„Chleb i sól“ – Zwischen Alltagsrassismen und Gastfreundschaft

Brot und Salz – ein Brauch, den viele Kulturen zu teilen scheinen. In Polen ein Symbol der Gastfreundschaft, in der arabischen Kultur ein Ausdruck eines Freundschaftsbündnisses. Wenn zwischen zwei Personen Brot und Salz ist, sind sie Brüder. Diese Symbolik verwendet Damain Kocur in seinem preisgekrönten Spielfilmdebut „Chleb i sól” (2022), um von einem Vorfall in einer von Xenophobie und Alltagsrassismen geprägten Kleinstadt in der polnischen Provinz zu erzählen.

 

Tymek, ein junger Musikstudent, kehrt über die Sommerferien in seine kleine Heimatstadt in Polen zurück und wird dort Zeuge von Intoleranz und Gewalt. Während er zum Studieren in eine Großstadt gezogen war, hat sich in seiner Heimat nicht viel verändert: Nur ein Kebab-Laden, in dem sich seine Freunde, wenn sie nicht gerade zu Hause oder auf dem Spielplatz rumlungern und trinken, ihre Zeit vertreiben, ist neu hinzugekommen. In dem durch Cliquen-Dynamiken und Aussichtslosigkeit geprägten tristen Kleinstadtleben spitzt sich schließlich ein Konflikt zwischen den arabischstämmigen Mitarbeitern des Imbisses und den polnischen Jugendlichen zu – mit tragischen Folgen.

 

Die Handlung basiert auf wahren Begebenheiten: 2017 wurde in Elk, einer Stadt mit 60.000 Einwohnern im Nordosten Polens, eine Welle rassistischer Unruhen losgetreten. Auslöser der Gewalt war der Mord an einem 21-jährigen Polen vor einem Kebab-Restaurant in der Silvesternacht. Der junge Mann habe Ladendiebstahl begangen, hieß es, woraufhin der tunesische Ladeninhaber ihn im Handgemenge erstochen haben soll. Dieses Ereignis führte zu einer hitzigen gesellschaftlichen Debatte, begleitet von zahlreichen rassistisch motivierten Ausschreitungen.

 

Damain Kocur ist selbst in einer polnischen Kleinstadt aufgewachsen, wodurch ihm das Dargestellte wohlbekannt ist. Um die Realitätsnähe und den Dokumentarismus zu bewahren, besetzte er den Film mit Freunden und Bekannten. Der Hauptdarsteller, Tymoteusz Bies, und Kocur sind seit ihrer Kindheit befreundet; beide zogen – genauso wie Protagonist Tymek – für das Studium in eine Großstadt. Bies und Kocur schrieben das Drehbuch gemeinsam, das am Set um weitere spontane Ideen und Improvisationen ergänzt wurde. Als studierter Pianist hat Bies zudem für den Film Klavierstücke komponiert, die die kalte Kulisse der Plattenbausiedlung kontrapunktisch untermalen und die Zuschauenden in eine fesselnde, melancholische Trance versetzen.

 

Ziel des Films war es jedoch nicht, den tragischen Fall aus der Stadt Elk nur nachzuerzählen. Indem er das Publikum zu stillen Zeug_innen brutaler Szenen von Gewalt macht, gelingt es Kocur nach der Verantwortung jedes einzelnen Individuums zu fragen. So schaut man in einem Bus einem Übergriff auf einen der Imbiss-Mitarbeiter zu, als wäre man selbst ein_e Mitfahrer_in, die oder der sich gegen die aktive Zivilcourage entscheidet – und bleibt mit dem Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht zurück. Das Ausmaß von jahrelang vernachlässigtem Rassismus, der das Zusammenleben prägt und den Alltag Vieler mitbestimmt, macht die Zuschauenden in jeder Hinsicht sprachlos.

 

Der Film erhielt auf den 79. Internationalen Filmfestspielen von Venedig den Jurypreis in der Sektion Orizzonti und wurde auf dem Filmfestival Cottbus mit dem Spezialpreis für die beste Regie ausgezeichnet.

 

Kocur, Damian: Chleb i sól (Bread and Salt), Polen, 2022, 100 Min.

Quelle des Titelbildes: https://mittelpunkteuropa.de/filme/chleb-i-sol-bread-and-salt/ (zuletzt aufgerufen am 7.11.2023).

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