Serbiens Jagd auf Schriftsteller: der Fall Sreten Ugričić
Der serbische Schriftsteller und Leiter der Nationalbibliothek Sreten Ugričić sprach sich für die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Interpretation aus. Das hat ihm in der serbischen regierungsnahen Presse den Vorwurf, ein Terrorist zu sein und die sofortige Entlassung eingebracht. Doch schon jetzt wird deutlich, dass seine Schriftsteller_innenkollegen und die intellektuellen nach-jugoslawischen Eliten es dabei nicht bewenden lassen werden.
Wohl dem, der gegenwärtig nicht in serbischen Staatsdiensten steht. Hier ist man einem Souverän ausgeliefert, der – ganz superanus – über allen und eben auch über allem steht. Darüber täuschen Boris Tadićs europäische Anzüge und sein pro-westlicher, liberaler Ruf nicht hinweg. Wenn sich die Meinungsäußerung nicht verbieten lässt, so lässt sie sich doch wenigstens bestrafen. Diese Erfahrung musste vergangenes Wochenende Sreten Ugričić, Romanautor und Leiter der serbischen Nationalbibliothek in Belgrad, machen. Er hatte gemeinsam mit einer überschaubaren Anzahl Intellektueller eine Petition des serbischen forum pisaca unterzeichnet, die Hetzjagd auf den montenegrinischen Autor und politischen Kolumnisten Andrej Nikolaidis endlich einzustellen. Das 1998 gegründete, damals bereits Milošević-kritische Schriftsteller_innenforum bezog sich mit der Petition nicht nur auf den jüngsten, in der Tagespresse aufgebauschten Text Nikolaidis’. Nikolaidis ist lange schon der öffentlichen Diffamierung ausgesetzt. Emir Kusturica, einst geschätzter Regisseur und heute Serbo-Kulturaktivist der besonderen Art, hatte Nikolaidis jahrelang von serbischen Gerichten wegen erlittener ‚seelischer Schäden‘ verfolgen lassen.
Nun hat Nikolaidis Anfang Januar unter den Titeln „Was von Groß-Serbien übrig ist“ und „Make-up eines politischen Monstrums“ die serbische Verstrickung mit der Republika Srpska (kurz RS), der serbischen Entität des Staatsprovisoriums Bosnien und Herzegowina, angeprangert und in drastischen Bildern und der seinen Texten eigenen Schärfe zwar heftige, aber nicht ganz von der Hand zu weisende Sprüche geklopft. Vor allem ein Satz, der auf einen Sprengstofffund in Banja Luka anspielte, erregte die Gemüter. Nikolaidis versteigt sich hier zur Aussage, es hätte einen zivilisatorischen Akt dargestellt, diese Ladung zur 20-Jahr-Feier der Teilrepublik hochgehen zu lassen. Nicht diese polemisch vorgetragene Meinung Nikolaidis’, sondern die Freiheit des Lesens stand für die Unterzeichnenden der Petition des Schriftstellerforums im Vordergrund. Nikolaidis’ komplexer Text wurde in der Anklage führenden serbischen Presse stets nur in Auszügen gedruckt, sogar Zitate aus seinem 2003 erschienenen Roman Mimesis mussten zur moralischen Verurteilung des Autors herhalten. Als Terrorist bezeichnet wurde Nikolaidis von der serbischen Regierung für untragbar erklärt und einer beispiellosen hajka (Hetzjagd) ausgesetzt, die die antinationalistische online Zeitschrift e-novine gegenwärtig akribisch dokumentiert.
