Kein Lenin ohne Lennon!

Ein Interview mit andcompany&Co

 

andcompany&Co, gegründet 2003 von Alexander Karschnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma, bezeichnen sich selbst als Performance-Kollektiv, das nach dem Prinzip des Re-Mix und der Re-Animation arbeitet. Wiederaufgelegt werden ästhetische, philosophische und politische Entwürfe und Phantasmen des 20. Jahrhunderts: Kommunismus, Kosmonauten, Kalter Krieg – in eigener Abmischung. Die Performances bewegen sich zwischen Theater und Theorie, Politik und Praxis. Das Kollektiv arbeitet immer wieder mit wechselnden PartnerInnen zusammen. Zu sehen waren die Arbeiten von andcompany&Co u.a. auf dem KunstenFESTIVALdesArts in Brüssel, beim steirischen herbst, den Wiener Festwochen, in den Sophiensälen sowie im HAU in Berlin. Novinki führte mit dem Kollektiv ein E-Mail-Interview anlässlich der jüngsten Produktion, MAUSOLEUM BUFFO, die am 6. Januar 2009 am HAU 2 Premiere hat.

 

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novinki: In Eurer Trilogie, die nun nach little red (play): ‚herstory‘ (2006) und TIME REPUBLIC (2007) mit MAUSOLEUM BUFFO (2009) zu einem Abschluss kommt, beschäftigt Ihr Euch mit dem Ende des Kommunismus, der Utopie des 20. Jahrhunderts. Woher kommt diese Obsession?

 

andcompany&Co: Am Anfang war der Wunsch, Nicolas Geschichte zu erzählen, die als ‚red diaper baby‘, also als Kind von Kommunisten in West-Deutschland geboren wurde. Die Vorstellung, dass jedes Jahr ein Sonderzug der DKP vom Gleis 7 1/2 in Richtung DDR abgefahren ist, um eine Horde Kinder ins Ferienlager zu bringen, klingt heute wie die Geschichte von Alice, die durch die Spiegel geht… Und tatsächlich hatte die DDR etwas von jenem Land hinter dem Spiegel, in dem zwei Wegweiser auf der Straße stehen, die beide nach vorne zeigen in Richtung Fortschritt, während BRD & DDR sich wie Zwiddeldum & Zwiddeldei zur Schlacht rüsten: „Dass wir uns rüsten müssen, siehst Du wohl ein!“ – „Nein, umgekehrt!“ Für die nächste Generation, die gerade volljährig geworden ist, ist diese Geschichte nun wirklich Geschichte im Sinne einer abgeschlossenen Periode. Uns wurde klar, dass durch den Epochenwechsel von 1989 das 21. Jahrhundert schon längst begonnen hatte und wir also tatsächlich die letzte Generation des 20. Jahrhunderts gewesen sind – folgt man der Definition von Eric Hobsbawm vom „kurzen Jahrhundert“, das mit der Oktoberrevolution 1917 begonnen und mit der Auflösung der Sowjetunion 1991 geendet hat.

 

n: Was habt Ihr aus Nicolas Geschichte gemacht?

 

&Co: Wir haben mehrere Jahre über diesem Material gebrütet, aber weil wir keine ‚authentische Lebensgeschichte‘ präsentieren, sondern konkret historisch arbeiten wollten, brauchte es noch ein paar Begegnungen, bevor wir unsre Form gefunden haben. Eine davon war mit dem bildenden Künstler Noah Fischer, mit dem wir mehrere &Co.LABs gemacht haben, u.a. revolutionary timing in Manhattan. Die Herausforderung, dieses Material im US-Kontext zu aktualisieren, hat uns ein gutes Stück weitergebracht. Uns wurde klar, dass man diese Geschichte nur als Geschichte zweier Antipoden erzählen kann und dass gerade der Anti-Kommunismus unglaublich bühnentaugliches Material zu bieten hat, wie die McCarthy Hearings, z.B. von Walt Disney. Andrerseits war ja auch die Protestbewegung, die in den USA begonnen hat, eine Aktualisierung jenes Begehrens, das 1917 in Russland zur Beendigung des Ersten Weltkrieges durch die Bolschewiki geführt hat. Daher galt für uns: Kein Lenin ohne Lennon!

 

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n: In Euren Produktionen arbeitet Ihr immer wieder in neuen Konstellationen, erprobt unterschiedliche Kooperations-formen, deshalb wohl auch der Name andcompany&Co. Wie kam es zur Kooperation mit Bini Adamczak, der Autorin der beiden Bücher Kommunismus: Eine kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird (2006) und Gestern – Morgen: Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft (2007)?

