Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Arkadij Babčenko: Ein Tag wie ein Leben. Krieg, Vater­land & Co.

Arkadij Babčenko ver­zichtet auf Beschö­ni­gungen. Er wählt dras­ti­sche Worte, nennt den Krieg einen Schwanz­ver­gleich und betont, dass er keine posi­tiven Seiten hat. Wer „Ein Tag wie ein Leben“ gelesen hat, wird dem kom­pro­misslos zustimmen müssen.

 

babcenko_cover_dt„Das war ein Krieg zwi­schen dem per­sön­li­chen Ehr­geiz dieser vier. Kinder, viel­leicht nehmt ihr nächstes Mal ein­fach ein Lineal und messt auf der Toi­lette nach?“

 

Ja, das ist Krieg wie ihn Arkadij Babčenko [Arkadi Babt­schenko] schil­dert. Ein Schwanz­ver­gleich. Nichts weiter. Dass Men­schen auch nach Jahr­tau­sende langer Evo­lu­tion nicht genug Grips in der Birne haben, um end­lich vom sinn­losen Schlachten abzu­sehen, demons­triert Arkadij Babčenko auf sehr dras­ti­sche Art. Und das ist gut. Denn Moral­pre­digten inter­es­sieren die Befehls­haber so wenig wie tote Sol­daten an der Front. Mehr als Kano­nen­futter sind sie nicht, schreibt Babčenko, und die Weiber werden neues gebären.

 

Arkadij Babčenko: Soldat, Autor, Mensch

Ein Jour­na­list, der über den Krieg berichtet. Oder eher Soldat mit Autor­qua­li­täten? So genau weiß das nie­mand. Fest steht, dass Arkadij Babčenko mit 18 zum Mili­tär­dienst ein­be­rufen wurde und nur ein Jahr später im Tsche­tsche­ni­en­krieg lan­dete. Wäh­rend Gleich­alt­rige sich über die ersten Mobil­te­le­fone und Win­dows 95 freuten, lag Babčenko im Schüt­zen­graben und schoss soge­nannten Feinden die Seele aus dem Leib. Immerhin schaffte er es, diese Erfah­rung positiv zu ver­werten, bedenkt man sein 2007 erschie­nenes Erst­lings­werk Die Farbe des Krieges und die 2015 erfolgte Kurt-Tucholsky-Preisauszeichnung.

 

Der in Ein Tag wie ein Leben geschil­derte Tsche­tsche­ni­en­krieg war der erste seiner Art und grün­dete auf einem mili­tä­ri­schen Kon­flikt zwi­schen der Kau­ka­sus­re­pu­blik Tsche­tsche­nien und Russ­land. Das Buch reiht sich damit zu Ver­öf­fent­li­chungen anderer Autoren wie Zachar Pril­epin oder Polina Žereb­cova ein. Der Unter­schied ist, dass es einer festen Erzähl­form ent­behrt und sich statt­dessen ein­zelner Frag­mente wie Inter­views oder per­sön­li­cher Erfah­rungen bedient, welche sich über die Zeit ange­sam­melt haben. Zudem belässt es Babčenko nicht beim ersten Tsche­tsche­ni­en­krieg, son­dern the­ma­ti­siert auch andere mili­tä­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zungen, dar­unter den Krieg in Afghanistan.

 

Ein biss­chen Hass, ein biss­chen Folter

Papa, bist du stolz auf dein Vater­land? Mein Sohn, es macht mehr Sinn, stolz auf seinen Stuhl­gang zu sein, als auf das Vater­land. So unge­fähr müsste die Ant­wort lauten, wenn man Babčenkos Grund­tenor beher­zigt. Schon zu Beginn seines Buches macht er deut­lich, was es heißt, im Krieg zu sein. Er weiß aus eigener Erfah­rung, dass nie­mand für irgendein Vater­land kämpft. Auch nicht für sons­tige Ideo­lo­gien. Man kämpft für das Leben seiner Ver­bün­deten. Schießt man nicht, wird man erschossen. Die ein­zige Regel mit Gültigkeit.

Bemer­kens­wert sind die Impres­sionen von Tony Lan­gou­ranis, der mit Arkadij Babčenko ein Inter­view geführt hat, das in Ein Tag wie ein Leben ver­öf­fent­licht ist. Lan­gou­ranis war 2004 im Irak sta­tio­niert und bekam die Auf­gabe des Fol­te­rers zuge­teilt. In diesem Abschnitt zeigt Babčenko, dass Kriegs­recht nur eine Farce ist, mit der das Volk daheim gefüt­tert wird. Laut gesetz­li­chen Vor­lagen darf natür­lich nicht gefol­tert werden, doch Lan­gou­ranis erzählt trotzdem von Schlaf­entzug, Kampf­hunden oder nackten Men­schen mit Plas­tik­tüten auf dem Kopf. Zu Recht lässt Babčenko in seiner gewohnt scharf­sin­nigen Ironie einen Dank an die Genfer Kon­ven­tion verlauten.

 

Oh Mann, kre­pier’ doch einfach!

Ein­drucks­voll schlüs­selt der Autor auf, was es im Nach­hinein bringt, den ganzen Tag ver­kohlte Lei­chen und zer­fetze Men­schen zu betrachten. Summa sum­marum: bis auf lebens­läng­liche Behin­de­rungen, nichts. Babčenkos Kritik gilt dem Staat. Warum Gas­lei­tungen für 740 Mil­li­arden Rubel ver­legt werden können, ein blinder Veteran hin­gegen bet­teln muss, um über die Runden zu kommen, ist eine der zen­tralen Fragen. Die Gelder fließen, nur nicht in die Taschen der­je­nigen, die es nötig hätten. Bei­spiels­weise die Kriegs­helden in den Unter­füh­rungen. Drei Leute, aber nur ein Bein. Dafür fünf Medaillen. Her­vor­ra­gend. Ver­bit­terte und von Hass ent­stellte Men­schen sitzen auf der Straße und ver­teu­feln die ganze Welt. Vor allem die­je­nigen, die nicht im Krieg gewesen sind und ihr Leid nicht teilen: „Nicht wir sind die ver­lo­rene Gene­ra­tion, son­dern sie, die nicht im Krieg waren. Wenn ihr Tod auch nur einen der Jungs wieder zum Leben erwe­cken könnte, würde ich sie alle umbringen. Ohne eine Sekunde zu über­legen. Jeder von ihnen ist mein per­sön­li­cher Feind.“

 

Ein Tag wie ein Leben
Der Titel trifft zu. Voll­kommen. Babčenko führt einen durch mensch­liche Abgründe und stellt einem für immer ver­krüp­pelte sowie psy­chisch ent­stellte Vete­ranen vor, die sich schließ­lich bis zum Lebens­ende mit Behör­den­gängen quälen, um wenigs­tens einen Hauch dessen aus­ge­zahlt zu bekommen, was ihnen eigent­lich zusteht. Solche Bilder laufen vor dem geis­tigen Auge einiger Sol­daten wie Babčenko ab. Jeden Tag. Und der ehe­ma­lige Infan­te­rist macht sie dem Leser zugänglich.

 

Babt­schenko, Arkadi: Ein Tag wie ein Leben. Vom Krieg. Aus dem Rus­si­schen von Olaf Kühl. Berlin: Rowohlt, 2014.
Babčenko, Arkadij: Ope­ra­cija <Žizn’> pro­dolžaetsja. Moskau: Alpina Publishers, 2012.