Ivna Žic ist Schriftstellerin und Theaterregisseurin und lebt heute in Zürich. Sie wurde in Zagreb geboren und wuchs in Zürich und Basel auf. Ihr Roman Die Nachkommende erschien 2019 bei Matthes & Seitz und wurde für den Schweizer Buchpreis, den Österreichischen Buchpreis und den Rauriser Literaturpreis nominiert. Zuvor war sie bereits als Theaterautorin mit ihren Stücken Leben wollen. Zusammen (späterer Titel: Die Vorläufigen) oder Blei erfolgreich. In Die Nachkommende verknüpft Ivna Žic zwei Zeiten und Welten und vor allem auch zwei Sprachen.
Zu einem Gespräch über ihren Roman Die Nachkommende traf sich Kathrine Spaar mit Ivna Žic in einem Züricher Café.
Kathrine Spaar: Frau Žic, vielen Dank, dass Sie heute hier sind, um mit mir über Ihren Roman Die Nachkommende zu sprechen. Der Roman beginnt mit einer zwölfstündigen Zugfahrt von Paris nach Zagreb. Der Protagonistin kommt es vor, als sei dies bereits ihre fünfhundertste Fahrt nach Zagreb. Frau Žic, können Sie sich an Ihre erste Reise nach Kroatien erinnern?
Ivna Žic: Nein, ich glaube das ist bei mir tatsächlich ebenso ein Gemisch aus Wiederholungen, wie es auch im Roman beschrieben wird. Ich persönlich habe dies auch oft gemacht – mit dem Zug nach Kroatien – und kann die erste, zweite, dritte, vierte und fünfte Fahrt nicht mehr wirklich auseinanderhalten. Den beschriebenen Zustand kann vermutlich jeder nachvollziehen, der mehrmals an denselben Ort gereist ist.
K.S.: Diese Fahrt ist ja ziemlich phantastisch. Die toten oder auch noch lebenden Verwandten begleiten die Protagonistin als eine Art ‚Ahnengeister‘ während ihrer gesamten Reise. Vergangene Geschichten und Erlebnisse werden wiedergegeben. Welche Rolle spielen diese Erzählungen der Vergangenheit?
I.Ž.: (lacht) Nun, das ist ja eigentlich eine Frage, die die anderen beantworten sollten. Vielleicht können Sie ja erzählen, was es mit Ihnen gemacht hat?
K.S.: Ich denke, es könnte ein Kunstgriff sein, sodass der innere Monolog der Protagonistin zu einem Dialog wird und Gespräche entstehen können, obwohl wir uns weiterhin nur in ihrem Kopf und ihren Gedanken befinden. Wir erfahren durch die Erzählungen etwas über die Protagonistin.
I.Ž.: Genau, die Dialoge und Erzählungen dienen als eine Art Personifizierung oder Identifizierung der Protagonistin. Im gesamten Buch ist die Protagonistin meistens allein. Die wenigen echten Begegnungen sind eher zufällig. Also wenn sie – ich nenn’ es mal ‚echten‘ Menschen begegnet, sind dies Leute, die sie eigentlich gar nicht so gut kennt. Ein Kellner, eine Frau mitten in der Nacht, der alte Mann am Ende. Da tauchen zufällige Figuren auf. Kunstgriff ist darum der treffende Begriff: Man holt diese Menschen, die sie schon lange kennt – egal ob lebendig oder tot – zum Dialog hervor, aber nicht in einer echten Begegnung. Es ist eine andere Situation, wenn das Gespräch phantastisch gestaltet ist, wie eine Erinnerung, als würden Großmutter und Enkelin am Tisch sitzen und plaudern. Ich wollte diesen Realismus vermeiden. So kommt man nicht weit, solche Gespräche drehen sich im Kreis, während ein fiktives Gespräch über Erinnerungen einen viel größeren Raum öffnet. Man weiß letztendlich nicht, ob diese Menschen so sprechen würden und so gesprochen haben – vielleicht ist dies nur ein Wunsch der Protagonistin. Wer weiß das?
K.S.: Stimmt. Ich kann bestätigen, dieser Kunstgriff hat wunderbar funktioniert. Eigentlich spannend, dass Sie die Dialoge oft im inneren Monolog verpacken. Sie sind hauptsächlich Theaterregisseurin – dort wird viel mehr und ganz anders mit Dialogen gearbeitet. Was hat Sie daran gereizt, nach vielen Jahren als Autorin für die Bühne, ein Buch zu publizieren? Existierte diese Idee schon lange?
