Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Von frag­men­tierten Kör­pern und dem Alltag im Luft­schutz­bunker – zeit­ge­nös­si­sche ukrai­ni­sche Kunst in Berlin

Mit dem Angriff auf die Ukraine führt Putin eben­falls Krieg gegen deren Kultur. Umso dring­li­cher ist es, diese zu schützen. Gale­ristin Cor­nélia Marang-Schmid­mayr erklärt im Gespräch mit novinki, wie dies gelingen kann. Ange­fangen von der Betreuung ukrai­ni­scher Kunst­samm­lungen über die Orga­ni­sa­tion von Aus­stel­lungen mit Werken, die von der Grau­sam­keit des Krieges erzählen, bis hin zur mora­li­schen Ver­pflich­tung gegen­über den Künstler*innen ihrer Galerie.

Wände aus rotem Back­stein, Türme mit Spitz­dä­chern und kunst­voll geschnitzte Holz­balken. Was von außen anmutet, wie ein Schloss aus ver­wun­schenen Zeiten, ist der Sitz einer der inno­va­tivsten Insti­tu­tionen der modernen Kunst­szene Ber­lins. “Art East Gal­lery – Berlin Kyiv” prangt auf dem Schild am Eisen­zaun und ver­weist dabei auf die Mis­sion der Galerie in fünf knappen Worten: eine Brücke bauen zwi­schen Berlin und Kyjiv, Deutsch­land und der Ukraine, West- und Ost­eu­ropa – und das alles mit Hilfe der Kunst.

Die Grün­de­rinnen der Galerie, Cor­nélia Marang-Schmid­mayr and Ivanna Bert­rand, haben sich 2014 in Kyjiv kenn­ge­lernt. Ivanna Bert­rand, die künst­le­ri­sche Lei­terin der Galerie, ist Ukrai­nerin mit fran­zö­si­schen Wur­zeln; nach ihrem Stu­dium in Kyjiv ver­brachte sie meh­rere Jahre im Aus­land. Nach ihrer Rück­kehr in die Ukraine war sie 2017 Mit­grün­derin der Photo Kyiv, der größten inter­na­tio­nalen Kunst­messe der Ukraine, die sich mit zeit­ge­nös­si­scher Foto­grafie aus­ein­an­der­setzt. Die Deutsch-Fran­zösin Cor­nélia Marang-Schmid­mayr stu­dierte Poli­tik­wis­sen­schaften und Euro­päi­sches Recht in Paris. Begeis­tert von der ukrai­ni­schen Kunst orga­ni­sierte sie bereits in Kyjiv erste Aus­stel­lungen und kul­tu­relle Pro­jekte, die auf solch eine posi­tive Reso­nanz trafen, dass 2021 die Eröff­nung der eigenen Gale­rien in Berlin und Kyjiv folgte.

Dass die Wahl des Ortes neben Kyjiv auf die deut­sche Haupt­stadt fiel, ist kein bloßer Zufall. “Berlin war als Standort für unsere Galerie per­fekt, nicht nur durch die reiche Kunst- und Kul­tur­szene, son­dern beson­ders durch seine bewegte Geschichte. Damit meine ich nicht unbe­dingt den Faschismus und den Zweiten Welt­krieg, son­dern vor allem die Tei­lung der Stadt in Ost- und West­berlin. Berlin hat dadurch ein beson­deres Ver­ständnis für die ost­eu­ro­päi­sche Kultur. Ich bin in Paris auf­ge­wachsen, auf­grund meiner deut­schen Wur­zeln wurde ich in Frank­reich oft auf die deut­sche Kriegs­ver­gan­gen­heit ange­spro­chen, die in Frank­reich viel prä­senter scheint als die deut­sche Tei­lung. Als ich dann aber in den 1990ern auf Wunsch meiner Mutter meine Ferien in Deutsch­land ver­brachte, genauer gesagt in Königs Wus­ter­hausen, habe ich aber das genaue Gegen­teil erlebt. Hier war die DDR-Geschichte noch deut­lich spürbar. Vieles von damals ist sehr ver­gleichbar mit dem Leben in der Ukraine, auch zwanzig Jahre später”, so die Geschäfts­füh­rerin der Galerie Marang-Schmidmayr.

