Die Wärme menschlichen Feuers

In ihrem Debütspielfilm ОT (dt. Feuer, 2020) gelingt es der jungen kasachischen Regisseurin und Kamerafrau Ajžana Kasymbek gekonnt und feinfühlig die Komik im Tragischen zu erkennen und uns Zuschauer_innen – wie der Titel es verspricht – durchdrungen von Wärme zurückzulassen. Dabei bleibt es allerdings auch.

 

Das Schicksal meint es nicht gut mit Tulik (Tulenbergen Bajsakalov), einem Familienvater und einfachen Arbeiter im heutigen Kasachstan. Statt des großen Glücks, erwartete ihn in der modernen Metropole Almaty nur eine winzige Wohnung, ein hektischer Job als Lieferant einer Backwarenfabrik und schier aussichtslose Geldsorgen. So hatte er sich das nicht erträumt, als er seine Familie überredete, ebenso wie schon viele andere kasachische Arbeiterfamilien vor ihnen, das Heimatdorf zu verlassen, um ein besseres Leben in der großen Stadt zu suchen. Ähnlich sieht es seine hochschwangere Frau Altynai (Manšuk Ajtmuchambetova), sein aufbrausender Vater und seine beiden pubertierenden Töchter. Als sei das noch nicht genug, wird das fragile Familienidyll eines Abends durch die Nachricht von der ungewollten Schwangerschaft der ältesten Tochter – der Hoffnungsträgerin der Familie – vollends an ihre Grenzen gebracht. Auf der Flucht vor der Realität stürzt sich Tulik mit seinem besten Freund, einem lebensfrohen Kioskbesitzer, daraufhin in eine Nacht voller Alkohol, Verfolgungsjagden und andere Turbulenzen, die durch einen Salsa tanzenden Tod ein jähes Ende findet.

 

Wie Ajžana Kasymbek in einem Interview verriet, dienten ihr die vier Elemente, die sie als Grundgedanke allen menschlichen Lebens sieht, als Inspirationsquelle für ihr bisheriges filmisches Schaffen. 2018 drehte sie ihre beiden Kurzfilme SU (dt. Wasser) und AUA (dt. Luft) und begann 2020, kurz nach dem Ausbruch der Pandemie, mit OT ein weiteres Werk ihrer filmischen Element-Tetralogie. Die Elemente spiegeln sich – so erweckt es den Eindruck – auch in der Komposition von OT wieder: So erinnert die intensiv-warme Farbgestaltung – wie von der kasachischen Sonne geküsst – an Feuer. Die klar dahinfließende musikalische Untermalung an Wasser und die leichte schauspielerische Leistung der teils aus Amateuren bestehenden Crew an Luft. Geerdet werden wir Zuschauer_innen durch die harte kasachische Realität und die greifbare Verzweiflung der Protagonist_innen, auch wenn dieser immer eine feine, unterschwellige Leichtigkeit zu eigen ist. Dieser Elemente-Vierklang ist es dann auch, der OT einerseits so viel Körper, so viel Wärme und eben auch Feuer verleiht. Es ist jedoch kein bedrohliches und zerstörerisches Feuer, noch verspricht es zwischenmenschliche Leidenschaft. Es ist vielmehr ein Lagerfeuer, dass man nach einer langen und kalten Nachtwanderung am Horizont erblickt: es gibt Hoffnung, spendet Wärme in kalten Zeiten und ist traditioneller Ort des Beisammenseins.

 

Aus der Familie eines traditionsreichen sowjetischen Filmemachers stammend, gelang Ajžana Kasymbek der Einstieg beim berühmten und staatsnahen Filmstudio Kazakhfilm sehr früh. Das Filmstudio KAZAKHFILM wurde 1934 gegründet und bis 2017 vom kasachischen Staat subventioniert. Die staatliche Nähe und die Tatsache, dass junge Regisseur_innen mit überwiegend aus Frauen bestehenden Filmcrews weiterhin in der von Männern dominierten kasachischen Filmindustrie belächelt werden und kaum Gehör finden, mögen für die vergleichsweise leisen Töne des Films verantwortlich sein. Zwar zeigt Kasymbek das harte und oft verzweifelte Leben der kasachischen Arbeiterfamilie und auch die prekäre gesellschaftliche Situation, in der sich insbesondere Kasach_innen befinden, doch bleibt sie dabei nur Beobachterin, nicht Kritikerin. Statt nach dem Film das Bedürfnis nach Rebellion gegen die den Protagonist_innen widerfahrenen Ungerechtigkeiten zu verspüren, ist man eingelullt von menschlicher Wärme und freut sich mit Tulik darüber, dass er trotz des Bösen nur das Gute sieht. Revolution sieht anders aus!

 

Aber vielleicht ist es genau das, was wir in Zeiten einer Pandemie brauchen? Eine einfache und herzlich-warme filmische Umarmung und die Erkenntnis, dass man sich trotz all der harten Realität durch die Leichtigkeit des eignen Optimismus beflügeln und von menschlicher Wärme erwärmen lassen sollte – denn wer weiß schon was das Schicksal mit uns vorhat. Vielleicht ebnet OT aber auch nur den Weg zu einer echten Revolution im Film, die im letzten Teil von Kasymbeks Element-Tetralogie auf uns wartet. Betrachtet man die derzeitigen Ausschreitungen auf kasachischer Erde, besteht zumindest Anlass genug.

 

Kasymbek, Ajžan: Ot (Feuer). Kasachstan, 2020, 84 Min.

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