I.Ž.: Ja, ich habe auch lange an diesem Roman geschrieben, auch begleitend zu meiner Arbeit am Theater. Für mich war sein Erscheinen also gar nicht so neu wie für viele Menschen in meinem Umfeld, die überrascht waren, dass ich auch Prosa schreibe. Ich arbeitete tatsächlich aber etwa fünf Jahre an diesem Text. Mich begleitet er schon wahnsinnig lange, gehört schon lange zu meinem Leben dazu. Ich habe gemerkt, dass es mir nicht nur viel Spaß macht, sondern auch gut tut, diese andere Form, die Prosa, auszuprobieren. Auch weil dieser Text letztendlich nur mir und den Leser_innen gehört und nicht durch diese ganze Theatermaschine gehen wird mit Bühnenbild und Kostümen und Schauspieler_innen… Ich liebe dies zwar auch, sonst würde ich nicht Theater machen. Aber mir tat es einfach gut, künstlerisch dem Schreiben eine andere Form zu geben, die erst einmal leiser ist, zwischen zwei Buchdeckeln ruht und sich nicht noch fünfmal verwandelt. Das ist ganz anders als beim Theater.
K.S.: Das klingt für mich fast so, als wäre Theater die Arbeit und Prosa eine Leidenschaft für die Freizeit – ein Hobby sozusagen?
I.Ž.: Ja und nein; ich nehme natürlich beides gleich ernst, aber dennoch hatte ich einen gewissen Freiraum beim Verfassen des Romans. Aber eher, weil es nie eine Deadline gab. Dies ist bei Aufträgen von Theatern natürlich anders. Auch ein Verlag kann selbstverständlich Deadlines setzen – mal schauen, wie es jetzt beim zweiten Buch wird – doch von diesem ersten wusste ja niemand.
K.S.: Ein zweites Buch? Werden Sie demnächst ein weiteres publizieren?
I.Ž.: Bestimmt. Ich sag mal bestimmt. Aber ich lasse mir meine Zeit.
K.S.: Kommen wir zurück zu Die Nachkommende: Sie sagen, Sie haben etwa fünf Jahre an diesem Roman geschrieben – eine lange Zeit, fast auch eine Art Reise. Das Reisen ist ja der Kern des Romans. Aus einer Reise entstand eine Reise…
I.Ž.: Ja genau, es war eine Reise und eine sehr schöne noch dazu, bei der immer wieder verdichtet, überarbeitet, korrigiert und lektoriert wird. Das war ein schöner Teil des Schreibens.
K.S.: Der Text ist Prosa, aber doch nicht prosatypisch. Mal ist der Text rechtsbündig, mal steht nur ein einziger Satz auf einer Seite, dazwischen füllt hin und wieder ein Rosenkranz die Seite. Dieser experimentelle Schreibstil, kommt der auch vom Theater?
I.Ž.: Das Theater ist sicher freier. Aber Inspiration waren auch andere Autoren und Autorinnen. Mir gefallen Werke im experimentellen Bereich – ich zähle meine Arbeit gar nicht unbedingt dazu, aber ich lese es gerne. Zudem finde ich, ein Buch ist ein formales – oder überhaupt – ein Kunstwerk an und für sich. Ich nehme gerne Bücher in die Hand, bei denen ich merke, dass es nicht nur um den Inhalt geht; ich sehe einem Buch an, wenn sich jemand etwas dabei überlegt hat, und vielleicht auch, was er sich dabei überlegt hat. Die Gestaltung eines Textes erzählt die Geschichte mit und erzählt auch eine eigene – sie erzählt etwas vom Rhythmus. Auch bei mir widerspiegelt dieses Formale den Rhythmus. Ich mag es, wenn dieser sichtbar im Buch ist.
K.S.: Die Nachkommende ist nicht nur experimentell gestaltet, sondern Gestalten oder vielmehr Malen ist auch Thema des Buches. Sowohl der verstorbene Großvater als auch der Liebhaber der Protagonistin waren Maler. In welcher Beziehung stehen Malen und Schreiben für Sie?
I.Ž.: Konkret mit dem Malen habe ich das Textuelle bis jetzt gar nicht verbunden, mehr grundsätzlich mit dem Visuellen; Text ist Gestaltung. Ein Buch ist etwas Wahnsinniges, ein Kunstwerk. Ich hätte es nicht unbedingt mit dem Malen in Verbindung gebracht, dennoch finde ich das einen durchaus spannenden Ansatz. Es ist einfach schön, wenn man sich in jeder Kunstform mit allen der jeweilig möglichen Ebenen auseinandersetzt und dann eben nicht eine vergisst unterwegs.
