Felder und Schlachtfelder: Vladislav Vančuras Roman Pole orná a válečná

Mit Anklängen an die Bibel und den Expressionismus erzählt Vladislav Vančura in wortge­wal­tiger wie gedrängter, der avantgardistischen Ästhetik der Verfremdung verpflichteter Ma­nier von den Schrecken des Ersten Weltkrieges und dem apokalyptischen Ende der alten Welt. Jetzt ist dieser 1925 veröffentlichte, in seiner komplexen Bildhaftigkeit immer noch heraus­for­dernde Ro­man des tschechischen Autors erstmals in kongenialer deutscher Übersetzung er­schie­nen.

 

Die tschechische literarische Avantgarde der 1920er Jahre mit der Vereinigung „Devětsil“ (Pestwurz) im Zentrum steht über Lyriker wie Jaroslav Seifert oder Vítězslav Nezval für einen spielerisch-heiteren, der zeitgenössischen Wirk­lich­keit der Großstadt und der Technik zugewandten Blick auf die Welt. Mit einigen dieser Autoren ist Vladislav Vančura auf den dem Band beigefügten Photographien auch gemeinsam zu sehen.

 

vancura-Sonnendeck

Vančura und Nezval im Liegestuhl. © Arco Verlag

 

Über das vollständige Fehlen des Spielerischen freilich unterscheidet sich der 1925 in gleich zwei verschiedenen Prager Verlagen herausgebrachte Roman auffällig von der künst­le­ri­schen Praxis des tschechischen Poetismus. Gleichzeitig belegt er im Rückgriff auf Techni­ken des Ex­pres­sio­nismus auch die Bedingtheit literaturgeschichtlicher Zuschreibungen.

 

„Alle Straßen münden in schwarze Verwesung“

Der von Vančura bewusst gesetzte Rückgriff auf expressionistische Techniken (wie etwa eine verknappte Ausdrucksweise oder eine verdichtete Metaphorik) verleiht dem Roman zusammen mit einem deut­­­lichen, auf die Apokalypse rekurrierenden Intertext seine klar mar­kierte, historische Position in der europäischen Literatur der 1920er Jahre. Daneben liegt aber gerade hier auch jenes provokative Moment, das min­des­tens den kon­ser­vativeren Teil der zeitgenössischen tschechischen Kritik irritierte und das auch dank der ge­nauen und methodologisch reflektierten Übertragung von Kristina Kallert heute noch vi­ru­lent scheint. Beide Punkte, also die notwendige literaturhistorische Kon­tex­tua­li­­sierung wie auch die prinzipielle Übersetzbarkeit des Romans, werden in zwei auf­schluss­rei­chen, ein­an­der sinnvoll ergänzenden Nachbemerkungen der Übersetzerin und des Heraus­ge­bers Jiří Holý er­läutert (Ho­lýs Nachwort wurde von Gertraude Zand ins Deutsche übertragen). Auch die dem Band bei­­ge­fügten militärgeschichtlichen Anmerkungen zu den verschiedenen von Van­­čura er­wähnten Schlachten im Raum Galizien bieten eine willkommene Zu­satz­in­for­ma­ti­on, wenn auch lei­der die auf den Haupttext verweisenden Seitenzahlen dieses Kommentars durch­ge­hend falsch angeführt sind.

Neben der spezifischen Bildsprache des Romans stellt auch dessen signifikant reduzierte Su­jetführung, ganz der Poetik der historischen Avantgarde ge­schul­det, einen weiteren Faktor dar, der eine problemlose und rasche Lektüre des Textes erschwert. Vančuras Aus­gangs­punkt ist un­ge­achtet der Produktion eines narrativen Textes nicht die Verknüpfung von Er­zähl­­linien, die sich an kontrastierenden Figuren orientiert, sondern das poetische Wort in sei­ner se­man­ti­schen Va­lenz. Konsequenterweise erscheinen dann auch die insgesamt zwölf Ka­pitel, in die der Autor sei­nen Roman gliedert, weniger als Einheiten einer sich sukzessive ent­fal­tenden Er­zähl­hand­lung, sondern eher als nur lose miteinander verknüpfte Tableaus. Diese werden über bestimmte sich wie­der­holende Motive wie Sterne, Erde oder Wasser sowie über die psy­cho­logisch kaum ve­r­tief­ten Zentralfiguren zusammengehalten

 

„Der Schmerz presste die zahllosen blutigen Glieder“

Die fehlende Innenschau der Figuren versteht sich freilich nicht als künstlerisches Defizit des Romanes, sondern ist dessen expressionistisch grundierter Poetik der Groteske geschuldet, die eine solche a priori nicht zulässt. Folgerichtig betrifft sie auch jene beiden sozialen Grup­pie­rungen, die Vančura in den ersten beiden Kapiteln des Romans gegenüberstellt – die zwei antagonistisch konzipierten Knechte František Hora (= Berg) und František Řeka (= Fluss) und die Mägde im fiktiven Dorf Ouhrov (mitsamt der traditionellen Figur des jüdischen Schank­wirts) sowie die adelige Herrschaft in Gestalt von Baron Maximilian Danowitz und sei­­n­en beiden Söhnen, dem Offizier Erwin und dem schwächlichen, ins Kloster ab­ge­scho­be­nen Josef. Sie alle, Adelige wie Knechte, Frauen wie Männer, Juden, Tschechen und Deut­sche, erscheinen als Marionetten, die primär von ihren Trieben gesteuert sind und im Ver­lauf der nur lose skizzierten Romanhandlung an den verschiedenen Schauplätzen der Hand­­lung – dem Gut in Ouhrov, der Großstadt mit ihren Bordellen und Kasernen, an der Front in Galizien und in den Spitälern in Krakau – zu­ein­ander in Re­la­tion gebracht werden.

