Deutsch-polnische Übersetzerszene schafft Literatur
„Haben Sie das Buch Ebenholz”? Der Mitarbeiter der Buchhandlung Hugendubel in Charlottenburg sucht nach dem Titel in der Datenbank und schüttelt den Kopf: „Haben wir nicht. Meinen Sie vielleicht den Autor Sheldon Ebenholtz?” „Nein”, antwortet die junge Frau entschlossen, „der Autor heißt Kapuściński und das Buch eben Ebenholz, wie dieses schwarze Holz. Zumindest im polnischen Original heißt es so. Das ist eine Reportagensammlung über Afrika. Ich buchstabiere den Namen: K wie Kaufmann, A wie Anton, P wie Paula, …” Beide schauen auf den Bildschirm, wo mehrere Werke von Kapuściński aufgelistet sind und dann unsicher auf sich. „Das wird wohl Afrikanisches Fieber sein, oder? …”
Flüche in der Bibliothek
„Mit dem Titel ist es am schwersten”, sagt Eliza Borg, die gerade am neuesten Roman von Jenny Erpenbeck Heimsuchung arbeitet. Die Übersetzerin treffe ich auf der Leipziger Buchmesse, wo sie an der Podiumsdiskussion zum deutsch-polnischen Literaturtransfer teilnimmt. „Heimsuchung hat ja im Deutschen mehrere Bedeutungen; einmal ist das diese religiöse Komponente, die Heimsuchung Mariä, die jedoch bei
Erpenbecks Buch am wenigsten eine Rolle spielt; dann gibt es diese Heimsuchung, wo vielleicht das Verb häufiger benutzt wird – wenn die Menschen von einer Katastrophe, einer Plage wie Heuschrecken, Pest, Seuche heimgesucht werden; die letzte Variante ist dagegen ganz positiv und beglückend – man sucht und findet auch vielleicht ein Haus, eine Heimat, ein Heim. Bei meiner Übersetzung ist der Titel weiterhin offen. Man wird sich wahrscheinlich sowieso einen ganz anderen Titel einfallen müssen, überhaupt weg von ‘Heim’ und ‘suchen’ …”
Dreizehn kluge Köpfe aus aller Welt rauchten vorgestern auf der Suche nach einem passenden Ausdruck. Sie kamen nur zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich in keiner Sprache außer Deutsch ein Wort gibt, das den ganzen Sinn des Begriffs „Heim” mit all seinen Hintergründen und Nuancen wiedergibt. Erpenbecks Roman ist der Schwerpunkt der einwöchigen Internationalen Übersetzerwerkstatt in Berlin, auf deren Programm auch ein Abstecher nach Leipzig steht. Die Teilnehmer sitzen schichtweise auf dem Diskussionspodium abseits des Messegetümmels und schätzen den aktuellen Stand der Literaturübersetzung ein, allerdings nur flüchtig, weil nur eine knappe Stunde jeder Gruppe zur Verfügung steht und daran streng gehalten wird. Das Gespräch von Eliza Borg und Sven Sellmer (Indologe, der Marian Pankowski ins Deutsche übersetzt) moderiert Dorota Stroińska, deren vornehme Art und Weise kaum glauben lässt, dass sie eine der Autorinnen der deutschen Version von Wojciech Kuczoks Dreckskerl ist.
Wie schwer es ihr fällt, sich der Vulgarismen zu bedienen, erzählt sie eine Woche später auf dem Polnisch-Stammtisch in Berlin. Seit drei Jahren treffen sich einmal im Monat polnische Germanisten, deutsche Slawisten, Polendeutsche und deutsche Polen – alles Literaturübersetzer – um die Arbeitsergebnisse ihrer Kollegen Schritt für Schritt durchzugehen und zu kommentieren. Und die Letzteren eventuell zu inspirieren.
Freitagabends in einer Kreuzberger Kneipe – Treppe hoch, Schiebetür zu und man sitzt schon in der lauschigen Bibliothek; die Kellnerin bringt Bier und nimmt weitere Bestellungen entgegen. Heute steht die Übersetzung des Theaterstücks Trash Story der polnischen Dramatikerin Magdalena Fertacz auf dem Prüfstand. Das ist der einfache „Arsch”, der eine Diskussion über Schimpfwörter auslöst: „Um ihnen auszuweichen, habe ich sie mal im Gespräch ‘K-Wörter’ genannt. Die Deutschen hatten jedoch keine Ahnung, welche Wörter ich meinte – Kirche? Küche? Kita?”, lacht Stroińska. Andreas Volk, der extra aus Warschau nach Berlin gekommen ist, um sein Übersetzungswerk aus der Nähe zu betrachten (am nächsten Abend wird Trash Story im Maxim Gorki Theater erstmals auf Deutsch aufgeführt), wurde seine Hemmungen vor der Bierkutschersprache schon lange her los – beim Übersetzen von Paweł Sala und Krzysztof Varga.
