Dieses Interview wurde im Sommer 2021 geführt, zu einer Zeit, in der der jetzige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine am 24.02.2022 noch schwer vorstellbar war. Gleichzeitig zeigt dieses Interview, dass der Krieg schon weitaus vorher, nämlich seit der Krimannexion 2014 und den Besetzungen von Lugansk und Donezk, Teil des ukrainischen Alltags ist. Damals ging es u.a. um die Auswirkungen der weltweiten Pandemie und Isolation auf das eigene und kulturelle Leben. Die Kultur eroberte sich allmählich ihre Räume wieder zurück – das Leben war mehr als eineinhalb Jahre auf Pause gestellt. Es war Zeit zu fragen, wie ein künstlerischer Neuanfang gestaltet werden kann. Dazu sprach novinki mit der ukrainischen Künstlerin Dariia Kuzmych, die trotz einer Lebenskrise niemals den Mut verlor, als Künstlerin fest im Leben zu stehen.
In Kyiv geboren, lebt sie heute in verschiedenen Städten, sei es in Berlin oder Wien. Nach dem Abschluss im Fach „Monumentale Malerei“ an der Kunstakademie in Kyiv hat Dariia Kuzmych Medienkunst an der Universität der Künste in Berlin studiert (Meisterschülerin von Nina Fischer). Ihre künstlerische Praxis umfasst sowohl traditionelle Medien wie Malerei, Zeichnung und Textilcollage sowie Essays und neuere Medien wie Video und Animation. Ihre intermedialen Kunstwerke sowie hybride Rauminstallationen stellte sie u.a. in der Bundeskunsthalle Bonn (2019-2020) und im Museumsquartier Wien (2018) aus und war bereits auf der Odessa Biennale (2018), Parallel Vienna (2017) und Kyiver Biennale (2015) zu sehen.
Bella Badt: Gerade leben wir in einer besonderen Zeit. Wie sind Sie als Künstlerin mit den Lockdowns in der Pandemie umgegangen?
Dariia Kuzmych: Es war für mich eigentlich nichts Neues. In der Isolation habe ich mich schon mehrmals befunden, zunächst wegen eines Unfalls vor zehn Jahren. Damals hatte ich viel Zeit zuhause verbracht, ohne normalen Bezug zur Außenwelt. Vor der Pandemie habe ich intensiv und lange ohne Pausen gearbeitet. Die erste Phase der Pandemie hat mir geholfen, mich zu erholen und mein Arbeitspensum zu verringern. Ich zeichnete wieder mehr kleinformatige Arbeiten. Aber mit zunehmender Dauer erschwerte die erzwungene Pause die weitere Planung.
B.B.: Verarbeiten Sie Isolation auch als Thema in Ihren Arbeiten?
D.K.: Ich setze mich laufend mit den unterschiedlichsten Aspekten von Raumwahrnehmung, insbesondere mit Isolation, auseinander ohne spezifischen Bezug zur Pandemie. Eines dieser Projekte trägt den Titel „Dein Mietvertrag wurde gekündigt“. Es ist eine hybride Installation – teilweise digital und interaktiv, teilweise analog. Sie kann an verschiedene Umgebungen angepasst werden. Dabei habe ich verschiedene Symbole von Zuhause in einem Raum zusammengestellt. Diese Installation versetzt uns in ein universelles Zuhause, stellt Bezüge her zwischen Gegenständen, Kunstobjekten und Lichtsituationen. Für die Entwicklung dieser Arbeit habe ich mich mit Raumtheorien beschäftigt, insbesondere mit dem Bezug vom Subjekt zum Raum.
B.B.: Gab es einen Schlüsselmoment in Ihrem Leben, der Sie hingeleitet hat, Kunst machen zu wollen?
D.K.: Schon im Kleinkindalter, seit ich einen Bleistift halten konnte, habe ich sehr viel gezeichnet. Meine frühesten Kinderzeichnungen zeigen viel Räumlichkeit. Ich denke, wirklich entschieden hatte ich mich für die Kunst mit vierzehn Jahren, als ich ein deutsches Gymnasium in Kyiv besuchte. Daraufhin wechselte ich auf eine Kunstschule und begann mit Malerei. Nach dem ersten Studienjahr erlebte ich jedoch eine Krise, die zwei Jahre lang andauerte: Nach einem Autounfall konnte ich die künstlerische Arbeit vorerst nicht fortsetzen. Trotzdem war da die Sehnsucht nach visueller Kommunikation mit der Welt. Und tatsächlich hat die Kunst mir über dieses traumatische Erlebnis hinweggeholfen. Ich konnte Kunst damals nicht mehr definieren, aber dann hat die Kunst mich definiert.