 

Als die existenziellen Klammern, mit denen Vančura seine Handlung zusammenhält, er­weisen sich ein konsequent ins Negative gewendeter Eros und ein in der Regel als mi­li­tä­rische oder individuelle Gewalt erlebter Thanatos. Der halb wahnsinnige Ochsenknecht Řeka erhängt nach einem gescheiterten Versuch, den Schankwirt zu ermorden, zunächst Hora, ehe er einrücken und die Grauen eines technisierten Krieges in Galizien am eigenen Leib erleben muss. Dem standesbewussten Erwin bleibt der ersehnte Heldentod in der Schlacht versagt, er stirbt im Lazarett an der Ruhr. In den Spitälern von Krakau kommen schließlich die Zen­tral­fi­guren wieder zusammen. Baron Maximilian trifft auf seine zwei Söhne. Eben­so tauchen die Dir­ne Theresia, die nunmehr als Pflegerin tätig ist und Erwin noch­mals sehen möchte, sowie die fran­zösische Mätresse Maximilians wieder auf. Řeka erduldet auf dras­ti­sche Weise die Ge­sichtslosigkeit des modernen Krieges, da ihm selbst ein Teil des Ge­­sichtes weggeschos­sen wurde, und erlebt in einer abschließenden hal­lu­zi­nato­ri­schen Szene sein eigenes Begräb­nis mit allen dazugehörigen militärischen Ehren.

 

„Es fing die höllische Qual an“

Korrespondierend dazu und in signifikantem Kon­trast zu den Texten des tschechischen Po­etis­mus inklusive von Vančuras anderen Ro­ma­nen und Erzählungen, in denen Erotik und Se­xu­a­li­tät zu­­meist positiv funktionalisiert sind, werden sie hier immer mit einem Merkmal des Schmut­zi­gen und Ekelhaften versehen, das sich je nach so­­zialer Schicht in jeweils un­ter­schied­licher Weise manifestiert. Die einzige Figur, die dieser all­um­fas­senden Degradation ent­­­hoben ist – die Magd Anna – stirbt bezeichnenderweise bereits im ersten Kapitel zu­sam­men mit ihrem noch ungeborenen Kind. Als indirekten Kontrapunkt dazu evo­zie­ren die Schluss­passagen in adventistischer Manier das Her­auf­kom­men ei­nes neuen Zeit­alters, das anders als das untergegangene auch von sozialer Ge­rech­tig­keit ge­prägt sein wird.

Vielleicht vermag abschließend ein Blick auf den komplexen Titel des Romans dessen präzi­se­re literaturgeschichtliche Positionierung zu umreißen. Die Titel gebenden Felder sind so­wohl solche, auf denen gepflügt und geerntet wird („pole orná“), als auch die im Beschuss um­­gepflügten Schlacht­felder des Ersten Weltkrieges („pole válečná“). Über die expressionis­ti­sche Darstellung dieser Schlacht­felder selbst und der damit verbundenen Zurichtung der Re­kru­­ten kor­­res­pondiert Vančuras Roman etwa mit Georg Trakls berühmtem Gedicht Gro­dek, mit Mi­ro­slav Krležas Erzählung Baraka pet be (Baracke 5 b) oder auch mit Józef Wittlins pa­zifis­ti­schem Roman Sól ziemi (Das Salz der Erde); die­sen Texten sind auch die drei vorange­gan­ge­nen Zwischenüberschriften ent­nom­­men.

Gleichzeitig geht der Roman über die Dar­stel­lung bäuerlicher Lebenswelten aber auch von einer literarischen Tradition der Böhmischen Länder im 19. Jahrhundert aus, nur um diese im Zeichen der his­to­rischen Avantgarde der 1920er Jahre radikal zu ver­ab­schieden: Die kontrastierende Dar­stel­lung von tschechischem Dorf und deutschem Schloss gleich in den ersten beiden Kapiteln lässt als Hintergrundfolie die Dorf- und Schloss­ge­schicht­e durchscheinen, die in unterschied­li­cher Form etwa von Božena Němcová und Marie von Ebner-Eschenbach realisiert wurde. Vielleicht mag diese literarische Genealo­gie spekula­tiv erscheinen, Vančuras Sensorium für Probleme der Literaturtheorie ist in dem Band jeden­falls nachdrücklich dokumentiert: Einige der von Kristina Kallert aus dem Nach­lass des Au­tors zitierten Passagen lesen sich wie Auszüge aus den strukturalistischen Aufsätzen von Jan Mu­kařovský und belegen so nachdrücklich die für die Avantgarde insgesamt kenn­zeichnende Engführung von theoretischer Modellbildung und künstlerischer Praxis. Der Um­stand, dass man über diese wichtige Facette von Vančuras Schaffen gewissermaßen en pas­sant in Kennt­nis gesetzt wird, kann abschließend als ein weiterer Pluspunkt dieser insge­samt höchst gelungenen wie beein­dru­ckenden Ausgabe vermerkt werden.

 

Vančura, Vladislav: Felder und Schlachtfelder. Aus dem Tschechischen von Kristina Kallert. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Jiří Holý (= Bibliothek der Böhmischen Länder Bd. XI). Wuppertal: Arco, 2017.

Vančura, Vladislav: Pole orná a válečná. Praha: Družstevní práce, 1925..

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