Die Ukraine-Rhetorik in Putins ‚Kriegserklärung‘

Dieser Tage müssen wir einsehen, dass die aggressive Sprache Putins hierzulange nicht ausreichend ernst genommen wurde: Am 21.02.2022 hielt Putin eine einstündige Rede an die Nation, die wohl als offizielle Kriegserklärung in die Annalen der Geschichte eingehen wird.  Seit dieser mit rhetorischen Mittel ausgestatteten Ansprache gibt es endgültig keine Zweifel mehr über seine Bereitschaft zu einem gewaltvollen Übergriff bzw. Inbesitznahme der gesamten Ukraine. 

In den Morgenstunden am 22.02.2022 erfolgte der Angriff auf die Ukraine, für dessen Rechtfertigung Putin zuvor geworben hatte. Zuvor waren bereits die Regionen Donezk und Lugansk als „souverän“ anerkannt worden, die wie die Krim seit 2014 von russischem Militär kontrolliert werden. In dieser Rede manifestiert sich – neben den zwei großen Vorgänger-Reden „Über die Einheit der Russen und Ukraine“ (2021) und der Krimrede (2014) – die spezifische Ukraine-Rhetorik Putins. Sie bedient sich logischen Kausal- und Vergleichsschlüssen – bei gleichzeitigem Einsatz nichtverifizierter Geschichtsansichten und Lügen. Eine inszenierte Dialogizität und das Verwenden von Umgangssprache dienen zur Affekterzeugung.

 

Putin versucht durch große „Bögen“ zwischen vergangenen Ereignissen und der heutigen „Nazi-Ukraine“ einen Sinnzusammenhang herzustellen. Das Ausholen in die Geschichte erfüllt den Zweck, a) die Ukraine als eigenständigen Staat zu diskreditieren (Lenin habe den ukrainischen Nationalisten fälschlicherweise eine eigene Republik zugesprochen) und b) eine Kontinuität und ‚naturgegebene‘ Verbindung zwischen den Russen und Ukrainern mit dem Rückgriff auf die Kievskaja Rus‘ (Kiewer Rus) zu behaupten. Wie Riccardo Nicolosi bereits für die Vorgänger-Reden zur Ukraine festgestellt hat, wird auch hier mit der Kievskaja Rus‘ der Ursprung der Einheit der drei ostslawischen Völker als ‚große‘ und vereinende Geschichtserzählung bzw. Gründungsmythos präsentiert, der bereits aus der zaristischen imperialen Geschichtsschreibung bekannt ist. Man wird den Eindruck nicht los, als würde man einem Geschichtslehrer aus dem 19. Jahrhundert über die zaristischen groß-russischen Ambitionen zuhören.

 

Zu Beginn der Rede wird erklärt, warum die Ukraine-Frage einen so hohen Stellenwert für Russland einnimmt: Die Ukraine sei nicht „einfach ein Nachbarland. Es ist ein unwiderlegbarer Teil unserer Geschichte, Kultur, des geistigen Raums.“ In den ersten Minuten der ungewöhnlich langen Rede versucht er mit geschichtlicher Rekonstruktion darzulegen, dass Lenin der Ukraine fälschlicherweise den Status einer eigenen nationalen Republik gab, deren von den Russen unabhängiges Existieren er bestreitet. Damit negiert Putin die bereits seit dem 19. Jahrhundert vorhandenen Nationalbestrebungen auf dem Territorium der heutigen Ukraine. Vielfach gestellte Fragen wirken wie ein Frage-Antwort-Spiel, das trotz der Pseudo-Dialogizität rein monologisch und belehrend auf das Volk ‚niederprasselt‘. Es dient darüber hinaus zum Ausdruck von Empörung und zur Affekterzeugung und -steigerung (Klimax): Durch das Vorwegnehmen und von Zweifeln und deren Integration in einer Frage-Antwort-Struktur (Entweder-Oder) inszeniert er sich als fachkundiger und verantwortlicher Landesführer und als dialogischer Gesprächspartner auf der Weltbühne, der auf Grundlage von faktenbasierter Abwägung Entscheidungen trifft und sich in diesem Sinne als professioneller, transparenter Politiker zeigt (die vielfache Wiederholung des Anspruchs an Politiker „professionell“ zu sein erwähnt Nicolosi in seinem Vortrag zu „Putins Ukraine-Rhetorik“). Die Kritik an der ukrainischen Regierung der 1990er Jahre und deren angebliche Unfähigkeit „adäquate Maßnahmen“ zu treffen verstärkt diesen Eindruck einer sowjetischen, technokratischen Sprache der Anständigkeit. Als Gegenteil dazu bzw. Abweichung von dieser Norm treten die „drogensüchtigen Nazis“ und die vielfach beschworene „Junta“ aus der Ukraine in seinen Erzählungen auf. Dies erinnert unweigerlich an den sowjetischen Begriff des „Schmarotzertums“ („тунеядство“), verstanden als soziales Parasitentum, das Arbeitslosigkeit oder eine ausbleibende Beteiligung am gesellschaftlich-ideologischen Leben als „Faulheit“ in der Sowjetzeit diffamierte (in Belarus gibt es seit 2015 wieder eine „Verordnung über das Schmarotzertum“, was Gefängnisstrafen bis zu 15 Tagen vorsieht).

