Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Der Par­tisan als Pikaro

Alek Popov schreibt einen schel­mi­schen Roman über den bul­ga­ri­schen Wider­stand im Zweiten Weltkrieg

 

popov_cover_dtAls „ersten Par­ti­sa­nen­roman nach dem Ende des Kom­mu­nismus“ bewirbt der Klap­pen­text das aktu­elle Buch des bul­ga­ri­schen Schrift­stel­lers Alek Popov, das eine par­odis­ti­sche Lesart des his­to­ri­schen Nar­ra­tivs vom heroi­schen Wider­stand gegen den Faschismus offe­riert. Der Roman ist 2013 unter dem bul­ga­ri­schen Titel Die Schwes­tern Pala­veevi im Wir­bel­sturm der Geschichte (Sestri Pala­veevi v bur­jata na isto­ri­jata) im Haupt­stadt-Verlag Siela erschienen und wurde mit dem renom­mierten Lite­ra­tur­preis Helikon aus­ge­zeichnet. Die deut­sche Über­set­zung des bul­ga­ri­schen Best­sel­lers folgte in rekord­ver­däch­tiger Schnelle: Bereits im März 2014 ver­öf­fent­lichte der öster­rei­chi­sche Resi­denz Verlag das Werk unter dem mär­chen­haften Titel Schnee­weiss­chen und Par­ti­sa­nenrot in der Über­tra­gung durch Alex­ander Sitz­mann. Im selben Verlag waren bereits Popovs frü­here Erfolgs­ge­schichten Mis­sion: London (Misija London) und Die Hunde fliegen tief (bul­ga­ri­scher Titel: Čer­nata kutija / Die schwarze Schachtel) erschienen, in denen der popu­läre Literat die Wirren der Nach-Wen­de­zeit sowie die Mühen des Lebens in der Emi­gra­tion auf die Schippe nimmt.

 

Nun also die Par­ti­sanen, und mit ihnen der Blick zurück in die bis heute wirk­mäch­tige Geschichte des Zweiten Welt­kriegs. popov_cover_bgDer Roman eröffnet jedoch, in einer klas­si­schen Rah­men­hand­lung, zunächst mit einer zeit­ge­nös­si­schen Szene: Der namen­lose Erzähler stol­pert in der bul­ga­ri­schen Haupt­stadt Sofia zufällig in eine kleine schä­bige Gasse im Nie­mands­land zwi­schen Zen­trum und Peri­pherie, die nach einer gewissen Jara Pala­veeva benannt ist. Das Sträß­chen hat alle poli­tisch moti­vierten Umbe­nen­nungs­ak­tionen der Wen­de­zeit unbe­schadet über­standen, seine Namens­pa­tronin jedoch ist den meisten Bewoh­nern wie dem Erzähler unbe­kannt. Neu­gierig geworden begibt dieser sich auf die Suche nach ihrer Geschichte in die städ­ti­schen Archive. Aus dem Staub der Akten tritt ihm zunächst Kara Pala­veeva ent­gegen, die Schwester der im Wider­stand gefal­lenen Jara und ihres Zei­chens rang­hohes Mit­glied des Bul­ga­ri­schen Geheim­dienstes. Ihr jah­re­langes Ringen um ein ehrendes Ange­denken an die im heroi­schen Kampf gestor­bene Schwester ist, nach Akten­lage, durch zahl­reiche Hin­ter­halte und Über­ra­schungs­an­griffe sei­tens der kom­mu­nis­ti­schen Büro­kratie gekenn­zeichnet. Und der Sieg schließ­lich nur ein schein­barer, umfasst der städ­ti­sche Wurm­fort­satz der Jara-Pala­veeva-Gasse am Ende doch gerade einmal sieben Häuser.