B.B.: Wie würden Sie das Verhältnis von Kunst und Krise beschreiben?
D.K.: Durch Kunst kann die Situierung des Individuums in der Welt auf eine besondere Weise betrachtet werden. Für mich persönlich trat dieser Moment nach dem erwähnten Verkehrsunfall ein: Es war wie eine Neubewertung dessen, was ich bin in dieser Welt. Es ist für mich ein schwieriges Thema. Einige Zeit hatte ich große Angst, deswegen als Künstlerin nicht überleben zu können. Das hängt mit einer bestimmten, besonders in der Ukraine verbreiteten Vorstellung davon, wie eine Künstlerin zu sein hat, zusammen. Ich habe mich nie in der Rolle einer Frau gesehen, die einfach schöne Bilder malt und sie verkauft. Mir war es wichtig, meine Ideen umzusetzen. Und die Kunst war die einzige Methode, mich selbst in einem behinderten Körper neu zu definieren. Wenn es um die Krise geht, so denke ich, dass Kunst uns allen helfen kann, neue Wege zu beschreiten.
B.B.: Sie bringen in Ihrer Kunst Digitalität und Materialität auf überraschende Weise zusammen. In Ihren Videoarbeiten beschäftigen Sie sich zudem mit den Möglichkeiten und Grenzen von Bewegung. Was bedeutet für Sie Digitalität und Materialität und wie bewegen sich diese Aspekte in Ihren Werken aufeinander zu?
D.K.: Ich denke, dass wir alle jetzt Digitales und Materielles, Bewegung und Stillstand in unserem Alltag zusammenführen. Diese Übergänge und Verbindungen erzeugen Spannung. Wir erleben hybride Verhältnisse von analoger und digitaler Präsenz, in der wir unsere Körper situieren. Wo immer wir virtuell präsent sind, entstehen vielschichtige Räume der Mobilität, dennoch braucht der Körper physische Berührung und Empathie, die sich nicht ausschließlich digital oder verbal ereignen kann. Als jemand, der analog aufgewachsen und erst später in der künstlerischen Praxis zur Digitalität gekommen ist, verbinde ich in meinen Arbeiten Videoprojektionen mit Zeichnungen oder Skizzen mit Screenshots und setze so analoge und digitale Praktiken in Beziehung. Mich interessiert, wie wir diese Verbindungen wahrnehmen. Es sind parallele Prozesse von virtuell und haptisch, die mir auch an selbstgemachten Objekten wichtig sind. Mir gefällt, wenn das Material sich zeigt. Ich bringe als Künstlerin seine Qualitäten hervor. Ich mag diese Übergangsmomente von einem Zustand in den anderen, vom physischen in den digitalen sehr und denke, das ist das wesentliche Merkmal meiner künstlerischen Methode.
B.B.: Welche Kunsttheorien spielen für Sie eine besondere Rolle?
D.K.: Mit Kunsttheorien beschäftige ich mich sowohl in Essays als auch in meinen Werken selbst. Besonders französische Theoretiker wie Roland Barthes – seine Theorie der Fotografie – sowie Emmanuel Levinas, Jean-Luc Nancy und Maurice Merleau-Ponty sind mir wichtig. Für die Arbeit „Dein Mietvertrag wurde gekündigt“ hat mich Gaston Bachelards Poetik des Raumes inspiriert. Die Hauptheldin dieser Arbeit ist die Sonne, die in den Raum kommt und dabei verschiedene Räumlichkeiten mit ihrem Licht verbindet. Anschließend verbinde ich sie mit einem Zitat von Tristan Tzara in Bachelards Buch, es lautet etwa (ich zitiere aus dem Gedächtnis): „Die Sonne kommt in den Raum wie ein Gast und klopft an die Wände“.
B.B.: Wie stehen Sie als Künstlerin zu der Forderung der Avantgarde, die Kunst in den Alltag zu bringen?
D.K.: Kunst und Alltag trenne ich nicht. Ich richte den Fokus darauf, wie das Leben in die künstlerische Praxis einwächst. Aus dem Leben kommt – durch die Verbindung von Praxis und Material – etwas, was eine natürliche Fortsetzung des Lebens ist. Dabei kann etwas Zufälliges entstehen, was ich nicht intendiert habe. Ich mag es, wenn in der Arbeit Elemente auftreten, die nicht geplant waren, weil sie seltsame Verhältnisse von Unsichtbarem und dem, was nur aus der Distanz wahrnehmbar ist, hervortreten lassen und der Welt unerwartet begegnen.
