Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Gegen das Begehren anjoggen – eine Film­re­zen­sion zu „W imię…“ von Mał­gorzata Szumowska

Mał­gorzata Szu­mowskas Film W imię… bringt mit einem schwulen Priester eine nicht ganz neue The­matik auf die Kino­lein­wand. Den­noch ist er mehr als eine Fuß­note zu den aktu­ellen Debatten über Kirche und Sexua­lität, denn er greift die Pro­ble­matik des ‚Polen B’, den vom Fort­schritt ver­ges­senen länd­li­chen Gebieten, all­ge­meiner auf.

 

Nachdem die Gay lite­ra­ture in Polen vor bald zehn Jahren das Licht einer brei­teren Öffent­lich­keit erblickt hat, zieht nun das Kino nach. Im Film W imię… (inter­na­tio­naler Titel: In the Name of…) der Regis­seurin Mał­gorzata Szu­mowska ringt Andrzej Chyra in der Rolle eines Pries­ters darum, seine (Homo-)Sexualität geheim zu halten. Es ist jedoch alles andere als ein Film über gelebte Homo­se­xua­lität, auch wenn der Geist­liche seinem Begehren schließ­lich erliegt. Viel­mehr bilden die Ent­beh­rungen und Abgründe einer maroden Gesell­schaft im ver­ges­senen Hin­ter­land des pro­spe­rie­renden Polen den Grundton des Strei­fens, der 2013 bei der Ber­li­nale Pre­miere feierte.
Sexua­lität und Reli­gion sind Themen, die aktuell in Polen beson­ders kon­tro­vers dis­ku­tiert werden: Die katho­li­sche Kirche ist gebeu­telt von Ent­hül­lungen über sexu­ellen Miss­brauch durch Geist­liche und sucht ihre Inte­grität mit scharfem Geschütz zu ver­tei­digen. So pran­gert sie die ‚Gender-Ideo­logie‘ als Ursache des Übels an und stellt sich gegen jeg­liche Tole­ranz gegen­über Homo­se­xu­ellen. Doch diese Ein­stel­lung stößt ver­mehrt auf Unver­ständnis. Szu­mowska legt mit ihrem Film den Finger auf einen wunden Punkt des pol­ni­schen Katho­li­zismus und inter­pre­tiert diesen auf ihre eigene Weise.

 

Schau­platz des Gesche­hens ist ein Dorf in der pol­ni­schen Pro­vinz. Doch wird das Publikum kei­nes­wegs in eine länd­liche Idylle ent­führt. Krude Dorf­be­wohner, eine Gruppe von schwer erzieh­baren Jugend­li­chen, die mit Unflä­tig­keiten nicht sparsam sind, sowie einige gestran­dete Städter bilden das Ensemble. In der Som­mer­hitze brüten alle dahin und scheinen auf etwas zu warten. In dieses Umfeld kommt der Jesuit Adam als Dorf­priester und Heim­be­treuer. Dank seiner Locker­heit erfreut er sich einer beacht­li­chen Popu­la­rität. Die Jugend­li­chen akzep­tieren ihn als Ver­trau­ens­person, und die Ehe­frau des Co-Betreuers Michał, Ewa, macht Adam unmiss­ver­ständ­liche Avancen, von denen er sich jedoch distan­ziert. Wäh­rend­dessen aber scheint der Sohn einer ansäs­sigen Familie, der Außen­seiter Łukasz, eine ganz eigene Zunei­gung zu Adam zu ent­wi­ckeln. Mit der wach­senden Ver­traut­heit ent­spinnt sich zwi­schen den Prot­ago­nisten ein heim­li­ches Begehren, das mit dem Ein­treffen des unbe­re­chen­baren Adrian bedroht wird. Adrian ‚Blondi‘ erfasst die Situa­tion schnell und ent­puppt sich als Adams amo­ra­li­scher Gegen­part. Mit seinem Ver­halten gefährdet er die bis­lang auf­recht­erhal­tene Schein-Ase­xua­lität Adams, dem nun zuneh­mend die Fäden aus der Hand gleiten.

 

Die fil­mi­sche Umset­zung des Stoffs lässt nichts zu wün­schen übrig. Gekonnt wird die latente Span­nung insze­niert, die im Dorf vor­herrscht. Brüche werden erfahrbar, wenn scheinbar idyl­li­sche Bilder mit beun­ru­hi­gendem Ton unter­legt werden. Die Sequenzen wirken ver­streut, des­or­ga­ni­siert und fügen sich nur langsam zu einem Span­nungs­bogen zusammen. Doch auch dieser ist frag­men­ta­risch und lücken­haft. Das Gefüge von gesell­schaft­li­chem Druck und per­sön­li­chen Inter­essen spie­gelt sich in der Per­spek­tive wider: Die Kamera heftet sich scheinbar zufällig an Per­sonen und illus­triert so wir­kungs­voll die Inter­de­pen­denzen zwi­schen der Gemein­schaft und dem Indi­vi­duum, das den Gescheh­nissen oft hilflos gegen­über­steht. Der Plot wirkt fast bei­fällig und zwingt die Zuschauer immer wieder dazu, die ein­zelnen Sequenzen ernst zu nehmen. Diese fügen sich am Ende zu einem Gesamt­bild, einem uner­bitt­li­chen Dis­kurs, der den Prot­ago­nisten immer wieder den Boden unter den Füßen weg­zieht. Bei­nahe scheint es, als seien sub­jek­tive Ent­schei­dungen bloß eine Illusion.