 

&Co: Das Zusammentreffen mit Bini war unverhofft. An einer mitternächtlichen lecture performance während der internationalen Kulturkonferenz Indeterminate! Kommunismus an der Uni Frankfurt stellte sie ihr Projekt mit dem Titel „Kommunismus für Kinder“ vor. Ihr Ansatz, die marxistische Theorie menschlicher Emanzipation in einer kindlichen Sprache zu erklären (samt der Geschichte sämtlicher Versuche ihrer Realisation, inklusive des Staatssozialismus als großen ‚Topf‘), war für uns wie eine Bestätigung des eingeschlagenen Weges. Darüber hinaus hat sich Bini auch noch als echtes Bühnentalent erwiesen und war eine inspirierende Ko-Autorin. Mit ihr haben wir little red entwickelt – eine konspirative Kollaboration, die davon ausgeht, dass das Gespenst des Kommunismus noch unterm Bühnenboden rumpelt und „Schwört!“ ruft… Dann kam Vettka Kirillova hinzu, die als ‚little blue‘ in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen ist. Ihr verdanken wir u.a. die Geschichten vom ‚kleinen Lenin‘, die wir in TIME REPUBLIC weitergesponnen haben. Sie gehört zur ‚Generation Gorbatschow‘, über die Alexei Yurchak sein Buch geschrieben hat: „Everything was Forever, Until it was No More: The Last Soviet Generation“.

 

n: Das sind ziemlich heterogene Erfahrungen…

 

&Co: Wir haben zwar alle ganz unterschiedliche Erfahrungen, aber einig sind wir uns darin, dass bislang niemand das zentrale Ereignis der friedlichen Selbst-Auflösung der Sowjetunion verstanden hat. Diese Ratlosigkeit wird dadurch verlängert, dass sich die gegenwärtige Welt vom ‚ideologischen Ballast‘ des 20. Jahrhunderts befreit zu haben glaubt und somit jegliches Gewicht verloren hat und ungebremst in die kommenden Katastrophen des 21. Jahrhundert rast…

 

n: Für unsere Generation – egal ob vor oder hinter dem Spiegel – sind Kommunismus und Kindheit für immer miteinander verbunden: Der Kalte Krieg bildete den Hintergrund unserer frühen politischen Sozialisation. Doch wir waren eben alle noch Kinder. Als Erwachsene haben wir den Kommunismus als realpolitisches System nie erlebt. Steckt in der Betonung des Kindlichen, die ja auch die Sprache Eurer Stücke stark mitbestimmt, die Hoffnung, dass der Kommunismus anders erwachsen werden könnte, als er es in der Realpolitik geworden ist? Ist der Rückgang zur Kindheit der Versuch, eine Utopie wieder wirklich werden zu lassen, und sei es nur auf der Bühne? Oder ist die Kindheit eine Art Maske, die es Euch gegenwärtig erlaubt, Dinge anzusprechen, die schon angeschimmelt zu sein scheinen?

 

&Co: Bekanntlich hat die bürgerliche Gesellschaft in ihren pädagogischen Institutionen die Kindheit allererst erfunden – und damit leider auch das Erwachsensein. Seit Rousseaus kleinem Émile ist deshalb das verallgemeinerte Bürgertum mit einem tief nostalgischen Gemüt beseelt: Alle wollen eine glückliche Kindheit gehabt haben und trotz aller Liebe zur Lohnarbeit soll die Schulzeit doch die schönste gewesen sein – die nie mehr wieder kommt. Den Kindern aber werden die wütenden Tränen wegen der zugefügten Erziehungsschmerzen mit Bausparverträgen getrocknet, mit dem Versprechen also, es werde A) alles gut und sie würden B) später verstehen, warum ihnen so viel Schlechtes angetan werden musste. A war natürlich gelogen und an B scheiden sich die Gespenster. Wer noch Jahre später nicht einsehen will, wozu all die Ohrfeigen, Schuldgefühle und Kleinfamilien nötig gewesen sein sollen, ist wohl Kommunistin geworden – oder geblieben. Für nichts hat der Kapitalismus (etwa vom Doppelpärchen Felix Marx & Gilles Engels) mehr Lob bekommen als für die Begehrlichkeiten, die er weckt und trotz einer Armee von Narkotisisten doch nie ganz wieder zum Einpennen kriegt. Das Kind, das um nichts mehr bemüht ist als darum, möglichst schnell erwachsen zu werden, darf endlich angekommen feststellen: Von Mündigkeit keine Spur, das Ziel heißt ab jetzt Rente, und so kuschlig wie in der Rückprojektion wird’s auch nimmer. Ab hier hängen die einen ihre Träume, die ja doch nur Tränen bringen, an den Nagel (… in der Jugend kein Herz … im Alter keinen Verstand …) und werden erwachsen, also Antikommunistinnen

 

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n: …und haben dann keine Träume mehr?