Zunächst sollte es bei der Art East Gal­lery nicht aus­schließ­lich nur um ukrai­ni­sche Kunst gehen, son­dern um Kunst aus Ost­eu­ropa im All­ge­meinen. “Als ich in Kyjiv gelebt habe, war ich erstaunt, wie wenig von der Kunst und Kultur Ost­eu­ropas im Westen bekannt ist, trotz ihrer hohen Qua­lität. Was mich beson­ders beein­druckt hat, war die Kraft des sub­jek­tiven Aus­drucks in der ost­eu­ro­päi­schen und vor allem auch der ukrai­ni­schen Kunst, wel­ches ich in der zeit­ge­nös­si­schen west­li­chen Kunst immer öfter ver­misse. Jede Gene­ra­tion in Ost­eu­ropa hat so viel durch­ge­macht und erlebt, ob Revo­lu­tionen, Unter­drü­ckung, Befreiung oder Krieg – und diese Trau­mata drü­cken sich in der Kunst aus. Ich begann Aus­stel­lungen und Ver­an­stal­tungen mit ost­eu­ro­päi­scher Kunst in Kyjiv zu orga­ni­sieren, die extrem positiv auf­ge­nommen wurden und bei denen wir auch Werke ver­kaufen konnten. Es war offen­sicht­lich, dass hier eine Leer­stelle im Kunst­markt besteht.”

Danach ist das Pro­jekt immer weiter gewachsen bis hin zu den Gale­rien in Berlin und Kyjiv. Heute ver­treten Bert­rand und Marang-Schmid­mayr fast aus­schließ­lich ukrai­ni­sche Kunst. “Es ist nicht mehr so wie am Anfang. Nach Beginn der umfas­senden Inva­sion ist es zu einem ukrai­ni­schen Pro­jekt geworden”, erklärt Marang-Schmidmayr.

Im Herbst 2022 folgte mit Not a Dream dann auch die erste Aus­stel­lung der Galerie, die sich direkt mit dem rus­si­schen Angriffs­krieg gegen die Ukraine aus­ein­an­der­setzt. Gezeigt wurden Werke von Vlada Ralko und Vlo­domyr Bud­nikov, die wäh­rend des Krieges ent­standen sind. Seit fast zehn Jahren arbeiten beide Künstler an Pro­jekten, in denen sie sich mit Krieg und Gewalt aus­ein­an­der­setzen. 2022 kam der Krieg in ihre Hei­mat­stadt. Beide stammen aus Kyjiv, sind in der Ukraine schon seit langem eta­blierte und erfolg­reiche Kunst­schaf­fende. Sowohl in Ralkos Serie Lviv’s Diary (2022) als auch in Bud­ni­kovs Arbeiten wie Time of War (2022) domi­nieren düs­tere Farben im Kon­trast zu ste­chendem Rot, das an frisch ver­gos­senes Blut erin­nert. Beide beschäf­tigen sich mit der Dar­stel­lung von Kör­pern und deren Frag­men­tie­rung. Geschun­dene und zer­stü­ckelte mensch­liche Gestalten neben Toten­köpfen und Gerippe bilden die zen­tralen Motive der Zeich­nungen, gele­gent­lich auch in Ver­bin­dung mit Hammer und Sichel oder diversen Kriegs­ge­räten. Die Lini­en­füh­rung wirkt dabei fast skiz­zen­haft, wie in aller Eile aufs Papier gebracht, und drückt damit umso mehr die enorme Emo­tio­na­lität im Chaos des Krieges aus, für die Sprache und Worte nicht mehr aus­rei­chen. “Ich drücke das, was ich gesehen habe, in meinen Werken aus: Viele der Dinge, die mir wichtig sind, lassen sich nicht in Worte fassen”, so Volo­dymyr Bud­nikov in einer Pres­se­mit­tei­lung zur gemein­samen Aus­stel­lung Issue of Lan­guage mit Vlada Ralko in Berlin-Rei­ni­cken­dorf im März dieses Jahres. Mit ihren Werken wollen sie ein tie­feres Ver­ständnis für die Leiden der Men­schen in der Ukraine schaffen, das über die bloßen Kriegs­nach­richten auf den Com­puter- und Han­dy­bild­schirmen hin­aus­geht. Der Aus­stel­lungs­titel Not a Dream in der Art East Gal­lery refe­riert dabei die Grau­sam­keit der rus­si­schen Ver­bre­chen in der Ukraine, die in unserer Lebens­rea­lität unvor­stellbar erscheint.

