Aserbaidschan, 1945. Es wird wenig geredet und viel gearbeitet. Das bolschewistische Regime ruft die Aserbaidschaner_innen zum Kampf gegen die Nazis auf, während das Land in Armut versinkt. Fliehen oder in den Krieg ziehen, das ist die Wahl der Männer. Sich dem Schmerz hingeben oder versuchen, weiterzumachen, das ist das Schicksal derer, die bleiben.
„Weniger reden“. Dies ist der Imperativ von Sughra, der Protagonistin, Mutter von zwei Jungen, mit denen sie in einem abgelegenen Dorf in Aserbaidschan lebt. Und so präsentiert sie der armenische Regisseur Ilgar Najaf: schweigend. Während sie arbeitet, während sie aus dem Wenigen Essen zubereitet und auf den Tisch bringt, während sie sich von ihrem Mann verabschiedet, der in den Krieg zieht. Ein Schweigen, das von Tod, Schmerz und Ungerechtigkeit kündet, aber auch von hartnäckiger Ausdauer und dem Willen, trotz der Schwierigkeiten weiterzuleben.
Ein Schweigen, wie es auch der Regisseur erfahren haben muss, der im Alter von dreizehn Jahren aufgrund eines ethnischen Konflikts aus Armenien nach Aserbaidschan ziehen und als Flüchtling leben musste.
Keine Zeit zum Weinen, keine Zeit zum Verzweifeln; um zu überleben, muss man stur am Leben festhalten. Der kleine Bakhtyjar akzeptiert das nicht. Sughras jüngster Sohn, der die Dorfschule besucht und mit seinen Freunden und Kameraden „Krieg“ spielt. Er singt leidenschaftlich die patriotischen Lieder, die ihm sein Lehrer beibringt. Aber Krieg ist kein Spiel, und in diesen Liedern klingen leere Worte. Das wissen alle Witwen des Dorfes und alle jungen Männer, die zu jung sind, um zu sterben, aber zu alt, um ihren Militärdienst nicht zu leisten, und die auf den Einberufungsbescheid an die Front warten.
Der Krieg ist eine Welt, die weit entfernt ist von der der aserbaidschanischen Muslime, die aus Mangel an Arbeitskräften, die das Land bewirtschaften und das Vieh hüten, hungern müssen. Entbehrung und Müdigkeit, das ist der Alltag derer, die im Dorf bleiben.
Dass der Film in Schwarzweiß gedreht ist, trägt zur düsteren Atmosphäre bei. Durch die Bewegungen und Blicke der Figuren erforscht er ihre Psyche, ihre wahren Sehnsüchte, ihre Zerbrechlichkeit, die sie verbergen, um nicht der Verzweiflung zu erliegen. Das Klima der Instabilität und Gewalt wird noch dadurch unterstrichen, dass der Kommissar, der eigentlich für den Schutz der Dorfbewohner_innen zuständig ist, seine Position dazu nutzt, den Frauen der Stadt Gewalt anzutun. Zunächst Sughra, der es gelingt, ihm zu entkommen, und dann Sarah, die sich nicht wehren kann und sich einige Tage später aus Scham das Leben nimmt.
An einem jener langsam-zähen Tage trifft der gefürchtete Brief ein: Auch Sughras ältester Sohn wird aufgefordert, seine Pflicht zu erfüllen. Doch er zieht ein Leben in Ungewissheit dem sicheren Tod vor und schließt sich im Einverständnis mit seiner Mutter seinem Onkel in den Bergen an und wird zum Deserteur. Die Verabschiedungen sind schnell, es gibt keinen Raum für Pathos.
Der Lebensrhythmus von Sughra und Bakhtyjar ändert sich: Tagsüber arbeitet die Frau und der Junge geht zur Schule, nachts organisieren die beiden heimliche Treffen mit ihrem ältesten Sohn.
Doch die Hoffnung, ein Kind gerettet zu haben, zerschlägt sich bald. Russische Soldaten durchsuchen den dichten Wald, finden die Männer, die sich in einer Höhle verstecken, und ermorden sie auf grausame Weise. Der Leichnam des toten jungen Mannes, der seiner Mutter zur Identifizierung gezeigt wird, ist ein herzzerreißendes Bild für die Sinnlosigkeit des Krieges.
„Für Stalin und für das Vaterland“: Das Motto, das der Lehrer seinen Schüler_innen beibringt, hallt in den Köpfen der Zuschauer_innen wider, gefiltert durch Bakthyajrs unsichere erschöpfte Stimme, mit der er den Satz wiederholen muss. Für Stalin und für das Vaterland, dafür sind sein Vater, sein Bruder und sein Onkel gestorben.
Nein, Krieg ist kein Spiel.
Najaf, Ilgar: SUGHRA’S SONS (Sugra Ve Ogullari), Aserbaidschan / Frankreich / Deutschland 2021, 85 Min.