 

&Co: Gemeint sind resignierte Realistinnen, wie Bini sie in ihrem zweiten Buch Gestern Morgen nennt, neidvoll Daheimgebliebene, die schadenfreudig auf die Nachricht von der auf hoher See ersoffenen Schwester warten. Die zweiten drehen das bürgerliche Bild um und behaupten mit Pablo Picasso, es dauere lange bis mensch jung werde. Die kommunistische Kindheit liege in ferner Zukunft und je erwachsener und kälter wir jetzt würden, um so schneller kämen wir (wieder) ins Warme. Das sind die Leninistinnen, die so reden. Von ihnen werden alle, die noch ein bisschen mehr wollen, im Namen Lenins der ‚Kinderkrankheit des Linksradikalismus‘ bezichtigt. Dieser Krankheit bezichtigen wir uns gern. Und obwohl wir uns uneinig sind, wie viel von Lenins ewig jugendlicher Leiche eigentlich zu konservieren bleibt, betrachten wir den Umstand, dass es noch Spuren leninistischer Disziplin in der Produktion gibt, um den kindischen Wahnsinn auf die Bühne zu bringen, als das Elend der Kunst im Kapitalismus. Der Kommunismus muss also nicht anders erwachsen werden, sondern gar nicht. Die Erwachsenen müssen Kinder werden, also Kommunistinnen. Kommunismus für Kinder eben.

 

n: Das klingt reichlich programmatisch. Eigentlich wollten wir nur wissen, warum und wie Ihr in Euren Stücken mit der Perspektive des Kindes arbeitet? Wenn in den achtziger Jahren eine Horde Kinder mit einem Sonderzug der westdeutschen DKP in Richtung DDR fährt, dann kommen die ja nicht im Kommunismus, sondern im Realsozialismus an, der in Form der DDR spießbürgerlich und kleinkariert war. Von kindischem Wahnsinn dürfte da wenig zu spüren gewesen sein. Wie also geht das Erfahrungsmaterial, das zu einem guten Teil aus Eurer Kindheit stammt, in die Produktion ein, wie wird es verarbeitet, aktualisiert?

 

&Co: Verlockend ist es, mit Knarf Rellöm zu antworten: „Das war kein Sozialismus. Das war Spießerkram. Wir sind nicht am Ende. Wir fangen an.“ Aber womit? Eigentlich geht es uns gar nicht in erster Linie um die real-existierende Historie, sondern um die virtuelle – nicht um das, was war, sondern das, was nicht war und deswegen immer noch möglich zu sein scheint: „Was gewesen ist, west an, was werden wird, wissen wir nicht, wir wissen nur, wie es nicht gewesen ist, denn so wie es gewesen ist, war es nie im Leben, ist nicht wahr, was war, wird es nie gewesen sein.“

 

n: Hört sich an wie Ernst Bloch.

 

&Co: Kann gut sein – ist aber von uns: ausnahmsweise, möchte man fast dazu sagen, wo wir doch alles durch die Remix-Mühle drehen. Aber Bloch ist gebongt, der gehört natürlich zu den ganz Großen – oder eben: ganz Kleinen!

 

n: Kann man Realsozialismus und Utopie wirklich so deutlich trennen? Schließlich war die kommunistische Utopie bzw. das Utopische konstituierender Bestandteil des Realsozialismus, so wie das Paradies zur Religion christlichen Zuschnitts gehört. Ist nicht das zur Utopie gehörende Versprechen das eigentlich Dilemma solcher Gesellschaftsentwürfe?