                                                                     Sub­ma­rine, 2021. © Etchingroom

Dieses stän­dige In-Erin­ne­rung-Rufen der aktu­ellen Kriegs­si­tua­tion ist die Haupt­mo­ti­va­tion der Gale­ris­tinnen: “Als Putin von Ent­na­zi­fi­zie­rung sprach, wussten wir, dass die Ukraine zer­stört werden soll und wir han­deln müssen. Binnen weniger Tagen haben wir ein Netz­werk zur Not­ar­beit auf­ge­baut, um vor allem Men­schen und Kunst­werke aus dem Land zu schaffen. Denn Putin will auch die ukrai­ni­sche Kultur zer­stören, umso wich­tiger ist es, diese zu schützen. Putin will, dass die Ukraine keine Kultur mehr hat – und damit auch keine Iden­tität.” Das Aus­lö­schen der natio­nalen Kul­turen hat eine sowje­ti­sche Vor­ge­schichte, die erst seit kurzer Zeit auf­ge­ar­beitet wird. “Die Deko­lo­ni­sie­rung der Kunst ist ein Thema, das noch sehr viel For­schung und Auf­ar­bei­tung benö­tigt. So ändert man nun all­mäh­lich die Beschrif­tung der Kunst­werke in Museen und nennt statt ‘Sowjet­union’ die genauen Geburts­orte der Künstler*innen. Selbst solche kleinen Details waren zuvor Argu­mente, um zu behaupten, ost­eu­ro­päi­sche Staaten wie zum Bei­spiel die Ukraine haben keine eigene Kultur.”

Um dem ent­ge­gen­zu­wirken und um zu zeigen, dass auch die zeit­ge­nös­si­sche krea­tive Szene der Ukraine wei­terhin uner­schro­cken an neuen und mutigen Pro­jekten arbeitet, folgte im Früh­jahr 2023 die Grup­pen­aus­stel­lung The Time Has Come in der Art East Gal­lery – aus­schließ­lich mit ukrai­ni­schen Künstler*innen. Dar­unter ver­treten war auch die Künst­lerin Olesya Dzhurayeva, die neben ihren Lin­ol­schnitten, vor allem auch in ihren öffent­li­chen Briefen und Arti­keln über das Leben in der Ukraine wäh­rend des Krieges erzählt. “Eines Mor­gens, am 24. Februar 2022, wachst du zu einem Geräusch auf, wel­ches du noch nie zuvor gehört hast. Dein Ehe­mann sagt ein Wort, wel­ches du in diesem Moment kaum begreifen kannst: ‘KRIEG’. Du bist ver­wirrt und fühlst dich taub. Warum pas­siert das? Was sollen wir jetzt tun und wo sollen wir hingehen? Du hast darauf keine Ant­worten. Du hast nur Wut gemischt mit Ver­zweif­lung in dir. Das Land wird mit einem dicken Schleier des Hor­rors über­deckt. Das ist die Rea­lität, in wel­cher wir uns wie­der­fanden und irgendwie mussten wir han­deln. Nachdem wir die Nacht in Kyjiv ver­bracht hatten, ist unsere Familie in ein kleines Haus in einem Dorf im zen­tralen Teil der Ukraine gezogen. Auf unserem Weg dorthin sahen wir Mili­tä­r­e­quip­ment, aber wir wussten nicht, zu wem es gehörte. Flug­zeuge don­nerten am Himmel”, heißt es in ihrem öffent­li­chen Brief mit dem pro­gram­ma­ti­schen Namen Never Give Up, den sie im Juli 2022 auf ihrer Web­site ver­öf­fent­lichte. Dabei betont sie beson­ders die Bedeu­tung der Kunst und Krea­ti­vität in Zeiten, in denen alles voller Schmerz und Trauer sei. So stellte sie wäh­rend des Krieges, unter anderem auch bedingt durch die Knapp­heit an Zei­chen­ma­te­ria­lien, ihren ersten Holz­schnitt her, wel­chen sie Window of Hope nannte, gedruckt mit Erde und Wasser. “Window of Hope wurde zu meinem puren Gefühls­leben, ohne irgend­welche Ideen oder Gedanken dahinter. Jeder Druck war ein­zig­artig. Und dieser Holz­schnitt erfüllte mein Innerstes: Ich werde arbeiten, ich werde leben, ich werde kämpfen! Jetzt hatte ich ein Ziel.” Wie schwer dieser Rückzug in eines kleines Dorf auf das Land für die Künst­lerin gewesen sein mag, lässt sich neben ihren öffent­li­chen Briefen und Arti­keln auch in ihren Kunst­werken erahnen. Zeigten ihre Lin­ole­um­schnitte zuvor vor allem Stadt­land­schaften – egal ob Kyjiv, Stock­holm, Paris oder Berlin – ver­än­derte sich das Sujet ab 2022. Anstelle des urbanen All­tags euro­päi­scher Metro­polen zeigen Werke wie Immerse yourself, Immersion into the land­scape, Immersion into the moment nun eine radi­kale Rück­be­sin­nung: auf sich selbst, die Land­schaft und den Moment.

