„Sorry.“ – Auf der Suche nach einem sicheren Ort

Herzzerreißend, intim. Ein unsichtbarer innerer Krieg. Mit „Safe Place“ reinszeniert Juraj Lerotić ein traumatisches autobiografisches Ereignis: den Selbstmordversuch seines Bruders, der einen deutlichen Riss im Leben der Familie verursacht hat.

 

Es sind die kleinen Dinge, die in diesem Film die größten Emotionen hervorrufen. Allein die Aufrichtigkeit, mit der Damir das Wort „Sorry“ nach seinem Selbstmordversuch ausspricht, lässt das Herz der Zuschauer_innen in eine Million kleiner Stücke zerbrechen. Sein Bruder will nichts von solchen Entschuldigungen hören. Und so bleibt dieses klagende „Sorry“ zwischen ihnen hängen und hallt im gesamten Handlungsverlauf wider.

 

Der Film folgt Damir (Goran Marković), der versucht, seinem Leben ein Ende zu setzen. Sein Bruder Bruno (Juraj Lerotić) rettet ihn in letzter Sekunde; dennoch setzt Damir seine Suizidversuche fort. Für den Zeitraum eines Tages nehmen wir an Brunos Kampf und dem seiner Mutter (Snježana Sinovčić) um das Leben Damirs teil. Das intransparente und dysfunktionale System der psychischen Gesundheitsversorgung, das keinen direkten Dialog über den Zustand Damirs mit der Familie ermöglicht, erschwert diesen Kampf und zwingt die Familie zur Eigeninitiative und dabei zu illegalen Schritten.

 

Der „sichere Ort“, den Bruno und seine Mutter für Damir finden wollen, gerät dabei im Laufe des Films zunehmend außer Reichweite. Die Zeit ist knapp und die beiden haben kaum die Möglichkeit, ihre eigenen Gefühle zu verarbeiten. Es gibt für sie wie auch für die Zuschauenden keine einfache Antwort auf die Frage, welche Umstände Damir in diese Lage gebracht haben könnten. Während wir die drei Familienmitglieder bei einer Diskussion im Auto begleiten, zeigen Bilder die Abgründe: Durch eine Spiegelung im Autofenster umgibt ein Baum Damirs Gesicht, von den grünen Blättern umrahmt und verschattet. Wir stecken zwischen dem Wunsch seiner Familie nach Heilung und einer unheilvollen Finsternis fest. Damirs Augen geben zu verstehen, dass seiner Depression etwas Tieferes zugrunde liegt, das aber sowohl für die Zuschauenden als auch für die Familie des Protagonisten unmitteilbar bleibt.

 

Die erzählte Geschichte baut Nähe auf, sodass wir helfend eingreifen wollen und dabei einsehen müssen, dass wir nichts gegen Damirs Krankheit ausrichten können. Die trüben Farben, die kalten, leeren Innenräume der Krankenhäuser und Polizeistationen, die durch enge, beinahe klaustrophobische Einstellungen präsentiert werden, bilden den atmosphärischen Rahmen. Im starken Kontrast zu den malerischen, geradezu euphorisierenden Naturaufnahmen stehen die düsteren postsozialistischen Plattenbauten. Diese visuelle Gegenüberstellung von schöner Natur und tristem Alltag entspricht dem Innenleben der Figuren: die Spaltung zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Leben und Tod, Heilung und Trauma.

 

„Safe Place“ überzeugt mit authentischen und starken Emotionen, darunter Schmerz, Kummer und Zorn. Der Film erzählt nicht nur die schmerzliche Geschichte einer Familie, sondern wirft auch größere Fragen auf, die die Stigmatisierung von psychischer Gesundheit und das oft unzureichende und dysfunktionale System der psychiatrischen und psychologischen Gesundheitsversorgung betreffen. Der Regisseur, der zugleich Hauptdarsteller des Films ist, schafft Räume für individuelle Reflexion und Interpretation und gibt zugleich Denkanstoße. „Safe Place“ beleuchtet die komplexe Stigmatisierung der mentalen Gesundheit und die Bedeutung von Empathie. Es stellt sich die Frage, wie die Situation hätte anders verlaufen können, wenn das Gesundheitssystem besser vorbereitet und die Menschen um Damir und seine Familie, einschließlich der Pflegekräfte und der Polizei, empathischer gewesen wären. Diese Fragen bleiben unbeantwortet. Damirs tragisches Ende ist ein Grund dafür. Der Film zielt aber nicht nur darauf ab, die bestehenden Systeme zu kritisieren, sondern auch darauf, die Vielschichtigkeit und das tiefe Leid der menschlichen Psyche sowie deren Fähigkeit zur Widerstandsfähigkeit in dunklen Zeiten zu beleuchten.

 

Lerotić, Juraj: Sigurno mjesto (Safe Place), Kroatien, 2022, 102 Min.

Quelle des Titelbildes: Pipser Production Company „Safe Place“, https://www.filmfestivalcottbus.de/ (zuletzt aufgerufen am 24.11.2022).

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