 

Der erzäh­le­ri­sche Auf­takt iro­ni­siert die macht­po­li­ti­sche Instru­men­ta­li­sie­rung des Andenkens an den Wider­stand, das im sozia­lis­ti­schen Bul­ga­rien auch rea­liter bis­weilen absurde Züge annahm. So ver­rin­gerte sich die Zahl der „Aktiven Kämpfer gegen Faschismus und Kapi­ta­lismus“, wie der offi­zi­elle Ter­minus lautet, im Lauf der Jahre kurio­ser­weise nicht, son­dern wuchs kon­ti­nu­ier­lich an. Pri­vi­le­gien wie höhere Gehälter oder bes­sere Stu­di­en­mög­lich­keiten wurden inner­halb der Fami­lien in Erb­folge wei­ter­ge­geben, zunächst nur an die Kinder der Par­ti­sanen, später sogar an die Enkelgeneration.

 

Aus dieser bereits rela­ti­vie­renden Per­spek­tive setzt nun die eigent­liche Geschichte der wider­stän­digen Zwil­lings­schwes­tern Jara und Kara Pala­veevi ein. Man schreibt das Jahr 1943. Bul­ga­rien dient dem Dritten Reich als Bünd­nis­partner im Zweiten Welt­krieg und als wich­tiger Rück­halt für die mili­tä­ri­schen Ope­ra­tionen im Süd­osten Europas und in Russ­land. Die Rote Armee steht an der Ost­front vor einer ent­schei­denden Offen­sive und ihre bal­dige „Befreiung“ Bul­ga­riens wird von der Bevöl­ke­rung, je nach ideo­lo­gi­scher Ein­stel­lung, befürchtet oder erhofft. In den unzu­gäng­li­chen Berg­re­gionen bereiten sich, wie überall im Balkan, kom­mu­nis­ti­sche Par­tei­gänger und Sym­pa­thi­santen auf den rus­si­schen Ein­marsch und die erhoffte anschlie­ßende Macht­über­nahme vor. So auch die Zwil­lings­schwes­tern Pala­veevi, gleich­wohl sie über einen „bour­geoisen“ fami­liären Hin­ter­grund ver­fügen und mit ihren gerade einmal 15 Jahren noch das Erste Sofioter Mäd­chen­gym­na­sium besu­chen. In einem Akt des puber­tären Iko­no­klasmus ver­un­zieren sie das Bild des bul­ga­ri­schen Zaren Boris III. im Trep­pen­haus ihrer Schule mit roter Farbe und meinen nun, vor dro­hender Ver­fol­gung und Folter in die Berge fliehen zu müssen, wo sie sich der Par­ti­sa­nen­ein­heit des berühmten Kom­Brig Medved (Kom­Brig Bär) anschließen.

 

Einmal bei den Par­ti­sanen ange­kommen, mit Sei­den­un­ter­wä­sche, Kara­mell-Bon­bons und Parfüm-Fla­kons bewaffnet, bringt ihre ero­ti­sche Aus­strah­lung die kämp­fe­ri­sche Dis­zi­plin ins Wanken. Zwar erkämpfen sich die schönen Schwes­tern, als Akro­ba­tinnen in rhyth­mi­scher Kunst­gym­nastik geschult, in einigen brenz­ligen Situa­tionen den Respekt der Kame­raden. Ein Rest an Miss­trauen gegen­über ihrer bür­ger­li­chen Her­kunft bleibt jedoch bestehen. Und als die Ein­heit auf­grund eines offen­sicht­li­chen Ver­rats in Bedrängnis gerät und viele tap­fere Kämpfer ver­liert, fällt der Ver­dacht auf die beiden unzu­ver­läs­sigen Kan­to­nis­tinnen – „Klas­sen­de­ter­mi­nismus“ eben, wie es der Par­tisan mit dem cha­rak­te­ris­ti­schen Kampf­namen Lenin knapp formuliert.

