschanische Schriftsteller, Dichter und Übersetzer, Akram Ajlisli, nach der Veröffentlichung seines Romans Kamennye sny (dt: Steinerne Träume) am eigenen Leib erlebt. Welches Tabuthema verbirgt sich hinter diesem unscheinbaren Titel, dass Akram Ajlisli zum Salman Rushdie Aserbaidschans werden und für sein abgeschnittenes Ohr eine Belohnung von einem Parteichef der Regierung ausgesetzt werden kann?
Seit Ende des Jahres 2012 ist der aserbaidschanische Schriftsteller Akram Ajlisli zutiefst besorgt um seine Sicherheit und bittet die ausländischen diplomatischen Vertretungen in Aserbaidschan um Unterstützung. „Vor meinem Haus werden unbefugte Demonstrationen durchgeführt, man verbrennt meine Bücher, man übt ungerechte Unterdrückungen auf die Mitglieder meiner Familie aus“, – heißt es in der Erklärung von Ajlisli, die von Public Radio of Armenia im Februar 2013 veröffentlicht wurde. Der Grund für das hervorgerufene Durcheinander im Land ist n u r sein Roman Steinerne Träume.
Der 75-jährige Autor, dem sein Titel des aserbaidschanischen Volksschriftstellers aberkannt wurde, greift in seinem Roman, den er seinen Landsleuten widmet, eine Thematik auf, über die viele lieber schweigen und die sie lieber vergessen würden. Es handelt sich um die in Europa fast vergessenen Konflikte zwischen Armeniern und Aserbaidschanern. Zwei Nachbarvölker, die aufgrund der umstrittenen Gebiete, besonders um Bergkarabach, in anhaltend angespanntem Verhältnis stehen. Ihr Konflikt, der tief im Nationalbewusstsein beider Völker verankert ist, wird auf ethnischer und religiöser Ebene ausgetragen. Im Vorwort bezeichnet Akram Ajlisli sein Werk als ein Roman-Requiem und deutet bereits hier an, dass die Opfer dieses Konfliktes nie öffentlich betrauert worden sind. Dass der Autor damit nur eines der Völker im Auge hat, erfährt der Leser allerdings erst später.
Ajlisli hatte empört, dass die aserbaidschanische Justiz einen Offizier, der der Ermordung eines armenischen Offiziers beschuldigt wurde, einfach freigesprochen hatte. Dies war für Ajlisli der Auslöser seinen bereits 2006 verfassten Roman doch noch zu veröffentlichen. Vom ihm selbst ins Russische übersetzt, erschien der Roman im Dezember 2012 in der russischen Literaturzeitschrift Družba narodov (Freundschaft der Völker) und schon Ende Januar 2013 fanden vor seinem Haus erste böswillige Demonstrationen statt, die sich weiter verschärften.
Der Grund für diese Demonstrationen ist in der Art und Weise zu finden, in der Ajlisli das armenische und aserbaidschanische Volk beschreibt. Anhand von zahlreichen Figuren verdeutlicht der Autor ziemlich schwarz-weiß-malerisch, wie barmherzig Armenier sind und wie bösartig sich Aserbaidschaner verhalten. Seine schwer nachvollziehbaren Verallgemeinerungen werden weiterhin durch die ungebremste Kritik am muslimischen Glauben, besonders an der Tradition der Beschneidung, verstärkt. „Glaubt ihr wirklich, sagt er, dass euer Prophet klüger ist als Gott? Hätte es der allsehende Gott nicht bemerkt, wenn am Körper eines Menschen etwas überflüssig wäre?“ Und natürlich kann man von den Muslimen – so gewalttätig, wie sie der Autor darstellt – nichts anderes erwarten, als dass der Protagonist von ihnen für seine kritischen Aussagen auf einem Beschneidungsfest Beschimpfungen und Schläge erhält.
