Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
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10099 Berlin

„Chleb i sól“ – Zwi­schen All­tags­ras­sismen und Gastfreundschaft

Brot und Salz – ein Brauch, den viele Kul­turen zu teilen scheinen. In Polen ein Symbol der Gast­freund­schaft, in der ara­bi­schen Kultur ein Aus­druck eines Freund­schafts­bünd­nisses. Wenn zwi­schen zwei Per­sonen Brot und Salz ist, sind sie Brüder. Diese Sym­bolik ver­wendet Damain Kocur in seinem preis­ge­krönten Spiel­film­debut „Chleb i sól” (2022), um von einem Vor­fall in einer von Xeno­phobie und All­tags­ras­sismen geprägten Klein­stadt in der pol­ni­schen Pro­vinz zu erzählen. 

 

Tymek, ein junger Musik­stu­dent, kehrt über die Som­mer­fe­rien in seine kleine Hei­mat­stadt in Polen zurück und wird dort Zeuge von Into­le­ranz und Gewalt. Wäh­rend er zum Stu­dieren in eine Groß­stadt gezogen war, hat sich in seiner Heimat nicht viel ver­än­dert: Nur ein Kebab-Laden, in dem sich seine Freunde, wenn sie nicht gerade zu Hause oder auf dem Spiel­platz rum­lun­gern und trinken, ihre Zeit ver­treiben, ist neu hin­zu­ge­kommen. In dem durch Cli­quen-Dyna­miken und Aus­sichts­lo­sig­keit geprägten tristen Klein­stadt­leben spitzt sich schließ­lich ein Kon­flikt zwi­schen den ara­bisch­stäm­migen Mit­ar­bei­tern des Imbisses und den pol­ni­schen Jugend­li­chen zu – mit tra­gi­schen Folgen.

 

Die Hand­lung basiert auf wahren Bege­ben­heiten: 2017 wurde in Elk, einer Stadt mit 60.000 Ein­woh­nern im Nord­osten Polens, eine Welle ras­sis­ti­scher Unruhen los­ge­treten. Aus­löser der Gewalt war der Mord an einem 21-jäh­rigen Polen vor einem Kebab-Restau­rant in der Sil­ves­ter­nacht. Der junge Mann habe Laden­dieb­stahl begangen, hieß es, wor­aufhin der tune­si­sche Laden­in­haber ihn im Hand­ge­menge ersto­chen haben soll. Dieses Ereignis führte zu einer hit­zigen gesell­schaft­li­chen Debatte, begleitet von zahl­rei­chen ras­sis­tisch moti­vierten Ausschreitungen.

 

Damain Kocur ist selbst in einer pol­ni­schen Klein­stadt auf­ge­wachsen, wodurch ihm das Dar­ge­stellte wohl­be­kannt ist. Um die Rea­li­täts­nähe und den Doku­men­ta­rismus zu bewahren, besetzte er den Film mit Freunden und Bekannten. Der Haupt­dar­steller, Tymo­teusz Bies, und Kocur sind seit ihrer Kind­heit befreundet; beide zogen – genauso wie Prot­ago­nist Tymek – für das Stu­dium in eine Groß­stadt. Bies und Kocur schrieben das Dreh­buch gemeinsam, das am Set um wei­tere spon­tane Ideen und Impro­vi­sa­tionen ergänzt wurde. Als stu­dierter Pia­nist hat Bies zudem für den Film Kla­vier­stücke kom­po­niert, die die kalte Kulisse der Plat­ten­bau­sied­lung kon­tra­punk­tisch unter­malen und die Zuschau­enden in eine fes­selnde, melan­cho­li­sche Trance versetzen.

 

Ziel des Films war es jedoch nicht, den tra­gi­schen Fall aus der Stadt Elk nur nach­zu­er­zählen. Indem er das Publikum zu stillen Zeug_innen bru­taler Szenen von Gewalt macht, gelingt es Kocur nach der Ver­ant­wor­tung jedes ein­zelnen Indi­vi­duums zu fragen. So schaut man in einem Bus einem Über­griff auf einen der Imbiss-Mit­ar­beiter zu, als wäre man selbst ein_e Mitfahrer_in, die oder der sich gegen die aktive Zivil­cou­rage ent­scheidet – und bleibt mit dem Gefühl von Hilf­lo­sig­keit und Ohn­macht zurück. Das Ausmaß von jah­re­lang ver­nach­läs­sigtem Ras­sismus, der das Zusam­men­leben prägt und den Alltag Vieler mit­be­stimmt, macht die Zuschau­enden in jeder Hin­sicht sprachlos.

 

Der Film erhielt auf den 79. Inter­na­tio­nalen Film­fest­spielen von Venedig den Jury­preis in der Sek­tion Oriz­zonti und wurde auf dem Film­fes­tival Cottbus mit dem Spe­zi­al­preis für die beste Regie ausgezeichnet.

 

Kocur, Damian: Chleb i sól (Bread and Salt), Polen, 2022, 100 Min.

Quelle des Titel­bildes: https://mittelpunkteuropa.de/filme/chleb-i-sol-bread-and-salt/ (zuletzt auf­ge­rufen am 7.11.2023).