 

Ange­führt wird die bunte Truppe der Wider­ständler vom erwähnten Kom­Brig Medved, der meh­rere Jahre in der Sowjet­union ver­brachte und mithin als unhin­ter­frag­bare Auto­rität gilt, sowohl für die mili­tä­ri­sche Taktik als auch für das All­tags­leben in der uto­pi­schen Wun­der­welt der Sowjet­union, wo sogar das Spei­seeis hoch­mo­dern durch unter­ir­di­sche Rohr­lei­tungen gepumpt werde. Der Kom­man­deur selbst hat weniger rosige Erin­ne­rungen an seine Zeit in der UdSSR, wohin er nach der Nie­der­schla­gung des kom­mu­nis­ti­schen Sep­tem­ber­auf­stands 1923 geflüchtet war. Im Zuge der sta­li­nis­ti­schen Repres­sionen wird er wegen angeb­lich anti­so­wje­ti­scher Pro­pa­ganda zu meh­reren Jahren Lager­haft ver­ur­teilt und ver­richtet Zwangs­ar­beit am Weiß­meer-Kanal. 1941 wird er wieder frei­ge­lassen und in einer phan­tas­tisch anmu­tenden Geheim­ope­ra­tion mit einem U‑Boot an die Schwarz­meer­küste vor Bul­ga­rien zurück­ge­bracht, um vor Ort den Wider­stand gegen das faschis­ti­sche Regime zu verstärken.

 

Nach seinen Erfah­rungen in der Sowjet­union gehört Medved zu den wenigen Wider­ständ­lern, die der Befreiung Bul­ga­riens durch die sieg­reiche Sowjet­armee mit gemischten Gefühlen ent­gegen sehen. Eine gefähr­liche Skepsis, die er um jeden Preis vor seinen Mit­strei­tern ver­bergen muss. Die Rhe­torik der Sowjet­ideo­logie setzt Medved mithin radikal prag­ma­tisch ein, etwa wenn er den Genossen Botev exzes­sive Selbst­kritik üben lässt. Dessen stun­den­lange Selbst­an­klagen zer­mürben effektiv jeg­li­chen plu­ra­lis­ti­schen Dis­kus­si­ons­willen in der Gruppe und so bleibt die Ent­schei­dungs­ho­heit des Kom­man­deurs auch in Kri­sen­si­tua­tionen unan­ge­fochten. Die Aus­le­gung des dia­lek­ti­schen Mate­ria­lismus dele­giert der Kom­man­deur hin­gegen an die aske­ti­sche Extra-Nina, die als Polit-Offi­zierin den hin­ter­wäld­le­ri­schen Kämp­fern die „klein­bür­ger­li­chen Zweifel wie faule Zähne zieht“.

 

Die Ein­heit der Wider­stands­kämpfer stellt mithin eine obskure Truppe von Kom­bat­tanten dar, die in ihren zwei­fel­haften Moti­va­tionen und Talenten die inneren Wider­sprüche des Par­ti­sa­nen­kampfs zum Aus­druck bringen und so gar nicht in das offi­zi­elle Nar­rativ von der Geschlos­sen­heit des anti­fa­schis­ti­schen Wider­stands passen wollen. Der Jung­kom­mu­nist mit dem unfrei­willig komi­schen Kampf­namen „Toten­gräber des Kapi­ta­lismus“, der Ver­treter der Bau­ern­bündler mit Spitz­namen „Wurzel“, das zu reli­giösem Aber­glauben nei­gende Par­tei­mit­glied Onkel Metodi – die „Bri­gade“ ist ein Kurio­si­täten-Kabi­nett und keine homo­gene ideo­lo­gi­sche, geschweige denn eine schlag­kräf­tige mili­tä­ri­sche Ein­heit. Schon bald geht es in den Wäl­dern des Bal­kan­ge­birges nicht mehr um kon­krete Akte mili­tä­ri­scher Sabo­tage, son­dern um das pure Überleben.

