Sprache in Zeiten des Krieges, oder: Warum die ukrainische Filmakademie Sergej Loznitsa ausgeschlossen und wie der Regisseur darauf reagiert hat

Die Tatsache, dass die ukrainische Filmakademie den aus der Ukraine gebürtigen Regisseur Sergej Loznitsa ausgeschlossen hat in den letzten Tagen in der deutschen Presse für kleinere Schlagzeilen gesorgt. Drei seiner wichtigsten Filme der letzten Jahre sind der Ukraine gewidmet: „Maidan“ (2015), „Donbass“ (2018) und „Babij Jar. Kontekst“ (2021). Die ukrainische Filmakademie klagt den Regisseur nun wegen seiner „kosmopolitischen“ Identifikation an, da in Zeiten des Krieges nur eine eindeutig nationale und national abgrenzende Positionierung gerechtfertigt werden könne. Der Regisseur hält in einem offenen Brief (Facebook post) dagegen, dass diese Forderung „nazistisch“ sei und daher Wasser auf die Propaganda-Mühlen des Kremls. Es scheint symptomatisch für die aufgeheizte (Diskurs-)Lage, dass kleinste Verschiebungen in der Wortwahl größte Gräben aufmachen und beide Seiten sich mit der Wortwahl ihrer Polemik in ein fatales Dickicht von Konnotationen verstricken, die sie höchstwahrscheinlich nicht intendieren: So wird Loznitsa bezichtigt, an einem Filmfestival in Nantes teilzunehmen, dessen Titel „Von L’viv bis an den Ural“ laute und somit imperialistische Untertöne anschlage, während der eigentliche Titel „Zwischen L’viv und dem Ural“ rein geographische Hinweise auf die Herkunft der gezeigten Filme gibt. (https://russe.univercine-nantes.org/films-du-festival/) Und „Kosmopolitismus“ fungierte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg als Propagandawaffe des stalinistischen Antisemitismus, und wenn die ukrainische Filmakademie nun diesen Begriff reanimiert, um einen ukrainischen Regisseur auszuschließen, dann ist das zwar nicht „nazistisch“, wie Loznitsa, behauptet, aber es stellt eine direkte Verbindung her zwischen der Ukraine der Gegenwart und dem Stalinismus.

novinki publiziert den Ausschlusstext der ukrainischen Filmakademie in deutscher Übersetzung und Sergej Loznitsas Offenen Brief im Wortlaut im englischen Original.

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VÖLLIG INAKZEPTABEL: WARUM DER REGISSEUR SERGEJ LOZNITSA VON DER UKRAINISCHEN FILMAKADEMIE AUSGESCHLOSSEN WURDE

 

Das Original ist ⇒ hier nachzulesen: Абсолютно неприемлемо: за что режиссера Сергея Лозницу исключили из Украинской киноакадемии

Marina Nizhnik Samstag, 19. März 2022, 09:34

 

Die ukrainische Filmakademie hat Sergei Loznitsa aus ihrer Mitgliedschaft ausgeschlossen. Die Organisation hielt es für inakzeptabel, dass der Regisseur während des Krieges in der Ukraine am russischen Filmfestival „Von Lemberg bis zum Ural“ in Nantes (Frankreich) teilnehmen möchte. Die Filmemacher erklärten die Entscheidung auf ihrer Facebook-Seite.

„Am 24. Februar begann Russland einen vollumfassenden Krieg gegen die Ukraine. Die Ukraine verteidigt sich an allen Fronten, auch in kultureller Hinsicht. Die Länder Europas und der Rest der Welt müssen sich ein vollständiges und eindeutiges Bild davon machen, was das Aggressorland in der Ukraine tut. Aus diesem Grund ist jeder Ukrainer heute ein Botschafter seines Landes.

Eine besondere Verantwortung liegt nun bei den Spezialisten der Kreativbranche, die im Ausland gut bekannt sind. Ihr Standpunkt muss klar und unmissverständlich sein.