Sreten Ugričić, der als einziger Unterzeichner seine Haltung zum Fall Nikolaidis öffentlich kommentierte, lieferte sich damit selbst ans Messer. Der Innenminister Ivica Dačić reagierte umgehend in Press und Blic, den auflagenstärksten serbischen Boulevardzeitungen, Ugričić müsse als Sympathisant und Unterstützer terroristischen Gedankenguts sofort seines Postens enthoben werden. Dačić äußerte wörtlich und ganz im Tenor der serbischen Haltung zur Meinungsfreiheit: „Er kann das gerne unterstützen, aber nicht von der Position des Bibliotheksleiters aus, sondern aus dem Gefängnis.“ Svetlana Slapšak hat als scharfsinnige Kommentatorin und aufmerksame Beobachterin der postjugoslawischen Kulturen postwendend auf die vernichtende Evidenz der Tatsache, dass „der erste Polizist im Land den Direktor der Nationalbibliothek entlässt“, hingewiesen. Und Enver Kazaz, bosnischer Literaturprofessor und berüchtigt widerständiger Geist, kommentierte frei nach Kundera, nur paranoide und totalitäre politische Systeme ließen ihren Schriftsteller_innen die Aufmerksamkeit zu Teil werden, die sie tatsächlich auch verdienten. Olja Savičević-Ivančević, von der kroatischen Presse um ein Statement zur Affäre gebeten, verfasste stattdessen unter dem plakativen Titel „Tod der Kultur – Faschismus dem Volk!“ (eine Anspielung auf die jugoslawische Generalparole: „Tod dem Faschismus – Freiheit dem Volk!“) einen bissigen Essay über eben diese selektive Aufmerksamkeit, die Dichter_innen in Serbien, aber auch in Kroatien zu Teil wird. Man müsse ein ausgesprochener Trottel sein, so die kroatische Autorin weiter, um Nikolaidis’ Text zu verstehen, wie er ausgelegt wurde.
Zahlreiche Schriftstellerkolleg_innen haben sich in den letzten Tagen ähnlich und mutig zu Wort gemeldet: Saša Ilić, Biljana Srbljanović, Filip David, Svetislav Basara… Sie alle scheinen nicht willens, den Fall des Kollegen Ugričić schweigend abzunicken. Nenad Prokić vom serbischen Schriftsteller_innenforum klagt, ein Rauswurf wegen Unterstützung schriftstellerischer Freiheit, werfe Serbien um 20 Jahre (das heißt auf das Jahr 1992!) zurück. Der kroatische und bosnische PEN zeigen sich besorgt.
Die eigentliche Krux am Fall Ugričić wie auch am Fall Nikolaidis liegt in ihren ‚Doppelämtern‘, die Politik und Literatur für serbische Leser_innen ununterscheidbar zu machen scheinen. Nikolaidis’ Zeitungskommentare liest man in Serbien gern vor dem Hintergrund der Tatsache, dass er Berater Ranko Krivokapićs, des Präsidenten des montenegrinischen Parlaments ist. Für die montenegrinische Absetzungspolitik hat man in Serbien nicht viel übrig. Nikolaidis’ satirisch-politische Essayistik disqualifiziert ihn in den Augen der serbischen Regierung für das Amt des montenegrinischen Regierungsberaters. Ugričić wiederum, der diese Vermischung von Meinung, Literatur und Funktionsposition gemeinsam mit den anderen Unterzeichner_innen nicht hinnehmen wollte, wird ausgerechnet an der Position – an seinem Amt als Bibliotheksleiter – gepackt und von der Lohnliste des serbischen Staates gestrichen. Dass er seine Aufgabe über Jahre mit Bravour erfüllt und erfolgreich internationale Standards in der Nationalbibliothek eingeführt hat, bleibt unbestritten und macht umso deutlicher, dass die serbische Regierung lediglich die Gunst der Stunde nutzt, um einen unliebsamen (literarischen!) Kritiker loszuwerden.
„Der Diktator diktiert. Das verblendete Volk Serbiens liegt im reversiblen Koma“, schreibt Sreten Ugričić in seinem im letzten Jahr auch in deutscher Sprache erschienen Roman An den unbekannten Helden. „Am meisten haben die Kinder zu leiden. Babys weigern sich, geboren zu werden. Wer möchte denn auch in einem Land geboren sein und leben, wo es keinen einzigen Stern am Himmel gibt!“ Ugričićs Roman, in dem Der Diktator herrscht und Der Narr Chef der Geheimpolizei ist, hat sich als prophetisch für sein eigenes Schicksal erwiesen. Ein lächerlicher Polizeichef hat Ugričić mit Rückendeckung eines als Anwalt verkleideten Herrschers auf die Straße gesetzt: Wegen staatsfeindlicher Äußerungen, für die man in den USA angeblich ebenfalls den Hut nehmen müsse. „Serbien ist Desinformation“, schreibt Ugričić in seinem Roman. Wir werden sehen, wer hier Recht behält!
Serbische Fassung: http://pescanik.net/2012/01/lov-srbije-na-pisca/