K.S.: Spielerisch ist nicht nur Ihre Textgestaltung, sondern auch Ihr Umgang mit der Sprache – mit der Zwei- oder genauer gesagt Dreisprachigkeit. Neben dem Deutschen kommen immer wieder kroatische und vereinzelt auch schweizerdeutsche Bruchstücke vor. Sie selbst leben ja auch in diesen drei Sprachen. Spiegelt das Codeswitching im Buch auch Ihr Sprachverhalten wider?
I.Ž.: Einerseits hat es gewiss mit mir zu tun, andererseits ist es eine Art Sprachverhalten von Mehrsprachigkeit, welches ich darstellen wollte, das auch über Zweisprachigkeit hinausgeht. Eigentlich ist der Roman vier-, fünfsprachig. Viele reduzieren das Buch auf die Zweisprachigkeit, wobei ich mir denke: Hey, da sind viel mehr Sprachen vorhanden. Natürlich, das Buch ist vor allem auf Deutsch geschrieben, das kann man nicht negieren. Aber dennoch sind die anderen vorkommenden Sprachen in gewissem Sinne gleichwertig. Mir war es deshalb in der Gestaltung auch wichtig, dass diese sogenannten ‚Fremdsprachen‘ nicht kursiviert werden. Denn wer entscheidet schon, für wen welche Sprache eine Fremdsprache ist. Zudem repräsentiert die Sprachvielfalt die Realität. Wenn wir herumlaufen, fliegen uns ständig verschiedene Sprachfetzen um die Ohren. Zudem ist Zweisprachigkeit die neue Norm, gerade in der Schweiz, einem viersprachigen Land. Da muss man noch nicht mal Migrationshintergrund haben. Wir tragen alle mehrere Sprachen in uns und wir brauchen sie alle. Unabhängig davon, was sie bedeuten. Und deshalb ist mir diese Gleichwertigkeit so wichtig. Wären die kroatischen, englischen, schweizerdeutschen Teile kursiv, so würde man sie zu diesem Fremden, dem Anderen, dem Nichtdeutschen machen. Häufig übersetzte ich die Passagen auch nicht, weil ich schon den Anspruch habe, dass wir die Literatur nicht mehr so einsprachig halten müssen. Sie soll aber nicht halbkroatisch oder halbtürkisch oder sonst was werden, sondern die Sprachen sollen einfach nebeneinanderstehen, nebeneinander koexistieren können.
K.S.: Ja, viele kroatische Wörter oder auch Sätze werden nicht übersetzt. Was denken Sie, wie geht ein oder eine nicht Kroatisch sprechende Leserin damit um?
I.Ž.: Vielleicht gibt es solche, die sich ärgern, vielleicht gibt es solche, die es so interessiert, dass sie es googeln gehen. Bei den meisten Wörtern ist aber gar nicht so wichtig, sie zu verstehen. Das ist das, was ich meinte, es geht mehr darum, wie die Sprachen benutzt werden. So ist auch die Welt, in der wir uns bewegen; wir verstehen nicht jedes Wort um uns herum. Es ist im Grunde egal, was oder wieviel man von den Sprachfetzen im Buch versteht. Und ich meine egal in einem positiven Sinne, nicht dass die Bedeutungen keinen Wert hätten, sondern dass es gleichwertig ist, ob jemand ein Wort versteht oder nicht. Ich denke, dieser Umgang mit Mehrsprachigkeit kann eine schöne Erfahrung sein.
K.S.: Trotz der Vielsprachigkeit ist der Roman auf Deutschsprachige ausgerichtet, da er meistens auf Deutsch verfasst ist. Sind bereits Übersetzungen geplant?
I.Ž.: Auf Englisch wurde bereits eine Probeübersetzung des ersten Kapitels gemacht.
K.S.: Und funktioniert das auf Englisch? Die Sprachspielereien verändern sich ja dadurch.