 

Die teils aggressive Vortragsart und die verwendete Lexik gleichen einem verbalen Schlagabtausch und wirken wie eine ‚Schlägerei‘ zwischen Kleinkriminellen auf der Straße. Mit Missbilligung werden die Maidan-Ideen als „Abenteuer“ bezeichnet. Die verwendete Umgangssprache – z.B. „dieser Unfug“, „Und das scheint auch so zu sein, wenn da nicht ein ‚Nein‘ wäre.“, „Gott sei Dank“ – lockert die teilweise sehr langen und komplexen Satzkonstruktionen auf; es wird eine Eindeutigkeit des sehr komplexen Kontexts der Nationalitätenpolitik der 1920er Jahre, des Zerfalls der Sowjetunion ab den 1990er Jahren und der Akteure auf dem Maidan 2014 suggeriert. Darüber hinaus zielt die Verwendung von Sprichwörtern und Idiomen auf eine schnelle Verständigung zwischen Präsident und Volk ab: „Der Hund bellt, aber die Karawane zieht weiter“. Gemeint ist, dass sich Russland trotz äußeren Widerständen von seinem Weg nicht abbringen lassen werde. Auch mit Wiederholungen wird das Gesagte inhaltlich verdichtet bzw. zugespitzt: „Und sie kämpfen für ihre elementaren Rechte – in ihrem eigenen Land zu leben, ihre eigene Sprache zu sprechen, ihre Kultur und Traditionen zu bewahren.“ Besonders bei den gesellten Fragen, die die Russen in ihrer „Kränkung“ der zerfallenen Sowjetunion triggern, dient die Wiederholung zur Affekterzeugung: „Wie lange kann diese Tragödie noch andauern? Wie lange kann man noch das ertragen?“

 

Vielfach spricht Putin davon, wie „aufrichtig“ und „ehrlich“ die russische Unterstützung für die Ukraine und ihre Souveränität in den vergangenen Jahrzehnten gewesen sei:

 

 „Und unser Land hat diese Unterstützung mit Respekt gegenüber der Würde und der Souveränität der Ukraine geleistet.“

„И наша страна оказывала такую поддержку с уважением к достоинству и суверенитету Украины.“

 

„Und trotzdem, trotz all dieser bekannten Probleme hat Russland immer mit der Ukraine aufrichtig und ehrlich, ich wiederhole: mit Respekt gegenüber ihren Interessen, zusammengearbeitet .“

„И всё же, несмотря на известные проблемы, Россия всегда сотрудничала с Украиной открыто, честно и, повторю, с уважением к её интересам .“

 

 „Deswegen halte ich die schon lange gereifte Entscheidung für notwendig, unverzüglich die Unabhängigkeit und Souveränität der Donezker Volksrepublik und Luhansker Volksrepublik anzuerkennen.“ 

„В этой связи считаю необходимым принять уже давно назревшее решение – незамедлительно признать независимость и суверенитет Донецкой Народной Республики и Луганской Народной Республики.“

 

Souveränität bedeutet hier – wie im Falle der sog. Volksrepubliken Donezk und Luhansk – Anbindung an Russland, eine garantierte Staatlichkeit nur in der geopolitischen Einflusssphäre Russlands zu ihren Bedingungen. Der Chef des Auslandsgeheimdienstes (SVR) Sergej Naryškin ließ diese Tatsche am 23.02 durch seine Unsicherheit durchblicken: Alle Mitglieder des Sicherheitsrats der Russischen Föderation sprachen bei der ‚Audienz‘ – wie eine Schulklasse beim ‚Ober-Lehrer‘ Putin – vor. Statt sich für die Anerkennung der Souveränität auszusprechen warb der bereits zitternde und stammelnde Geheimdienst-Chef dafür, die beiden Volksrepubliken in die Russische Föderation einzugliedern, was Putin daraufhin scherzhaft mit dem Kommentar versah: „Aber darüber reden wir hier ja gar nicht“:

 

– Я, да, не, я поддержу…

– Поддержите или поддерживаете?