Der Regisseur Sergei Loznitsa hat wiederholt betont, dass er sich als Kosmopolit, als „Mann von Welt“ versteht. Doch jetzt, wo die Ukraine um ihre Unabhängigkeit kämpft, muss das Schlüsselwort in der Rhetorik eines jeden Ukrainers seine nationale Identität sein. Und da darf es keine Kompromisse oder Zwischentöne geben.

Kürzlich wurden die Filme von Sergei Loznitsa in das Programm des russischen Filmfestivals in der französischen Stadt Nantes unter dem Titel „Von Lemberg bis zum Ural“ aufgenommen. In Zeiten eines von Russland entfesselten blutigen Krieges ist dies völlig inakzeptabel.

Die ukrainische Filmakademie rief die internationale Filmgemeinschaft auf, das russische Kino zu boykottieren, zwischen ukrainischer und russischer Kultur zu unterscheiden und sie nicht zu identifizieren. „Es ist für uns wichtig, dass alle Mitglieder der ukrainischen Filmakademie diese Position teilen und die Dinge beim Namen nennen und Klarheit und Härte in ihren Überzeugungen zeigen“, heißt es in der Erklärung. – Wir bitten die internationale Gemeinschaft, Sergej Loznitsa nicht als Vertreter der ukrainischen Kultur zu positionieren“.

Sergej Loznitsa ist bekannt für die Spiel- und Dokumentarfilme „Donbass“, „My Happiness“, „Laskovaya“, „Maidan“, „Victory Day“, „The Process“, „Austerlitz“, „State Funeral“, „Babi Yar. Kontext“. 2018 gewann der Regisseur für seinen Film Donbass den Preis Un Certain Regard bei den Filmfestspielen von Cannes. Im Jahr 2021 für seinen Film „Babi Yar. Context“ wurde er beim Filmfestival von Cannes mit dem Sonderpreis der Jury für das Goldene Auge ausgezeichnet.

Vertreter der ukrainischen Filmgemeinschaft kommentierten die Nachricht vom Ausschluss Loznitsas aus der Ukrainischen Filmakademie. Einige von ihnen kommentierten die Teilnahme des Regisseurs am Russischen Filmfestival bereits vor der Entscheidung der Organisation.

Denys Ivanov, Produzent und Filmverleiher: „Ich war der Produzent von ‚Donbass‘ und habe die Kommunikation mit dem Regisseur nach dem Ende des Projekts eingestellt. Ich hatte genug von seinem endlosen russischen Chauvinismus gegenüber seinen ukrainischen Kollegen und seinen Geschichten, dass die Ukraine ein gescheiterter Staat ist, die Ukrainer dumm sind, ukrainische Journalisten Idioten sind und die ukrainische Kultur engstirnig ist.

(Ü: Susanne Frank)

 

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SERGEI LOZNITSA’S PUBLIC STATEMENT

 

Since last night, I have been receiving phone calls and messages from friends and colleagues all over the world, expressing their astonishment and asking me to explain what happened to the Ukrainian film academy. I have also been trying to figure this out.

On the 27th of February 2022, I published the following statement:

“The war which Russia waged on Ukraine is an act of suicidal madness, which will inevitably result in a collapse of the criminal Russian regime. What we are witnessing now is the Battle of Good and Evil, of Truth and Lies, a truly biblical event. Ukraine will prevail!

I’m also deeply shocked by the apparent lack of resolution displayed by a lot of institutions, public figures and governments, who are in a position to help the cause of the Ukrainian people not only with their words, but also with their prompt and decisive actions. The terrible drama which is unfolding now is, to a large extent, the result of the hypocritical policies of appeasing the monster, of doing business with Russia. For years, Western politicians have been looking away from the crimes committed by the Russian regime in Chechnya, Georgia, Crimea, Donbass and other regions of Europe and the world, and making compromises, based on the politics of „pragmatism“. I think it’s time for the international community to wake up, to learn its lesson and to defeat the Russian monster.”

