Das französische Theaterkollektiv La belle Meunière bot dem MESS-Publikum eine 75-minütige, wortlose und eindrucksvolle Dekonstruktion einer massiven Kommode. 2014 wurde die Produktion im Rahmen des Theaterfestivals in Avignon unter dem französischen Originaltitel Buffet à vif uraufgeführt. Seither wurde sie in Frankreich, Tschechien, Serbien und Bulgarien gezeigt. Im Rahmen des 59. MESS Theaterfestivals in Sarajevo war Smashed to Pieces erstmals in Bosnien-Herzegowina zu erleben.
Während der französische Originaltitel auf die Dynamik und Lebendigkeit des titelgebenden Objekts hinweist (Buffet à vif – rohes, entblößtes Möbel), setzt die englische Übersetzung Smashed to pieces den Fokus auf dessen Zerstörung. Beides sind zentrale Elemente dieser Produktion – das Publikum wird Zeuge eines rohen, brachialen Gewaltakts an einem Möbelstück und abschließend aufgefordert, mit den losen Holzfragmenten gemeinsam etwas Neues zu schaffen. Obwohl es sich im ersten Teil der Performance um eine systematische Zerstörung handelt, stiftet dieses Attentat an einem antiquierten, sperrigen Holzbuffet keinerlei Traurigkeit, sondern weckt die Lebensgeister.
Die Protagonisten des Stücks werden von Pierre Meunier und Raphael Cottin gespielt, der eine Schauspieler und der andere Tänzer. Dieses dynamische und zugleich ungleiche Duo hievt mühevoll ein schweres, sperriges Holzbuffet auf die Bühne. Es ist sorgfältig in einer weißen Schutzfolie verpackt, als Zuschauer_in beobachtet man das ungleiche Möbelpacker-Paar etwas skeptisch und verwundert; man ist unschlüssig, was einen erwartet.
Mit großer Sorgfalt und Mühe wird die Schutzfolie abgelöst. Das klotzige Möbelstück steht nun auf der kahlen Bühne, die beiden Protagonisten gehen gemächlich hin und her, stellen ein kleines, schwarzes Radio ab und spielen französische Chansons. Dann zückt einer der beiden plötzlich einen Hammer und schlägt euphorisch auf das Möbelstück ein, während im Hintergrund immer noch die Musik aus dem kleinen Radio trällert. Das Holz birst, es entstehen große Löcher. Die Protagonisten kriechen in das immer kleinteiliger werdende Holzbuffet und führen einen virtuosen und wilden Totentanz auf. Sie stellen sich mal hinter, mal vor das demolierte Möbelstück, heben und senken es in Zeitlupe, mimen die letzten Atemzüge, bevor sie es Stück für Stück auseinanderbrechen und nur noch lose Holzfragmente auf der Bühne liegen.
Dies bildet einen Schlüsselmoment der Darbietung – doch nun tritt überraschenderweise eine dritte Figur in Erscheinung. Eine Frau betritt die Bühne und lädt die Zuschauer_innen ein, aus ihrer passiven Rolle zu treten und kollektiv etwas Neues aus den herumliegenden Holzstücken zu kreieren. Zuerst zögerlich, doch dann mit wachsender Begeisterung, entscheidet sich ein großer Teil des Publikums, die Initiative zu ergreifen und gemeinsam eine neue Ordnung zu schaffen. Dies geschieht jedoch in kompletter Stille, die französischen Chansons sind nun verstummt und man arbeitet ruhig und respektvoll zusammen. Die Stimmung auf der Bühne ist hoch konzentriert – man realisiert, wo man sich befindet und was man gerade tut. Dadurch, dass das Stück im “Sarajevski Ratni Teatar” (SARTR; dt. Sarajevoer Kriegstheater) gezeigt wird, gewinnt die Metapher der Zerstörung und des Neuaufbaus eine zusätzliche Intensität.
La Belle Meunière sieht in dieser poetischen Choreografie der Zerstörung und des Neuaufbaus eine Möglichkeit, zu zeigen, dass es sich lohnt, Dinge anzufassen, aufzubrechen, komplett zu zerstören, um Raum für Klarheit und Innovation zu schaffen. Die zerstörerischen Gewaltakte der namenlosen Möbelpacker ermöglichen einen kollektiven Neuanfang für die passiven Zusehenden.
Smashed to Pieces war eine imposante Metapher für das Leitmotiv des diesjährigen MESS Festivals – fluid life. Es illustrierte die ephemere Natur des Lebens, ohne dabei pathetisch oder klischeehaft zu werden. Die Produktion bietet eine einfache, nie kaschierte Lesart an, überzeugt jedoch gerade in ihrer konsequenten konzeptuellen Schlichtheit. Durch das minimalistische Bühnenbild und den fehlenden Dialog wird der Blick auf das wilde, brutale, absurde und eben auch schöne Geschehen geschärft, das sich auf der Bühne abspielt.
Durch die Miteinbeziehung des Publikums wird der Theaterabend gegen Ende zur Improvisation – und bewegt sich weg von einer vorgegebenen Choreografie zu einer fließenden, kollektiven Performance, die jedes Mal anders und einzigartig ausfällt.
Smashed to pieces, La Belle Meunière – La Poétique des Signes, Cast: Marguerite Bordat, Raphael Cottin, Pierre Meunier; Vorstellung vom 1. Oktober 2019, 22 Uhr, 59. MESS International Theater Festival, Sarajevo War Theater SARTR.
Weiterführende Links
Smashed to pieces auf dem MESS International Theater Festival.
Buffet à vif von La Belle Meunière.