 

Dem düs­teren Medved steht auf der Seite der zaris­ti­schen Truppen der berüch­tigte Offi­zier Nacht mit seinem smarten Begleiter Fähn­rich Zanev gegen­über. Sie ver­su­chen in mili­tä­ri­schen Ope­ra­tionen mit hoch­tra­benden Code-Namen wie „Schnee-Eule“ oder „Unter­nehmen Fisch­reiher“ den Par­ti­sanen auf die Schliche zu kommen – mit­tels der Duft­spuren, welche die schönen Schwes­tern mit ihrem groß­bür­ger­li­chen Odeur im Wald hin­ter­lassen haben. Die mit bewusst dia­bo­li­schen Zügen aus­ge­statten Ver­folger sind den ero­ti­schen Reizen der Zwil­linge mit ihren Kampf­namen Monika und Gabri­ella jedoch nicht weniger hilflos aus­ge­lie­fert als die im Wald frie­renden Par­ti­sanen. Und der offi­zi­elle Kampf gegen den Wider­stand in den Wäl­dern mutiert zur indi­vi­du­ellen ero­ti­schen Obses­sion des Haupt­manns Nacht.

 

Die zu epi­scher Länge nei­genden Kampf­namen der Par­ti­sanen ver­dankten sich, so der Erzähler, im Übrigen der großen Popu­la­rität Karl Mays und seines Helden Win­netou in den Dör­fern der bal­ka­ni­schen Pro­vinz. Die Ver­mi­schung von Gat­tungs­merk­malen der west­li­chen Popu­lär­kultur mit nar­ra­tiven Ver­satz­stü­cken der sowje­ti­schen Geschichts­my­then fun­giert als wesent­li­cher Träger der par­odis­ti­schen Effekte im Roman. So ver­fügt Kom­Brig Bär über eine Reihe von tech­ni­schen Wun­der­waffen, aus­ge­tüf­telt von den sowje­ti­schen Geheim­diensten, die an die berühmten Geheim­dienst-Gad­gets des bri­ti­schen Agenten 007 James Bond erin­nern, etwa ein schie­ßender Kugel­schreiber oder beson­dere Kraft spen­dende Brüh­würfel. Hin­sicht­lich seiner erzäh­le­ri­schen Ästhetik ver­weist der Autor selbst auf prä­gende Anleihen beim Kino (Kovačev 2013). Eine Ver­fil­mung des Par­ti­sanen-Pop-Epos ist kon­se­quen­ter­weise bereits in Pla­nung (Vaga­linska). Der Lite­ra­tur­wis­sen­schaftler Boris Minkov hin­gegen kon­sta­tiert den starken Ein­fluss des Comics mit seinen ver­schie­denen Zeit­ebenen, der als erzäh­le­ri­sche Gat­tung auch inner­fik­tional stark gemacht wird (z.n. Velič­kova 2014). So gestaltet Jara Pala­veeva à la Gabri­ella die Wand­zei­tung der Par­ti­sanen als Comic, mit Stach­anov als Superman und Trotzki als auf­ge­bla­senem grünen Zwerg.

 

Struk­tu­riert ist der Roman nach dem klas­si­schen Chro­no­topos des Aben­teu­er­ro­mans, Prü­fungen und Ver­su­chungen mili­tä­ri­scher, ideo­lo­gi­scher, ero­ti­scher und kuli­na­ri­scher Art reihen sich lückenlos anein­ander. Das lie­bende Paar des klas­si­schen Aben­teu­er­ro­mans im Bacht­in­schen Sinne wird jedoch durch die unzer­trenn­li­chen Zwil­linge ersetzt, mit einer durchaus prä­senten homo­ero­ti­schen Kom­po­nente. Die Zwil­linge ver­stärken nicht nur den Frau­en­an­teil des Kol­lek­tivs, sie pro­pa­gieren die Eman­zi­pa­tion der Frau und ent­larven das bür­ger­liche Mas­tur­ba­ti­ons­verbot als sexu­elle Unter­jo­chung der Arbei­ter­klasse. Ergänzt wird der Aben­teuer-Plot um einige mär­chen­haft-phan­tas­ti­sche Ele­mente, die den mytho­lo­gi­schen Kon­text des Bal­kans, seiner Wälder und Schluchten, auf­greifen und die den Par­ti­sanen-Mythos so auch in eine his­to­ri­sche Kon­ti­nuität mit den bul­ga­ri­schen Frei­heits­kämpfen gegen die Osma­ni­sche Ober­ho­heit im 19. Jahr­hun­dert stellen.