  Immersion into the moment and …                                                                                   Spring Day in Berlin, 2019. © Olesya Dzhurayeva

Der Not­wen­dig­keit der Kunst in solch trau­ma­ti­schen und gänz­lich hoff­nungslos erschei­nenden Situa­tionen sind sich auch Ivanna Bert­rand und Cor­nélia Marang-Schmid­mayr mehr als bewusst. Unmit­telbar nach Aus­bruch des Krieges gründen sie die “Peace for Art Foun­da­tion”, die direkte Hilfe an ukrai­ni­sche Kunst­schaf­fende bereit­stellt. Ihnen ist aber auch die direkte Ver­bin­dung mit den Künstler*innen der Galerie wichtig. Dazu gehören auch mal Wald­spa­zier­gänge und emo­tio­nale Hil­fe­stel­lungen. “Es ist eine Mischung aus huma­ni­tärer Hilfe und Busi­ness”, beschreibt Marang-Schmid­mayr die aktu­elle Situa­tion und merkt auch an: “Andere Gale­rien haben diese Pro­bleme nicht. Uns ist es vor allem auch wichtig, Ver­ständnis für die Leiden und die Emo­tionen unserer Künstler*innen auf­zu­bringen und dieses auch in unserer Arbeit umzu­setzen. So arbeiten wir momentan nicht mit rus­si­schen Künstler*innen zusammen, da dies für viele unserer ukrai­ni­schen Künstler*innen ein sehr schwie­riges Thema ist. Wir ver­stehen das und haben uns ent­schieden, in der Zusam­men­ar­beit mit rus­si­schen Künstler*innen zunächst eine Pause einzulegen.”

Neben der Galerie und der “Peace for Art Foun­da­tion” haben Bert­rand und Marang-Schmid­mayr ihr Pro­jekt aber­mals im letzten Jahr erwei­tert und nun die “Art East Art Agency” gegründet. Dabei geht es darum, die Ver­bin­dung von West- und Ost­eu­ropa zu stärken und vor allem auch lang­fris­tige Ver­bin­dungen her­zu­stellen. Dar­unter fallen pro­fes­sio­nelle Bera­tung im Umgang mit ukrai­ni­scher Kunst sowohl im Pri­vatem aber auch für Insti­tu­tionen und Museen, Hilfe bei der Betreuung von Aus­stel­lungen ukrai­ni­scher Kunst, Orga­ni­sa­tion von Events für Unter­nehmen, um sie mit der ost­eu­ro­päi­schen Kunst­szene ver­traut zu machen, aber auch Bil­dungs­pro­jekte für Kinder und Jugend­liche, denn Marang-Schmid­mayer betont: “Weder kul­tu­rell noch topo­gra­fisch sind wir gerade hier in Deutsch­land weit von Ost­eu­ropa entfernt.”

Momentan erleben wir einen wahren Boom an Aus­stel­lungen ukrai­ni­scher Kunst. Dabei stellt sich die Frage, wie nach­haltig dieses Inter­esse wirk­lich ist und wie den Künstler*innen damit dau­er­haft geholfen wird: “Ich bin mir sicher, dass das Inter­esse an ukrai­ni­scher Kunst nach­lassen wird. Daher ist es für uns umso wich­tiger, dass wir auch mit öffent­li­chen Insti­tu­tionen und Museen arbeiten. Es geht uns vor allem darum, zu ver­su­chen, Sta­bi­lität für die ukrai­ni­schen Künstler*innen und dau­er­hafte Ver­bin­dungen her­zu­stellen, auch über den deut­schen Markt hinaus. Wei­tere Stand­orte der Art East Art Agency sind Paris und Brüssel, aber auch in den USA sind wir momentan aktiv. So trans­por­tieren wir gerade Werke der ukrai­ni­schen Gra­fik­künst­le­rinnen Kris­tina Yarosh und Anna Khod­kova nach Phil­adel­phia, wo eine Aus­stel­lung mit ihnen folgen wird. Auch in Paris im Vor­feld der olym­pi­schen Spiele sind meh­rere Pro­jekte geplant.”