 

&Co: Bleiben wir bei Bloch, ganz am Ende von Prinzip Hoffnung schreibt er von der Heimat, die keiner kennt, weil noch keiner je da war. Das trifft’s doch ziemlich genau: Eine Sehnsucht nach etwas, das noch nie da war, aber was zutiefst bekannt zu sein scheint – daher kommt wahrscheinlich die biblische Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies, Ur-Kommunismus, Hippie-Horde oder whatever… Keine Karte der Welt ist vollständig, in der Utopia nicht eingezeichnet ist, sagt Oscar Wilde. Mehr als hundert Jahre nach der Vervollständigung der Kartographie, geht es vielleicht wieder darum, Zonen herauszuradieren, Spuren zu verwischen, z.B. die Umrisse der ehemaligen Sowjetunion. Das Utopische an der UdSSR war ja – laut Derrida – der Name, der eben nicht auf irgendein real-existierendes Territorium verwiesen hat. Heimat also eben nicht als Heimaterde, sondern fremde Räume, ferne Planeten…

 

n: Lasst uns zur Bühne zurückkommen. Wie habt Ihr das, was nicht war, das Utopische, gezeigt?

 

&Co: Das liest sich alles schwerer, als es sich auf der Bühne anhört. Trotzdem spielen wir natürlich mit einer realen Geschichte: Nicolas Verabredung mit ihren Pionier-Freundinnen aus dem Kinderferienlager, sich im Jahr 2000 an der Weltzeituhr auf dem Alex zu treffen. Nicola ist nicht hingegangen, und es ist zweifelhaft, ob irgendjemand von damals dort war – aber die Vorstellungen, die man sich damals vom Jahr 2000 gemacht hat, die interessieren uns! Der Jahrtausendwechsel war ja ein völlig leeres Ereignis. Dabei haben sich mit diesem Datum viele Hoffnungen und Ängste verbunden – gerade auch im Sozialismus. Es gibt einen schönes Buch über den „Tag X“ in der Geschichte, darin: „Wie der DDR das Jahr 2000 abhanden gekommen ist“. Darin wird aufgezeigt, wie stark der Bezug auf diesen Zeitpunkt zunächst war (Johannes R. Bechers letztes Gedicht endet mit dem Ausblick auf die Millenniumsnacht), doch je näher er rückte, desto mehr hat sich das verflüchtigt: Als nix mehr übrig war von der utopischen Substanz ist dieser Staat einfach in sich zusammengebrochen: „Ohne Uff zu sagen“, wie Trotzki das über die provisorische Regierung im Oktober 1917 gesagt hat. Niemand scheint bis heute so recht kapiert zu haben, wie’s dazu kam – so wie wir damals als Kinder! Wahrscheinlich scheint uns deswegen diese Perspektive so verlockend. Aber vielleicht geht es gar nicht so sehr darum, sich wieder einzufühlen in einen naiven Zustand vor dem Sündenfall der politischen Sozialisation, sondern um ein ‚Kind-Werden‘ im deleuzianischen Sinne, eine ‚Verkleinerung‘ oder ‚Minorisierung‘ der Geschichte der Großen. Deswegen gefielen uns auch die Erzählungen vom „kleinen Lenin“, die in der SU ja völlig ernst gemeint waren. Bei uns hört sich das dann so an: „Als Lenin klein war, hatte er eine dreibeinige Hündin mit dem Namen Laika. Lenin liebte diese Hündin sehr, denn sie beherrschte die Schwerelosigkeit. Wenn Lenin mit ihr spazieren ging, dann schwebte sie wie ein Ballon an ihrer Leine über ihm, und wenn sie bellte dann klang das wie Sternengesang.“

 

n: Ihr spielt auf Michail Zoščenkos Geschichten über Lenin (Rasskazy o Lenine, 1940) an, die Zoščenko mit der Bemerkung „geschrieben für Kinder im Vorschulalter“ versehen hatte? Zoščenko war allerdings in der Sowjetunion vor allem als Satiriker bekannt…

 

&Co: Das ist wirklich Real-Satire. Für das neue Stück haben wir auch Michail Šatrovs Stück Diktatur des Gewissens gelesen (Originaltitel: Diktatura sovesti, abgedruckt in Theater Heute 2/88), in der es zu einer „Gerichtsverhandlung über Lenin“ kommt im Stile der alten Agitprop-Schauprozesse, und da gibt es genau so einen Moment: „Als Lenin klein war mit Locken so lang, schlitterte auch er auf der Eisbahn am Hang.“ Und dann wird Lenin zum Vorreiter der Umweltschutzbewegung erklärt, weil er aus Papiermangel immer jedes Blatt so eng voll geschrieben hat: „Weil er immerzu an die heimatlichen Wälder dachte, an die, die im 21. Jahrhundert atmen müssen.“ Das hat natürlich etwas Aberwitziges. Man stelle sich Lenin vor, der sich so was anhören muss: „Was sollen diese Schweinereien?“

 

n: Vor ein paar Monaten wart Ihr auf einer Recherchereise in Moskau. War das der erste Russlandaufenthalt? Was habt Ihr recherchiert? Und was macht Ihr aus dem gesammelten Material?