 

Der Roman schließt mit einem wei­teren Zeit­sprung: nun in die Nach­kriegs­epoche. Die Schwes­tern finden sich nach Jahren der Tren­nung, wäh­rend derer sie sich wech­sel­seitig für tot hielten, auf beiden Seiten des Eisernen Vor­hanges wieder. Hier wird auch der von Popov ange­kün­digte zweite Teil des Romans ansetzen, in dem er sich gat­tungs­mäßig nach dem Aben­teu­er­roman nun dem Spio­na­ge­thriller zuwenden will (Vaga­linska).

 

Die Schwes­tern Pala­veevi fand in der lesenden Öffent­lich­keit Bul­ga­riens einen regen Wider­hall. Angriffe auf den Par­ti­sanen-Mythos, der im Živkov-Bul­ga­rien gezielt zur Legi­ti­mie­rung der poli­ti­schen Elite ein­ge­setzt wurde, lassen noch heute die Gemüter hoch­schlagen. So wurde im Jahr 2013, dem Erschei­nungs­jahr des Romans, das Denkmal für die „Aktiven Kämpfer gegen Faschismus und Kapi­ta­lismus“ im Zen­trum der Haupt­stadt im Zuge der Pro­teste gegen die sozia­lis­ti­sche Regie­rung in rosa Farbe getaucht. Ver­gleichbar dem poli­ti­schen Van­da­lismus der Par­ti­sanen-Zwil­linge in Popovs Roman wird his­to­ri­sche Kritik auch heute noch mit dem Farb­eimer betrieben.

 

Erst zwanzig Jahre nach der Wende sei es mög­lich gewesen, eine kri­tisch-sati­ri­sche Annä­he­rung an den sozia­lis­ti­schen Par­ti­sa­nen­my­thos in seiner bul­ga­ri­scher Aus­prä­gung vor­zu­nehmen, kon­sta­tiert der Autor selbst bei der Vor­stel­lung seines Romans (Vesti.bg). Und gesteht, die klas­si­schen sozia­lis­ti­schen Par­ti­sanen-Erzäh­lungen, etwa Marko Marčevskis Erzäh­lung über den Kind-Helden Mitko Pal­auzov, in seinen Jugend­jahren als reine Aben­teu­er­li­te­ratur ver­schlungen zu haben. Popovs Roman sei eben ein typi­sches Pas­tiche, das die eta­blierten Par­ti­sa­nenn­ar­ra­tive – den heroi­schen Wider­stand, seine ideo­lo­gi­sche und klas­sen­kämp­fe­ri­sche Geschlos­sen­heit – weniger dekon­stru­iere, als sie viel­mehr in der Schwebe halte, so der Lite­ra­tur­wis­sen­schaftler Michail Nedelčev (z.n. Velič­kova 2014). Genau dies erkläre auch seine kon­tro­verse Rezep­tion in der bul­ga­ri­schen Gesell­schaft, die sich nicht ent­scheiden könne, ob es sich nun um eine sati­ri­sche Abrech­nung oder ein ver­stecktes Lob des Par­ti­sa­nen­tums – oder beides – han­dele. Die Par­odie ist bei Popov in der Tat nie nur ent­lar­vend, son­dern sie wirkt nach­ge­rade zärt­lich in der – gele­gent­lich auch direkt kör­per­li­chen – Ent­blö­ßung der Schwä­chen ihrer komi­schen Helden. Diese Ambi­va­lenz mani­fes­tiert sich sinn­bild­lich in der Spie­gel­figur der Zwil­linge: Als untrenn­bare und unun­ter­scheid­bare Zwei­heit ver­kör­pern sie die Syn­these wider­sprüch­li­cher Eigen­schaften und Ein­stel­lungen, zwi­schen oppor­tu­nis­ti­schem Kader­geist und dis­si­den­ti­schem Wider­stand, die sich jedoch dia­lek­tisch eben gerade nicht ent­schärfen lassen.

