Arkadij Babčenko verzichtet auf Beschönigungen. Er wählt drastische Worte, nennt den Krieg einen Schwanzvergleich und betont, dass er keine positiven Seiten hat. Wer „Ein Tag wie ein Leben“ gelesen hat, wird dem kompromisslos zustimmen müssen.
„Das war ein Krieg zwischen dem persönlichen Ehrgeiz dieser vier. Kinder, vielleicht nehmt ihr nächstes Mal einfach ein Lineal und messt auf der Toilette nach?“
Ja, das ist Krieg wie ihn Arkadij Babčenko schildert. Ein Schwanzvergleich. Nichts weiter. Dass Menschen auch nach Jahrtausende langer Evolution nicht genug Grips in der Birne haben, um endlich vom sinnlosen Schlachten abzusehen, demonstriert Arkadij Babčenko auf sehr drastische Art. Und das ist gut. Denn Moralpredigten interessieren die Befehlshaber so wenig wie tote Soldaten an der Front. Mehr als Kanonenfutter sind sie nicht, schreibt Babčenko, und die Weiber werden neues gebären.
Arkadij Babčenko: Soldat, Autor, Mensch
Ein Journalist, der über den Krieg berichtet. Oder eher Soldat mit Autorqualitäten? So genau weiß das niemand. Fest steht, dass Arkadij Babčenko mit 18 zum Militärdienst einberufen wurde und nur ein Jahr später im Tschetschenienkrieg landete. Während Gleichaltrige sich über die ersten Mobiltelefone und Windows 95 freuten, lag Babčenko im Schützengraben und schoss sogenannten Feinden die Seele aus dem Leib. Immerhin schaffte er es, diese Erfahrung positiv zu verwerten, bedenkt man sein 2007 erschienenes Erstlingswerk Die Farbe des Krieges und die 2015 erfolgte Kurt-Tucholsky-Preisauszeichnung.
Der in Ein Tag wie ein Leben geschilderte Tschetschenienkrieg war der erste seiner Art und gründete auf einem militärischen Konflikt zwischen der Kaukasusrepublik Tschetschenien und Russland. Das Buch reiht sich damit zu Veröffentlichungen anderer Autoren wie Zachar Prilepin oder Polina Žerebcova ein. Der Unterschied ist, dass es einer festen Erzählform entbehrt und sich stattdessen einzelner Fragmente wie Interviews oder persönlicher Erfahrungen bedient, welche sich über die Zeit angesammelt haben. Zudem belässt es Babčenko nicht beim ersten Tschetschenienkrieg, sondern thematisiert auch andere militärische Auseinandersetzungen, darunter den Krieg in Afghanistan.
Ein bisschen Hass, ein bisschen Folter
Papa, bist du stolz auf dein Vaterland? Mein Sohn, es macht mehr Sinn, stolz auf seinen Stuhlgang zu sein, als auf das Vaterland. So ungefähr müsste die Antwort lauten, wenn man Babčenkos Grundtenor beherzigt. Schon zu Beginn seines Buches macht er deutlich, was es heißt, im Krieg zu sein. Er weiß aus eigener Erfahrung, dass niemand für irgendein Vaterland kämpft. Auch nicht für sonstige Ideologien. Man kämpft für das Leben seiner Verbündeten. Schießt man nicht, wird man erschossen. Die einzige Regel mit Gültigkeit.
Bemerkenswert sind die Impressionen von Tony Langouranis, der mit Arkadij Babčenko ein Interview geführt hat, das in Ein Tag wie ein Leben veröffentlicht ist. Langouranis war 2004 im Irak stationiert und bekam die Aufgabe des Folterers zugeteilt. In diesem Abschnitt zeigt Babčenko, dass Kriegsrecht nur eine Farce ist, mit der das Volk daheim gefüttert wird. Laut gesetzlichen Vorlagen darf natürlich nicht gefoltert werden, doch Langouranis erzählt trotzdem von Schlafentzug, Kampfhunden oder nackten Menschen mit Plastiktüten auf dem Kopf. Zu Recht lässt Babčenko in seiner gewohnt scharfsinnigen Ironie einen Dank an die Genfer Konvention verlauten.
Oh Mann, krepier‘ doch einfach!
Eindrucksvoll schlüsselt der Autor auf, was es im Nachhinein bringt, den ganzen Tag verkohlte Leichen und zerfetze Menschen zu betrachten. Summa summarum: bis auf lebenslängliche Behinderungen, nichts. Babčenkos Kritik gilt dem Staat. Warum Gasleitungen für 740 Milliarden Rubel verlegt werden können, ein blinder Veteran hingegen betteln muss, um über die Runden zu kommen, ist eine der zentralen Fragen. Die Gelder fließen, nur nicht in die Taschen derjenigen, die es nötig hätten. Beispielsweise die Kriegshelden in den Unterführungen. Drei Leute, aber nur ein Bein. Dafür fünf Medaillen. Hervorragend. Verbitterte und von Hass entstellte Menschen sitzen auf der Straße und verteufeln die ganze Welt. Vor allem diejenigen, die nicht im Krieg gewesen sind und ihr Leid nicht teilen: „Nicht wir sind die verlorene Generation, sondern sie, die nicht im Krieg waren. Wenn ihr Tod auch nur einen der Jungs wieder zum Leben erwecken könnte, würde ich sie alle umbringen. Ohne eine Sekunde zu überlegen. Jeder von ihnen ist mein persönlicher Feind.“
Ein Tag wie ein Leben
Der Titel trifft zu. Vollkommen. Babčenko führt einen durch menschliche Abgründe und stellt einem für immer verkrüppelte sowie psychisch entstellte Veteranen vor, die sich schließlich bis zum Lebensende mit Behördengängen quälen, um wenigstens einen Hauch dessen ausgezahlt zu bekommen, was ihnen eigentlich zusteht. Solche Bilder laufen vor dem geistigen Auge einiger Soldaten wie Babčenko ab. Jeden Tag. Und der ehemalige Infanterist macht sie dem Leser zugänglich.
Babtschenko, Arkadi: Ein Tag wie ein Leben. Vom Krieg. Aus dem Russischen von Olaf Kühl. Berlin: Rowohlt, 2014.
Babčenko, Arkadij: Operacija <Žizn‘> prodolžaetsja. Moskau: Alpina Publishers, 2012.