Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Eine Familie im Prager Frühling

SLOVO (The Word) ist ein Fami­li­en­drama aus dem Jahr 2022, in dem die preis­ge­krönte Regis­seurin Beata Parka­nová das Per­sön­liche zum Poli­ti­schen macht und ihre Familie aus einer klei­neren Stadt in der Tsche­cho­slo­wakei in der Periode des Prager Früh­lings porträtiert.

Mit scho­nungs­loser Ein­dring­lich­keit zeigt Parka­nová, wie ihre Groß­el­tern ver­suchten, in dieser his­to­ri­schen Phase ihres Landes als Familie zusam­men­zu­halten. Zwei Erwach­sene, die sich gegen­seitig nicht gut tun und trotzdem mit stand­hafter Zärt­lich­keit und Soli­da­rität zuein­ander halten. Der Kampf gegen das innere Zusam­men­bre­chen der Familie unter dem poli­ti­schen Druck lässt die Haupt­fi­guren letzt­end­lich näher zusammenrücken.

 

Dabei gerät der Prot­ago­nist Václav an seine Grenzen. Gespielt von Martin Finger, ver­kör­pert er einen lie­be­vollen und fried­lie­benden Vater. Als Notar erfreut er sich wegen seines scharfen Bli­ckes für zwi­schen­mensch­liche Kon­flikte eines aus­ge­zeich­neten Rufs. Damit gerät er ins Visier der Kom­mu­nis­ti­schen Partei, die ihn als Reprä­sen­tanten für sich rekru­tieren will. Doch Václav hält als Regime­gegner sein „Nein“ zum Par­tei­bei­tritt. „Wenn du dein Wort gegeben hast, dann musst du es auch halten“, so seine zu Beginn des Films geäu­ßerte Über­zeu­gung. Seine Unbeug­sam­keit und das damit ein­her­ge­hende Gefühl, sich im Krieg zu befinden, kostet ihn seine psy­chi­sche Gesund­heit. Der Film begleitet ihn durch seine Psy­chose, in der er hilfs­be­dürftig und rea­li­täts­fremd wird.

 

Im abso­luten Kon­trast dazu zeigt seine Ehe­frau Věra keine Schwäche. Sie hält mit ver­stö­rendem, auf ihre Familie gerich­teten Kon­troll­zwang das ganze Kon­strukt der Klein­fa­milie zusammen. Sie tritt auf in ein­engender Klei­dung, streng nach hinten gebun­denem Haar, gegen Wind und hohe Treppen ankämp­fend, mit ver­krampftem Lächeln, steifer Kör­per­hal­tung und neu­ro­ti­schen Dia­logen. Der Thea­ter­schau­spie­lerin Gabriela Mikul­ková ist es beein­dru­ckend gelungen, eine Frau zu spielen, die den Zweiten Welt­krieg über­lebt hat und davon gezeichnet wurde: Hart, auto­ritär, höchst zwang­haft, immu­ni­siert sie sich gegen Angriffe der Außen­welt. Obwohl sie sich nicht als expli­zite Regime­geg­nerin zu erkennen gibt und von der Krank­heit ihres Mannes über­for­dert ist, hält sie eben­falls zu Václavs „Nein“ zur Partei. Auch wenn sie viele vom Gegen­teil über­zeugen wollen, lässt sie ihren Lebens­partner nicht im Stich.

 

Die langen, zähen Szenen ohne Musik und mit einer unbe­weg­li­chen Kamera fes­seln die Zuschau­enden umso stärker an das Geschehen. Die Kulissen wurden auf das Häus­liche und All­täg­liche beschränkt, immer wieder laufen die ver­un­si­cherten Kinder ins Bild und werden von der Mutter, die so tut, als sei alles wie immer, ver­scheucht. Oft folgt man nur hinter einer ver­schlos­senen Glastür den Gesprä­chen der Erwach­senen. So ent­steht für die Zuschau­enden der Ein­druck, in der Per­spek­tive eines lau­schenden Kindes gefangen zu bleiben, es ent­wi­ckelt sich eine Sym­pa­thie für die Tochter Eda. Diese platzt wie­der­holt in die ange­spannten Situa­tionen und die Ängste der Erwach­senen bleiben vor ihr nicht ver­borgen. Das Gefühl einer stei­genden Bedro­hung lässt den Film unheim­lich werden.

 

„Slovo“ über­wäl­tigt und rührt. Die Zuschau­enden ent­wi­ckeln großes Mit­ge­fühl für die por­trä­tierte Familie. Der Film endet mit einer langen Szene, in der nur noch die Tochter Eda zu sehen ist, die sich aus dem Fenster eines fah­renden Autos lehnt. Mit dem Fokus auf das Kind wird die Fort­set­zung der Fami­li­en­ge­schichte bis in die Gegen­wart ver­sinn­bild­licht: Trau­mata und Ängste, vor­ge­lebte Reak­ti­ons­muster werden der nächsten Gene­ra­tion mit­ge­geben. Der Film ist ein mutiger, psy­cho­ana­ly­tisch argu­men­tierter Ver­such, fami­liäre Dyna­miken unter pre­kären poli­ti­schen Bedin­gungen zu ver­stehen. Dazu lädt er mit Nach­druck ein.

Beata Parka­nová: SLOVO (The word). CZ/SK, 2022, 94 min.