 

&Co: Wir waren zum ersten Mal in Russland – außer Vettka natürlich, die die Reise für uns vorbereitet hat. Die erste Überraschung war, wie nah zwei unsrer Ziele nebeneinander lagen: das Majakovskij-Museum und die Lubjanka. Das Wohnhaus, in dem Majakovskij gewohnt hat, liegt direkt gegenüber dem berüchtigten Headquarter des Geheimdienstes. Im ersteren hatten wir eine Führung, im zweiten natürlich nicht – es wird ja noch benutzt. Zwar hängen ein paar Tafeln an der Außenseite – aber keine Gedenktafel für die Opfer. Ein Milizionär hat uns dann auch das Fotografieren verbieten wollen. Wir haben einen Blog angelegt, in dem wir unsre Eindrücke dokumentiert haben. Das ist fast ein eigenständiges Projekt, denn die Erlebnisse tauchen nur vermittelt im Stück auf. Im Mittelpunkt stand der Besuch des Roten Platzes und des Mausoleums. Gleichzeitig waren wir auf der Suche nach den Spuren der deutschen Antifaschisten, die nach Moskau ins Exil gegangen und dort verschwunden sind. Oder abgeschoben wurden, zurück nach NS-Deutschland. (Über diese niederschmetternden Geschichte hat Bini ihr zweites Buch, Gestern Morgen, geschrieben).

 

n: Habt Ihr Spuren gefunden?

 

&Co: Die Führung durchs ‚deutsche Moskau‘ war wenig ergiebig. Dafür haben wir eine Frau getroffen, die als Kind im Hotel Lux aufgewachsen ist und heute in Tver’ auf ihrer Datscha lebt: Waltraut Schälike, eine wirklich beeindruckende Frau, mit der wir sehr intensive Gespräche geführt haben. Sie hat ihre Erinnerungen aufgeschrieben: Ich wollte keine Deutsche sein. Und ein kleines Büchlein zur marxistischen Theorie. (Sie findet, dass man in Russland Marx immer falsch interpretiert hat. Marx ginge es gar nicht in erster Linie um die Produktion, sondern um den menschlichen Verkehr.) Wir haben in Petersburg dank der Vermittlung von Memorial weitere Zeitzeugen gesprochen, die als Dissidenten verfolgt worden sind, u.a. den einzigen noch lebenden Zeugen des Großen Terrors der 30er. Er war damals ein glühender Kommunist, sagt er, der sich selbst an der Entkulakisierungs-Kampagne beteiligt hat: Die Täter-Opfer-Spirale ist typisch für den Stalinismus.

 

n: Was wolltet Ihr genau herausfinden?

 

&Co: Wir wollten wissen, wie man heute mit dieser Geschichte umgeht, ob um die Opfer – und den Kommunismus – getrauert wird. Wir haben dabei sehr resignierte Antworten bekommen. Man hat uns von einer nostalgischen Renaissance des Stalin-Kults erzählt, der Abstimmung im Internet, „Name of Russia“, in der Stalin den dritten Platz belegt hat, die Sicht auf ihn als ‚Top-Manager‘ in einem neueren Schulbuch und die Initiative, Wolgograd in Stalingrad zurück zu benennen, usw. Wir haben couragierte alte Leute getroffen, die sehr unzufrieden sind mit den jetzigen Zuständen.

 

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n: Memorial, 1988 von Andreij Sacharov gegründet, ist einige der wenigen Menschenrechts-organisationen, die sich um die Aufarbeitung des Stalinismus und der totalitären Gesellschaft kümmert. Leider müssen sie unter immer komplizierter werdenden Bedingungen arbeiten.