B.B.: In einem Interview mit Ekaterina Sergatskova für Zaborona haben Sie über Ihre Arbeiten mit Stoff gesagt, dass Sie Ihre Erfahrungen in Ihre Arbeiten „einnähen“. Jetzt sagen Sie umgekehrt: „Das Leben muss einwachsen“. Diese Sprachbilder – „einnähen“ und „einwachsen“ – verweisen durch ihre Materialität auf die Praktiken des Selbermachens. Wie funktioniert diese künstlerische Methode in „Diploma Thesis“ konkret?
D.K.: Ich mag es, wenn Gedanken, Ideen und Material in ihrer Reife zusammenkommen, dann kann eine gute Arbeit entstehen. Meine Methode bei der Arbeit mit Stoff ist das Zusammennähen von Stoffresten: Quilting. Der Titel „Diploma Thesis“ verweist nicht auf meine eigene Diplomarbeit – es ist eine künstlerische Gemeinschaftsarbeit, zu der ich meine Mutter eingeladen habe. Ich erzähle kurz den Hintergrund, wie diese Arbeit entstanden ist.
Ich war zunächst allein als Künstlerin zur Ausstellung „Productive work – What is it supposed to be?“ im Museumsquartier in Wien eingeladen, mich mit Arbeit, Arbeitsverhältnissen und Produktivitätsbedingungen der Arbeit in der Zukunft auseinanderzusetzen. Ich wollte mit meiner künstlerischen Arbeit zur Aufklärung über die Berufe, die zu schnell verschwinden, beitragen. Wenn jemand nach einer Ausbildung keine Möglichkeit hat, den erlernten Beruf auszuüben, was passiert dann mit dem Menschen in einer solchen Situation? Meine Eltern hatten beide eine solche Erfahrung gemacht. Beide kommen aus dem kreativen Bereich, jedoch gab es bei beiden Brüche in ihren Künstler_innenbiografien, denn sie hatten kurz vor dem Ende der Sowjetunion Kunst studiert. In den 1990er Jahren hatten sie – wie viele andere aus ihrer Generation in der Ukraine – keine Möglichkeit, beruflich weiterzukommen. Mein Vater hat auf Baustellen gearbeitet, er zeichnete Karikaturen für Zeitungen, arbeitete mehrere Jahre als Fotograf, konnte jedoch kein bildender Künstler werden. Meine Mutter verdiente nach ihrem Kunststudium als Schneiderin Geld zum Leben. Es hat einige Zeit funktioniert, aber es war nicht das, was sie machen wollte. Erst sehr viel später, als wir Kinder erwachsen waren, hat meine Mutter als Künstlerin einen Neuanfang gewagt. Weil mein künstlerisches Projekt darin bestand, mich mit Berufen in der Krise auseinanderzusetzen, bot sich die berufliche Biografie meiner Mutter als Fallstudie für mich an, ich lud sie ein, gemeinsam eine Stoffarbeit zu entwickeln. Für meine Mutter war diese Ausstellung in Wien ihre erste Ausstellung.
B.B.: Was für ein tolles Ereignis für Ihre Mutter! Wenn Sie an die Umbruchsituation in der Ukraine denken, wie Sie sie auf dem Quilt dargestellt haben, welche generationsübergreifende Botschaft würden Sie den Betrachtenden gern mitgeben?
D.K.: Dass wir verschiedenen Generationen angehören, die verschiedene Möglichkeiten haben, sich zu entwickeln, bildet in „Diploma Thesis“ den springenden Punkt. Ich hatte die Möglichkeit, mich für ein Stipendium zu bewerben und dann in Berlin zu studieren. Ich konnte bisher alles erreichen, was ich für meine künstlerische Entwicklung brauchte. Meine Mutter hingegen hatte diese Möglichkeiten nicht. Sie konnte sich nicht als Künstlerin verwirklichen und hat sich das Schneiderhandwerk selbst beigebracht, um Geld zu verdienen und ihre Kinder zu ernähren. Aber ihr Kunstverständnis hat ihr dabei geholfen und ihre Kreativität, die sie sich für künstlerische Werke versagt hat, ist in ihr Leben hineingeflossen. Deshalb bewegen mich die Schicksale von Frauen, die berufliche Kompromisse eingehen und keine Hilfe von außen erhalten, sehr. Für die Gesellschaft bleiben sie häufig unsichtbar.
B.B: Haben Sie sich selbst als Kind auf dem Quilt portraitiert? Ist im Hintergrund eine alte Singer-Nähmaschine zu sehen?
