Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

„Sorry.“ – Auf der Suche nach einem sicheren Ort

Herz­zer­rei­ßend, intim. Ein unsicht­barer innerer Krieg. Mit „Safe Place“ reinsze­niert Juraj Lerotić ein trau­ma­ti­sches auto­bio­gra­fi­sches Ereignis: den Selbst­mord­ver­such seines Bru­ders, der einen deut­li­chen Riss im Leben der Familie ver­ur­sacht hat. 

 

Es sind die kleinen Dinge, die in diesem Film die größten Emo­tionen her­vor­rufen. Allein die Auf­rich­tig­keit, mit der Damir das Wort „Sorry“ nach seinem Selbst­mord­ver­such aus­spricht, lässt das Herz der Zuschauer_innen in eine Mil­lion kleiner Stücke zer­bre­chen. Sein Bruder will nichts von sol­chen Ent­schul­di­gungen hören. Und so bleibt dieses kla­gende „Sorry” zwi­schen ihnen hängen und hallt im gesamten Hand­lungs­ver­lauf wider.

 

Der Film folgt Damir (Goran Mar­ković), der ver­sucht, seinem Leben ein Ende zu setzen. Sein Bruder Bruno (Juraj Lerotić) rettet ihn in letzter Sekunde; den­noch setzt Damir seine Sui­zid­ver­suche fort. Für den Zeit­raum eines Tages nehmen wir an Brunos Kampf und dem seiner Mutter (Snježana Sino­včić) um das Leben Damirs teil. Das intrans­pa­rente und dys­funk­tio­nale System der psy­chi­schen Gesund­heits­ver­sor­gung, das keinen direkten Dialog über den Zustand Damirs mit der Familie ermög­licht, erschwert diesen Kampf und zwingt die Familie zur Eigen­in­itia­tive und dabei zu ille­galen Schritten.

 

Der „sichere Ort“, den Bruno und seine Mutter für Damir finden wollen, gerät dabei im Laufe des Films zuneh­mend außer Reich­weite. Die Zeit ist knapp und die beiden haben kaum die Mög­lich­keit, ihre eigenen Gefühle zu ver­ar­beiten. Es gibt für sie wie auch für die Zuschau­enden keine ein­fache Ant­wort auf die Frage, welche Umstände Damir in diese Lage gebracht haben könnten. Wäh­rend wir die drei Fami­li­en­mit­glieder bei einer Dis­kus­sion im Auto begleiten, zeigen Bilder die Abgründe: Durch eine Spie­ge­lung im Auto­fenster umgibt ein Baum Damirs Gesicht, von den grünen Blät­tern umrahmt und ver­schattet. Wir ste­cken zwi­schen dem Wunsch seiner Familie nach Hei­lung und einer unheil­vollen Fins­ternis fest. Damirs Augen geben zu ver­stehen, dass seiner Depres­sion etwas Tie­feres zugrunde liegt, das aber sowohl für die Zuschau­enden als auch für die Familie des Prot­ago­nisten unmit­teilbar bleibt.

 

Die erzählte Geschichte baut Nähe auf, sodass wir hel­fend ein­greifen wollen und dabei ein­sehen müssen, dass wir nichts gegen Damirs Krank­heit aus­richten können. Die trüben Farben, die kalten, leeren Innen­räume der Kran­ken­häuser und Poli­zei­sta­tionen, die durch enge, bei­nahe klaus­tro­pho­bi­sche Ein­stel­lungen prä­sen­tiert werden, bilden den atmo­sphä­ri­schen Rahmen. Im starken Kon­trast zu den male­ri­schen, gera­dezu eupho­ri­sie­renden Natur­auf­nahmen stehen die düs­teren post­so­zia­lis­ti­schen Plat­ten­bauten. Diese visu­elle Gegen­über­stel­lung von schöner Natur und tristem Alltag ent­spricht dem Innen­leben der Figuren: die Spal­tung zwi­schen Hoff­nung und Ver­zweif­lung, Leben und Tod, Hei­lung und Trauma.

 

„Safe Place“ über­zeugt mit authen­ti­schen und starken Emo­tionen, dar­unter Schmerz, Kummer und Zorn. Der Film erzählt nicht nur die schmerz­liche Geschichte einer Familie, son­dern wirft auch grö­ßere Fragen auf, die die Stig­ma­ti­sie­rung von psy­chi­scher Gesund­heit und das oft unzu­rei­chende und dys­funk­tio­nale System der psych­ia­tri­schen und psy­cho­lo­gi­schen Gesund­heits­ver­sor­gung betreffen. Der Regis­seur, der zugleich Haupt­dar­steller des Films ist, schafft Räume für indi­vi­du­elle Refle­xion und Inter­pre­ta­tion und gibt zugleich Denk­an­stoße. „Safe Place“ beleuchtet die kom­plexe Stig­ma­ti­sie­rung der men­talen Gesund­heit und die Bedeu­tung von Empa­thie. Es stellt sich die Frage, wie die Situa­tion hätte anders ver­laufen können, wenn das Gesund­heits­system besser vor­be­reitet und die Men­schen um Damir und seine Familie, ein­schließ­lich der Pfle­ge­kräfte und der Polizei, empa­thi­scher gewesen wären. Diese Fragen bleiben unbe­ant­wortet. Damirs tra­gi­sches Ende ist ein Grund dafür. Der Film zielt aber nicht nur darauf ab, die bestehenden Sys­teme zu kri­ti­sieren, son­dern auch darauf, die Viel­schich­tig­keit und das tiefe Leid der mensch­li­chen Psyche sowie deren Fähig­keit zur Wider­stands­fä­hig­keit in dunklen Zeiten zu beleuchten.

 

Lerotić, Juraj: Sigurno mjesto (Safe Place), Kroa­tien, 2022, 102 Min.

Quelle des Titel­bildes: Pipser Pro­duc­tion Com­pany “Safe Place”, https://www.filmfestivalcottbus.de/ (zuletzt auf­ge­rufen am 24.11.2022).