 

Wer W imię… gesehen hat, ver­steht, wes­halb die katho­li­sche Kirche in Polen den Film zurück­weist. Die Kirche als Insti­tu­tion wird hier in ein zwie­späl­tiges Licht gerückt. So scheint sie ein Auf­fang­be­cken für Homo­se­xu­elle zu sein und Unstim­mig­keiten lieber ver­tu­schen zu wollen. Schließ­lich aber sind sie und die mit ihnen ver­knüpften Rollen vor allem eines: Fas­sade. Wie ein Arbeiter im Film tref­fend bemerkt, sind auch die Priester nur Men­schen, sobald sie aus der Sou­tane schlüpfen. Und so geht es in diesem Film mehr um Men­schen, als um die Kirche, die ledig­lich als Scha­blone und Poten­zie­rung einer nor­mierten Gesell­schaft dient. Der Glaube selbst erscheint weniger pro­ble­ma­tisch als die darauf auf­bau­ende Insti­tu­tion und Gesell­schaft. Unter beidem leidet Pater Adam ebenso wie der Junge Gajo, der selbst erste homo­se­xu­elle Kon­takte zu ver­ar­beiten hat. Eine Stunde joggen täg­lich ist der ein­zige Rat, den ihm der Priester geben kann – ein nicht uniro­ni­scher Kom­mentar zu seinen eigenen nächt­li­chen Wald­läufen. Trotz immer wieder auf­kom­mender Situa­ti­ons­komik ist der Umgang des Films mit (Homo-)Sexualität kei­nes­falls leicht­füßig. Ange­sichts der all­ge­gen­wär­tigen Homo­phobie begeht Gajo Selbst­mord und Adam ertränkt seine Sehn­süchte im Alkohol. Gegen die Angst vor der Stig­ma­ti­sie­rung hilft auch alles Beichten und Joggen nichts, die Stim­mung im pol­ni­schen Dorf ist unbarm­herzig. Obwohl Adam eigent­lich ein Sym­pa­thie­träger ist, kommen Zweifel auf, wie christ­lich sein bis­he­riges Ver­halten war. Als sich Adam im Skype-Gespräch mit seiner Schwester recht­fer­tigt, er habe doch die Jungen an seinem letzten Wir­kungsort nur umarmen wollen, bleibt ein schaler Bei­geschmack von Macht­miss­brauch und sexu­ellem Über­griff. Und auch wenn Adam sich selbst als schwul und krank, aber nicht pädo­phil bezeichnet – und damit eine typi­sche Ver­kür­zung des homo­phoben Dis­kurses tor­pe­diert – ist sein Begehren doch unver­kennbar auf die jün­gere Gene­ra­tion gerichtet. Die Schwester jedoch geht nicht darauf ein und beendet das Gespräch wegen seines betrun­kenen Zustandes vor­zeitig. Dieser geschei­terte Aus­tausch steht sym­pto­ma­tisch für die ver­hin­derte Kom­mu­ni­ka­tion. Die Gespräche im Film sind kurz und abge­hackt, neben den brüsken Zurecht­wei­sungen Michałs domi­nieren Andeu­tungen und Zwei­deu­tig­keiten – im Extrem­fall wird gebrüllt. Die ver­bale Kom­mu­ni­ka­tion wird ver­drängt durch eine Kom­mu­ni­ka­tion der Körper. Gerade dies setzt Pater Adam zu, und er ver­sucht, seinen nach Ent­fes­se­lung stre­benden Leib mit Alkohol und kör­per­li­cher Ertüch­ti­gung zu kne­beln. Auch eine Kom­mu­ni­ka­tion mit Gott findet nicht statt. Das ‚Beten‘ redu­ziert sich auf die nächt­li­chen Jog­gingaus­flüge oder einen betrun­kenen Tanz mit dem Papst­por­trait. Die Refe­renz auf Jesus Christus bleibt floskelhaft.

 

Die Hin­wen­dung zur Kör­per­lich­keit geht Hand in Hand mit der Insze­nie­rung des Dorfes. Es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben: Schwei­gende Frauen und zurück­ge­blie­bene ‚Dorf­trottel‘, Szenen wie vor hun­dert Jahren, die lang­same und zäh­flüs­sige Rea­lität der Pro­vinz. Ein Kon­takt zwi­schen Zuge­zo­genen und Dörf­lern kommt kaum zustande – und wenn die beiden Welten auf­ein­an­der­treffen, dann knallt es. So steht auch die Zer­ris­sen­heit Adams für den Ver­such, eine hybride Iden­tität zwi­schen Tra­di­tion und Moderne her­zu­stellen. Seine betonte Jugend­lich­keit und städ­ti­schen Ver­hal­tens­weisen stehen im Kon­trast zu seiner Rolle als Priester. Prekär macht diese Kom­bi­na­tion aber erst sein Begehren bzw. eine Gesell­schaft, die dieses ver­hin­dert. Den Taumel zwi­schen den Sphären ver­deut­licht die Szene einer reli­giösen Pro­zes­sion, wäh­rend der dem Kino­pu­blikum Rock­musik der Band of Horses in den Ohren dröhnt. Noch benommen vom Alko­hol­rausch des Prot­ago­nisten am Tag zuvor, schwanken wir mit dem Umzug mit, unsere von der Sonne geblen­deten Blicke gleiten an den Figuren ab. Exem­pla­risch steht auch diese Szene für die Dumpf­heit und unklare Bestimmt­heit, dass sich so bald nichts Grund­le­gendes ändern wird in ‚Polen B’, dieser Kehr­seite des Fort­schritts und der EU-Förderung.

 

W imię… (In the Name of…), Mał­gośka Szu­mowska, PL 2012.

Bild­quelle: Marina Zvja­ginceva 2009, © Julia Zakirova.