I.Ž.: Ja, das funktioniert wahnsinnig gut. Ich bin wirklich begeistert von dieser Übersetzung. Es ist nämlich nicht einfach; man muss sich bei einem solchen Text trauen, nicht brav eine Eins-zu-eins-Übersetzung zu machen, sondern sich auch Freiräume zu nehmen. Also Sprachspiele, die ich im Deutschen mache, ins Englische zu übertragen. Nicht eins-zu-eins, Wort für Wort, sondern den Rhythmus, den Flow, die Bewegung zu übersetzen. Der Ton und die Atmosphäre wurden in dieser Übersetzung genau getroffen, so dass ich sehr begeistert bin von dem Ergebnis: Es klingt nach mir, obwohl ich es nicht geschrieben habe – ich bin total geflasht davon und freue mich, wenn das ganze Buch übersetzt wird. Das ist bestimmt eine Herausforderung.
K.S.: Und wie sieht es mit einer kroatischen Übersetzung aus?
I.Ž.: Der Roman wird ins Kroatische übersetzt werden. Und wir werden sehen, wie es dort gemacht wird, das ist natürlich ein sehr spannender Prozess.
K.S.: Apropos Kroatien: Eine Leitfigur des Romans ist das Pferd der Reiterstatue auf dem Ban-Jelačić-Platz. Es begleitet die Protagonistin während ihres Aufenthalts in Zagreb und verfolgt sie samt Busfahrt bis nach Zürich. Was verkörpert dieser Reiter – insbesondere das Pferd – abgesehen von der Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit Kroatiens?
I.Ž.: Eigentlich spannend, dass Sie die Unabhängigkeit nennen. Ich hätte es gar nicht unbedingt mit diesem Wort in Verbindung gebracht. Ich sehe es nicht mit der Unabhängigkeit Kroatiens verbunden, es ist für mich kein nationalistisches Pferd. Das wäre ein bisschen eine zu schmale Interpretation. Natürlich ist es sehr politisch aufgeladen; es hat zum Beispiel immer in verschiedene Richtungen gezeigt, mal nach Ungarn – sozusagen als Verteidigung in diese Richtung – dann wurde es entfernt nach dem Zweiten Weltkrieg. Und letztendlich zeigte es unpolitisch Richtung Süden, Richtung Meer. Die Reiterstatue ist ein Symbol und steht einerseits, wie Statuen ja immer, als etwas Massives, Stabiles da, wörtlich in Stein gemeißelt. Andererseits drehte sich diese Statue wie ein Fähnchen im Wind. Sie steht darum für das Land, für die Umbrüche und Verwandlungen. Ich entwurzelte die Reiterstatue jedoch und benutzte sie ebenso als phantastisches Moment wie auch die toten Verwandten und die lebhaften Erinnerungen. Ich finde den Gedanken irgendwie lustig, dass ein so dickes und massives Pferd – wie wir es auch aus anderen europäischen Städten kennen – sich plötzlich in Bewegung setzt und nebenher trabt. Gleichzeitig ist das Pferd auch eine Kindheitserinnerung der Protagonistin.
K.S.: Welche Kindheitserinnerung?
I.Ž.: Auch wenn das Pferd damals nicht da stand, war doch dieser Platz ein sehr wichtiger Ort – ein Ort, der sehr unpolitisch genutzt wurde. Es war ein sozialer Ort, ein Treffpunkt. Und im Sommer sind solche Städte wie Zagreb dann einfach leer. Und auch dieser belebte Platz ist plötzlich leer. Es ist mega heiß und alle sind am Meer. Und dann hat dieses Pferd plötzlich keine Funktion mehr: niemand ist hier, um sich zu treffen, niemand schaut das Pferd an. Und plötzlich, als würde es sich wie in einer solchen Sommernacht wegschleichen, taucht es abseits vom Platz wieder auf und begleitet die Protagonistin. Ja, eigentlich wie eine Erinnerung. Es ist letztlich ein Symbol der Vergangenheit. Es verkörpert auch eine Vergrößerung oder fungiert vielleicht als Personifizierung eines Kindergefühls, das die Protagonistin von diesem Pferd und diesem Land hatte. Ich denke, man kann ganz viel hier in die Bedeutung dieses Pferdes hineinlegen. Ich fand es aber auch schlichtweg cool, dieses Pferd zu beleben. Ich meine, wenn man sich schon diesen Spielplatz eröffnet, mit phantastischen Elementen zu arbeiten, dann sollte man auch damit spielen, wer nebst den Menschen noch vorkommen kann.
K.S.: Interessant, wie Sie auch hier die Bewegung beschreiben. Die Bewegung ist ja ein Thema des Romans – es ist alles eine einzige Bewegung, eben eine Reise.