I left the European Film Academy, because their first statement, published a few days after the beginning of the war, was too neutral, toothless and conciliatory towards the Russian aggression. They did not even have the courage to call the war a war.

Over the past days and weeks, I have been busy explaining to various international news outlets and journalists from Europe and the US the causes and the essence of the war, urging the international community to join in the struggle against the Russian aggression; I have been participating in numerous charity screenings of my films “Donbass” and “Maidan”, the proceeds of which are used to support Ukraine; I have been evacuating people from Ukraine and helping refugees.

In the tragedy of war, I firmly believe, that one must keep their common sense about them. I am against the boycott of my colleagues, Russian filmmakers, who are speaking out against the crimes of Putin’s regime.

I was astonished to read of the Ukrainian film academy’s decision to expel me for being a cosmopolite. Translated from Greek, the word “cosmopolite” means “citizen of the world”. The first person who proclaimed himself to be a cosmopolitan was the ancient Greek philosopher Diogenes. The stoic philosopher Zeno, as well as Emmanuel Kant, Voltaire, Diderot, Hume and Jefferson all considered themselves to be cosmopolitans. Since the 18th century the definition of a cosmopolitan has been used to describe a person open to new ideas and free from cultural, political and religious prejudices. It is only during the late Stalinist era, from the onset of the antisemitic campaign unleashed by Stalin between 1948 and 1953, that the term acquired a negative connotation in Soviet propaganda discourse.

By speaking out against cosmopolitanism, the Ukrainian “academy members” employ this very discourse invented by Stalin, based on hatred, denial of freedom of speech, advocating collective guilt and forbidding any manifestations of individualism and individual choice. Or are the “academy members” simply against the values of Diogenes, Zeno, Kant and Voltaire? Are they against the values, which form the foundation of the culture and society of contemporary Europe, a place they claim they are so desperate to belong in? I feel the need to give such a detailed definition and background of the notion of “cosmopolitan”, as outside of the former Soviet empire it is only professional Sovietologists who are aware of these connotations.

Teachers of Russian from the university of Nantes (France) hold an annual festival of films produced in the countries formed after the collapse of the USSR. The festival is financed by the university. I found out about this festival from the statement of the Ukrainian film academy. I have contacted the organisers of the festival and they informed me that the “academy members” and the Ukrainian “cultural community”, in principle, support the decision to hold the festival, only they demand that all the films in the festival’s programme are replaced by films produced in Ukraine or films about Ukraine. I quote: “…we propose to replace the films of the entire program with films produced in Ukraine or about Ukraine, thus delimiting our culture from Russian cinema…”

When the festival organisers refused to meet the demands of the “academy members” they were verbally attacked and subjected to a torrent of abuse from the Ukrainian “cultural community”. The slogan of this year’s festival is “Entre Lviv et l”Oural”, which means “Between Lviv and the Urals”. It is not “From Lviv to the Urals”, as the “academy members” erroneously translated from French.

“Nowadays, when Ukraine is fighting for its independence with all its might, the key concept in the rhetoric of every Ukrainian should be his national identity,” – reads the message published on the Ukrainian film academy’s Facebook page. So, it is not the civil and political standpoint of every citizen of the country that matters; it is not the aspiration to unite all the freedom loving and free-thinking people of the world against the Russian aggression; it is not the creation of an international effort of all democratic countries in the world to win this war; it is the “national identity” that matters most. Unfortunately, this is Nazism. A gift to Kremlin propagandists from the Ukrainian film academy.

The “academy members” demand that the international community “does not position me as a representative of the Ukrainian cultural sphere”. Never in my life have I represented any community, group, association or “sphere”. Everything I say and do has always been and always will be my own individual statements and actions.

I am and will always be a Ukrainian filmmaker.

I sincerely wish for everyone to remain sane during this tragic time.

Sergei Loznitsa

March 19, 2022

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