                                                                 The Scream, 2021. © Olesya Dzhurayeva

Kris­tina Yarosh und Anna Khod­kova grün­deten 2016 das Druck­studio “Etchin­groom”, wel­ches zum festen Pro­gramm der Art East Gal­lery gehört. Gleich zwei Aus­stel­lungen der Künst­le­rinnen zeigte die Galerie 2022. Die Aus­stel­lung It was crowded yes­terday ist dabei die direkte Aus­ein­an­der­set­zung der Künst­le­rinnen mit den Ereig­nissen in der Ukraine, ob Krieg, Flucht oder Wider­stand. Der Titel der Aus­stel­lung bezieht sich zum einen auf die Ukrainer und Ukrai­ne­rinnen, die sich zu Beginn des Krieges an Bahn­steigen ver­sam­melten, um aus dem Land zu fliehen. Aber auch auf den Moment, als sich Hun­derte von Men­schen in Kyjiv trafen, um sich trotz des Krieges ein Kon­zert im Unter­grund anzu­hören. Beide unmit­tel­baren Reak­tionen der Men­schen auf den Krieg zeigen die Werke der Gra­fik­künst­le­rinnen. Ihre Ästhetik zeichnet sich durch einen über­quel­lenden Detail­reichtum und einen Hang zur – manchmal kari­ka­tu­ris­ti­schen – Tra­gi­komik. Dabei schaffen sie eine unge­wöhn­liche, bei­nahe para­doxe Ver­bin­dung zwi­schen Ver­gan­gen­heit und Zukunft. So sind in ihren Arbeiten moderne und futu­ris­ti­sche Maschinen und Trans­port­mittel, wie Flug­zeuge oder auch flie­gende Unter­tassen zu sehen, die im Medium der etwas alter­tüm­li­chen Technik der Radie­rung seltsam anmuten. Bereits in ihren Werken aus dem Jahr 2021 sind Kriegs­ma­schinen wie Bomben oder U‑Boote zen­trale Motive ihrer Kunst­werke, die in üppig gestal­teten All­tag­szenen car­toon­haft wirken. Das Thema der Flucht und des Ver­las­sens der Heimat wurde darauf aber­mals in der zweiten Aus­stel­lung Point de départ auf­ge­griffen. Werke wie Shelter ver­deut­li­chen die Tragik der Situa­tion der ukrai­ni­schen Bevöl­ke­rung. Die gezeich­neten Men­schen im Bunker werden umrahmt vom tiefen Schwarz der vielen Erd­schichten, das sie von der Ober­welt trennt. Sie scheinen wie Tou­risten ange­zogen zu sein, gewöhn­liche Men­schen auf dem Weg in den Ski- oder Strand­ur­laub. Mit Kof­fern und Ruck­sä­cken sitzen sie auf dem Boden oder einer Bank im unge­müt­li­chen Unter­schlupf als würden sie auf den Bus in die Ferien warten. Über der Erde steht bereits ein voll­be­la­dener Neu­an­kömm­ling mit­samt Katze und geflicktem Koffer – er blickt auf den Boden unter dem sich seine neue Unter­kunft für die nächsten Stunden, viel­leicht auch Tage befindet. Die Münder der Men­schen sind gerade Linien, kein Lächeln, aber auch kein zur Ver­zweif­lung ver­zerrtes Gesicht, nicht Hoff­nungs­lo­sig­keit prägt die Stim­mung der Figuren im “Etchin­groom”, son­dern Resi­gna­tion und vor allem Ungewissheit.

Viele der ukrai­ni­schen Künstler sind in der Ukraine geblieben und greifen aktiv in den Krieg ein. So kämpfen einige direkt an der Front; ein Künstler hat seine Drohnen, welche er sonst für die Pro­duk­tion seiner Kunst­werke nutzt, nun dem ukrai­ni­schen Militär zu Ver­fü­gung gestellt, wie die Gale­ristin berichtet und hin­zu­fügt: “Andere bewegen sich aber auch wei­terhin in West­eu­ropa. Auch wenn Deutsch­land und Polen durch die topo­gra­fi­sche und kul­tu­relle Nähe zur Ukraine für sie oft am güns­tigsten ist.” Neben all der Hilfe für die zeit­ge­nös­si­schen Künstler*innen hebt Cor­nélia Marang-Schmid­mayr auch hervor, wie wichtig es ist, die musealen Kunst­werke der Ukraine zu schützen. Das bedeutet kon­kret, diese aus dem Land heraus zu trans­por­tieren. Hier greift erneut das Ziel zu ver­hin­dern, dass die Kultur der Ukraine zer­stört wird. So ist das Lagern der Kunst­werke eine ebenso wich­tige Auf­gabe wie die Finan­zie­rung von Künstler*innen und Aus­stel­lungen. In jedem Fall gilt es, die Kunst um jeden Preis zu schützen und zu bewahren. Denn wie Marang-Schmid­mayr betont, “ist Kunst eine fried­liche Sprache.”

 The Shelter and …                                                                                                              Untitled, 2022. © Etchingroom

Das Bei­trags­bild zeigt die Radie­rung The Bomb, © Etchingroom.