– Поддерживаю включение ДНР и ЛНР в состав РФ.

– Но мы не об этом говорим, мы о признании их суверенитета.

– Поддерживаю суверенитет, значит.“

 

Nachdem angeführt wird, wie das personifizierte Russland die Interessen der Ukraine immer respektiert habe, werden die heutige Ukraine und ihre „westlichen Handlanger“ als verräterisch und hinterhältig charakterisiert, als Intrige gegen das ehrliche und stets helfende Russland:

 „Lassen Sie mich hinzufügen, dass Kiew versucht hat, den Dialog mit Russland als Vorwand für Verhandlungen mit dem Westen zu nutzen, ihn mit der Annäherung an Moskau zu erpressen und damit die eigenen Präferenzen durchzusetzen: Sie sagten, sonst wird der russische Einfluss auf die Ukraine wachsen.“

„Добавлю, что в Киеве пытались использовать диалог с Россией как предлог для торга с Западом, шантажировали его сближением с Москвой, выбивая для себя преференции: мол, в противном случае будет расти российское влияние на Украину.“

 

Interessanterweise gehen die „westliche Korruption“ und der „Nazismus“ bei Putin eine Symbiose ein. Es wird ein besonderer Charakter der Korruption in der Ukraine in Folge des Maidans beschworen, da die ukrainischen Oligarchen ihr Geld im westlichen Ausland anlegen wollten und das eigene Volk betörend beraubten (hier denke man an die enorm hohen Beträge, die Putin und seine Oligarchen dem russischen Volk vorenthalten). Auch seien Oppositionelle und die an die Macht gekommenen „Radikalen“ von den USA mit „einer Million Dollar täglich“ finanziert worden. Diese Argumentation erhält ein bereits aus den vorhergehenden Reden bekanntes verschwörungstheoretisches Moment: Die ‚Organisatoren‘ des Maidan werden als Ansammlung von Neonazis, Russen-Hasser und Antisemiten beschrieben – das soll bei der Hörerschaft hängen bleiben.

 

Der ukrainische „Nazismus“, begleitet vom „besonderen Charakter“ der Korruption, wird als krank und in dem Sinne unnatürlich bzw. dem Menschen als gegensätzlich charakterisiert. In Bezug auf den Zerfall der Sowjetunion spricht Putin von einem „Bazillus nationalistischer Ambitionen“. Was die heutige Ukraine anbelangt, so habe der „Virus des Nationalismus und der Korruption“ die „wahrhaftigen kulturellen, ökonomischen, sozialen Interessen des Volkes, die reale Souveränität der Ukraine“ kontaminiert. Es wird eine Gefahr für das Leben bzw. Überleben evoziert, weswegen – dieser Logik folgend – ein Kampf gegen die jetzige Regierung der Ukraine für einen reinen bzw. gesunden Zustand des Staates und Volkes geführt werden muss: Der Virus müsse bekämpft werden. Die ‚Krankheitserreger‘ Nationalismus und Korruption hätten den Staat zersetzt. Putins Ausspruch, Amerika sei ein „Parasit“ aus dem Jahr 2011, steht in dieser Tradition der infektiologischen Sprache und pathologisiert die westliche Welt als einen blutsaugenden, heimtückischen und sich vom Leben anderer Organismen bereichernden Mörder.