 

Unter­halb der unter­halt­samen Plot-Linie mit ihren Action-Ele­menten the­ma­ti­siert der Roman sozu­sagen sub­kutan grund­sätz­liche Fragen der Macht- und Ideo­lo­gie­kritik (femi­nis­ti­sche Eman­zi­pa­tion im mili­tä­ri­schen Wider­stand, sexu­elle Kriegs­ge­walt und Tota­li­ta­rismus), aber auch der Gat­tungs­äs­thetik mit seinem Mix aus cine­as­ti­schen und Comic-Motiven und Erzähl­ver­fahren. Popov schreibt damit nicht nur einen unter­halt­samen Geschichts­roman (und ver­passt dem nicht-bul­ga­ri­schen Leser einen Crash-Kurs in bal­ka­ni­scher Welt­kriegs­his­torie, die in ihrer Absur­dität die Fik­tion bis­weilen zu über­treffen scheint). Son­dern er schreibt sich ein in das von der For­schung seit einiger Zeit kon­sta­tierte „Par­ti­sa­nen­re­vival“ (Jakiša 2011). So posi­tio­niert etwa der Bel­o­russe Artur Klinaŭ (2014) den Par­ti­sanen als die zen­trale mythi­sche Figur des beständig von Ost wie West eroberten und kolo­nia­li­sierten Weiß­russ­land. Auch aktuell stelle das künst­le­ri­sche Par­ti­sa­nentum den ein­zigen Modus im Umgang mit dem neo­to­ta­li­tären Luka­shenka-Regime dar. Der slo­we­ni­sche Doku­men­tar­filmer Andraz Pöschl greift in seinem Film Das Lied des Wider­stands (Pesem upora) wie­derum auf das zeit­ge­nös­si­sche Wider­stands­po­ten­zial des Par­ti­sa­nen­tums zurück, mit­hilfe dessen hier Gegen­wehr gegen das kapi­ta­lis­ti­sche Wirt­schafts­system moti­viert wird (Colombi 2014, 201). Bei Popov hin­gegen ist der Par­tisan keine Blau­pause für einen die Epo­chen über­grei­fenden Wider­stand von unten, der für den Kampf gegen die zeit­ge­nös­si­schen kapi­ta­lis­ti­schen Stra­te­gien der Aus­beu­tung fruchtbar gemacht werden könnte. Er erscheint viel­mehr als Pikaro, als wenig hel­den­hafte Figur, gekenn­zeichnet durch „pathos­loses Hel­dentum“ bezie­hungs­weise „ins Lächer­liche über­stei­gertes Pathos“ (Will 1967, 23 f.). Sein ideeller Wer­de­gang ist der­je­nige der Des­il­lu­sio­nie­rung und taugt dem­entspre­chend nicht zur ideo­lo­gi­schen Mobilisierung.

 

Eine Pikaro-Vari­ante des bul­ga­ri­schen heroi­schen Wider­stands, in diesem Fall gegen die osma­ni­sche Ober­ho­heit, hatte im Jahr 2011 bereits Milen Ruskov mit seinem Roman Văz­višenie (im Bul­ga­ri­schen „Erhe­bung“ oder „Erhö­hung“ im geo­gra­phi­schen wie spi­ri­tu­ellen Sinne) höchst erfolg­reich vor­ge­legt und war dafür gleich­falls mit zahl­rei­chen lite­ra­ri­schen Preisen aus­ge­zeichnet worden. Anders als Popov bedient Ruskov sich dabei jedoch des Stil­re­gis­ters einer kon­se­quent archai­sie­renden Sprache, was den Roman schwer über­setz- und inter­kul­tu­rell rezi­pierbar macht. Popovs pop­kul­tu­relles Par­ti­sanen-Pas­tiche ist eben­falls Teil und Ergebnis der inner­bul­ga­ri­schen Geschichts­ver­ar­bei­tung. Der Roman stellt aber, nicht zuletzt dank der luf­tigen Über­set­zung von Alex­ander Sitz­mann, gleich­zeitig eine ver­gnüg­liche, global und inter­me­dial anschluss­fä­hige Aben­teu­er­ge­schichte dar, durchaus im Trend der poli­ti­schen Schel­men­ro­mane des schwe­di­schen Erfolgs­au­tors Jonas Jonasson und seines Hun­dert­jäh­rigen, der aus dem Fenster stieg und ver­schwand.