D.K.: Ja, es ist tatsächlich eine alte Singer-Nähmaschine. Meine Mutter hatte einige Zeit damit genäht, bis sie sich ein moderneres Gerät kaufen konnte. Die Szene mit der Nähmaschine zeigt eine Episode aus meiner Kindheit. Man sieht mich als Kind auf dem Boden sitzend und auch den Blick aus dem Fenster. Meine Mutter näht und ich helfe ihr. Der Blick aus dem Fenster zeigt einen orangenen Bus, der dort damals wirklich gefahren ist. Als vierjähriges Kind kann man nicht wirklich helfen. Ich habe mich damals einfach mit Stoff beschäftigt, Stoffreste zusammengenäht. So sind in dieser Arbeit verschiedene Erfahrungen symbolisch eingenäht.
B.B.: Sie haben ein Album zu „Diploma Thesis“ angefertigt, welches ebenfalls in der Ausstellung zu sehen war. Darin konnten Besuchende Papierseiten auseinanderfalten, es war teilweise handgeschrieben. Wie hängt es zusammen mit dem Quilt?
D.K.: Zur Installation mit dem Quilt gehörten auch etwa zwanzig Zeichnungen, die mich und meine Mutter zeigen, einige Zeichnungen meiner Mutter aus den 1980er und frühen 1990er Jahren und einige Kinderzeichnungen von mir. Ich hatte sie für das Aufhängen einander gegenübergestellt, ebenso ein Selbstbild von mir im Alter von sechzehn Jahren und eines von meiner Mutter im selben Alter. Im Album sind Fotografien aus dem Familienarchiv eingeklebt sowie Zeichnungen von verschiedenen Kleidungsstücken vertreten, die meine Mutter für mich und meinen Bruder genäht hatte. Die Texte sind Anekdoten aus unserem Leben damals. Zum Beispiel die Geschichte von dem altmodischen Kunststoffpelz, den ich nicht wollte, weil alle Kinder Daunenjacken hatten, aber ich musste ihn trotzdem tragen.
B.B.: Auch in Ihrem Künstlerbuch „Dresden. Menschen auf dem Platz“ haben Sie Essays publiziert und Interviews mit kleinen Zitaten collagiert. Welche künstlerische Forschung steckt dahinter?
D.K.: Das Buch beginnt mit Essays über die Stadt. Sie sind das Ergebnis von einigen Forschungsreisen nach Dresden, wo ich bei den Pegida-Demonstrationen vor Ort war. Ich wollte die Hintergründe und die Erfahrungen der Teilnehmer_innen verstehen. Warum sind sie bei Pegida? Warum tragen sie russische Fahnen auf den Demos? Ich habe mit einigen Teilnehmer_innen gesprochen: Im Gespräch haben sie einige Unzufriedenheiten mit der Wiedervereinigung von Deutschland bekundet. Eine gemeinsame Erfahrung war ihnen, dass sie sich im neuen vereinigten Deutschland irgendwie nicht zuhause fühlen. Die Gefühle von Verlassenheit – wie ich das heute sehe – sind politisch leicht zu manipulieren. Den Bezug zur DDR wie auch das Gefahrenpotential für politische Manipulation wollte ich im Künstlerbuch darstellen.
B.B.: Wovon erzählt Ihre Arbeit „To-birth-to-kill: handbook for preschool children“?
D.K.: Es ist eine Holzarbeit in Form eines aufgeklappten Buchs, 120 cm hoch. Ich habe sie 2014 gemacht, als der Krieg in der Ukraine anfing. In dieser Arbeit sind auf der linken Seite Frauen und rechts Männer zu sehen und ihre gegensätzlichen Lebenswelten. Die Frauen sind etwas plakativ dargestellt: einige sind schwanger, andere haben Kinder. Die Arbeit war analog-interaktiv gedacht: Du öffnest das Buch, dann öffnest du auf der Innenseite weitere Elemente in den Figuren. Auf der rechten Seite, wo die Soldaten sind, konnten Teile ihrer Körper geöffnet werden. Darin waren zerbrochene, angeschossene, kaputte Körper zu sehen. Diese Arbeit ist eine etwas plakative Darstellung des Krieges, würde ich sagen, eine einfache Erzählung vom Kreislauf des Gebärens und Tötens.
B.B.: Wie gehen Sie mit politischen Ereignissen um? Verarbeiten Sie diese unmittelbar in der Kunst?
D.K.: Wie viele meiner Freunde habe ich am Majdan 2013-2014 teilgenommen und habe dazu einen besonderen Bezug. Das ist eine ganz konkrete Erfahrung. Seit dieser Zeit beobachte ich Krieg. Dabei merke ich, dass ich nicht gern zu Themen arbeite, die noch im Prozess sind. Ich brauche einen zeitlichen Abstand.