Zum zentralen Schauplatz seines Romans wird das, in der Bergregion Aserbaidschans gelegene, Dorf Ajlis, aus dem der Autor selbst stammt. Ajlis ist auch gleichzeitig das Heimatdorf des aserbaidschanischen Theaterschauspielers und Protagonisten Sadaj Sadygly, der in Baku sehr bekannt und beliebt ist. Die Handlung spielt im Jahre 1989 und die Hauptstadt ist von einer Vielzahl von Überfällen auf armenische Bürger von Seiten der Aserbaidschaner betroffen. Der Held kann nicht mitansehen, wie ein alter Armenier in einer Menschenmenge zusammengeschlagen und zuletzt ermordet wird. Sadaj eilt ihm zur Hilfe und wird selbst zum Opfer. Der bewusstlose Körper des Schauspielers wird von seinem Freund ins nahegelegene Krankenhaus gebracht.
Und so beginnt auf einer Länge von vier Kapiteln des Romans die Traumreise des Komapatienten. Seine Reise führt ihn nach Ajlis, in sein Heimatdorf. Das besonders im zweiten Kapitel häufig gebrauchte Wort kamennyj (steinerne) eröffnet dem Leser das Geheimnis des Titels. Der steinerne Weg über steinerne Treppen und steinerne Schluchten, durch seine Träume, führt den Protagonisten nach Ajlis zu steinernen Kirchen. Der Komatraum ist bestimmt vom Schicksal dieser Gegend. Aus den Erzählungen seines Schwiegervaters erfährt Sadaj über das tragische Schicksal der Armenier nach dem Ersten Weltkrieg. Im Jahre 1919 wurde das Dorf von osmanischen Truppen eingenommen. Und mit der Unterstützung der aserbaidschanischen Bevölkerung haben die Besatzer die armenische Bevölkerung ermordet und vertrieben.
Das Paradies, wie es der Autor beschreibt, wurde durch die Besatzer zerstört, Bewohner hingerichtet und die Überlebenden mussten die Flucht ergreifen. Die leerstehenden Häuser wurden von den Türken und Aserbaidschanern bezogen. Und seit dieser Zeit leben dort neben den Ruinen der Kirchen in den besetzten Häusern „psychisch kranke“ Menschen, deren „Vorfahren für die Gräueltaten verantwortlich sind“. „Ich [der Schwiegervater] glaube sogar, dass es keine Krankheit ist, sondern eine Vergeltung. Die Vergeltung Gottes für die unverzeihlichen Taten der Menschen.“ Akram Ajlisli veranschaulicht an dieser Stelle zwei vollkommen verschiedene Perspektiven auf die alten und neuen Bewohner von Ajlis. Der Autor beschreibt die neuen Siedler, die Aserbaidschaner, als von Gott verdammte Menschen, die keine Ruhe finden werden. Sie sind für viele schlimme Taten verantwortlich und auch ihre Kinder werden oder sind bereits vom Leid betroffen. Sogar ihre Namen oder Tätigkeiten erhalten eine negative Konnotation. Sie sind Metzger, die mit einem langen Messer durch das Dorf spazieren oder tragen solche Namen wie Kaban (das Wildschwein) oder Sjumjuk (der Knochige). Und auf der anderen Seite werden mit großem Respekt und Zuneigung die noch verbliebenen Armenier beschrieben. Im Gegensatz zu den aserbaidschanischen Frauen, die sich um ihre eigenen Kinder wenig kümmern, nimmt die Armenierin Ajkanuš die Sorge um ein muslimisches Waisenkind in ihre Hände und wäscht seinen mit Läusen befallenen Kopf.