Wirft man einen Blick auf Ihre Biographie, so bemerkt man bald: Die Protagonistin teilt vieles mit Ihnen. Wie ist das, wenn man eine fiktive Geschichte aufschreibt, die autobiographische Züge aufweist; schöpft man aus den eigenen Erinnerungen und Erfahrungen? Verschwimmen Fiktives und Erinnerungen – diese beiden Leben – vielleicht auch miteinander? So wie auch die vergangenen Zugfahrten?
I.Ž.: Grundsätzlich ist es doch so, dass jede Autorin und jeder Autor immer aus dem eigenen Leben heraus schreibt – egal ob bei einem Krimi, Science-Fiction oder welches Genre auch immer – man schöpft aus sich selbst. Dies kann auch lediglich ein Raum oder eine Atmosphäre sein oder eine Figur, die übersetzt wird. Nur weil diese Figur jetzt realistischer ist, als beispielsweise eine Science-Fiction Figur, kommt relativ schnell dieser autobiographische Gedanke. Und man darf auch nicht vergessen, dass Autor_innen am liebsten erfinden. Für andere ist es immer so naheliegend, das Autobiographische zu erkennen und uns danach zu fragen. Aber was am meisten Spaß macht – also mir zumindest – ist doch das Erfinden, das Erzählen. Darum mache ich Theater, darum schreibe ich Bücher, weil ich einfach gerne Geschichten erfinde! Und das sollte man nicht unterschätzen. Es macht mehr Spaß zu erfinden, als Tagebuch zu schreiben.
K.S.: Werden Sie denn oft in Bezug auf den Roman mit Fragen zum Autobiographischen konfrontiert?
I.Ž.: Ja immer wieder. Und das finde ich schade. Ich denke mir dann: Hey, ich sitze doch nicht hier zum Interview, damit man mich privat kennenlernt. Ich sitze hier, weil ich ein Buch geschrieben habe und darüber möchte ich sprechen. Ich bin bereit, über mein Buch zu sprechen und dies öffentlich zu teilen. Das ist meine Literatur oder mein Theater. Und in diesem Rahmen kann man mich kennenlernen, über meine Kunst sozusagen. Natürlich verstehe ich es auch in gewissem Masse, dass man mich kennenlernen möchte; ich bin eine lebende Person, die man treffen kann und die nicht seit 200 Jahren tot ist. Aber hey Leute; nehmt diese Herausforderung an! Wir sind doch alle immer in einer Rolle. Ich sitze gerade in einer Rolle hier und Sie als Interviewerin ebenso! Ich habe mich heute entschieden: Ich komme hierher, ich bin Autorin und werde in dieser Stunde über mein Buch sprechen. Und das ist jetzt meine Rolle. Ob ich gerade Liebeskummer, Hunger oder Kopfschmerzen habe, hat nichts verloren in einem Interview über mein Buch. Literatur ist Fiktion und schafft Rollen. Man sollte wieder mehr entdecken, Freude daran zu haben, die Kunst spielerisch wahr- und anzunehmen – eigentlich wie im Theater. Wir sind und schaffen ständig neue Rollen. Und darum geht es letztendlich auch in diesem Buch.
K.S.: Auf ihrer Website steht, ihr Roman sei frei zur Dramatisierung. Sie haben sich doch dazu entschieden, eben kein Theaterstück aus dieser Geschichte zu machen, sondern bewusst die Romanform gewählt. Funktioniert der Text denn auch als Drama? Würden Sie die Dramatisierung allenfalls selbst vornehmen?
I.Ž.: Manchmal überlege ich tatsächlich, ob ich eine Dramatisierung vornehmen sollte. Wie Sie sagen: Ich habe mich entschieden, einen Roman zu schreiben, nicht ein Theaterstück. Andererseits gibt es im Theater mittlerweile viele Romanbearbeitungen. Für mich wäre die Dramatisierung eine solche Romanbearbeitung für das Theater und ich würde mein Buch nicht als Theatertext einer Theaterautorin betrachten. Das könnte ein spannendes Unternehmen sein, also wenn jemand Lust darauf hat, warum nicht? Ich finde es aber absolut nicht schlimm, wenn es nicht gemacht wird. Ich öffne lediglich die Tür dazu. Ich bin glücklich, dass ich einen Roman geschrieben habe, dass er hier ist ‒ in sich geschlossen und abgeschlossen.
Bildquelle: Ivna Žic, © Flavio Karrert.