Der 1973 in Tiflis geborene und zurzeit in Berlin lebende georgische Autor, Zaza Burchuladze, bekam in Georgien schon gleich nach der Veröffentlichung seines ersten Romans den Ruf des geschickten Provokateurs. Sein exzentrisches Auftreten in den georgischen Medien und seine direkten Invektiven gegen die orthodoxe Kirche haben nicht nur die Verkaufszahlen seiner Bücher rasch nach oben getrieben, sondern auch seine letztliche Flucht mit dem Status eines „Writer in Exile“ bedingt. Nun liegt sein Buch „Adibas“ (georgische Erstveröffentlichung 2009) in der deutschen Übersetzung vor und wird nicht nur von den ,üblichen Verdächtigen’, sondern ‚sogar’ vom deutschsprachigen Rolling Stone rezensiert.
Es ist ein starkes Bild gleich am Anfang des Romans, wenn Zaza, der Hauptheld des Romans, im Vake-Pool an seinem Mojito nippt, während ein russisches Jagdflugzeug im Tiefflug über das Becken fliegt. Sein Schatten kriecht über die gebräunten Körper, doch die allgemeine Gleichgültigkeit der Tifliser Bohème bleibt unerschüttert.
„Dies ist ein beeindruckender Antikriegsroman“, schreibt der ukrainische Gegenwartsautor, Jurij Andruchovyč, im Vorwort zum Buch und kommt gleich auch auf den ukrainisch-russischen Krieg zu sprechen. Zaza Burchuladzes Roman spielt im August 2008 während des georgisch-russischen Krieges. Der Begriff „Antikriegsroman“ fällt hier keinesfalls zufällig: Andruchovyč begründet dies mit der eher untergeordneten Rolle der Kriegsdarstellung im Roman. Tatsächlich sind es eher kurze Handlungsfetzen, flüchtige Bilder oder Situationen, die immer wieder daran erinnern sollen, dass die Realität der Romanhelden eine vom Krieg bestimmte ist.
Der Ich-Erzähler Zaza weist unverwechselbare Ähnlichkeit mit dem Autor auf und ist Teil jener Tifliser Gesellschaftsschicht, die sich stets über den Luxus definiert. Im Roman wird ihm eine Doppelrolle zuteil, die nicht immer überzeugt: die des außenstehenden, kritischen Beobachters und jene des unmittelbaren Akteurs. Aus der Ich-Perspektive beobachtet, kommentiert und „reflektiert” er über diesen – nicht nur im meteorologischen Sinne – heißen Sommer. Der Zustand des Krieges ändert nichts an seinem Lebensstil. Sowohl er als auch die restlichen Helden des Romans leben weiterhin das gewohnte Leben. Die Dinge haben in dieser Gesellschaftsschicht Vorrang vor den Menschen. Konsumieren heißt hier nicht allein Konsumieren, sondern Konsum im großen Stil. Jene Bohème der Hauptstadt, in der sich die Figuren des Romans bewegen, lebt von der kontinuierlichen Selbstinszenierung. Die angespannte Kriegssituation ändert daran nichts.
Der versteckte Krieg
Der Krieg kommt im Roman in den kleinen Details vor: Mal sind das „BFO – Bekannte Flug-Objekte“ mit der kyrillischen Aufschrift (РФ)-08, die in der Stadt frei herumfliegen, mal die georgischen Soldaten mit russischen Kalaschnikows, die eine Straßenblockade errichten. Der schwule Trainer Amiko muss zur Armee und Naniko, eine Freundin, fragt aus London per Skype, ob das Tifliser Viertel Vake tatsächlich bombardiert werde. Der Ich-Erzähler kommentiert dies folgendermaßen: „So ist das. Das Einzige, worum sich die Leute aus der Peripherie wirklich sorgen, ist das Nobelviertel Vake.“
Die Struktur des Romans ist durch mehrere Brüche geprägt. Die Leser werden in unterschiedlichen Kapiteln mit verschiedenen Textsorten konfrontiert. Allerdings handelt es sich eher um parodierte Versionen, Fälschungen des jeweiligen Genres: eine Pseudo-Horoskop-Vorhersage, ein Theaterstück, eine Skype-Unterhaltung und ein Gedicht, das einen georgischen Kanon-Autor karikiert. Auf den ersten Blick spielt hier der Autor mit den verschiedenen Textsorten und fälscht sie zugleich. Allerdings fragt man sich, inwiefern ihm dies gelingt oder, genauer gefragt, ob es überhaupt seine Intention ist?
Tiflis – Fake Me!
Im Roman Adibas – schon im Titel wird die Fälschung inszeniert – ist Tiflis das Mekka der artifiziellen Menschen, Gefühle, Medien, Kriege, Beziehungen, Dinge und schließlich des gefälschten Sex. An einer Stelle charakterisiert der Erzähler Zaza seine Stadt und stellt fest: „Tiflis bettelt förmlich darum, befiehlt dir, geformt, bemalt, missbraucht zu werden. Wenn es nach mir ginge, würde ich an den Stadttoren Banner aufhängen mit der Aufschrift Fake Me. (…) Weil das am ehesten die Seele dieser Stadt widerspiegelt. Nicht nur die Seele, auch ihr Wesen und ihren Zustand.“
Bewusst oder unbewusst, ist dieser Text selbst ein Produkt jener Welt, mit der er sich auseinandersetzt. In seinen Parodie- und Selbstparodie-Versuchen sehnt sich der Roman nach guten stilistischen Vorbildern wie z. B. eines Frédéric Beigbeder, bleibt aber dabei selbst der Fake-Ebene verhaftet. Er handelt vom Krieg, ist aber kein richtiger Kriegsroman. Ist es ein kritisches Gesellschaftspanorama? – Ja, aber eben nicht immer überzeugend in Tiefe und Schärfe. Ist es ein Roman über „Sex, Drugs and Rock ’n‘ Roll“? – Auch nicht ganz. Es ist ein buntes Sammelsurium an Geschichten mit einem pseudo-postmodernen Hauch und wird so selbst zu einem Teil der in ihm dargestellten Welt.
Burchuladze, Zaza: Adibas. Aus dem Georgischen von Anastasia Kamarauli. Berlin: Blumenbar Verlag, 2015.
Weiterführende Links:
Informationen zur georgischen Ausgabe des Buches:
https://saba.com.ge/books/details/127
Informationen zur deutschen Ausgabe:
http://www.aufbau-verlag.de/index.php/literatur-unterhaltung/romane-erzahlungen/adibas.html
Weitere Informationen zum Autor:
http://www.pen-deutschland.de/de/themen/writers-in-exile/aktuelle-stipendiaten/zaza-burchuladze/
http://sulakauri.ge/authors/single/65