Dem Leser vergeht sehr bald die Lust am Weiterlesen. Die Handlung des Romans beruht nur auf der Vielzahl von Beispielfiguren, die jeweils Negatives an den Aserbaidschanern zum Vorschein bringen. Alleine die Trennung der Figuren nach ihrer nationalen Zugehörigkeit reicht dem Autor aus, um seine schwer nachvollziehbaren Gedanken zu äußern. Wenn es sich um muslimische, türkische oder aserbaidschanische Personen handelt, dann werden ihnen negative Charakterzüge zugeschrieben. „Und gleich danach sang die dumme Čimnaz [Aserbaidschanerin] mit ihrer abscheulichen, lauten Stimme diese widerlichen Reime:“ Doch wenn es um christliche, armenische Helden geht, dann werden diese respektiert, bewundert und mit ihnen wird sympathisiert: „Wenn man für jeden grausam ermordeten Armenier nur eine einzige Kerze anzünden würde, dann wäre der Schein dieser Kerzen heller als der des Mondes.“ Sogar der träumende Schauspieler spielte vor dem Koma schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, sich zum Christentum zu bekehren, „um als Mönch um Vergebung für die Taten der Muslime zu beten“. Dieser Mann, in dessen Adern kein einziger Tropfen armenischen Blutes fließt, wie es der Autor beschreibt, identifiziert sich insgeheim mit einem Armenier und verspürt damit das gesamte Leid, das diesem Volk angetan wurde. Die einzige, die in diesem Roman einen schwachen Gegenpol bildet, ist die aserbaidschanische Frau von Sadaj Sadygly. Sie bemüht sich ihren Mann zur Vernunft zu bringen. Weist ihn darauf hin, dass nicht nur das armenische, sondern auch das aserbaidschanische Volk viel Leid erfahren musste. Doch Sadaj bildet sich in diesem Moment nur ein, dass auch seine Frau sich von ihm distanziert. Der kurze Dialog ist der erste und gleichzeitig der letzte Versuch auch auf die Schmerzen des aserbaidschanischen Volkes aufmerksam zu machen.
Es ist der falsche Weg mit dem Akram Ajlisli zur Versöhnung der beiden Völker beitragen wollte. Diese von ihm persönlich im Interview geäußerte Zielsetzung misslingt. In einer ästhetischen, poetischen Sprache umschreibt der Autor die steinerne Landschaft seiner Heimat. Und in der gleichen Sprache verdeutlicht Akram Ajlisli dem Leser, ganz ohne Skrupel, wie gewalttätig, unkultiviert und ungebildet das aserbaidschanische Volk sei. Ihnen gegenüber gestellt ist die gebildete, christlich erzogene und friedliche armenische Nation. Seine Vorurteile und stereotypen Beschreibungen und seine Gegenüberstellung von Gut und Böse können die brenzlige Situation nur noch weiter verschärfen. In Aserbaidschan werden jetzt schon die verhassten Publikationen von Akram Ajlisli öffentlich verbrannt. Dagegen wird er in Armenien als Held gefeiert und Kamennye sny ist ein Bestseller.
Ein Hoffnungsschimmer bleibt, dass Ajlisli selbst in kommender Zeit dazu beiträgt, einen Ausgleich zu finden. Er hat angekündigt, einen weiteren Roman in Arbeit zu haben, der sich diesmal dem 1992 stattgefundenen Massaker von Chodshali widmen soll, bei dem eine bis heute ungeklärte, aber zweifelsohne große Anzahl Aserbaidschaner zu Schaden gekommen ist. Ob es diesmal Ajlisli gelingt sein Ziel zu erfüllen und zur Versöhnung beizutragen, wird sich zeigen.
Ajlisli, Akram (2012): Kamennye sny. In: Družba narodov (Moskau), Nr. 12, 2012. Web. 30.06.2013. URL = http://magazines.russ.ru/druzhba/2012/12/aa5.html
Weiterführende Links:
Eine kurze Reportage über die Ereignisse: Hetzjagd auf Akram Aylisli
„Der Hass zwischen Aserbaidschan und Armenien sitzt tief. Wie tief, zeigt der Fall von Akram Aylisli. In seiner Novelle “Steinträume” hat er an die Vertreibung der Armenier aus Baku erinnert. Seither muss er um sein Leben fürchten.“
http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/wdr/akram-aylisli-100.html
„Der internationale PEN ist zutiefst besorgt um Akram Aylislis Sicherheit. Der PEN fordert die Behörden Aserbaidschans dazu auf, die Sicherheit Aylislis und seiner Familie zu garantieren und gegen die Personen, die ihn bedroht haben, Ermittlungen einzuleiten und sie entsprechend zu bestrafen.“
http://www.pen-deutschland.de/de/2013/02/12/aserbaidschan-schriftsteller-akram-aylisli-bedroht/