 

„Korruption, die zweifellos eine Herausforderung und ein Problem für viele Länder, einschließlich Russland, darstellt, hat in der Ukraine bereits eine Art Sondercharakter angenommen. Sie hat die ukrainische Staatlichkeit, das gesamte System, alle Machtbereiche buchstäblich zerfressen und zersetzt. Die Radikalen nutzten die gerechte Unzufriedenheit der Menschen, fachten den Protest and und brachten 2014 den Maidan zum Staatsstreich.“

„Коррупция, которая, без сомнения, является вызовом и проблемой для многих стран, в том числе и для России, на Украине приобрела какой-то уже особый характер. Она буквально пропитала, разъела украинскую государственность, всю систему, все ветви власти. Радикалы воспользовались справедливым недовольством людей, оседлали протест и в 2014 году и довели Майдан до государственного переворота.“

 

Putin knüpft an die Traumata des 20. Jahrhunderts an – sowohl an den Zweiten Weltkrieg als auch an den Zerfall der Sowjetunion. Es wirkt, als würde er stellvertretend das russische Leid „auf seinen Schultern tragen“ (Karl Schlögel zur Frage „Was treibt Putin an?“) – das vielfache Stöhnen in seiner Rede verstärkt diesen Eindruck. Die von Putin beschriebenen ausgebrochenen Unruhen auf den Plätzen Kiews und die Verfolgung Andersdenkender werden mit Metaphern ausgeschmückt. Es werden Bilder des Schreckens und Grauens generiert, die in Verbindung mit den Worten „Nazismus“ in vielen Köpfen der russischen und postsowjetischen Bevölkerungen zutiefst negative und beunruhigende Reaktionen hervorrufen:

 

„Ukrainische Städte wurden von einer Welle von Pogromen und Gewalt überrollt, einer Reihe von aufsehenerregenden und ungesühnten Morden. Es ist unmöglich, sich ohne Schaudern an die schreckliche Tragödie in Odessa zu erinnern, wo Teilnehmer eines friedlichen Protests brutal getötet, im Haus der Gewerkschaften lebendig verbrannt wurden. Die Verbrecher, die diese Gräueltaten begangen haben, werden nicht bestraft, und niemand sucht nach ihnen. Aber wir kennen sie beim Namen und werden alles tun, um sie zu bestrafen, zu finden und vor Gericht zu bringen.“

„Украинские города захлестнула волна погромов и насилия, серия громких и безнаказанных убийств. Невозможно без содрогания вспоминать о страшной трагедии в Одессе, где участники мирной акции протеста были зверски убиты, заживо сожжены в Доме профсоюзов. Преступники, которые совершили это злодеяние, не наказаны, их никто и не ищет. Но мы знаем их поимённо и сделаем всё для того, чтобы их покарать, найти и предать суду.“

 

Putin inszeniert sich hier als ‚Friedenbringer‘, Verteidiger und Retter der Unterdrückten und verspricht eine gerichtliche Aufklärung. Die Andeutung der Verteidigung der Ukrainer vor dem Westen wird auch durch einen Vergleich zw.  einer genannten NATO-Basis in Ochakovo und einer Schlacht zur Verteidigung des russischen Imperiums im 18. Jahrhunderts angeführt:

 

„Ich wiederhole, heute wurde ein solche Basis installiert, sie wurde bereits in Ochakovo errichtet. Ich erinnere daran, dass im 18. Jahrhundert die Soldaten von Alexander Suworow für diese Stadt gekämpft haben. Dank ihres Mutes wurde sie Teil Russlands. Damals, im 18. Jahrhundert, wurden die Länder der Schwarzmeerregion, die infolge von Kriegen mit dem Osmanischen Reich an Russland angegliedert wurden, Noworossija genannt. Jetzt versuchen sie, diese Meilensteine der Geschichte sowie die Namen staatlicher Kommandeure des Russischen Reiches zu vergessen, ohne deren Einsatz die moderne Ukraine viele große Städte und sogar den Zugang zum Schwarzen Meer nicht hätte.“

„Повторю, сегодня такой центр развернут, уже развернут в Очакове. Напомню, в XVIII веке за этот город сражались солдаты Александра Суворова. Благодаря их мужеству, он вошел в состав России. Тогда же, в XVIII веке, земли Причерноморья, присоединенные к России в результате войн с Османской империей, получили название Новороссия. Сейчас эти вехи истории пытаются придать забвению, как и имена государственных военных деятелей Российской империи, без чьих трудов не было бы у современной Украины многих крупных городов и даже самого выхода к Черному морю.“

 

Westliche Demokratien werden mit dem Hitlerfaschismus assoziiert und als „Feind“ entlarvt – von einem autoritären Machthaber, der im Namen der „Ent-Nazifizierung“ (so in der Regierungserklärung zum Beginn der sog. „speziellen Militäraktion“ vom 24.02.22) ein anderes Volk unterjochen will, während er nationalistische Parteien in Europa finanziell unterstützt. Neben historischer Verklärung ist dies zugleich auch eine Relativierung des Hitlerfaschismus und der Shoah als solche. Und es ist auch ein Proklamieren heutiger westlicher Demokratien als faschistisch.