 

Popov, Alek: Schnee­weiss­chen und Par­ti­sa­nenrot. Aus dem Bul­ga­ri­schen von Alex­ander Sitz­mann. St. Pölten – Salz­burg – Wien 2014.
Popov, Alek: Sestri Pala­veevi v bur­jata na isto­ri­jata (Die Schwes­tern Pala­veevi im Wir­bel­sturm der Geschichte). Sofia 2013.

 

Wei­tere Werke von Alek Popov (Aus­wahl):

Popov, Alek: Mis­sion: London. Aus dem Bul­ga­ri­schen von Alex­ander Sitz­mann. St. Pölten – Salz­burg – Wien 2006.
Popov, Alek: Misija London (Mis­sion London). Sofia 2001.

Popov, Alek: Die Hunde fliegen tief. Aus dem Bul­ga­ri­schen von Alex­ander Sitz­mann. St. Pölten – Salz­burg – Wien 2008.
Popov, Alek: Čer­nata kutija (Die Schwarze Schachtel). Sofia 2007.

 

Wei­ter­füh­rende Lite­ratur und Links:

Colombi, Matteo: „Andere Geschichten. Das Nach­leben der Par­ti­sanen in der slo­we­ni­schen Kunst und Lite­ratur“. In: Gölz, Chris­tine; Kliems, Alfrun (Hrsg.): Spiel­plätze der Ver­wei­ge­rung. Gegen­kul­turen im öst­li­chen Europa nach 1956. Wien – Köln – Weimar 2014, S. 174–201.

Jakiša, Miranda: „Der ‘tel­luri­sche Cha­rakter’ des Par­ti­sa­nen­genres: Jugo­sla­vi­sche Topo-Gra­phie in Film und Lite­ratur“. In: Kilch­mann, Esther; Pflitsch, Andreas; Thun-Hohen­stein, Fran­ziska: Topo­gra­phien plu­raler Kul­turen. Europa vom Osten gesehen. Berlin 2011, S. 207–223.

Klinaŭ, Artur: PARTISANEN. Kultur_Macht_Belarus. Hg. von Taciana Arci­movič, Steffen Bei­lich, Thomas Weiler und Tina Wün­sch­mann. Berlin 2014.

Kovačev, Penčo: „Alek Popov: Sestri Pala­veevi pala­vejat v par­tis­ans­kite burni vre­mena“ (Alek Popov: Die Schwes­tern Pala­veevi wir­beln durch die wilden Par­ti­sanen-Zeiten). 24 časa, 07.09.2013.

Ruskov, Milen: Văz­višenie (Erhö­hung). Plovdiv 2011.

Vaga­linska, Irina: „Pisa­teljat Alek Popov: Par­tizanš­tina ima văv vsjaka demo­kra­cija“ (Der Schrift­steller Alek Popov: Par­ti­sa­nentum gibt es in jeder Demo­kratie). Tema (ohne Datum).

Velič­kova, Bistra: „Nagradi, kon­flikti, post­mo­der­nizăm. Okolo lite­ra­tur­nata 2013 g. v Băl­ga­rija“ (Lite­ra­tur­preise, Kon­flikte, Post­mo­der­nismus. Zum lite­ra­ri­schen Jahr 2013 in Bul­ga­rien). Kul­tura, Broj 24 (2773), 27 ijuni 2014.

Vesti.bg: „Novijat skan­dalen roman na Alek Popov“ (Der neue Skandal-Roman von Alek Popov). 12.04.2013.

Will, Wil­fried van der: Pikaro heute – Meta­mor­phosen des Schelms bei Thomas Mann, Döblin, Brecht und Grass. Stutt­gart 1967.