 

&Co: Genau, seit unsrem Aufenthalt wurde sowohl die Memorial-Zweigstelle in Petersburg von der Polizei durchsucht (und die Computer mit den Zeugnissen über die Verfolgungen beschlagnahmt), als auch Dmitry Vilensky verhaftet, ein Aktivist der Künstlergruppe Čto delat’?, den wir in Petersburg getroffen haben. Die September-Ausgabe ihrer Zeitung wurde konfisziert wegen eines Flugblatts, das sich kritisch mit dem Krieg im Kaukasus auseinander gesetzt hat. Wir sind ja genau pünktlich zum Kriegsausbruch in Moskau eingetroffen: am Abend des 7. Augusts 2008. Das war natürlich ein intensives Erlebnis. Gespenstisch fanden wir aber auch die Kalte-Kriegs-Rhetorik, die schlagartig wieder auftauchte im Westen (McCain & Palin). Als ich auf dem Roten Platz stand, musste ich unwillkürlich an all die Atomwaffen denken, die gerade auf mich gerichtet sind. Wie tragikomisch: Da hat man als Kind immer Angst gemacht bekommen vor den russischen Atomwaffen, nur um dann beim Moskau-Besuch von der NATO genuked zu werden… Spaß beiseite: Was uns wirklich beschäftigt hat, war die Frage, was eigentlich aus der Perestroika geworden ist. Immer wieder wurde diese Frage Thema, in allen Gesprächen, die wir geführt haben, ob mit Ex-Dissidenten, liberalen Journalisten oder linksradikalen Künstlern. Was ist schief gelaufen damals? Lag es nicht auch am Westen, der Russland nicht willkommen heißen wollte in der ‚freien Welt‘? Braucht der Westen diesen Spiegel? Heiner Müller hat am Ende seines Lebens von dem Moment geschrieben, in dem das Feindbild im Spiegel erscheint. Heute wäre es das Bild der dekadenten Oligarchen, der russischen Neureichen. Wenig schmeichelhaft…

 

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n: MAUSOLEUM BUFFO heißt Euer neuestes Stück. Offensichtlich handelt es sich um eine Anspielung auf Majakovskijs berühmtes Revolutionsstück Mysterium Buffo? Was hat es mit dem Verweis auf sich?

 

&Co: Von Majakovskij ist auch die Beschwörungsformel: „Lenin lebte, Lenin lebt, Lenin wird leben“, die wir im letzten Stück benutzt haben – und im Mausoleum vor uns hingemurmelt haben: Der Besuch bei Lenins Leiche war der Höhepunkt unsrer Reise! Uns interessiert dieser Totenkult – und die Frage, wo das „Gespenst des Kommunismus“ heute spukt, im Mausoleum oder in Lenins Holzhütte in Sibirien? (Laut Brecht ist das Gespenst ja freundlich zu Kindern…) Majakovskijs Suizid 1930 markiert einen radikalen Einschnitt und steht für die ungeheure Verschwendung an Talenten in dieser Zeit. Nach Heiner Müller ist das Scheitern des Kommunismus die große Tragödie des 20. Jahrhunderts – aber diese Tragödie hat natürlich auch eine komische Seite: Das ist der Buffo der Neo-Bourgeoisie, die ja von Majakovskij schon in den 20ern nach der Einführung der NEP (Neue Ökonomische Politik) aufs Korn genommen wurde. Dieser Spott ist natürlich für die heutigen Zustände mehr als aktuell. Die ‚rote Flut‘, jener revolutionäre Tsunami, den Majakovskij in seinem Stück beschreibt, hat in unsrer Lebenszeit eher als ‚Flut der Konterrevolution‘ stattgefunden, wenn man so will, als globale Ausbreitung des Marktes nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Diese Phase ist jetzt angeblich schon wieder vorbei… Aber wer weiß.

 

n: Dann wäre es doch an der Zeit für eine neue Revolution…

 

&Co: Laut Karl Marx ist ja der Weltmarkt die Voraussetzung des Kommunismus. Das hat Trotzki ja auch verkündet mit seinem Beharren auf der „Weltrevolution“. Insofern war Stalins Programm des „Aufbaus des Sozialismus in einem Lande“ wohl der paradoxe letzte Versuch, eben das zu verhindern! Die Stalin-Nostalgie ist natürlich ein Symptom der Globalisierungskrise. Interessanterweise ist Trotzki bis heute nicht rehabilitiert worden in Russland. Žižek hat ihn deswegen als Symptom all dessen bezeichnet, was am Leninschen Erbe verteidigenswert sei. Er ist wirklich der große Untote in dieser ganzen Geschichte, das Hauptgespenst. All diese ungerufnen Geister werden in unserm Stück auftauchen, ausgespuckt vom Mausoleum, in dem Lenin seit nun bald 85 Jahren liegt wie „Schneewittchen“. Wer weiß, vielleicht wird auch er eines Tages wach geküsst…

 

 

Zum Blog der Recherche-Reise in Russland: http://andcompany.livejournal.com

Homepage von andcompany&Co: http://www.andco.de

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