 

Es wird nicht klar, ob Putin das ‚Abweichlertum‘ der Ukraine immanent aus dem ‚hinterhältigen‘ und ‚undankbaren‘ Charakter erklärt oder als Folge der äußeren Einwirkung des westlichen „Nazismus“.  Es wird eine Opposition aufgebaut zwischen der hinterlistigen, betrügerischen und ausraubenden „westlichen Zivilisation“ und dem ehrlichen, russischsprachigen und orthodoxen Russland. Die Einheit der Russen, Belorussen und Ukrainer, wie bereits in der Rede von 2021, wird auch in dieser Rede über die Merkmale der Sprache, einer gemeinsamen Kultur und Geschichte und des orthodoxen Glaubens beschworen. Neben dem Leugnen des Ukrainischen als eigenständiger Sprache (Putin hat bereits zuvor immer wieder das „Dialektale“ betont) scheint Putin auch die ukrainische Religionslandschaft zu verkennen, die schon immer auch mehrkonfessionell war. Ukrainische Städte wie Berditschew und Kiew waren bis zum Zweiten Weltkrieg große religiöse Zentren, besonders für Juden und Jüdinnen.

 

Warum Russland in den letzten Jahren nicht als gleichberechtigter internationaler Gesprächspartner anerkannt wurde bzw. seine Sicherheitsinteressen nicht wahrgenommen wurden? – auf diese von Putin selbst gestellte und abgehandelte Frage antwortet er mit einem einzigen, apodiktischen und alle für den Sachverhalt relevante Erklärungskraft in sich tragenden Satz: „Es gibt nur eine Antwort: Es geht nicht um unser politisches Regime, und auch nicht um etwas anderes, sie brauchen einfach kein so großes unabhängiges Land wie Russland.“

 

Die Inszenierung als „Angegriffener“, in der Russland nie als Aggressor erscheint sondern nur als ehrenhafter Verteidiger auftreten kann, wird aufgeladen mit einem weiteren sehr wichtigen Begriff im heutigen politischen Diskurs Russlands, nämlich der Russophobie. Jedwede Kritik an Russland wird als Russenhass angesehen und erneut als pathologisch herausgestellt, als eine ‚krankhafte‘ Phobie gegen Russen. Putin bezieht sich hier auf die Russophobie als Rechtfertigung für eine Verteidigung, als Abwehren eines baldigen und jederzeit drohenden Blitzkriegs vom Westen gegen Russland.  Durch eine Verkehrung wird der Angriffskrieg Putins als Verteidigung der eigenen Existenz geframed. Es würde nicht in Russlands Macht stehen, Sanktionen zu verhindern oder eine Entspannung in den internationalen Beziehungen bewirken zu können, denn der Hass, der den Russen weltweit begegnet, sei einer, der an ihre Existenz per se, an ihr Dasein geknüpft sei:

 

„Und sie werden es tun, wie sie es zuvor getan haben, sogar ohne jeglichen formalen Vorwand, nur weil es uns gibt, und wir werden niemals unsere Souveränität, nationalen Interessen und unsere Werte aufgeben.“ 

«И они будут это делать, как делали это раньше, даже вообще без всякого формального предлога, только потому, что мы есть и никогда не поступимся своим суверенитетом, национальными интересами и своими ценностями.»

 

Putins Ukraine-Rhetorik bedient sich, wie zuvor auch, logischer Kausal- und Vergleichsschlüsse – bei gleichzeitigem Einsatz geschichtlicher Lügen. Eine inszenierte Dialogizität und das Verwenden von Umgangssprache dienen der Affekterzeugung. Diese Rede als zentraler Ort des performativen Handelns dokumentiert den Kulminationspunkt des seit acht Jahren andauernden Konflikts: Besonders sticht die mit infektiologischen Termini formulierte Aggressivität heraus. Putin schafft sprachlich eine Symbiose aus der Ukraine und dem angeblichen „Nazismus“ und verurteilt – auf vernichtende Art und Weise – das ukrainische Volk als auszumerzende Krankheit.

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