Star kontra Star
„Doro …”, rutscht es dem Übersetzer Olaf Kühl heraus und die Lawine geht nieder. Im Potsdamer Literaturladen Wist sitzt neben ihm diesmal nämlich nicht seine Lieblingsautorin Dorota Masłowska, mit der er sich glänzend versteht. Diesmal moderiert er das Treffen mit Olga Tokarczuk, einer anderen prominenten Persönlichkeit der polnischen Literatur. Und Tokarczuk kennt keine Gnade. Nach einer noch harmlosen Lesung aus ihrem am Vortag in Deutschland erschienenen Buch Unrast (ins Deutsche übertragen von Esther Kinsky) fängt ein Gespräch an, das alles andere als friedlich ist: „Wo siehst du deinen Platz in der Frauenliteratur?” – „Ich schaffe keine Frauenliteratur, ich schaffe allgemeinmenschliche Literatur! Ich gehe jede Wette ein, dass du Andrzej Stasiuk nicht fragst, ob er Männerliteratur betreibt.” Der Moderator lässt sich nicht entmutigen: „Suchen die Figuren aus Unrast nach einer immateriellen Heimat?” – „Ich
habe nicht drei Jahre an diesem Buch geschrieben, um es jetzt in einem Satz zu erklären!” Die Atmosphäre ist angespannt, das Publikum – verblüfft, die Autorin antwortet auf Kühls Fragen ärgerlich, wortkarg oder gar nicht. Da Letzterer ständig von der Moderation zur Übersetzung der Diskussion springt, entsteht ein schizophrener Eindruck, als ob er mit sich selbst einen Streit führen und dabei zwei unterschiedliche Streitkulturen vertreten würde. Dorota Masłowska und Andrzej Stasiuk schauen mitfühlend aus den Fotos an der Wand der Buchhandlung: Das Duo Tokarczuk-Kühl
tritt in knapp einer Woche auf dem Literaturfest lit.COLOGNE wieder auf (was sich übrigens gegen alle Befürchtungen reibungslos abspielte).
„Am Anfang habe ich nur die Autoren moderiert, die ich selbst übersetzt habe. Inzwischen fragen mich immer mehr Veranstalter, ob ich auch die Publikumsgespräche anderer osteuropäischer Schriftsteller leiten würde, ich weiß nicht, warum” – Dr. Olaf Kühl Translation Supersystems, wie die Sensation der polnischen Gegenwartsliteratur Dorota Masłowska ihren Stammübersetzer genannt hat, scheint effektives Zeitmanagement im kleinen Finger zu haben. Außer literarischen Übersetzungen aus vier Sprachen und Moderationen stehen Verlagsgutachten, Workshops für angehende Literaturübersetzer, Mitarbeit am Magazin polenplus, Beiträge zur Literaturgeschichte und zu aktuellen politischen Themen, Lesungen und Recherchereisen auf seinem Programm. Als angesehener Spezialist für schmutzige Sprache macht er sogar von diesen zwei Stunden Gebrauch, die er täglich in der S- und U-Bahn verbringen muss (auf dem Weg zum Roten Rathaus, wo er als Referent für Russland, Belarus, Ukraine und Transkaukasus arbeitet). Die Berliner plaudern gemütlich und ahnen gar nicht, dass sprachhungrige Übersetzer im Gedrängel lauern …
Getriebe in der Literaturmaschinerie
Kennen Sie Martin Pollack, Kapuścińskis Übersetzer? Den schätze ich besonders als Literaturvermittler und Autor.” Olaf Kühl ist der Meinung, dass jeder Literaturübersetzer auch selbst schreiben sollte – sei es sein Tagebuch oder seine goldenen Lehren. Auch wenn er nicht veröffentlicht, sollte er ständig an seinem eigenen Ausdruck feilen. „So wie Jenny Erpenbeck für ihr Buch sehr viel recherchiert hat, so muss natürlich auch ihr Übersetzer ihr nachmachen, auch sehr viel Wissen ergattern, in verschiedenen Bereichen”, sagt Eliza Borg, die die Autorin auf ihrer Recherchereise in Warschau begleitet hat. Der Rat von Dorota Stroińska ist wiederum, auch Bücher zu übersetzen, die man nicht besonders mag, weil sie das Reservoir an eigenen stilistischen Mitteln erweitern.
Neben der Qual des Schaffens teilen Übersetzer und Schriftsteller auch andere Leiden. Der Weg zu wohlwollenden Verlegern ist meist steinig – er fängt mit der Begeisterung für einen Autor (oder für sich selbst als Autor) an, danach werden diverse Verlage abgeklappert und Überzeugungsversuche unternommen. „Das ist eine sehr mühselige Arbeit”, erzählt Stroińska. „Die polnischen Verlage sind sehr zurückhaltend der deutschsprachigen Literatur gegenüber. Polen ist zwar das Land, in dem die meisten deutschen Titel erscheinen, das sind aber eher die Sachbücher, die sich sehr gut verkaufen und sehr viel verlegt werden. Und die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur.” Die Polnisch-Übersetzerin von Jutta Richter und Paul Maar zuckt die Achseln: „Die Aufträge bekomme ich schon. Es ist nur schade, dass ich mein Honorar seit Monaten nicht mehr gesehen habe.” Vielleicht lohnt es sich dann, zu Sachbüchern zu wechseln? „Das werde ich nicht mehr tun”, schüttelt sich Eliza Borg vor Ekel. „Das habe ich zuletzt vor zwei Jahren gemacht; etwas historiogra-fisches zur polnischen Geschichte habe ich übersetzt – es war schwer, es war undankbar, schlecht geschrieben, irgendwie schlampig … Nie mehr.”
Olaf Kühl wird die Wanderung durch die Verlage gespart; die rufen ihn selber an. Trotzdem sieht er in der polnischen Literatur kein Geschäft. Wenn das Buch nicht zum Bestseller wird, wie Masłowskas Schneeweiß und Russenrot, krebst der Verkauf bei drei Tausend Exemplaren herum. Wenn sich diese drei Tausend verkaufen, ist das schon gut. Das berührt Kühl jedoch nicht. „Ich lebe nicht von meinen Übersetzungen. Übersetzen ist meine Leidenschaft.”