B.B.: Ihr Gemälde „Overthrow of the Lenin monument in Kharkiv“ zeigt den Sturz eines Lenin-Denkmals. Dieses Werk entstand relativ nah zum Ereignis. Wie ist es dazu gekommen?
D.K.: Ja, da gab es weniger zeitlichen Abstand. „Overthrow of the Lenin monument in Kharkiv“ war meine Bachelorarbeit in der Kunstakademie in Kyiv. Für diese Arbeit habe ich die visuelle Methode des sozialistischen Realismus benutzt, um das Ende dieser Epoche darzustellen – eine sowjetische Methode, um ein sowjetisches Symbol im Umsturz zu zeigen. Das war ironisch sowohl im Hinblick auf die Kunstakademie als auch auf den gesellschaftspolitischen Kontext, weil zu dieser Zeit das Dekommunisierungsgesetz in der Ukraine verabschiedet worden war. In der Zeit wurden viele Denkmäler von Lenin gestürzt.
B.B.: Was ist mit der Ironie in Bezug auf die Akademie in dieser Arbeit gemeint?
D.K.: Die Kunstakademie in Kyiv (NAOMA) ist eine postsowjetische Institution, die sehr viele sowjetische Methoden in der Lehre hatte und noch immer hat – eine Mischung aus Bruchstücken des sozialistischen Realismus, einer neuen Ideologie wie Kirche und patriotistischen Tendenzen. Einige Professoren, die früher für die Partei gearbeitet hatten, wechselten plötzlich nach dem Ende der Sowjetunion in die Ideologierichtung der Kirche. Deswegen ist diese Arbeit von mir auch als ironische künstlerische Positionierung zur Kunstakademie zu verstehen.
B.B.: Wie unterscheidet sich Ihrer Meinung nach die Kunstszene in Kyiv von der in Berlin?
D.K.: In Kyiv ist die Szene lokaler, alle kennen sich. Mich kennt man dort gut, die Kontakte zur Kyiver Kunstszene sind mir sehr wichtig. In Berlin gibt es viele unterschiedliche Kunstszenen. Da muss ich einfach noch reinwachsen. Im deutschen Sprachraum fühle ich mich ebenso zuhause wie in meiner Geburtsstadt.
B.B.: Welche ukrainischen Künstler_innen sollten Ihrer Meinung nach in Deutschland besser bekannt werden?
D.K.: Tiberij Silvashi habe ich erst vor Kurzem besser verstehen können, obwohl ich ihn schon länger kenne – ich mag seine Malereimethode, von ihm ist ein Katalog in deutscher Sprache erschienen. Er arbeitet viel mit der Materialität der Malerei, man könnte sagen, er hilft der Zeit, sich in die Materialien einzuschreiben. So nehme ich seine Werke wahr. Nikita Kadan und Yevgenia Belorusets kennt man schon in Berlin. Gern würde ich weitere jüngere Künstler_innen nennen wie Katya Buchatska. In ihren Werken finde ich die Intermedialität interessant, die organische Präsenz der Ideen und ihr Spiel mit Materialien sowie ihren Blick einer Architektin. Zudem möchte ich die multimediale Künstlerin Katya Libkind erwähnen, die ironisch mit ihren Szenografien spielt. Ich mag ihre Sinnlichkeit, die in Malerei und Video übergeht, ihr Blick ist besonders, da sie sehr ehrlich ist. Ihre Arbeiten berühren mich sehr. Victoria Pidust und Volo Bevza beobachte ich in ihrer Entwicklung, wir waren zeitgleich 2015 mit einem Stipendium nach Berlin gekommen. Victoria arbeitet insbesondere mit digitalen Fotocollagen, Volo mit Malerei.
B.B.: Zum Schluss noch eine Frage zu Ihren Plänen: An welchem Projekt arbeiten Sie aktuell?
D.K.: Meine nächsten Projekte werden sich weiterhin mit Übergängen von einem Zustand zum anderen beschäftigen. Aktuell bereite ich eine Ausstellung vor, die in der Galerie „The Naked Room“ in Kyiv gezeigt werden soll. Parallel dazu bereite ich auch Installationen für das Berliner Publikum vor. Der Akzent wird bei den Videoinstallationen auf experimenteller Film- und Medienkunst liegen. Auch hier werde ich wieder intermedial arbeiten.
B.B.: Novinki bebankt sich sehr für das anregende Gespräch.
Das Interview wurde geführt im Sommer 2021 von Bella Badt.